Literarische Bezüge im musikalischen Werk Robert Schumanns

  • Die Grundlage für Robert Schumanns (1810-1856) Interesse an Literatur legte sein Vater August Schumann. Er war Buchhändler, Verleger, Romanautor und Übersetzer englischer Literatur. Dem Sohn stand eine grosse Bibliothek zur Verfügung und er hatte in diesem Milieu Anregungen durch künstlerische Werke gedruckter wie musikalischer Art. Robert Schumann verfasste Gedichte, Prosatexte und Dramenentwürfe, beschäftigte sich auch mit der Erweiterung seiner pianistischen Fähigkeiten. Er gründete ein Schulorchester und einen literarischen Zirkel, in dem neueste Literatur gelesen und besprochen wurde.

    Als ihm sein Lehrer nichts mehr im Klavierspiel beibringen konnte, riet ihm dieser, er solle sich autodidaktisch weiterbilden. Nach 1830 entschied sich Robert Schumann für eine pianistische Laufbahn. Die Einflüsse literarischer Werke ist in Schumanns Kompositionen auszumachen.


    In diesem Thread geht es um die literarischen Werke, die Robert Schumann inspirierten.

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • In seinem Opus 2 Papillons besteht ein Bezug zum letzten Kapitel des Romans Flegeljahre von Jean Paul. Im Exemplar aus Robert Schumanns Bibliothek sind Randnotizen von seiner Hand mit musikalischen Verweisen.



    in einem Brief an Ludwig Rellstab, dem Herausgeber der Musikzeitschrift Iris im Gebiet der Tonkunst schreibt Robert Schumann:

    „Weniger für den Redakteur der Iris, als für den Dichter und den Geistesverwandten Jean Pauls, erlaub’ ich mir den Papillons einige Worte über ihr Entstehen hinzuzufügen, da der Faden, der sie aneinander schlingen soll, kaum sichtbar ist. Eu. Wohlgeboren erinnern sich der letzten Scene in den Flegeljahren—Larventanz—Walt—Vult—Masken—Wina—Vults Tanzen—das Umtauschen der Masken—Geständnisse—Zorn—Enthüllung—Forteilen—Schlußtraum und dann der fortgehende Bruder. Noch oft wendete ich die letzte Seite um: denn der Schluß schien mir nur ein neuer Anfang — fast unbewußt war ich am Klavier und so entstand ein Papillon nach dem Andern.“



    Die beiden Hauptfiguren des Romans sind Walt Harnisch (eine eher ruhige Dichter-Natur) und sein Bruder Vult (ein draufgängerischer Flötenvirtuose und brillanter Tänzer). Beide lieben dieselbe Frau, nämlich Wina. Ihre Wahl zwischen Vult und Walt wird auf einem Maskenball entschieden.

    Walt Harnisch wird in dem Roman von einem Klavierstimmer darauf aufmerksam gemacht, dass sein Familienname die Tonbuchstaben A–S(Es)-C-H enthält. (Übrigens der Familienname Schumann auch)


    Der Titel Papillons (= Schmetterlinge) rühre von vom Eindruck des "Durcheinanderflatterns auf einem Faschingsball", liess Schumann in einem Gespräch durchblicken.


    Meine Lieblingsstelle: Im 12. Teil dem Finale hört man die sechs sforzato Schläge der morgendlichen Kirchenglocke, wenn der Bruder nach dem Ball heimkehrt.


    Mit dem musikalischen Werk Vertraute werden in den beiden Charakterisierungen der literarischen Gestalten unschwer die beiden Alter Ego Schumanns, Eusebius und Florestan, erkennen.


    Die erwähnte Tonfolge wird im Carneval Op. 9 auftauchen.


    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Ich erlaube mir auf einen Beitrag hinzuweisen, in dem ich aus einer Studie von Norber Millter zitiere, die diesen faszinierenden Themenkomplex sehr tief durchdringt: "Wie wird die Welt von Tönen wach", Norbert Miller, Basel 2012


    Ich hatte hier darüber berichtet: Robert Schumann: Werke für Soloklavier Vol. 02 - Davidsbündlertänze op 6


    Bei Interesse kann ich gerne eine Kopie dieses Aufsatzes (in einer Festschrift erschienen) zur Verfügung stellen.


    Daraus auch hier ein Zitat:


    "Wie Jean Paul sich früh in Leibgeber und Siebenkäs, dann in Walt und Vult und schliesslich in den echten und falschen Fürstensohn Nikolaus Marggraf aufspaltete, wie in Hoffmanns Erzählungen die doppelte Wirklichkeit auch doppelte Identitäten verlangte, hat auch Robert Schumann schon in seinen ersten schriftstellerischen und kompositorischen Versuchen Rollenspiele mit sich veranstaltet. Die Aufspaltung seines Ich in gegensätzliche wenn schon verwandte Teilexistenzen reicht bis ins Jahr 1831 zurück. „Eusebius, ich denke mir dich etwas schlank u. blaß* heisst es im „Leipziger Lebensbuch" unter den Einträgen vom Ende August, und dann zählt Schumann die anderen Figuren aus dem Umkreis seiner - nach dem Vorbild von Hoffmanns Serapionsbrüdern und von Carl Maria von Webers logenartigem Harmonischen Verein konzipierten - Künstlerrunde der Davidsbündler auf: „Florestan, Meister Raro, Zilia, alter Maestro, Juvenalis, Musikdirector, medizinische Muse, Student Varinas, Justitiar Abrecher; Echomein"


    Schumanns wiederkehrende Gestalten Florestan und Eusebius sind gewiss von Jean Paul inspiriert, von den Zwillingsbrüdern Walt und Vult aus den FLEGELJAHREN. Wie Jean Paul seinen Roman über zwei gegensätzliche Figuren erzählt, die einander verbunden sind, spaltet auch Schumann seinen musikalischen Kosmos in gegensätzliche Charaktere auf. In einem anderen Roman Jean Pauls, dem SIEBENKÄS, wird diese Aufspaltung eines Charakters mit Siebenkäs und Leibgeber noch weitergetrieben, da die beiden in einer wilden Intrige wiederholt ihre Identität tauschen müssen, was Leibgeber sehr zu schaffen macht und schließlich dazu führt, dass er verrückt wird. Die Folgen werden herzzerreißend im TITAN geschildert.


    Ein schönes Thema, das moderato hier aufgemacht hat. Ich fürchte nur, dass es wenige Interessierte finden wird.

    Wer liest heute noch Jean Paul? Wer kennt wundersame Figuren wie Schoppe, Leibgeber, Siebenkäs, Walt und Vult?

  • Lieber Christian B.


    Vielleicht kann man den einen oder anderen zur Lektüre verführen.


    Jean Paul ist mir eine anstrengende Lektüre. Wenn man sich eingelesen hat und die Handlungsstränge entwirrt und die vorkommenden Gestalten für sich charakterisiert hat, fällt es einfacher. Ich hatte seine Werke angefangen zu lesen, weil ich um die Bezüge zu den schumannschen Werken weiss.


    Der andere Schriftsteller, auf dessen Werke sich Schumann bezieht, fällt mir leichter: Ernst Theodor Amadeus Hofmann (1776-1822).


