Fritz Wunderlich im Spiegel seiner Sängerkollegen

  • Liebe Musikfreunde,


    obwohl es schon einen Thread über den "Glücksfall für die Schallplatte" gibt, möchte ich mit diesem neuen Thema mehr den Sänger und den Menschen Fritz Wunderlich hervorheben, dessen Popularität ja immer noch ungebrochen ist.
    Anlässlich des 80. Geburtstags des Sängers vor knapp 4 Jahren wurden ausgewählte Sängerpersönlichkeiten über das Phänomen Wunderlich befragt. Die Antworten sind oft von entwaffnender Offenheit und sagen viel einiges den sprechenden, aber mehr noch über den besprochenen Künstler aus. Die Texte stammen aus dem Wunderlich-Archiv und wurden in dem Buch "Fritz Wunderlich der Unvergessene" veröffentlicht.


    In meinem ersten Beitrag soll Piotr Beczala zu Wort kommen:


    „ Fritz Wunderlich ist weit mehr als ein Vorbild für mich; er ist derjenige Künstler, der mich am entscheidendsten geprägt hat. Seit dem ersten Moment, in dem ich ihn gehört habe, hat er mich begleitet. Was ihn über Stimme und Musikalität hinaus von allen anderen unterscheidet, ist seine Stilsicherheit. Egal in welchem Genre, Wunderlich hat immer den richtigen „Blickwinkel“, immer den richtigen Tonfall gefunden. Man kann die stimme nachmachen, die Phrasierung, aber sein Stil und sein Klang bleiben einzigartig. Wenn ich ans Singen denke, fallen mir immer zuerst seine Zitate zum Thema Gesang und seine Aufnahmen (Gott sei dank, es gibt so viele!) ein. Unbewusst ist er praktisch immer in mir präsent, unwillkürlich strebe ich so stets seinem Idealbild nach. Höre ich mir CDs mit Wunderlich an, kann ich meist kaum glauben, wie schön und gleichzeitig technisch perfekt er seine stimme einsetzt. Die Verwunderung, das staunen darüber, dass ein solches maß an Perfektion und Ausdruck überhaupt erreichbar ist, weckt in mir den Ehrgeiz, diesem scheinbar unerreichbaren Ideal nachzustreben. Wunderlichs früher Tod, kurz vor meiner eigenen Geburt, ist nicht nur ein persönlicher Verlust seiner Angehörigen, sondern auch ein enormer Verlust für die Entwicklung der Sängergeneration nach ihm vor allem im deutschsprachigen Raum. Es war eben nicht nur seine Stimme, die ihn ausmachte, sondern auch und vor allem sein „höheres Wissen“, die Wahrhaftigkeit seines Gesangs. Denn Fritz Wunderlichs Art, immer RICHTIG zu singen, seine Vorstellung von Musik, ist leider mit IHM gestorben.“

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Heute soll Plácido Domingo zu Wort kommen:


    "Fritz Wunderlich verfügte über alle Gaben eines herausragenden Sängers: die Schönheit der Stimme, aber auch die Musikalität und subtile Intelligenz der Interpretation. Und man hört in seiner Stimme, was ich ''Licht'' nennen würde – eine ganz besondere, offene und intensive Qualität. Es ist beeindruckend, dass er in einer Karriere, die nur ein knappes Jahrzehnt gedauert hat, so viel leistete. Einen Künstler von seinem Kaliber in unserer Mitte zu haben und ihn dann so jung zu verlieren, war eine große Tragödie, die bis heute schmerzt.
    Ich empfinde eine Art Seelenverwandtschaft zu Fritz Wunderlich, weil seine Eltern, wie auch meine, Musiker waren. Wir sind beide in einer Umgebung aufgewachsen, in der Musik ein natürlicher Bestandteil unseres Alltagslebens war. Wenn ich seine Aufnahmen anhöre, spüre ich, dass er Musik im Blut hatte. Ich bedaure sehr, dass sein Leben zu dem Zeitpunkt, als meine Karriere anfing, schon zu Ende war, denn im natürlichen Lauf der Dinge hätten sich unsere Karrieren überschnitten und ich hätte ihn hören und kennenlernen können. Es ist ein schrecklicher Gedanke, dass ein Mann, der heute achtzig Jahre alt geworden wäre, schon zur Hälfte dieser Zeitspanne von uns gegangen ist, und dass er uns Musikliebhabern rund um die Welt noch so viel mehr hätte schenken können.''

