Manchmal ist es von Vorteil, zu spät zu kommen. Das gilt nicht nur für anstrengende Sitzungen oder langatmige Vorträge sondern bisweilen auch für heißersehnte Opernvorstellungen.
Vergangenes Wochenende gab es im schwedischen Fernsehen den Freischütz, der in Deutschland vor langem im Kino lief, oder immer noch läuft?
Ich kam erst dazu, als der arme Max sich bitter über sein ungerechtes Los beklagte und ärgerte mich gewaltig über mein Versäumnis, Programmzeitungen zu lesen.
Nun, am nächsten Tag wurde die Sendung in einem anderen Kanal wiederholt und ich war von Anfang an dabei. Das gab aber dann sogar noch mehr Ärger, und hätte ich nicht am Tag zuvor die Fortsetzung erlebt, wäre mir jetzt Hören und Sehen vergangen, was bedeutet, ich hätte wohl gleich unter der Ouvertüre abgeschaltet.
Ja, die Herren Regisseure! Die müssen leider immer für uns weniger Begabte denken, oder vordenken. Keine Vorstellung mehr ohne symbolträchtige Handlung, Gesten Kostüme und was sonst. Das wäre an sich noch zu ertragen, doch wenn das Werk darunter leidet, wird´s problematisch.
Ich verstehe nicht, wie jemand, von dem erwartet wird, Musik zu lieben, es übers Herz bringt, eine der wunderbarsten Opernvorspiele mit Kanonendonner zu ruinieren. Das war der erste Schock und da war´s dann doch gut, dass schon wusste wie´s weitergeht.
Und weiter ging´s gut, sogar sehr gut.
Ab ´Schelm, halt fest …` war es eine Erlebnis, das nie mehr aus meinem Gedächtnis fällt, es sei denn, eine Demenzkrankheit will es anders.
Über Regula Mühlemann braucht man nicht viel zu sagen, ´sie wusste gar herzallerliebst ein Liedchen vorzutragen´, hätte meine selige Urgroßmutter ihrem Blogg anvertraut und ich kann dem nur beistimmen. Dabei ist der Schelm (nicht der Nagel) auch noch anmutig anzuschaun.
Überhaupt, das Paar Banse-Mühlemann ist großartig in den Rollen. Dass die Regie unter ´Leise, leise …´ Agathe in unvorteilhafter Nahaufnahme zeigen muss, ist mir nicht verständlich. Warum konnte man nicht die Szene auf dem Dach belassen? Natürlich hat Agathes bleiches Zombiegesicht einen gewissen Symbolwert, es verkörpert wohl die Ängste der Nacht, aber lenkt, jedenfalls mich, von der Musik ab.
Nun ja, darüber lässt sich streiten. Völlig unverständlich und psychologisch unmotiviert finde ich dagegen den Einfall, dass Max beim ´nein, nicht länger ertrage ich diese Qualen´ erst steht um dann beim lieblichen ´durch die Wälder, durch die Auen …´ zerschmettert am Boden zu kauern.
Dass der Kugelsegen moderne Technik verschmäht, ist schon früher bemängelt worden. Der Phantasie des Regisseure waren hier doch keine Grenzen gesetzt. Warum nützte er sie nicht besser?
Mit der Schlussszene war ich ebenfalls nicht recht glücklich. Irgendwie hatte ich den Eindruck, der Eremit war gar nicht ganz bei der Sache, er kam nur zufällig vorbei und wollte dazu halt auch etwas sagen.
Zur Leichenwäsche unter ´und ob die Wolke sie verhülle …´ gibt es sicher einleuchtende Erklärungen. Vielleicht wollte der Regisseur die ´fromme Weise´ der grausamen Realität gegenüberstellen, möglicherweise der Religion eine Verantwortung für Kriege und anderes Elend zuschreiben. Das ist natürlich legitim und verständlich, aber was mich betrifft, so brauche ich das nicht.
Ich lese Zeitung, informiere mich über die Medien, bin sehr gut über das Weltgeschehen informiert und gehe beileibe nicht in die Oper, um mich belehren zu lassen oder meine ethischen Grundsätze bestätigt zu sehen.
Gerade der Freischütz ist doch eine der schönsten romantischen Opern, mit einem Melodienreichtum, der kaum zu übertreffen ist und die im Grunde keiner weiteren Ingredienzen bedarf.
Wie gesagt, eine Oper, die man am liebsten bei Kerzenschein genießt. Ich fürchte jedoch, meine Einstellung wird mir selbst immer ähnlicher, das heißt, ist hoffnungslos veraltet.
Nachdem ich mich nun etwas kritisch über die Regie ausgelassen habe, wächst in mir das Bedürfnis, auch was Nettes zu sagen.
Die Sänger fand ich durchwegs gut in allen Rollen. Es war alles auf Wohllaut ausgerichtet und der Dirigent fand die Tempi und die Deutung nach meinem Geschmack, wenn´s auch manchmal etwas schnell dahinging, doch immer den Umständen angepasst, wie zum Beispiel beim dramatischen Einsatz der Pauken beim Jägerchor zum kriegerischen Galopp der Pferdchen.
Vom Waldesrauschen der Ouvertüre vor dem Hörnereinsatz hörte ich wenig, was aber an der Aufnahme liegen kann, die Duette der beiden Damen waren eine Offenbarung und auch der Schluss war gut anzuhören.
Allerdings verfolgt mich ständig der Fluch der Erinnerung. Wie hätte wohl ein Kurt Böhme, ein Gottlob Frick, eine Elisabeth Gruemmer in moderner Tontechnik geklungen?
Ich habe schon vorhin den Eremiten erwähnt und kann mich von ihm immer noch nicht trennen. Man hat so seine Vorstellungen: ein nachtschwarzer Bass, eine Johannes der Täufer-Figur im langen Büßergewand, der mit der selbstgerechten Haltung eines Moses einherschreitet und mit Donnerstimme dem Ottokar die Leviten liest und ein Choral, der das Opernhaus schier zum Einsturz bringt. Hier war das leider nicht möglich, weil alle vorsichtigerweise schon im Freien waren, worunter dann die Akustik nur deswegen nicht gelitten hat, weil man so schlau war, den Singsang im Studio aufzunehmen.
Was mich am Rande noch wundert: warum war diese Produktion so teuer? So teuer, dass nicht einmal ein bescheidenes Sümmchen für Maxens Haarpflege blieb? Geht man so säuisch des Sonntags auf ein Schützenfest? Gerade auf dem Lande war es üblich, an Sonn- und Feiertagen im Festgewande einherzuschreiten.
Allen Einwänden zum Trotz, die Oper war mir ein Erlebnis und zum Zuhören braucht man bekanntlich nicht die Augen.
Über die Zuverlässigkeit meiner Ohren bin ich mir auch nicht mehr sicher. Gewiss schüttelt Mancher nun den Kopf, wenn ich sage, dass mich Franz Grundheber in gewissen Lagen an Rudolf Schock erinnert. Bevor mich jetzt jemand niedermacht. Danke, ich weiß es selbst: Rudolf Schock ist Tenor.
Aber trotzdem …
Zum Schluss, ich hoffe sehr, dass diese Verfilmung nicht vergessen wird und ich denke sie steht sich gut neben Furtwänglers Don Giovanni und Karajans Rosenkavalier, auch wenn sie diese nicht ganz erreicht.