    Robert Schumann war literarisch hoch gebildet auf der Höhe der damals aktuellen Literatur. 1838, etwa 25 Jahre nachdem die von E.T.A.Hoffmann erdachte literarische Gestalt des Kapellmeisters in verschiedenen seiner Texte auftrat, komponierte der Zwickauer Schumann seine achtsätzige Komposition Kreisleriana Op. 16


    Vladimir Horowitz greift beherzt in die Tasten.



    Die Gestalt, auf den sich der Titel des schumannschen Werkes bezieht, der Kapellmeister Johannes Kreisler, findet sich in Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns literarischem Werk an verschiedenen Stellen. In den Erzählungen Kreisleriana (enthalten in der Sammlung Fantasiestücke in Callot’s Manier), der Novelle "Der goldne Topf" und dem unvollendeten Roman "Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern" (1819/1821). Eine der ausgewählten Lektüretitel meiner gymnasialen Reifeprüfung. Lang ist's her. Das Reclam Buch mit meinen Anmerkungen ist immer noch in meiner Bibliothek.


    "Die Kreisleriana sind zwölf scheinbar nicht zusammenhängende, tragisch angelegte Einzeltexte E. T. A. Hoffmanns, die erstmals zwischen 1810 und 1814 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung abgedruckt wurden und 1814 und 1815 im zweiten und vierten Band der Fantasiestücke in Callot's Manier erschienen." Zitat Wikipedia


    1822 hatte der Autor Ernst Theodor Amadeus Hofmann eine Bleistiftzeichnung zu Papier gebracht, die den Kapellmeister zeigt.


    Johannes_Kreisler.gif


    Der Wikipediaeintrag zur literarischen Kreisleriana würdigt dieses Werk. https://de.wikipedia.org/wiki/…eriana_(E._T._A._Hoffmann)


    Ein anderer Eintrag im gleichen Portal gibt einen guten Überblick zu Kater Murr und den Bezügen zur Gestalt Kreislers. https://de.wikipedia.org/wiki/…Ansichten_des_Katers_Murr


    Unter diesem Link erfährt man mehr über die musikalisch-literarischen Bezüge des Kapellmeisters Johannes Kreisler. Verfasser Karl Böhmer https://www.kammermusikfuehrer.de/werke/3635

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Jean Paul ist mir eine anstrengende Lektüre. Wenn man sich eingelesen hat und die Handlungsstränge entwirrt und die vorkommenden Gestalten für sich charakterisiert hat, fällt es einfacher. Ich hatte seine Werke angefangen zu lesen, weil ich um die Bezüge zu den schumannschen Werken weiss.



    Wenn man die vielen Exkurse und Abschweifungen in den Romanen überblättert, sich auf die Handlung konzentriert und die unglaublich erfindungsreichen, bildgewaltigen und witzigen Vergleiche einmal begriffen hat, ist die Lektüre ein sehr großes Vergnügen. Und der TITAN ist zudem auch sehr spannend und voller Intrigen. Ein großartiges Buch. Man braucht dafür aber etwas, was heute sehr selten zu haben ist: Zeit. Diese Bücher kann man nicht eben mal am Abend lesen, man muss sich richtig auf sie einlassen und mit Konzentration dabei bleiben. Ich bin auf den SIEBENKÄS übrigens aufmerksam geworden über den Roman DIE AUSCHLÖSCHUNG von Thomas Bernhard, in dem er für die Hauptfigur eine zentrale Rolle spielt. Das war meine Einstiegsdroge.


    Die "Kreisleriana" ist eins der großartigsten Stücke Schumanns überhaupt, die oben genannten, bekannte Werke von ETA Hofman kenne ich, die anderen Fantasiestücke jedoch nicht. Den Murr hatte ich mal angefangen, aber dann zur Seite gelegt. Das muss ich jetzt nachholen. Ich habe die Kreisleriana schon mehrmals im Konzert gehört (u.a. Uchida, Pollini), und alle sind sie daran gescheitert und haben sich darin verirrt. Horowitz hat sie bewältigt, aber auch hier finde ich die Live-Aufnahme aus Hamburg etwas schwächer. Es ist wohl doch kein Werk für die große Bühne, trotz aller Virtuosität.


    Ich staune, dass hier im Forum tatsächlich die Meinung vorzuherrschen scheint, dass Schumann ein problematischer Komponist sei. Da mag nur insoweit etwas dran sein, als Schumann in seinen Werken Stimmungen zum Ausdruck bringt, die die Schattenseiten menschlicher Individualität nicht aussparen, sondern ausleuchten. Auch das Disparate moderner Individualität spielt in seiner Musik eine große Rolle - das Fehlen eines übergreifenden Sinnzusammenhangs bei gleichzeitig zunehmenden Rollenbewusstsein (siehe Davidsbündler und Carnaval). Ich wüsste keinen Komponisten, der mir mehr ans Herz geht.

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Die Sätze der Fantasie C-Dur Op. 17 wurde aus verschiedenen Gründen durch Robert Schumann unbenannt.


    Wikipedia klärt auf:

    So plante Schumann ursprünglich, sein Werk unter dem Titel Große Sonate von Florestan und Eusebius zu veröffentlichen und die drei Sätze mit Ruinen, Trophäen und Palmen zu überschreiben; ein weiterer Titel war Obolen auf Beethovens Monument, womit er auf einen Aufruf von Franz Liszt reagierte, die Errichtung eines Beethoven-Denkmals in Bonn zu fördern. Mit dem Erlös für die dreisätzige Sonate quasi una fantasia – in Anlehnung an Ludwig von Beethovens Klaviersonate Nr. 14 und Klaviersonate Nr. 13 – wollte er seinen Obolus leisten.


    Gewidmet hatte er die Fantasie C-Dur Op. 17 Franz Liszt.


    Schlussendlich beliess er es bei den deutschen Satzbezeichnungen.


    I. Durchaus fantastisch und leidenschaftlich vorzutragen

    II. Mäßig. Durchaus energisch

    III. Finale. Langsam getragen. Durchweg leise zu halten


    Wo ist nun der literarische Bezug? Der belesene Komponist setzte als Motto eine Strophe Friedrich Schlegels (1772-1829) über sein Klavierwerk:


    Durch alle Töne tönet

    Im bunten Erdentraum

    Ein leiser Ton gezogen

    Für den, der heimlich lauschet


    Jedes Mal wenn ich die Fantasie höre, ist es dieser Ton, den ich vernehme.


    Für Robert Schumann hatte er eine andere Bedeutung: Er erwähnte in einem Brief an Clara Weck, dass er bei diesem Ton an sie denke.


    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Die Fantasiestücke op. 12 bilden einen Klavierzyklus von Robert Schumann. Er komponierte die acht Stücke im Frühjahr 1837.


    Der Titel ist von E. T. A. Hoffmanns Sammlung Fantasiestücke in Callots Manier inspiriert.


    Es ist Schumanns erster Klavierzyklus, dessen Sätze poetische, programmatisch wirkende Überschriften tragen. Schumann hat hingewiesen, dass er Titel erst nach vollendeter Komposition ausgewählt hatte.


    Des Abends

    Aufschwung

    Warum?

    Grillen

    In der Nacht

    Fabel

    Traumes Wirren

    Ende vom Lied



    Robert Schumann wird in seinem kompositorischen Schaffen mehrfach Werke schaffen, die im Titel die Bezeichnung Fantasiestücke tragen.


