Rorem, Ned: Orchesterwerke

  • Hallo Freunde amerikanischer Musik,


    Edwin schreibt im neuen Thread zur Amerikanischen Musik:

    Zitat

    Rorem ist einen Thread wohl wert. Ein echter Intellektueller mit untrüglichem Geschmack. Kennst Du auch seine brillanten Essays? Der Mann ist ein fabelhafter Stilist!
    Bin sehr gespannt auf den Thread!


    Dem kann ich aus heutiger Sicht nur zustimmen.


    Wie kommt man zu Ned Rorem, geb.1923 ??? Der Name des Komponisten ist relativ unbekannt. Wie so oft kommt man durch einen CD-Kauf dahin, wenn der "Neuling" zufällig mit drauf ist.
    Bei mir war es eine VOX-Doppel-CD mit Werken von Hanson, Schuman, MacDowel, Thomson, Schuller und Rorem:

    Diese VOX-Box hatte ich wegen der genialen Aufnahme von Hanson´s Sinfonie Nr.7 gekauft. Vieles was noch drauf ist, war mir unbekannt aber interesanter Stoff. Rorem, den Namen hatte ich noch nie gehört.


    Eine weitere Begegnung mit Rorem war dann die Aufnahme seines Violinkonzertes mit Gidon Kremer / NewYorker PH / Bernstein, die mich wirklich aufhorchen ließ. Ein höchst interessantes Werk, dem man direkt meisterwerkliche Eigenschaften zuschreiben muß.

    Dies ist die Abb. der heute erhältlichen DG-Bernstein - Box mit der Aufnahme. Ich hatte aber zunächst die DG-Einzel-CD.


    Das Interesse für Rorem war nun ungebrochen da. Was gab es noch ?
    Natürlich eine neue Aufnahme mit den Rorem: Sinfonien Nr.1-3, die ebenfalls sehr hörenswert sind und auch eine Schlagkraft besitzen, die meinem Geschmack entspricht.

    Symphonien Nr. 1-3
    Bournemouth SO, Jose Serebrier
    NAXOS Aufnahme 2003 DDD


    Diese TOP-Aufnahme des Dirigenten und Komponisten Serebrier wäre den CD-Hochpreis wert. Serebrier liefert die Werke autentisch mit einem gut disponierten Orchester - eine Klasse-Naxos-CD - das kommt IMO bei Naxos nicht so oft vor.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Jetzt komme ich endlich dazu, ein wenig über Ned Rorem zu erzählen.
    Rorem (der Name ist norwegisch, die Urgroßeltern Rorems wanderten aus Norwegen ein) ist eine echte Doppelbegabung: Er ist nicht nur ein glänzender Komponist, sondern auch ein fabelhafter Essayist. In relativ regelmäßigen Abständen veröffentlicht er seine Tagebücher - so nennt er sie.Ich würde eher von einer Autobiografie in Fortsetzungen sprechen, denn das sind nicht einfach nur Notizen zum Tag, das ist eine grandios ausformulierte Schau nach innen. Rorem bekennt sich dabei offen zu seiner Homosexualität, und der erste Band seiner Tagebücher wurde in den USA zum Kultbuch der Homosexuellen - auch jener, die an Musik wenig interessiert sind. Wie geschmackvoll Rorem damit umgeht, mit welcher Ironie und Poesie ist tatsächlich auch für Heterosexuelle begeisternd: Wenn Intimes so beschrieben wird (oder fast eher durch Ausklammerung nur suggeriert wird), verliert es jede Anzüglichkeit oder Peinlichkeit.


    Aber wir sind in einem Musikforum - und darum schnell zum Komponisten Ned Rorem.
    Begonnen hat er, wie so viele amerikanische Komponisten, in Paris mit Studien bei Nadia Boulanger, die Rorem in den Neoklassizismus führte. Allerdings handhabt Rorem sein Vokabular schon am Anfang mit untrüglichem Geschmack und einer Begabung für melodische Wendungen, die alle Platitüden meiden und dennoch sinnfällig sind.
    Nach seiner Rückkehr in die USA komponierte Rorem einige Werke in dem typisch amerikanischen neoklassizistischen Idiom - aber unter völliger Vermeidung von falschem Pathos und patriotischen Gesten, die in den Werken von Roy Harris oder Aaron Copland oft so peinlich berühren. Auch die bedeutsame 3. Symphonie ist in diesem Stil geschrieben - obwohl gerade dieses Werk die Harmonik beharrlich ausweitet, einen denkbar großen Bogen schlägt und die Spannung vom ersten bis zum letzten Satz hält.