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Lieber Siegfried,
    Das kann ein ganz interessanter Thread werden; einen ganz kleinen Beitrag kann ich auch beisteuern, ich werde mal weiter in meiner Literatur blättern...


    In einem Gespräch, das Thomas Voigt mit Martha Mödl führte - es ging dabei um die Stuttgarter Produktion von Orffs »Antigone« - sagte Frau Mödl:
    »Außerdem habe ich bei der "Antigone" die Geburt eines großen Tenors erlebt: Fritz Wunderlich. Das war ein Klang wie vom Himmel!«

  • Wer da suchet, der findet...


    Aus dem Buch »Ersungenes Glück« von Edda Moser:
    »Es war bei einem Konzert in Berlin, als mir dieses Phänomen zum ersten Mal bewusst wurde: eine Aufführung von Mozarts "Requiem" mit Fritz Wunderlich unter Karajans Leitung. Es fand in der Hochschule der Künste statt, da es die neue Philharmonie noch nicht gab. Und als Wunderlich die ersten Töne sang, schien sich der Himmel aufzutun. Es war ein Gesang, der tief zu Herzen ging und die Sinne berauschte. Man hätte vor Rührung weinen können und war zugleich auch erotisiert.«

  • Danke, lieber hart, dass du diese Reihe auch bereicherst. :hello:


    Die Damen haben natürlich auch einiges über ihren Kollegen zu berichten, hier Anneliese Rothenberger:


    ''Ich werde nie vergessen, wie ich Fritz Wunderlich im Rahmen einer Münchner ''Don Giovanni''- Aufführung, in der ich die Zerlina gesungen habe, zum ersten Mal traf. Ich war so beeindruckt, dass ich ihn nach einer Probe ansprach und fragte: ''Sagen Sie, haben Sie hinten einen elektrischen Anschluss oder wie machen Sie das? Sie singen ja drei Phrasen in einem Atem!'' So etwas hatte ich noch nie gehört! Und das hat ihn irrsinnig gefreut, weil es bislang noch gar keiner bemerkt hatte – auch kein Dirigent. Und ich habe dann immer alle darauf aufmerksam gemacht. Nur bei Lisa Della Casa, die natürlich selbst eine große Technikerin ist, war das nicht nötig. Sie hat auch gesagt: ''Bewundern Sie nicht nur die schöne Stimme, nicht nur seine Technik im Allgemeinen, sondern insbesondere die Atemtechnik!'' Phantastisch! Da konnte man nur davon lernen, aber wirklich geschafft hat man es nicht, das konnte man nicht schaffen. In bleibender Erinnerung ist mir auch ein Telefonat mit Hubert Giesen geblieben. Giesen rief mich an, erzählte, dass Wunderlich den Liederabend seines Lebens gesungen hätte und sagte dann: ''Er ist vollendet. Ich kann ihm nichts mehr sagen, der Mann ist grandios.'' Er war einfach der beste deutsche Tenor seiner Zeit und er ist ja bis heute nicht ersetzt. Da müssen Sie schon drei engagieren, die dann vielleicht das bringen, was er alleine gekonnt hat.''

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Hier die Aussage eines noch aktuellen Sängers:


    Jonas Kaufmann sagt in seinem Buch »Meinen die wirklich mich?« im Gespräch mit Thomas Voigt auf die Frage »Und was schätzen Sie an Wunderlich?«:


    »Fritz Wunderlich hat in alles, was er sang, so viel Liebe und Hoffnung, so viel Leidenschaft und Feuer hineingelegt, als wäre es der letzte Auftritt seines Lebens. Er war beim Singen nicht nur hundert Prozent Künstler, sondern auch hundert Prozent Mensch: Von seinen Gefühlen führte immer eine direkte Verbindung zu den Gefühlen des Zuhörers. Selbst seichte Musik und unmögliche Texte klingen bei ihm so, als wären sie das Schönste von der Welt. Seine "Granada"-Aufnahme nehme ich mit auf die einsame Insel. Das ist unglaublich, wie er da singt, er zerspringt fast vor Energie. Oder nehmen Sie "Das Lied von der Erde"! Diese Ekstase beim "Trinklied vom Jammer der Erde", das ist einfach irre! Das Publikum einmal so packen zu können, wie Wunderlich es immer konnte, das wär´s!«

  • Gottlob Frick, der väterliche Freund und Kollege von Fritz Wunderlich im Gespräch mit Imre Fabian, dem ehemaligen Chefredakteur der Opernwelt: "Mit Fritz Wunderlich wurde uns ein Sänger mit außerordentlichen Qualitäten geschenkt, auf den wir und die Musikwelt schon lange gewartet haben." Auch das ist überliefert: Wenn Wunderlich im Überschwang seines Temperaments z. B. bei Proben oder im Aufnahmestudio mit der Wiedergabe schönster, hoher Töne wieder einmal allzu verschwenderisch war, dann mahnte Frick schon: "Fritz, spar Dir Deine Töne auf, bis heut' Abend wenn die Leut' zahle." (Quelle Ruth-Margret Pütz, eine der Lieblingspartnerinnen von Fritz Wunderlich).
    Frick unterstützte Wunderlich nicht nur mit Worten. Er setzte sich am Anfang der Karriere auch in München und Wien für Engagements des Kollegen-Freundes ein.



    Für mich sind einige gemeinsame Abende mit Frick und Wunderlich, die ich im Hause Frick miterleben durfte, unvergessliche Sternstunden meiner vilefältigen Sängerbegegnungen. Wunderlich und Frick waren ein humorvolles, originelles Gespann der Extraklasse.
    (Einige Anekdoten sind hier im Tamino-Klassik-Forum im Themenbereich "Feuilleton und Satire" unter "Anekdoten von Sängerinnen und Sängern" zu lesen.)


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Hermann Prey in seinem Buch »Premierenfieber«


    »Fritz verstand unheimlich viel vom Singen. Ich habe viel von ihm gelernt. Dieser Göttersohn mit seiner immensen musikalischen Naturbegabung war erst am Anfang eines kometenhaften Aufstiegs. Was hätte er uns in der Zukunft noch geben können.
    Er sagte bei unserem letzten Zusammensein zu mir: "Die besten Jahre kommen noch. Der Sänger bekommt die Träne erst mit vierzig." Er wußte nicht, daß er sie schon hatte. Wir hatten wahrhaft himmelstürmende Ziele. Wir wollten die Dioskuren des Gesangs werden. Ich sollte als verlassener Zwilling zurückbleiben. Ich trauere um einen Freund und Bruder im Gesang, wie ich ihn nie wieder finden werde.«

  • Auch er gehört hierher: Peter Schreier


    ''Mir wurde das Glück zuteil, Fritz Wunderlich kurz vor seinem tragischen Unglückstod persönlich kennen gelernt zu haben. Es war in Wien im Musikverein. Sein Freund Hermann Prey vermittelte dieses Gespräch. Ich war sogleich angetan von seiner Natürlichkeit und seiner Kontaktfreudigkeit. Er war es, der mich noch zu seinen Lebzeiten in kollegialer Weise in Salzburg bat, an seiner Stelle den Belmonte zu übernehmen.
    Das Prädikat ''Wunderlich-Nachfolger'' hat mich natürlich sehr geehrt, wurde aber für mich auch zu einer großen Herausforderung, denn die Qualität seiner exorbitanten Stimme ist einmalig und wird einmalig bleiben. Ein Glück, dass es das Medium Schallplatte gibt.''