    Nebst den erwähnten Fantasiestücken für Klavier Op. 12 (1837) sind es

    Fantasiestücke für Klarinette oder Violine oder Cello und Klavier Op. 73 (1849)

    Fantasiestücke für Klavier, Violine und Cello in vier Sätzen Op. 88 (1842)

    Drei Fantasiestücke für Klavier, Op. 111 (1863)

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Zuerst war die komponierte Musik, danach suchte Robert Schumann passende literarische Entsprechungen, um sie dann wieder zu verwerfen.


    So ging Robert Schumann in den Waldszenen Op. 82 vor. Komponiert hatte er die neun Stücke zwischen 1848 und 1850.


    Nr. 1 Eintritt

    Nr. 2 auf Jäger der Lauer

    Nr. 3 Einsame Blumen

    Nr. 4 Verrufene Stelle

    Nr. 5 Freundliche Landschaft

    Nr. 6 Herberge

    Nr. 7 Vogel als Prophet

    Nr. 8 Jagdlied

    Nr. 9 Abschied.


    In der Stichvorlage zu op. 82 notiert er sieben literarische Mottos zu den Stücken, von denen drei aus der Sammlung Die Waldlieder von Gustav Pfarrius stammen. Da dieser Gedichtband erst 1850 erscheint, kann Schumanns Plan der Mottos nicht von Anfang an bestanden haben. Er folgt mit dieser Idee einer zu seiner Zeit durchaus gängigen Praxis, die keiner programmmusikalischen Intention, sondern vielmehr einem synästhetischen Gedanken dienen möchte. Die Sorge, den Rezipienten tatsächlich im programmatischen Sinne zu beeinflussen, veranlasst Schumann vermutlich zur Streichung fast aller Mottos. Lediglich die Verse Friedrich Hebbels zum Stück Nr. 4 Verrufene Stelle stehen im Druck.


    Quelle: Robert-Schumann-Portal.de



    Aus dem achtstrophigen Gedicht Hebels wählte er für Verrufene Stelle die vierte und fünfte Strophen aus:


    Die Blumen, so hoch sie wachsen,

    Sind blaß hier, wie der Tod,

    Nur Eine in der Mitte

    Steht da in dunklem Roth.


    Die hat es nicht von der Sonne,

    Nie traf sie deren Glut,

    Sie hat es von der Erde,

    Und die trank Menschenblut!


    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Aber was ist mit „ein leiser Ton“ nun genau gemeint, und handelt es wirklich nur um einen Ton oder nicht doch um eine Melodie?

  • Aber was ist mit „ein leiser Ton“ nun genau gemeint, und handelt es wirklich nur um einen Ton oder nicht doch um eine Melodie?

    Das ist aus Schlegels Gedicht "Gebüsche", das auch Schubert vertont hat. Es ist ein exemplarisches Beispiel für die Entdeckung der "Stimmungen" in der Romantik. Die Stimmung ist ein einheitlicher Grundton, der alles durchzieht. Er ist leise, weil er hintergründig und nicht vordergründig ist. Das passt zu Schumann - er betont das Verschwiegene, Verborgene, Hintergründige, das man erraten muss und das sich nur dem Eingeweihten erschließt, der diese Geheimsprache aufschließt - siehe den Carnaval und die Humoreske.


    Was die Stimmung in der Romantik bedeutet ist zu sehen etwa bei Carl-Gustav Carus, dem Goethe-Anhänger und Freund von Caspar David Friedrich:


    d511080d418f3b8711a9e6748d9efc0e.jpg


    Man sieht, dass das Bild "Ton in Ton" gemalt ist, d.h. ein farblich warmer Grundton verbindet alles, taucht das Ganze einheitlich in ein sanftes Licht. In der Musik ist das die Entwicklung weg von der Rhetorik der vordergründigen Affekte hin zu einer Erlebnis-Musik, wo alles von einer einheitlichen Grundstimmung des Ganzen durchzogen ist. ;) :)

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Lieber Christian B.


    An Clara schrieb Robert später: „Der ,Ton' im Motto bist Du wohl. Beinahe glaub ich's“.


    Jugendbriefe von Robert Schumann, nach den Originalen mitgetheilt von Clara Schumann. Leipzig, Breitkopf und Härtel 1886. Seite 303


    Ganz so ernst, wie wir annehmen, dürfte es von Schumann nicht gemeint gewesen sein, wenn er im zweiten Satz, den ersten Satz relativiert.

    Ich denke, mit diesem Ton ist die der Komposition zugrunde liegende Idee gemeint, nicht eine definierte Tonhöhe.


    Nicholas Marston schreibt im Booklet zur Aufnahme mit Marc-André Hamelin des Labels Hyperion. Deutsch: Anne Steeb/Bernd Müller


    Aber es besteht kein Zweifel, daß vor allem im ersten Satz ein höchst subtiler Prozeß der thematischen und motivischen Verknüpfung zum Einsatz kommt. Während man normalerweise erwarten würde, daß ein solcher Prozeß von einer eindeutig identifizierbaren musikalischen Idee ausgeht, die in der Folge transformiert wird, ist das Besondere an Schumanns Leistung in diesem Satz die scheinbare Umkehrung dieses Prozesses. Denn wenn sich überhaupt etwas als thematischer oder motivischer Kern dieser Musik identifizieren läßt, ist es wohl die zweitaktige Phrase, die den Adagio-Abschnitt ganz am Schluß des Satzes einleitet; und diese Phrase gilt seit langem als Anspielung auf das letzte Lied aus Beethovens Zyklus An die ferne Geliebte, wo es die Worte „Nimm sie hin, denn, diese Lieder“ vertont. Im Juni 1836, als Schumann den Satz unter dem Titel „Ruines“ komponierte, war Clara im Wortsinne seine „ferne Geliebte“, mit der er nur in seiner Phantasie mittels ausgetauschter Musik kommunizieren konnte. Und Clara erwiderte schließlich seinen Gesang: „Gestern hab ich Deine wunderherrliche Fantasie erhalten - ich bin noch heute halb krank vor Entzücken.“



    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Die Anspielung auf Beethovens Zyklus "An die ferne Geliebte" ist mir bekannt und ich frage mich, ob mit "leiser Ton" diese sehnsuchtsvolle Phrase gemeint ist. Es gibt vom letzten Satz ja eine frühe Fassung, die András Schiff aufgenommen hat. Da ist die Phrase am Ende meiner Erinnerung nach noch deutlicher zu hören als in der finalen Fassung, die sie wieder mehr verbirgt (oder war es umgekehrt?).


  • An Clara schrieb Robert später: „Der ,Ton' im Motto bist Du wohl. Beinahe glaub ich's“.


    Jugendbriefe von Robert Schumann, nach den Originalen mitgetheilt von Clara Schumann. Leipzig, Breitkopf und Härtel 1886. Seite 303


    Ganz so ernst, wie wir annehmen, dürfte es von Schumann nicht gemeint gewesen sein, wenn er im zweiten Satz, den ersten Satz relativiert.

    Ich denke, mit diesem Ton ist die der Komposition zugrunde liegende Idee gemeint, nicht eine definierte Tonhöhe.

