... ist bisher bei Tamino noch ein leeres Blatt. Darüber kann niemand erstaunt sein, denn im heutigen Konzertleben spielt die Musik von Johann Mattheson so gut wie keine Rolle. Das liegt nicht nur daran, dass ein großer Teil seiner Werke in der Stadtbibliothek Hamburg verwahrt wurde und dort den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen, sondern auch an der ungebrochenen und sich immer noch steigernden Strahlkraft seiner Komponisten-Kollegen wie - beispielsweise - Bach und Händel. Erfreulicherweise haben sich jedoch in den letzten Jahren einige Labels des Komponisten angenommen, auch cpo, die Hausmarke des Tamino-Werbepartners jpc, ist dabei.
Es gibt aber möglicherweise noch einen anderen Grund für die Enthaltsamkeit in Sachen Mattheson: Blickt man in die Lebenszeit des Komponisten zurück, muss man feststellen, dass seine musiktheoretischen Werke viel weiter verbreitet waren, als seine Musik. Die Bücher und Schriften wurden teilweise in mehreren Auflagen gedruckt und waren nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa bekannt. Ausführlich geht Mattheson in den Publikationen auf die Themenbereiche Aufführungspraxis, Musiktheorie und Ästhetik ein; dabei wird er dem Leser als ein vielseitiger Theoretiker bekannt.
Mattheson erhielt als Sohn eines reichen Kaufmanns eine erstklassige Ausbildung, nicht nur auf musikalischem Gebiet (Gesang, Violine, Orgel, Cembalo, Gambe, Blockflöte und Laute), sondern auch in Sprachen. Diese Ausbildung erfolgte im wesentlichen als Schüler des Johanneums, als Student u. a. bei Johann Nicolaus Hanff und Johann Heinrich Praetorius; daneben wirkte er nicht nur als Sänger am Hamburger Opernhaus, sondern war auch dort als Dirigent und Haus-Komponist tätig.
Ab 1703 ist die lebenslange Freundschaft mit Georg Friedrich Händel dokumentiert. So berichtet Mattheson, Händel habe ihm „einige besondere Contrapunct-Griffe“ gezeigt, während er Händel vieles im „dramatischen Styl“ beibringen konnte. Differenzen in musikalischen Dingen führten aber immer wieder zu Streitereien; so kam es während einer Aufführung von Matthesons Oper „Cleopatra“ zu einer Auseinandersetzung um die musikalische Leitung, der in ein Duell mündete. Angeblich verhinderte ein Metallknopf an Händels Jacke eine ernsthafte Verletzung. Der Streit war danach schnell beigelegt, denn die beiden versöhnten sich noch am gleichen Abend wieder. Dennoch beklagte Mattheson zeitlebens, von Händel nicht gewürdigt zu werden.
Erwähnenswert ist auch die Reise der beiden achtzehnjährigen jungen Männer nach Lübeck, wo sie sich um die Nachfolge Buxtehudes für das Amt des Organisten an der Marienkirche bewerben wollten. Allerdings schreckte sie die mit dem Amt verbundene Bedingung, Buxtehudes Tochter Anna Margareta heiraten zu müssen, ab. Ob dafür nur der zehnjährige Altersunterschied ausschlaggebend war oder auch das angeblich wenig schmeichelhafte Äußere der Jungfer, muss offen bleiben. Johann Mattheson hat immerhin einen knappen schriftlichen Anhaltspunkt gegeben: „Weil eine Heiratsbedingung bei der Sache vorgeschlagen wurde, wozu keiner von uns die geringste Lust bezeugte, schieden wir nach vielen empfangenen Ehrenbezeugungen und genossenen Lustbarkeiten von dannen.“
1705 machte sich bei Mattheson erstmals ein Gehörleiden bemerkbar und er sah sich gezwungen, seine Karriere als Opernsänger aufzugeben; mit der Berufung zum Sekretär des englischen Gesandten in Hamburg im Jahre 1706 begann für ihn eine zweite Karriere, die ihn 1744 sogar zum Legationsrat des Herzogs von Holstein aufsteigen ließ. Die völlige Taubheit trat etwa ab 1735 ein. Die Stellung bedeutete jedenfalls für Johann Mattheson ein sicheres Auskommen und einen gehobenen sozialen Status, die 1709 zur Heirat mit der englischen Pfarrerstochter Catharina Jennings führte, deren Ehe aber kinderlos blieb.