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ein Brief von Wieland Wagner, aus dem große Wertschätzung für Fritz Wunderlich spricht.* Deshalb zitiere ich ihn hier vollständig nach der bei Schott erschienenen Wunderlich-Biographie von Werner Pfister :


    "Lieber Herr Wunderlich,
    ich hoffe, daß Sie unser Meistersinger-Gespräch in Wien genauso wenig vergessen haben wie ich. Nach einem längeren Gespräch mit Dr. Böhm sind wir beide eigentlich der Meinung, daß es kaum zu verantworten ist, den weltbesten Mozart-Tenor zum Stolzing zu machen.
    Wenn ich mich recht erinnere, sprachen wir damals auch von einem Entweder-Oder, David oder Stolzing. Sowohl Herr Böhm als auch ich wären natürlich begeistert, wenn Sie sich entschließen könnten, anläßlich des 1oojährigen Jubiläums der Meistersinger bei den Bayreuther Festspielen 1968 in der Premiere und drei weiteren Aufführungen, die von Herrn Böhm geleitet werden, den David zu übernehmen. Die vier Aufführungen werden einschließlich der Orchesterproben von der Deutschen Grammophon live mitgeschnitten. Ich denke, das Ganze wäre doch für Sie einmal eine neue Aufgabe und reizvoller, als in der 299. Inszenierung der Zauberflöte den Tamino oder in Ihrer 104. Don-Giovanni-Inszenierung den Ottavio zu singen.
    Denken Sie bitte über meinen Vorschlag nach, und schreiben Sie mir bald Ihre Meinung: Die Festspiele 1968 sind nicht weit.
    Mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünschen für Ihre nächsten diesjährigen Festspielabende bin ich stets Ihr Wieland Wagner"


    Es sollte nichts aus dem interessanten Plan werden. 1968 waren sowohl Wieland Wagner als auch Fritz Wunderlich bereits zwei Jahre tot. Karl Böhm dirigierte die "Meistersinger" in Bayreuth. Der David war Hermin Esser.


    Gruß Rheingold


    * Ich fand diesen Brief so spannend, dass ich mir erlaubte, die Vorgabe, nur Sängerkollegen sprechen zu lassen, ausnahmsweise zu unterlaufen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Lieber Rheingold1876,


    Wenn Siegfried der Initiator des Themas nicht protestiert, dann halte ich die Erweiterung auf Intendanten, Regisseure, Dirigenten, Begleiter usw. für interessant und aufschlussreich. Die Aussagen sollten jedoch von Persönlichkeiten aus dem Opernbereich getroffen werden und sich auf die künstlerischen Qualitäten von Fritz Wunderlich beziehen. Vielleicht kann man später noch das Thema: "Fritz Wunderlich im Spiegel der internationalen Presse anschließen". Aus meine Sicht ist alles, was uns den Ausnahmesänger Wunderlich und das Phänomen seiner Faszination näher bringt wertvoll.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Rheingold,


    für deinen wertvollen Beitrag möchte ich dir herzlich danken. Ich kenne den Wagner-Schriftwechsel auch, seit ich von meiner lieben Frau einst die Pfister-Biographie geschenkt bekam. Ergänzend anfügen möchte ich, dass Fritz Wunderlich den David deshalb mehrfach abgesagt hat, weil er sein Bayreuth-Debüt nicht als Lehrbub, sondern als Meister begehen wollte. Und mit dem Stolzing wollte er sich bis zum 40. Lebensjahr noch Zeit lassen.


    Damit, lieber Operus, habe ich auch deinen Beitrag beantwortet. Meine Sänger-Kontingent ist ohnehin begrenzt, somit ermuntere ich alle Freude des Ausnahmekünstlers Fritz Wunderlich, in den Archiven zu forschen und uns an wertvollen Zeitdokumenten seiner kurzen, atemberaubenden Karriere teilhaben zu lassen.


    Heute möchte ich den Ausspruch eines seiner Zeitgenossen präsentieren: Nicolai Gedda


    ''Wenn man zum Beispiel deutsche Lieder, insbesondere Schubert, von einem Tenor gesungen hört, kann man alles vergessen, wenn man mal die Aufnahmen von Fritz gehört hat. Was er gemacht hat – da kommt keiner ran. Ich glaube, das wird unerreicht bleiben.''