    Lieber Moderato,


    Schumanns Ironie ist in der Tat bemerkenswert. Dahinter steckt ein ganz grundsätzliches - und musikästhetisch heikles - Problem. Eduard Hanslick: "Musik kann stürmen, wogen, rauschen, das Lieben und Zürnen trägt nur unser eigenes Herz in sie hinein." Stürmen, wogen, rauschen sind intransitive Verben. Lieben und Zürnen sind dagegen transitiv: Ich liebe Jemanden, mein Zorn richtet sich auf die oder die Person. Letzteres (dieses Transitive) nennen Philosophen "intentional". Musik kann also - folgt man Hanslick - nur nichtintentionale Gefühle ausdrücken aber keine intentionalen. Demnach kann die Musik - auch die von Schumann - die (intentionale) Liebe zu Clara Wieck gar nicht wirklich zum Ausdruck bringen. Das würde Schumanns ironische Zurückhaltung ("nur beinahe glaub´ ichs") erklären. Schopenhauers Lösung (die Hanslick allerdings ebenfalls kategorisch ablehnte) war: Musik drückt nicht konkrete Gefühle aus, sondern abstrakte "Gefühlsideen", also Liebe oder Sehnsucht an sich, aber nicht die Liebe zu einer konkreten Person. Oder anders ausgedrückt: die "Stimmung" von Liebe und Sehnsucht. Stimmungen sind nichtintentionale Gefühle und deshalb musikalisch ausdrucksfähig. Demnach wäre der alles im Geheimen durchziehende "Ton" in der Fantasie op. 17 die "Stimmung" von Sehnsucht und Liebe an sich - ohne konkreten Bezug auf einen Gegenstand. Dass damit die Liebe zu Clara Wieck gemeint ist, gehörte so nicht zum Ausdrucksgehalt des Werks. Das wäre mit Hanslick gedacht nur eine psychologisch erklärbare Projektion (was unser "Herz" lediglich in die Musik hineinträgt, aber in ihr gar nicht enthalten ist), sprich: "außermusikalisch". (Ich denke da etwas anders, aber das auszuführen, würde zu weit führen.) Nur als Hinweis, weil ich mich damit beschäftige und schon lange beschäftigt habe: In der Romantik ist mit dem "Ton" - das ist die Tradition der Empfindsamkeit - immer ein Empfindungston gemeint, also keine "ästhetische Idee" im Sinne von Kant, die sich dann mit Hanslick und allen "Formalisten" nach ihm gedacht in thematisch-motivischer Arbeit darstellt, sondern eine Gefühlsqualität. Mit Franz Liszt kommt man dem schon näher: Nach Liszt kommt die "poetische Idee" eines Tonstücks in der "Geistesstimmung" zum Ausdruck, die in ihm zum Erklingen gebracht wird.


    Ich müsste mein schlaues Buch noch einmal herauskramen. Bei Schumann gibt es eine ähnliche Auffassung über die Melodie wie bei Nikolaus Lenau. Lenau sagte mal in Bezug auf Beethoven, dass "Melodie doch eigentlich nur Nebensache ist in der Musik". Der "Ton" ist also wohl auch nicht die Melodie beim Romantiker Schumann.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Demnach kann die Musik - auch die von Schumann - die (intentionale) Liebe zu Clara Wieck gar nicht wirklich zum Ausdruck bringen.

    ...

    Demnach wäre der alles im Geheimen durchziehende "Ton" in der Fantasie op. 17 die "Stimmung" von Sehnsucht und Liebe an sich - ohne konkreten Bezug auf einen Gegenstand. Dass damit die Liebe zu Clara Wieck gemeint ist, gehörte so nicht zum Ausdrucksgehalt des Werks.

    Für Schumann offenbar schon, es gibt eine bestimmten Akkordfolge, die er wiederholt als Anspielung auf Clara verwendet hat. Also wendet sich diese Musik direkt an Clara und spricht sie an.


    Dass Schumanns Gefühle für Clara 'nicht zum Ausdrucksgehalt des Werks gehören', wie Du meinst, widerspricht in jedem Fall Schumanns eigenen Äußerungen - siehe moderatos Zitat.


    Mein Eindruck vom Hören ist, dass diese Beethoven-Phrase aus AN DIE FERNE GELIEBTE im Laufe des Werkes wiederkehrt und zuletzt im dritten Satz sich sehr deutlich, geradezu hymnisch offenbart. In der frühen Fassung noch mehr als in der späteren, wenn ich mich richtig erinnere. Ein Blick in die Noten wäre schön.

  • Dass Schumanns Gefühle für Clara 'nicht zum Ausdrucksgehalt des Werks gehören', wie Du meinst, widerspricht in jedem Fall Schumanns eigenen Äußerungen - siehe moderatos Zitat.

    Schumann hat erst einmal gesagt:


    „Der ,Ton' im Motto bist Du wohl. Beinahe glaub ich's“.


    Das "beinahe" ist sprachlich eine Als-ob-Modalisierung. Er sagt ja nicht einfach: "Das Motto: Das bist selbstverständlich Du!".


    Schumann ist Leser von E.T.A. Hoffmann. Und Hoffmann ist romantische Musikphilosophie. Das kennt Schumann, er hat es gelesen. Der Grundgedanke romantischer Musikphilosophie ist - in betonter Abwendung von der Tradition musikalischer Rhetorik - dass das musikalische Gefühl eine unbestimmte Ahnung ist - und gerade nicht individualisierend bestimmt. Diese ahnende Unbestimmtheit schließt eine Individualisierung und Konkretisierung des Gefühls durch seinen Gegenstand im Prinzip aus. Das weiß Schumann - auch das erläutert sehr gut Schumanns "beinahe" = "eben nicht wirklich". Weil die Sehnsucht nach dem Unendlichen immer eine unbestimmte Sehnsucht ist und bleibt.


    Es ist auch im Prinzip nicht von Belang, was Schumann selber meint. Hanslicks Einwand ist einfach schlagend. Was ist die Liebe alltäglich? Die Mutterliebe zu ihrem Kind ist qualitativ eine andere als die Liebe der Mutter zu ihrem Mann oder zu ihren Geschwistern. D.h. die Liebe wird hier durch den jeweiligen Gegenstand der Liebe zu einer jeweils qualitativ anderen. All das kann Musik prinzipiell nicht ausrücken. Das musikalische Gefühl ist nie und nimmer in diesem Sinne individualisiert. Mutterliebe im Unterschied zu Geschwisterliebe kann Musik nicht ausdrücken - keine Musik auf der Welt - und auch nicht die Liebe zu Person A im Unterschied zu Person B. Sprache freilich kann das durch die Benennung zum Ausdruck bringen (und darüber einen Roman erzählen, so dass man die Geschwisterliebe etwa versteht), aber nicht Musik, die keine Gegenstände benennt. Schumanns Liebe zu Clara Wiek ist seine Liebe, aber sie ist in keiner Musik, auch nicht seiner eigenen, ausdrucksfähig. Wenn Du das behauptest oder behaupten willst, bist Du ein Einfühlungsgenie. Dann musst Du behaupten, Du wirst wie Schumann und erlebst wie Schumann, wenn Du Schumanns Musik hörst. Das würde heißen: "Ich, wenn ich Schumanns Musik höre, verwandele mich in Schumann und kann auch seine Liebe zu Clara Wieck empfinden so wie er sie empfunden hat. Und deshalb gehört die Liebe zu Clara Wieck zum Werk als ein Ausdrucksgehalt, der durch Einfühlung vermittelt wird." So etwas gehört aber in das Reich der Fabel psychologisch betrachtet. (Mit den Abgründen der Einfühlungstheorie muss ich mich leider herumschlagen... ^^ ) Musikalisch ausdrucksfähig ist nur die Stimmung der Liebe und Sehnsucht als ein unbestimmtes Gefühl (eine "Ahnung" im Sinne der Romantik). Das kann man hören. Auch wenn man nicht Schumann ist, sondern Christian B., Holger K. oder Lieschen Müller heißt. Aber nicht mehr. Alles was darüber hinaus geht ist musikalisch nicht vermittelbar. Die Romantiker haben deshalb sehr gut unterschieden zwischen realen Gefühlen im Leben und "Kunstgefühlen" (Ludwig Tieck). Das musikalische Gefühl hat weder Anlass noch Gegenstand - Schopenhauers Analyse ist in diesem Punkt phänomenologisch einfach treffend. ^^ :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Schumann an Clara, 17.3.1838: "Der erste Satz ist wohl mein Raffiniertestes was ich je gemacht - eine tiefe Klage um Dich."


