Die 1842 in Mailand uraufgeführten „Lombardi alla prima crociata“ sind schon eine Seltenheit auf deutschen Bühnen, was unverständlich erscheint, da dieses Werk – ebenso wie zahlreiche andere, vor 1851 entstandene Opern Verdis - die “Ausgrabung” aufgrund ihrer musikalischen Schönheit mehr als nur lohnen. Insofern kann sich die Oper Kiel damit rühmen, ein Kleinod voller eingängiger Melodien, mitreißender Rhythmen und vielen, dem Belcanto huldigenden Arien vorgestellt zu haben.
Leo Siberski führte sein sehr präzises Orchester mit straffer Hand, was der energiegeladenen Musik sehr gut bekam. Die zahlreichen Chorszenen wurden vom Kieler Opernchor ebenfalls frisch, präzise und kraftvoll dargeboten.
Der Star des Abends bzw. Nachmittags war sicherlich die bulgarische Sopranistin Stefanna Kybalova als Giselda, die für ihre erkrankte Kollegin eingesprungen war. Mit wunderschönen piani, einer imposanten Höhe sowie einer guten Mittellage meisterte sie die anspruchsvollste und größte Partie des Werkes. Yoonki Baek als Oronte überzeugte durch die strahlend hohen Töne seiner gut geformten Tenorstimme, die jedoch in der Mittellage mitunter etwas farblos wirkt. Der armenische Bass Tigran Martirossian in der Rolle des Bösewichts Pagano ist zwar mit einer schönen Stimme ausgestattet, diese ist aber zuweilen zu weich und zu wenig durchdringend. Auch ein früher Verdi wartet schon mit einem recht dicken Orchesterklang auf, der mit dem zugunsten des Gesangs reduzierten Orchesterteppich der Belcanisten nicht mehr viel gemein hat. Ein wenig mehr stimmliches Metall is also nie verkehrt. Fred Hoffmann in der Rolle des Arvino machte dem stolzen, lombardischen Kreuzritter leider nur wenig Ehre. Zuweilen war er nicht zu hören, und wenn, dann war seine Stimme für diese Partie eindeutig zu klein und zu lyrisch. Auf den Anblick seines biergestählten, nackten Oberkörpers hätte ich ebenso gerne verzichtet, aber dies sei ihm nicht anzulasten, sondern viel mehr der Regie, auf die ich nun zu sprechen komme.
Tja, und die Regie....heutzutage ist es ja schon ein großzügiges Geschenk ans Publikum, wenn die Herren und Damen Regisseure nicht gar so tief in die Billig-Trick-Kiste greifen und uns mit SS-Uniformen, Maschinengewehren, Live-Pornos und anderen Scheußlichkeiten verschonen sowie das Bühnenbild zumindest andeutungsweise in die im Libretto beschriebene Zeit setzen. Da hat man dann solche ebenso sinn-wie geschmacksbefreiten Mätzchen wie schwarze Särge, einen Oronte, der im Rausch der Verliebtheit die Gebetsteppiche seiner muselmanischen Gefährten durch die Luft kickt und einen Geiger, der das ansprechend lyrische Geigenthema zu Beginn des dritten Akts mitten auf der Bühne statt im Orchester darbietet, hinzunehmen.
Das Bühnenbild der angedeuteten romanischen Apsis wirkt im ersten Akt noch gut, aber schon im zweiten Bild des ersten Aktes, welches im Palast Arvinos spielt, eher seltsam. Als Palast Accianos, der Herrschers von Antiochia, taugt es dann ebenso wenig wie als „Tal von Josaphat“ und als Eremitenhöhle Paganos. Ist dieses Einheitsbühnenbild nun den Sparmaßnahmen geschuldet, oder will uns der Oberlehrer ähh Regisseur damit sagen, dass die Welt sowieso ein Dorf und irgendwo alles gleich ist? Plump und geschmacklos sind die Särge, welche am Ende des dritten und zu Beginn des vierten Akts die Bühne dominieren, ebenso plump wie der Oberlehrer Regisseur uns klarmachen will, dass Religionen sehr oft als Machtmittel und Entschuldigung für Kriege und Morde missbraucht wurden und werden. Falls Sie es noch nicht registriert hatten, lieber Herr Uwe Schwarz: Darüber wird fast im gesamten zweiten Akt der Oper gesprochen, und zwar ziemlich klar und eindeutig. Der Agnostiker Verdi hat mit Religionskritik bestimmt nicht gespart, aber Sie hätten seinem Werk Ihre teilweise sogar ziemlich dilettantische Regie ersparen können. Nein, es ist kein besonderer Sinn dahinter, wenn Arvino und Pagano sich vergebend umarmen sollen, die Regie es aber für nötig befindet, beide starr ins Publikum blicken zu lassen. Es macht auch sehr wenig Sinn, den toten Oronte am Ende der Oper wieder auferstehen zu lassen oder dem Publikum die billige Aktualisierung der mit Pistole und kugelsicherer Weste ausgestatteten Wachleute in Anspielung auf die Jerusalemer Grabeskirche unterzujubeln.
Es gäbe noch viel zu sagen, aber ich möchte die Taminos und Paminas nicht mit einer allzu langen Rezension langweilen. Mein Fazit also: musikalisch gut bis sehr gut, regielich unterer Durchschnitt bis unzumutbar. Mehr kann man heute aber von einer nicht-konzertanten Aufführung, solange es sich um eine Neuinszenierung handelt, anscheinend nicht erwarten.