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Um Ausgewogenheit bemüht, erscheint heute der Beitrag einer Sängerkollegin, Ingeborg Hallstein:


    ''Fritz Wunderlich hatte eine unverwechselbare, einmalig herrliche Stimme. Er war ein wunderbarer Kollege und Mensch, an den ich heute noch gerne und oft denke, weil ich in ihm jemanden kennen lernen durfte, der sensibel, einfühlsam, humorvoll, uneitel und hilfsbereit war. Was genau ich damit meine, veranschaulicht die folgende kleine Episode wohl am besten: Wir sangen am Teatro Colón ''Die Schweigsame Frau'' (er Henry, ich Aminta) und ich wurde krank. Der Arzt meinte, die Premiere müsste verschoben werden – was natürlich furchtbar gewesen wäre. Darauf sagte Fritz: ''Das kommt gar nicht in Frage. Ich werde dich fit machen.'' Sprachs, ging und kam ein paar Minuten später mit einem kleinen Köfferchen zu meiner Mutter und mir ins Hotelzimmer. Nun packte er aus: Ein Inhalationsgerät, Tropfen, Pillen, Vitamine etc. Er stellte einen regelrechten Zeitplan auf, wann ich was und wie einzunehmen hätte und ''verordnete'' mir zwei Tage Schweige- und Bettruhe. Und siehe da – nach nur vier Tagen war ich sozusagen ''fit'' für die Premiere. Ich war ''Dr. Fritz'' natürlich immens dankbar. Und so habe ich noch viele andere kleine und für mich kostbare Erinnerungen an Fritz Wunderlich, diesen Ausnahme-Menschen und – Künstler.''

    Freundliche Grüße Siegfried

  • »1956, bei der Ansbacher Bach-Woche, standen wir mit zwei weltlichen Kantaten des Thomas-Kantors zum ersten Mal nebeneinander. Nachdem Werner Egk den Eingangschor "Auf, schmetternde Töne" geprobt hatte, erhob sich Fritz Wunderlich und sang. Fast erschrak ich beim Hören, denn diese Stimme hatte einen berückenden Schmelz und dabei doch das notwendige Gran Metall im Klang, wie es so von deutschen Tenören schon seit langem nicht mehr zu vernehmen war. In der Probepause fragte ich den still in einer Saalecke warteten Mann, wo er denn herkomme und seit wann er sänge.«
    Und eine Seite weiter:
    »Ich war auch einmal Zaungast bei der Hauptprobe von Werner Egks "Verlobung von San Domingo" in der Bayerischen Staatsoper und sah in all der rennenden und gackernden Hühnerhof-Atmosphäre Wunderlich völlig gesammelt abwarten, was sich denn wohl sonst noch ereignen würde. Diese äußere Ruhe bereicherte zwar seine Bühnendarstellung nicht sonderlich, sicherte aber seinem Organ den Schutz für schlackenlose Tonproduktion. Noten und Vortrag waren diesem Erzmusikanten rasch und zuverlässig verfügbar, und gelegentlich, wenn auch sehr selten, ließ er einen Verbesserungsvorschlag einem Kollegen gegenüber hören. In Bamberg nahmen wir Szenen aus Lortzings "Zar und Zimmermann" auf. Ihm gefiel mein sehr breites Tempo für das Zarenlied nicht. Ich ging auf seine Kritik ein und profitierte davon«