    In Reclams Musikführer von Günther Spies finden sich auf Basis der Noten folgende Informationen:


    Das Eröffnungsthema (T.2-10) ist ein absteigender Quintgang und erinnert an das Clara-Thema des Andantinos der f-Moll Sonate op. 14 und dieses Eröffnungsthema enthält zudem auch die Gerüsttöne der Melodie aus Beethovens Liederkreis "An die ferne Geliebte" (T.15-18).


    Weiter wird im ersten Satz die Beethoven-Melodiefigur in T. 49-52 sowie die Rücknahme in ein "geheimnisvolles pp" als eine "Vertiefung ins Intime" beschreiben: "Partien wie diese scheinen dem im Schlegel-Motto angesprochenen "leisen Ton" direkt wie metaphorisch zu entsprechen."


    Demzufolge wäre der "leise Ton" aus dem Schlegel Zitat als eine Rücknahme ins Innere oder auch ins Intime zu verstehen. Tatsächlich zeichnet sich die Fantaise trotz berauschender fff-Stellen im ersten Satz immer wieder durch längere zurückgenommene und leise Passagen aus.


    Ganz überzeugt bin ich davon aber noch nicht. Das Schlegel-Motto beschreibt keine Rücknahme, sondern einen durchgehenden Ton Für den, der heimlich lauschet.


    "heimlich" hier vermutlich im Sinne von "ohne sich zwang anzuthun", "wohl, frei von furcht" (Grimm)

    "ich fühle es noch, wie heimlich mirs war, als ich zum erstenmale an einem hohen mittag hinein (in ein von bäumen geschlossenes plätzchen) trat." (Goethe)


    Eine genaue Betrachung der Fantasie op. 17 auf Basis der Noten ist nach wie vor ein großes Desiderat hier im Forum, auch im entsprechenden thread wurde das Thema schon mal angeschnitten, aber leider nie ausgeführt.

  • Ich habe jeweils immer die You Tube Beiträge mit Score gesetzt, um die Noten zugänglich zu machen.


    Es ist jedem, der es möchte, somit möglich, die betreffenden Stellen zu identifizieren.

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Schumann an Clara, 17.3.1838: "Der erste Satz ist wohl mein Raffiniertestes was ich je gemacht - eine tiefe Klage um Dich."


    In Reclams Musikführer von Günther Spies finden sich auf Basis der Noten folgende Informationen:


    Das Eröffnungsthema (T.2-10) ist ein absteigender Quintgang und erinnert an das Clara-Thema des Andantinos der f-Moll Sonate op. 14 und dieses Eröffnungsthema enthält zudem auch die Gerüsttöne der Melodie aus Beethovens Liederkreis "An die ferne Geliebte" (T.15-18).

    Solche Deutungen halte ich allerdings für hoch problematisch. Denn die Gefahr ist, dass man so Schumanns Fantasie op. 17 als Programmmusik missversteht. Demzufolge ist dann der "geheime Ton" das "verschwiegene Programm" und die Musik nichts als tönende Biographie. Somit wäre der alles durchziehende Ton des Schlegel-Mottos mit der "Klage um Dich" (wörtlich genommen) schlechterdings identisch und damit hätte die Musik ein konkret fassliches "Sujet", nämlich Schumanns Liebe zu Clara Wieck. Das widerspricht aber schlicht allen ästhetischen Vorstellungen der Romantik, insbesondere E.T.A. Hofmann, der für Schumann maßgeblich ist, für den die Kunst und Musik ein abgeschlossenes "Geisterreich" ist jenseits aller Realität. Ein solches biographisches Programm der Musik als Sujet zu unterschieben, wäre nach der romantischen Hermeneutik und ihrer Antithese "poetisch/prosaisch" nicht "poetisch", sondern "prosaisch". Natürlich kann die Subjektivität des Künstlers auch in der Musik ihre Spuren hinterlassen, indem er solche selbstbezüglichen Andeutungen in die Musik einschreibt, sowie der romantische Maler in einem Bild das Gesicht seiner selbst unterbringen kann. Man sollte sich allerdings hüten, das mit einem Programm und Sujet zu verwechseln. Der Sinn der romantischen Ironie ist es gerade, deshalb bin ich darauf gekommen, die Doppelsinnigkeit des Nichtseins im Sein und des Seins im Nichtseins zu betonen - und damit die "prosaische" platte Identifikation aufzuheben.

    Weiter wird im ersten Satz die Beethoven-Melodiefigur in T. 49-52 sowie die Rücknahme in ein "geheimnisvolles pp" als eine "Vertiefung ins Intime" beschreiben: "Partien wie diese scheinen dem im Schlegel-Motto angesprochenen "leisen Ton" direkt wie metaphorisch zu entsprechen."

    Das ist der Versuch, das durch thematische Analyse dingfest zu machen. Erst einmal bezieht sich das Motto nicht nur auf einen Satz, sondern die ganze Fantasie und zweitens ist der Kontext die Gefühlsästhetik. Von daher ist es fragwürdig, ob der "leise Ton" überhaupt in dieser Weise dingfest zu machen ist und nicht vielmehr gerade unfasslich bleiben soll.

    Demzufolge wäre der "leise Ton" aus dem Schlegel Zitat als eine Rücknahme ins Innere oder auch ins Intime zu verstehen. Tatsächlich zeichnet sich die Fantaise trotz berauschender fff-Stellen im ersten Satz immer wieder durch längere zurückgenommene und leise Passagen aus.


    Ganz überzeugt bin ich davon aber noch nicht. Das Schlegel-Motto beschreibt keine Rücknahme, sondern einen durchgehenden Ton Für den, der heimlich lauschet.

    Genau. Das ist ein durchgehender Ton!