    Doch Rorem, der wahrscheinlich der bedeutendste Liedkomponist der USA und einer der wichtigsten Liedkomponisten der Gegenwart ist, hatte das Empfinden, dass die herkömmliche symphonische Form für ihn nicht die seiner Persönlichkeit entsprechenden Möglichkeiten bereithielt, nämlich die knapp formulierte, auf die Melodie fokussierte Entwicklung.
    Damit begann Rorem, seine Instrumentalwerke wie Lieder zu bauen: Relativ kurze Sätze werden aneinandergereiht, wobei die Sätze durch harmonische und/oder melodische Ähnlichkeiten verbunden werden.
    Gleichzeitig befasste sich Rorem mit der Möglichkeit, statt tonalen Grundakkorden Akkorde zu verwenden, die modalen Skalen, mitunter auch zwölftönigen Manipulationen entspringen. Allerdings werden diese Akkorde wie tonale Zentren gehandhabt, was dank Rorems untrüglichem Empfinden für tonale Spannungen zu einer Musik führt, die tonal ist, ohne sich an Dur oder Moll zu orientieren - wobei freilich auch Dur- bzw. Mollakkorde unter den akkordischen Möglichkeiten sind.
    Das absolute Meisterwerk aus dieser Schaffensphase und IMHO eine der wichtigsten amerikanischen Kompositionen der nicht-avantgardistischen Richtung ist "Air Music" - Lieder ohne Worte für ein sehr großes Orchester, das allerdings nur in zwei Sätzen, nämlich dem ersten und dem letzten als ganzes verwendet wird. Dabei ist der erste eine Abfolge von Akkorden ohne melodische Überlagerung, der letzte eine konzentrierte melodische Entwicklung, die über das gesamte Orchester verteilt wird, ohne dass es ein echtes Tutti gibt. Die Sätze dazwischen splittern das Orchester in mehr oder weniger große Kammermusikbesetzungen auf. Was insgesamt eine Art Konzert für Orchestergruppen ergibt. Oder, wie Rorem selbst es nannte, eine Kammermusik für großes Orchester.


    Nach diesem Extremwerk wandte sich Rorem wieder einer einer etwas vereinfachten, gesanglicheren Melodik zu und verband sie mit den Möglichkeiten seiner erweiterten quasi-tonalen Harmonik. Ein Klavierkonzert für die linke Hand (für Gary Graffman) und das Violinkonzert (in der die Solovioline, wenn ich mich recht erinnere, keinen einzigen Doppelgriff hat, sondern ausschließlich als einstimmiges Melodieinstrument gehandhabt wird) gehören in diese bisher letzte Schaffensphase, deren Krönung meiner Meinung nach aber ein Liederzyklus ist, nämlich der abendfüllende Zyklus "Evidence of Things Not Seen" für vier Singstimmen und Klavier.


    Wer Rorem über sein symphonisches Schaffen kennenlernen will, hat mit der Naxos-CD einen tollen Einstieg. Eine andere Möglichkeit ist die bei New World erschienene CD mit der vitalen, Bernstein- und Britten nahen Streichersymphonie, einem symphonischen Werk "Sunday Morning" (auch hier wieder Lieder ohne Worte - und das in wunderbar geschmackvoller Melodik und leuchtenden Orchesterfarben) und den melodisch beselten "Eagles", die ein Triumph von Rorems neoklassizistischer Schaffensphase darstellen.

    ...


  • Ned Rorem (* 23. Oktober 1923 in Richmond, Indiana) ist einer der angesehensten zeitgenössischen amerikanischen Komponisten.
    Rorem studierte in Philadelphia, Tanglewood sowie an der Juilliard School. 1949 ging er für neun Jahre nach Frankreich. Wichtige Lehrer waren Bernhard Wagenaar, Aaron Copland, Virgil Thomson und in Frankreich Arthur Honegger. Später erhielt er selbst Kompositionsprofessuren für Komposition in Buffalo, Salt Lake City und Philadelphia.
    Rorem ist Komponist zahlreicher Lieder, schrieb aber auch Opern, Orchesterwerke und Kammermusik.


    Happy Birthday! :jubel:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)