Nur ein paar Eindrücke möchte ich hier sammeln. Wenn man den Ring in der Spanne von sechs Tagen sieht, schafft man es kaum, Atem zu holen, geschweige denn, etwas Lesbares aufzuschreiben.
Gestern hörte und sah ich den zweiten Abend des Bühnenfestspiels, Siegfried. Das gewisse Unbehagen, das ich im letzten Jahr schon spürte, stellte sich schnell wieder ein: Regisseur Dmitri Tscherniakow liebt den Siegfried nicht und nimmt ihm alles Schöpferische, läßt ihn als bloßen Rüpel und Totschläger agieren. Zu den Schmiedeliedern wird nichts geschmiedet, sondern zur Feier des Abschieds von der Kindheit das Spielzeug verbrannt und mit einem Hammer die Einrichtung des Kinderzimmers zerstört. Daß der Knabe einen grundsätzlichen Entwicklungsschritt tut, das Erbe des Vaters zerspant und es sich beim Gießen und Schmieden eigentlich gewinnt, bleibt unbeachtet. Im zweiten Akt hat er denn auch nur einen Schwertstumpf, mit dem er Fafner tötet. Das ist eine der unangenehmsten Szenen des Abends und mag als Motiv einem Horrorfilm entlehnt sein - Fafner wird in Zwangsjacke und Ketten von zwei Pflegern, die mit Gummiknüppeln bewaffnet sind, Siegfried zum Kampf, eigentlich aber Mord, vorgeworfen.
Andreas Schager singt einen prima Jung-Siegfried verkörpert den Grobian sehr gut. Die lyrischen Passagen, etwa am Ende des zweiten Akts, als er seine Situation überdenkt: "Doch ich - bin so allein, hab nicht Bruder noch Schwester...", sind dann aber vielleicht ein wenig zu druckvoll gesungen.
Tomasz Konieczny - Wotan/Wanderer - hat gestern schon seinen Abschied genommen. Er singt diese großen Partien weltweit; ich habe ihn dieses Ostern zum ersten Mal im Ring erlebt und fand ihn überzeugend. Er ist ein bißchen rauh und sehr kernig, und gerade das hat mir prima gefallen! Beeindruckend, wie er damit auch Legato und Piano singt. Es geht, er kann es! Zu all dem kommt sehr gute Verständlichkeit und fantastisches Spiel! Sein Wotan ist konziliant, ohne eigenes Interesse an Grausamkeiten und nur so brutal, wie eben nötig, damit die göttliche Ordnung hält: "Kein Gott ist schlechter, als er muß!"
Die Nibelungen, Johannes Martin Kränzle als Alberich und Stephan Rügamer als Mime, sind ein großes Vergnügen! Rügamer trifft den schwachen Zwerg mit seiner nasalen, leicht säuerlichen Stimme genau. Schauspielerisch gibt er dem Affen Zucker und spielt alle Ticks - das Gangeln und Geh'n, das Knicken und Nicken, das mit den Augen Zwicken - die der weise Schmied hat, voll aus. Kränzle ist ein großer Komiker und Verwandlungskünstler. Sein Bariton hat mich phasenweise an Siegmund Nimsgern erinnert. Vor der Neidhöhle liefert er sich mit dem Wanderer ein tolles Rennen durch die Kulissen auf der sich unablässig drehenden Bühne. Der greise Alberich ist mit Gehhilfe, Brille und Asthma-Spray unterwegs, was viele Gelegenheiten zu tollem Slapstick gibt.
Für mich war das der Höhepunkt des Abends: Die beiden Alten, die ihre Kämpfe ewig weiterführen und die ohne einander nicht können, deren Zeit aber abgelaufen ist.
Anna Kissjudit, als Siegfried-Erda mit groteskem Leibesumfang beschwert, ist beim Berliner Publikum sehr beliebt und wird mit viel Beifall belohnt.
Daß Brünnhilde und Wanderer ein abgekartetes Spiel auf dem Felsen abziehen, ist mir ebenso Ärgernis, wie der erwähnte "Kampf" mit Fafner. Anja Kampe legt sich erst Minuten, bevor Siegfried auftaucht, auf die Pritsche im Schlaflabor, gemessen instruiert vom Wanderer, dem Leiter des Experiments. Folglich ist auch ihr Erwachen und Siegfrieds Drängen fake news. Das Publikum ist amüsiert, weil sie den Arm schon um Siegfried schlingt, als er ihre Lippen zum ersten Mal berührt. Natürlich ist die "Selige Öde auf sonniger Höh'" tristanesk, aber daß Tscherniakow hier einfach nur seine Tristan-Inszenierung am Haus zitiert, indem er Brünnhild und Siegfried im Erkennen ihres Schicksals in Lachkrämpfe ausbrechen läßt, hat mich ernüchtert. Die Szene fängt sich mit "Ewig war ich, ewig bin ich" - das singt Fr. Kampe ganz wunderbar und auch die Albernheiten sind vorbei.
Die letzte Szene - leuchtende Liebe, lachender Tod - wird vom Wanderer und den gealterten Rheintöchtern als Voyeurs von oben (!) beobachtet.