    "heimlich" hier vermutlich im Sinne von "ohne sich zwang anzuthun", "wohl, frei von furcht" (Grimm)

    "ich fühle es noch, wie heimlich mirs war, als ich zum erstenmale an einem hohen mittag hinein (in ein von bäumen geschlossenes plätzchen) trat." (Goethe)

    Hier stütze ich mich auf den Schumann-Experten Hubert Moßburger. Schumanns Auffassung der Musik ist, wie Moßburger ausführt, eine Esoterik. Für ihn war die Musik eine Art Geheimsprache, die nur von den Eingeweihten zu entschlüsseln ist. Von daher ist es mehr als naheliegend, dass Schumann das "heimlich" bei Schlegel im Sinne von "geheim" = "verborgen" (das Geheime und Verborgene heraushörend) gedeutet hat.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hier stütze ich mich auf den Schumann-Experten Hubert Moßburger. Schumanns Auffassung der Musik ist, wie Moßburger ausführt, eine Esoterik. Für ihn war die Musik eine Art Geheimsprache, die nur von den Eingeweihten zu entschlüsseln ist. Von daher ist es mehr als naheliegend, dass Schumann das "heimlich" bei Schlegel im Sinne von "geheim" = "verborgen" (das Geheime und Verborgene heraushörend) gedeutet hat.


    "Im Verborgenen lauschen" oder "geheim lauschen" macht wenig Sinn.

    'Das Geheime heraushörend' steht da nicht. Es ist wohl einfacher.

    Laut Grimm hat "heimlich" in der Goethezeit zunächst eine andere Bedeutung als heute üblich, es drückt ein Wohlbefinden aus.

    Es gibt dafür heute noch das Wort "heimelig": "ich fühle es noch, wie heimlich mirs war" > "Für den, der heimlich lauschet".


    In der Analyse von Werner Spies über die Fantasie ist nirgends von Programmmusik die Rede. Ein Blick in die Noten auf den Quintabgang, den Schumann immer mit Clara verbindet, sowie das unüberhörbare Beethoven-Zitat aus "An die ferne Geliebte" sind deutliche Hinweise, die den Kontext der Fantasie (auch ohne Esoterik) erschließen lassen. Schumann selbst spricht von einer tiefen Klage.


    Fraglich war für mich ja vor allem, ob der durchgehende 'leise Ton' (Schlegel) nur im übertragenen Sinn zu verstehen ist und ob es ihn nicht doch auch ganz konkret gibt. Aber wenn ich die Meinungen hier zusammenfasse, auch die von moderato, dem wir diesen thread verdanken, ist das wohl im übertragenen Sinn zu verstehen. Letzte Zweifel bleiben allerdings ;-)

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • "Im Verborgenen lauschen" oder "geheim lauschen" macht wenig Sinn.

    'Das Geheime heraushörend' steht da nicht. Es ist wohl einfacher.

    Laut Grimm hat "heimlich" in der Goethezeit zunächst eine andere Bedeutung als heute üblich, es drückt ein Wohlbefinden aus.

    Es gibt dafür heute noch das Wort "heimelig": "ich fühle es noch, wie heimlich mirs war" > "Für den, der heimlich lauschet".

    Das Schlegel-Gedicht:


    Es wehet kühl und leise
    die Luft durch dunkle Auen,
    und nur der Himmel lächelt
    aus tausend hellen Augen.

    Es regt nur eine Seele
    sich in der Meere Brausen
    und in den leisen Worten,
    die durch die Blätter rauschen.

    So tönt in Welle Welle,
    wo Geister heimlich trauern;
    so folgen Worte Worten,
    wo Geister Leben hauchen.

    Durch alle Taten tönet
    im bunten Erdentraum
    ein leiser Ton, gezogen
    für den, der heimlich lauschet.


    Die Bilder sind das Brausen des Meeres, das Rauschen der Blätter: Es geht darum, dass Eine (die "eine Seele") hinter der vordergründig erscheinenden Mannigfaltigkeit zu erfassen. Das andere Bild ist die Wortfolge - man folgt gewöhnlich den einzelnen Worten und ihrem Sinn, also einer Bedeutungsmannigfaltigkeit, wo es gilt den Lebenshauch (was ein Bild der Seele ist) dahinter zu erfassen, der nicht in der Wortfolge ("so folgen Worte Worten") und der mit ihr verbundenen sukzessiven Bedeutungserfassung zum Ausdruck kommt. In der letzten Strophe wird das dann verallgemeinert: Es tönt ein "leiser Ton" durch alle Töne (alle lauten Töne, also die, die man vordergründig hört). Der "bunte Erdentraum" ist das, was sich in der Wahrnehmung aufdrängt, was gleich in die Augen fällt. Der "leise Ton" ist dagegen der, den man in der Wahrnehmung der vielen lauten Töne im Vordergrund allzu leicht überhört, weil die lauten Töne ihn übertönen. Hier wird einmal der alte metaphysische Gegensatz von phaenomena und noumena benutzt - die "eine Seele" ist das Noumenon, was jenseits des "Erscheinenden" ist, weil es als etwas nicht Sinnliches sondern Geistiges selbst nicht erscheint, sondern die verborgene Seite und der Hintergrund des Erscheinenden ist. Dieser metaphysische Gegensatz wird bei Schlegel nun umgedeutet durch die romantische Empfindsamkeit. Es gibt die vielen Töne und verschiedenen Affekte (die an den einzelnen Wortbedeutungen kleben) - die aber von ein und derselben "Stimmung" durchzogen werden. Es geht in diesem Gedicht ja nicht um die Musik - sondern die Musik ist Metapher für die "Harmonie" als seelische "Stimmung", die alles Mannigfaltige vereinheitlichend durchzieht. Franz Liszt redet entsprechend von der "Geistesstimmung". Im 20. Jhd. hat Martin Heidegger diese romantische Tradition aufgegriffen, allerdings ohne expliziten Bezug, indem er von "Grundstimmungen" spricht wie z.B. der "tiefen Langeweile". Anders als die vordergründige Langeweile, wenn ich z.B. mich langweile wegen einer Zugverspätung, ist die tiefe Langeweile nur heimlich und im Verborgenen da. Die "tiefe" Langeweile ist ein Hintergrund für einen Vordergrund, wie etwa bei Blaise Pascal. Der Adel erheitert sich im Divertissement (der "Zerstreuung" durch Unterhaltung im Theater z.B.), seine vordergründige Heiterkeit ist aber im Grunde von tiefer Langeweile durchstimmt. Es ist für mich keine Frage, dass Schumann diesen Sinn bei Schlegel sehr gut verstanden hat mit seiner Esoterik, wonach Musik eine Geheimsprache nur für Eingeweihte ist, die sich dem gewöhnlichen Ohr entzieht. Der Hörer soll sich nicht von den vordergründigen wechselnden Affekten der Musik gefangen nehmen lassen, sondern die dahinter stehende einheitliche Grundstimmung erfassen. Dazu muss er "heimlich lauschen" können, also das Verborgene heraushören können, was alles durchstimmt. Das sagt das Motto.

    In der Analyse von Werner Spies über die Fantasie ist nirgends von Programmmusik die Rede. Ein Blick in die Noten auf den Quintabgang, den Schumann immer mit Clara verbindet, sowie das unüberhörbare Beethoven-Zitat aus "An die ferne Geliebte" sind deutliche Hinweise, die den Kontext der Fantasie (auch ohne Esoterik) erschließen lassen. Schumann selbst spricht von einer tiefen Klage.