Als die produktivste Zeit Matthesons muss man die Jahre zwischen 1715 und 1728 ansehen, in der er als Vikar das „Directorium musicum“ der Hamburger Domkirche leitete. Zu seinen Aufgaben gehörte es, zu den Hauptfesten des Kirchenjahres Musik zu schreiben; es entstanden in dieser Zeit sage und schreibe 24 Oratorien, ein Dutzend Serenaden, aber auch Auftragswerke, beispielsweise Kantaten zu Hochzeiten, Beerdigungen und andere Feierlichkeiten. Nach einem Grundsatzstreit mit den Sängern der Domkirche im Jahre 1728, die zu einem Boykott des Ensembles führten, gab Mattheson diese Stelle auf.
Musikalisch bedeutsam ist in Matthesons Oratorien, dass er sich der verschiedensten musikalischen Stilrichtungen bedient, um die ebenso verschiedenen Ebenen der Libretti dramaturgisch durchaus geschickt auszudeuten: So gehören die Choräle und Turba-Chöre dem Typus des klassischen Kontrapunkts an, während die Arien sich des galanten Stils der italienischen Oper bedienen. Diese Vorgehensweise hat die Fachwelt urteilen lassen, dass von seiner Musik eine gerade Linie zu den Oratorien Grauns, C.Ph.E. Bachs bis zu Haydns „Schöpfung“ und „Jahreszeiten“ führt.
Wenn Reinhard Keiser im Vorwort zu seinem Oratorium „Der blutige und sterbende Heiland“ von 1705 schrieb, dass „dieses dieses Leiden [...] nachdrücklicher vorzustellen [sei], wenn man es durchaus in Versen und ohne Evangelisten gleich wie die Italiänische sogenannte Oratorien abfaßte“, dann kündigte sich damit an, das geistliche Oratorium dem gottesdienstlichen Rahmen zu entziehen. Trotz des harten Protests der hanseatischen Kirchenbehörden gegen Keisers Opus, das auf einer Bühne in einer Kirche geboten wurde, übernahm auch Mattheson die Meinung Keisers. Er ging sogar noch einen Schritt weiter:
1715 warf er eine der wichtigsten Einschränkungen seiner Zeit über Bord, indem er Frauenstimmen bei seinen Oratorienaufführungen im Hamburger Dom zuließ - für die Zeitgenossen ein Skandal ohnegleichen. Mattheson äußerte sich daraufhin in seiner „Großen Generalbaßschule“ bissig-sarkastisch: „Ich bin wol der erste, der bey ordentlichen großen Kirchen-Musiken vor und nach der Predigt 3 bis 4 Sängerinnen aufgestellet hat; aber mit welcher Mühe, Verdrießlichkeit und Wieder-Rede, das ist nicht zu beschreiben. Im Anfang ließ man ersuchen: Ich mögte doch ja kein Frauenzimmer auf das Chor bringen; am Ende kunnte man nicht genug davon haben. […] O schwacher Eigensinn äußerlicher Heiligkeit!“
Der Tamino Werbepartner jpc hat mit seinem Label cpo drei der 24 Oratorien Matthesons produziert, zwei davon allerdings weihnachtliche Werke (das nächste Weihnachten steht aber jetzt schon zeitlich fest!), die überraschende musikalische Hörerfahrungen bieten:
mit Nicki Kennedy, Anna Crookes, Stephan MacLeod, Andreas Post; Kölner Akademie; Leitung Michael Alexander Willens.
mit Susanne Ryden, Nele Gramß,Anne Schmid, Gerd Türk; Kölner Akademie, Leitung Michael Alexander Willens.
mit Christian Hilz, Nicki Kennedy, Ursula Eittinger, Max Ciolek, Raimonds Spogis, Kölner Akademie, Leitung Michael Alexander Willens.