BORIS GODUNOW
Wiener Staatsoper, 21.12.2007
… und als ich mich nach 3 Stunden wunderte, wann endlich die Pause kommt, waren erst 45 Minuten vergangen…
Ich weiß nicht an was es liegt, dass diese Produktion die Zeit so langsam vergehen lässt. Am Musikalischen kann es meiner Meinung nach nicht liegen – Sebastian Weigle animierte das Staatsopernorchester sehr, das Dirigat war sehr rund und das Zusammenspiel zwischen Chor, Orchester und Solisten funktionierte vorzüglich. Ebenso – und ich werde darauf später zu sprechen kommen – waren die sängerischen Leistungen zum Großteil vorzüglich.
Bleibt der Schluss über, dass es wahrscheinlich das Stück und die (Nicht-)Regie von Yannis Kokkos waren, die Abonnenten und Stehplatzbesucher dazu veranlasste, in der Pause in Scharen zu fliehen. Ich kann mich eigentlich seit dem französischem „Don Carlos“ nicht mehr erinnern, den Stehplatz derartig schütter besetzt gesehen zu haben. Die Wiener „Gatti-Version“ des Boris ist langatmig, musikalisch sehr schroff und wird durch das ziemlich deprimierende Bühnenbild (für die ebenfalls Kokkos verantwortlich ist) und die dunklen Kostüme der Jetztzeit (ebenderselbe) noch unterstützt. Verständlich, dass man sich nicht unbedingt ein insgesamt dreieinhalbstündiges russisches Jammertal antun muss. Im Prinzip hätte man das Werk um mindestens 40 Minuten kürzen können (so lange dauert nämlich der Polenakt), ohne dass man von der Geschichte her irgend etwas vermisst hätte – sehr wohl aber einen wunderbaren Auftritt einer jungen österreichischen Sängerin!
Eine Bekannte von mir hatte erst kürzlich den „Boris“ am Bolshoi gesehen und war wirklich schockiert vom Bühnenbild – „Wo bleibt da der imperiale Glanz? “ fragte sie. Na ja, Kokkos ließ den Zarenthron übrig und die Insignien des Zaren – was im Gesamtkontext wie die Faust auf’s Aug’ passte.
Während die Produktion nicht zu Begeisterungsstürmen hinriss konnte um so mehr Ferruccio Furlanetto in der Titelrolle gefallen. Seine Interpretation des Boris wird vor allem in den Szenen als liebender Vater berührend. Wie schon öfters bemerkt, hat er nicht die Wucht der russischen oder bulgarischen Bässe der Vergangenheit, sondern legt naturgemäß seine Interpretation etwas weicher, lyrischer an. Im Vergleich zu Premierenserie hat meines Erachtens seine Interpretation gewonnen, seine Verzweiflung, sein Kampf gegen den inneren Dämon stellt er glaubhaft stimmlich und schauspielerisch dar. Ergreifend, wie er buchstäblich sein Leben aushaucht.
Neben Furlanetto überzeugte auf beeindruckende Art und Weise Elisabeth Kulman. Sie alleine ist es wert, den Polenakt nicht zu streichen. Die junge Sängerin – im Vorjahr noch als Prinz Orlofsky eingesprungen und seit heuer fix im Staatsopernensemble – ist wortdeutlich, spricht hervorragend russisch (überhaupt habe ich den Eindruck, dass das ganze Ensemble sich sehr professionell auf die Sprache eingestellt hatte) und hat schon jetzt eine Bühnenausstrahlung, die man bei routinierteren KollegInnen noch sehr vermisst. Ihre Stimme ist heller gefärbt als die von Nadia Krasteva, die die Marina Mnischek bei der Premiere gesungen hat und nicht so erotisch, allerdings strahlt sie in jeder Phrase, mit jedem Ton, den Willen zur Ruhm, Reichtum und Macht aus und ist gewillt, den falschen Dimitri in einen Krieg zu hetzen, um ihren Gelüsten freien Lauf zu lassen. Diese Marina lässt sich auch nur vordergründig vom Jesuiten Rangoni für dessen Intentionen einspannen. Boaz Daniel legt die Rolle nicht so verschlagen wie sein Vorgänger an, es ist jedes Mal ein Wohlgenuss, seinen angenehmen Bariton zu hören. Aber dieses Mal wäre ein wenig mehr Eindringlichkeit – besonders bei einem solchen Bühnengegenüber wie Elisabeth Kulman – glaubhafter gewesen.
Blass blieb Jorma Silvasti als intrigierender Schuiski, es war mehr „Business as usual“ – aber vielleicht ist das die Interpretation, die seitens der Regie vorgegeben ist. Robert Holl kann seine Fähigkeiten als Liederinterpret nicht verleugnen, sein Porträt des Pimen zeugte von perfekter Stimmführung. Dieser Mönch hat mit seinem Leben schon abgeschlossen, er hat nur noch eine selbst gestellte Aufgabe zu erfüllen – die Macht des Boris Godunow zu brechen bzw. die Wahrheit, so wie er sie sieht, ans Tageslicht zu bringen.
Nicht an die Leistungen im Juni kommt dieses Mal Marina Talaba als Grigori heran. Alles klang etwas gepresst und verkrampft – und er ist auch nicht unbedingt ein begnadeter Singschauspieler.
Als ich vor der Pause mir schon überlegte, ob das Stück in etwa so lange sein wird wie die tatsächliche Regierungszeit des historischen Boris Godunow kam etwas Schwung in die Inszenierung in Gestalt des Hauptmannes Alfred Sramek. Es ist unglaublich, wie diese Staatsopern-Institution mit kleine Gesten den Funken überspringen lassen kann – auf’s Publikum aber sehr wohl auch auf die Kollegen, die gerade mit ihm auf der Bühne stehen. In der Schenkenszene (nach wie vor bedauerlich, dass die Rolle der Schenkenwirtin radikal gekürzt wurde – im Gegensatz zum Polenakt…) brillierte auch Janusz Monarcha als Warlaam. Peter Jelosits als Missail erreichte nicht dieses Niveau, ebenso blieb auch Aura Twarowska etwas blass. Am Auffälligsten war bei ihr noch der Regiegag (?!?), dass sie ihren Auftritt unbestrumpft begann, dann, als sie aus dem Keller den Wein brachte, einen Strumpf anhatte und nach einer weiteren Umziehpause dann voll adjustiert auf die Bühne gekommen ist. Wenn diese Regieanweisungen einen tieferen Grund haben, ist dieser spurlos an mir vorbei gegangen.
Laura Tatulescu überzeugte in ihrer kleinen Szene als Xenia, nicht ganz so sehr ihr Bühnenbruder Fjodor Roxana Constantinescu, sehr ordentlich bewältigt Zoryana Kushpler die Partie der Amme.
Weitere Ensemblemitglieder gefielen in Kleinstrollen, berührend der Auftritt des Heinz Zednik als Gottesnarr. Sehr gut vorbereitet war der Staatsopernchor unter der Leitung von Thomas Lang.
Ich weiß nicht, wann diese Produktion wieder auf dem Spielplan der Staatsoper stehen wird, doch ohne „Big Names“ werden Stammgäste des Hauses wohl nicht gewillt sein, dieser Produktion weitere Chancen zu geben.