    Beethovens "ferne Geliebte" ist schließlich auch poetische Fiktion und keine Realität. Wenn man so vorgeht wie Spieß, dann versucht man mit Blick auf Schlegels Gedicht Schumanns Musik "Wort nach Wort", also "Thema nach Thema", zu analysieren, sucht also nach dem Sinn im "bunten Erdentraum" statt in der einheitlichen Stimmung und Seele dahinter. Und auch wenn man das dann nicht explizit als programmatische Deutung versteht, hypostasiert man so eine Sinnschicht - die biographische - zum Sujet und rekurriert dann faktisch auf so etwas wie ein geheimes, verschwiegenes Programm.

    Fraglich war für mich ja vor allem, ob der durchgehende 'leise Ton' nur im übertragenen Sinn zu verstehen ist und ob es ihn nicht doch auch ganz konkret gibt. Aber wenn ich die Meinungen hier zusammenfasse, auch die von moderato, dem wir diesen thread verdanken, ist das wohl im übertragenen Sinn zu verstehen. Letzte Zweifel bleiben allerdings ;-)

    S.o.!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Das ganze Gedicht kannte ich gar nicht, vielen Dank!

    Geister trauern hier auch "heimlich".

    Ein stimmungsvoller, anspruchsvoller Text, finde ich!

    Voller Poesie und Rätsel.

  • Über das hier diskutierte Thema "Musikalische und außermusikalische Bedeutung des Schlegelschen Mottos über Schumanns Klavierfantasie Op.17" findet sich im im Internet eine Dissertation, die 2012 Wien vorgelegt wurde:

    https://services.phaidra.univi…/api/object/o:1283677/get


    Es gibt Kapitel über "Wiederkehrende Auffälligkeiten als „leiser Ton“" und "Biographiebezogene Deutung des „leisen Tons“"


    Hier das Fazit (S. 84), in dem das "heimliche Lauschen" eine ganz natürliche und einfache Erklärung findet:


    "Wenn also Schumann mit der Verwendung der Passage aus Nimm sie hin denn, diese Lieder auf eine

    seiner tatsächlichen Geliebten anspielen möchte, ist es am naheliegendsten, dass damit seine Gattin

    Clara gemeint ist. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass die Stelle aus An die ferne Geliebte ein

    Relikt aus jener Zeit ist, als die Fantasie Op.17 noch als Klaviersonate für Beethovens Denkmal

    konzipiert war und somit der reinen Huldigung des großen Meisters dient.

    Die Liebe zu Clara als „leiser Ton“, scheint durch Einträge in Schumanns Tagebüchern, in welchen

    er davon spricht, dass er und Clara sich in jener Zeit, in der sie aufgrund des väterlichen Verbots

    keinen Kontakt haben durften, nur durch das heimliche, gegenseitige Zuhören ihres Klavierspiels

    nahe sein konnten, bestätigt zu werden. Es lässt sich also auch die letzte Zeile des Mottos − „für

    den der heimlich lauschet“ − in Bezug auf Schumanns Biographie deuten, wie aus seinen

    Aufzeichnungen deutlich wird:

    „Abends Concert, an der Thüre Clara mit einem Auge, wie nur eine selige Braut ein Blick, der

    dich Schwachen auf Jahre hin stärken könnte – Sonderbar sah's in mir aus, als sie spielte.“

    Gestern Abend Concert von Clara. Oft dünkt mir Alles Traum. Sie sah schön [aus]. Der Ring blitzte

    hell v. Weitem. Ich war in einer Loge von Niemandem gesehen, Schwere Betrachtungen u. Gedanken

    nach dem Concerte. Sie spielte herrlich, im Ganzen die Alte.“ (Hvm)


    Das der Fantasie vorangestellt Motto beschreibt in diesem von Schumann gewählten Kontext also viel konkreter als vermutet eine Situation, in der jemand heimlich jemandem zuhört (jedoch nicht, dass er etwas Verborgenes heraushört. Das gibt der Schlegel-Text auch grammatikalisch nicht her.) Darüberhinaus hat der vollständige Schlegel-Text gewiss noch andere Deutungsebenen, aber das Motto der C-Dur Fantasie spielt auf die konkrete Situation an, in der der Zuhörer der Fernen Geliebten nur heimlich lauschen durfte. Deswegen hat Schumann diese Zeilen vermutlich ausgewählt, denke ich.


    Meine Frage ist nun endlich beantwortet, die Lösung ist wie so oft viel einfacher als zunächst gedacht.

  • Es gibt Kapitel über "Wiederkehrende Auffälligkeiten als „leiser Ton“" und "Biographiebezogene Deutung des „leisen Tons“"


    Hier das Fazit (S. 84), in dem das "heimliche Lauschen" eine ganz natürliche und einfache Erklärung findet:

    Das ist leider einfach zu einfach ^^ :

    "Wenn also Schumann mit der Verwendung der Passage aus Nimm sie hin denn, diese Lieder auf eine

    seiner tatsächlichen Geliebten anspielen möchte, ist es am naheliegendsten, dass damit seine Gattin

    Clara gemeint ist. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass die Stelle aus An die ferne Geliebte ein

    Relikt aus jener Zeit ist, als die Fantasie Op.17 noch als Klaviersonate für Beethovens Denkmal

    konzipiert war und somit der reinen Huldigung des großen Meisters dient.

    Genau damit werden alle Skeptiker gegenüber biographisch-hermeneutischen Erklärungen nur bestätigt, denn das heißt im Grunde nichts anderes, als dass die Zuschreibung im Prinzip austauschbar und nahezu beliebig ist. Es kann mit diesem Motto sowohl eine Huldigung von Beethoven als auch von Clara Wieck gemeint sein. So aber ist die Zuschreibung schlicht "außermusikalisch", gehört nicht zum Ausdrucksgehalt der Musik. Beethoven schreibt über den 1. Satz seiner Pastoral-Symphonie: Angenehme, heitere Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen. Das kommentiert Leonard Bernstein humoristisch so und trifft damit den Nagel auf den Kopf: Beethoven hätte auch den folgenden Anlass angeben und folgendes in die Partitur schreiben können - die Musik klänge ganz genauso: "Glückliche Gefühle, weil mein Onkel mir eine Millionen Dollar hinterlassen hat." Diesen Einwand der Beliebigkeit solcher Zuschreibungen können solche biographistisch verengenden Deutungen einfach nicht ausräumen.

    Wenn Schumann das so deutet, dann tut er es als Rezipient seiner eigenen Musik. Das ist also keine Explikation des Ausdrucksgehaltes der Musik, sondern eine rezeptionsästhetisch vermittelte Konkretisation. Die Musik ist aber nunmal nicht ausschließlich für den Komponisten Schumann als Hörer bestimmt. Schumanns Erlebnisse mit Clara Wieck sind auf einen anderen - zumal einen heutigen - Hörer nicht übertragbar. Die biographische "Erklärung" ist deshalb auch keine Begründung dafür, wie wir das auf das Motto bezogen Schumanns Musik überhaupt hören können. Ein Satiriker könnte jetzt sagen: Wer Schumanns Fantasie op. 17 wirklich verstehen will, muss sich im Sinne der Biographisten erst einmal eine Klavier spielende Freundin anschaffen.

    Das der Fantasie vorangestellt Motto beschreibt in diesem von Schumann gewählten Kontext also viel konkreter als vermutet eine Situation, in der jemand heimlich jemandem zuhört (jedoch nicht, dass er etwas Verborgenes heraushört. Das gibt der Schlegel-Text auch grammatikalisch nicht her.) Darüberhinaus hat der vollständige Schlegel-Text gewiss noch andere Deutungsebenen, aber das Motto der C-Dur Fantasie spielt auf die konkrete Situation an, in der der Zuhörer der Fernen Geliebten nur heimlich lauschen durfte. Deswegen hat Schumann diese Zeilen vermutlich ausgewählt, denke ich.

    Das Motto ist rein als Text gar nicht konkret - sondern enthält die Unbestimmtheitsstelle: "ein leiser Ton". Welcher Ton ist es denn nun? - das wird gar nicht genannt. Wenn man nun angibt, welcher dieser Ton denn ist, dann ist das eine konkretisierende Deutung, welche diese Unbestimmtheitsstelle füllt. Schon bei Schumann selbst ist die Konkretisation in Hinblick auf Clara Wieck aber nicht eindeutig, wenn auch Beethoven - vielleicht sogar ursprünglich - gemeint sein kann und gemeint war und nicht Clara Wieck.


    Grammatikalisch? Der Schlegel-Text ist ziemlich eindeutig, dass mit dem "leisen Ton" die seelische Gestimmtheit und damit die hintergründig alles durchziehende Grundstimmung gemeint ist. Das wird auch durch die Alliteration zum Ausdruck gebracht "Welle, Welle ... Worte, Worten". Es geht um den Gleichklang, das sinnlich-klangliche Kontinuum, in dem sich die "eine Seele" (die immer eine verborgene ist) regt. Das Wellenspiel ist ein solches, wo die Wellen ineinanderlaufen, sich durchdringen. Das ist sozusagen das romantische Geheimnis, das man nicht erfährt, wenn man sich vordergründig an das hält, was die einzelnen Worte benennen und bedeuten, wie es gewöhnlich geschieht.


    In diesen Kontext gehört auch Gustav Mahler. Er gab seiner Ersten Symphonie den Titel "Der Titan". Mahler selbst erläuterte das so: Die Symphonie bezieht sich nicht auf die Literatur von Jean Paul, zum Ausdruck gebracht wird damit nur die "Stimmung" dieser Symphonie. Man kann den biographischen Bezug bei Schumann also machen, dann ist das aber nur ein Verweis auf die Liebe und Sehnsucht als Grundstimmung dieser Musik, aber nicht irgendwie eine "Darstellung" der Liebesbeziehung von Schumann zu Clara Wieck.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Bei allen Erkenntnissen, die man belegen kann, es bleibt für mich schlussendlich ein Geheimnis, was sich Robert Schumann bei der Komposition der Fantasie Op. 17 gedacht hat und warum er dieses Motto vorangestellt hat. Die Schönheit dieses Kunstwerkes wird für mich durch die Ungewissheit und Mehrdeutigkeit verstärkt. Es muss nicht alles enthüllt werden.

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Grammatikalisch?

    Damit meinte ich, dass "für den, der heimlich lauschet" (Schlegel) keinesfalls "das Geheime und Verborgene heraushörend" bedeuten kann, wie Du oben mal behauptet hast. Denn man kann nicht einfach ein Adjektiv zum Objekt machen.


    Ich habe aber kein Problem damit, Deine Meinung stehen zu lassen, sehe es aber wie dargelegt anders.


    Viele Grüße

    Christian

  • Es muss nicht alles enthüllt werden.

    Nein, das muss es natürlich nicht, und was Schumann nun genau mit "leisen Ton" gemeint hat, werden wir wohl nie erfahren, bzw. wird es dazu immer verschiedene Ansichten geben. Aber das Motto von Schlegel, das auch der Ausgangspunkt Deines Beitrags war, kann meines Erachtens nun doch ganz gut eingeordnet werden und das finde ich besser, als alles im Ungefähren zu belassen.

  • Damit meinte ich, dass "für den, der heimlich lauschet" (Schlegel) keinesfalls "das Geheime und Verborgene heraushörend" bedeuten kann, wie Du oben mal behauptet hast. Denn man kann nicht einfach ein Adjektiv zum Objekt machen.


    Ich habe aber kein Problem damit, Deine Meinung stehen zu lassen, sehe es aber wie dargelegt anders.

    In solchen Fragen lohnt es sich, ins Grimmsche Wörterbuch zu schauen. Zum Lauschen gehört nämlich der Bedeutungskontext "etwas Verborgenes erspähen". Lauschen kann das "lauern" bedeuten (in einem Hinterhalt auf den Feind), der Jäger lauscht in den Wald, d.h. er versucht, das darin Verborgene und Versteckte, das Wild, das er jagen will, zu erspähen. Lauschen hat auch bezeichnend die Bedeutung "versteckt sein" und bedeutet ein scharfes Aufmerken. Zum Bedeutungsfeld von "heimlich" gehört die Bedeutung heimelig im Gegensatz zu fremd, vertraut.


    Von daher ist bei Schlegel die Bedeutung klar. Es gilt, die in der Empfindungsmannigfaltigkeit sich verbergende einheitliche seelische Regung lauschend zu erspähen und zwar "heimlich". Die Seele ist ja zugleich das Eigene und Eigenste, also eigentlich das Vertrauteste. Der Blick auf das Verborgene ist ein gleichsam intimer Blick. Die Bedeutung "geheim" für "heimlich" macht aber auch Sinn, in dem Sinne einer gewissen versteckten Schamhaftigkeit, das Intimste (die Innerlichkeit seelischer Regungen) schauen zu wollen. Eine durchaus schillernde Bedeutungsvielfalt ist ja auch durchaus im Sinne der Romantik.


    "heimlich lauschen" - hier meint es "im Geheimen lauschen":


    William Sidney Mount The Power of Music (1847) (Cover-Titelbild meines Buches):


    The+Power+of+Music+1847+By+William+Sidney+Mount.jpeg?format=2500w


    William Sidney Mount – Wikipedia


    Schöne Grüße

    Holger

  • Bei allen Erkenntnissen, die man belegen kann, es bleibt für mich schlussendlich ein Geheimnis, was sich Robert Schumann bei der Komposition der Fantasie Op. 17 gedacht hat und warum er dieses Motto vorangestellt hat. Die Schönheit dieses Kunstwerkes wird für mich durch die Ungewissheit und Mehrdeutigkeit verstärkt. Es muss nicht alles enthüllt werden.

    Ja finde ich auch, aber die Richtung kann man glaube ich schon erraten, warum es dieses Motto gibt. Die Fantasie ist in der Romantik eine sehr freie Behandlung der Sonatenform. Das kann den Hörer verwirren und er das als unverständliche Bizarrerie empfinden. Da gibt das Motto dann den Hinweis an den Spieler und Hörer, dass es im vordergründig Verworrenen und sprunghaft zusammenhanglos Scheinenden eine hintergründige Einheit gibt, die man nur lauschend ergründen muss. Wenn man zudem einen weiteren Blick hat über die Musik hinaus und die Literatur mit einbezieht, wird Schumanns Motto erst recht verständlicher. Im scheinbar Ungeordneten und Sinnlosen verbirgt sich der eigentliche, tiefere Sinn. Das ist ein romantischer Topos geradezu.


    Schöne Grüße

    Holger

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