  • Heute soll sich eine mediterrane Stimme äußern: Joseph Calleja


    ''Es ist ein Berufsrisiko, vermute ich: Ob gewollt oder nicht, klassische Sänger, besonders wir Tenöre, neigen dazu, unsere Kollegen etwas zu analytisch anzuhören. In dem Fall eines Mustervorbilds wie Fritz Wunderlich ist dies allerdings fast unmöglich. Die ''unmittelbare'' Wirkung des Gesangs dieses Künstlers ist so spontan, so goldrichtig, da können wir einfach auf die analytische Mikroskopie verzichten, uns gemütlich zurücklehnen und diese kraftvolle Mischung aus sonniger mediterraner Stimmqualität und einer mitteleuropäischen, musikalischen wie darstellerischen Intelligenz genießen, über die nur ein wahrhaft charismatischer Tenor verfügen kann. Unter all dem Beeindruckenden, was er erreicht hat, ist der Beweis, dass Mozart mit Direktheit und Klarheit dargebracht werden kann, ohne auf die interpretatorischen Raffinessen, die dieser Komponist fordert, verzichten zu müssen – und er zeigte einer ganzen Generation, dass Richard Strauss Tenöre mit keinen unüberwindbaren Herausforderungen konfrontiert, solange sie ihr Handwerk beherrschen.
    Seine Aufnahmen des italienischen Repertoires in deutscher Sprache demonstrieren: Wäre er nicht auf der Höhe seiner Kunst Opfer eines so tragischen Unglücksfalls geworden, hätte er vielleicht sogar unsere Art, sich mit der Vokalmusik in der Originalsprache des Komponisten auseinander zu setzen, neu definiert. Wie schade, dass ich zu spät auf die Welt kam, um ihn auf der Bühne erleben zu können – aber ich werde die inspirierende Erinnerung an einen der Allergrößten immer hoch schätzen, in tiefer Dankbarkeit dafür, dass uns so viele Beispiele seines Musizierens erhalten geblieben sind, Aufnahmen, die berechtigterweise heute so populär sind wie damals.''

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Und noch ein Kollege der Neuzeit: Rolando Villazón


    ''Das Erlebnis, Fritz Wunderlichs Stimme zum ersten Mal zu hören, war fantastisch. Die Schönheit des Gesangs und die Schönheit der Stimme waren schier unglaublich. Es war geradezu schockierend, wie absolut wunderbar die Stimme klang. Und das erstaunliche ist doch, wie modern sowohl Technik als auch Klang heute noch wirken. Was Dirigenten, Publikum und Kritiker heute von einem Sänger erwarten, entspricht eins zu eins dem, wie Fritz Wunderlich bereits in den 50er- und 60er- Jahren gesungen hat. Das hängt auch damit zusammen, dass er so respektvoll mit der Partitur umgegangen ist, dass er so sehr darauf geachtet hat, was die eigentliche Botschaft des Textes ist. Ein Resultat daraus ist, dass die Botschaft und der Geist der Musik immer spürbar sind. Würde man die Stimme heute einem Opern-Einsteiger, der Fritz Wunderlich nicht kennt, vorspielen, er könnte kaum raten, was er da gerade hört. Denn die Stimme ist so einzigartig, so individuell, klar und authentisch und mit keiner anderen vergleichbar.''

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Maria Stader: "Als Mozart-Sänger war Fritz Wunderlich unübertroffen. Er war mein Don Ottavio par excellence. Unbeschtreiblich schön fand ich seine Interpretation von ,Dalla sua pace'. Zwei Wochen vor seinem Tod hatten wir unter Karajan in Berlin das Mozart-Requiem miteiander gesungen."


    Zitiert nach Maria Staders Buch "Nehmt meinen Dank", Kindler 1979, Seite 367

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hans Hotter hatte 1964 eine Neuinszenierung von Pfitzners PALESTRINA in Wien übernommen. Er erinnert sich: "Der Freund der Barockmusik und passionierte Orgelliebhaber Anton Dermota schien die Idelbesetzung der Partie des Palestrina. Aber ich hatte mir den hochkarätigen Oratorien- und Liedsänger Fritz Wunderlich in den Kopf gesetzt und musste ihn mit all meiner Überredungskunst erst davon überzeugen, dass dies seine Rolle sei. Dadurch blieb uns glücklicherweise in einer Aufnahme die Stimme dieses begnadeten deutschen Tenors mit dem italienischen Timbre in dieser Partie erhalten."


    Zitiert nach Hans Hotters Buch "Der Mai war mir gewogen ...", Kindler 1996, Seite 285



    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • James King: Wenn überhaupt eine Opernbesetzung mit dem oft gebrauchten, selten zutreffenden Begriff »Starbesetzung« bezeichnet werden kann, dann trifft das ohne Zweifel auf diese Daphne zu. Neben der stimmlich wie optisch strahlend schönen Hilde Güden glänzte die Aufführung mit Persönlichkeiten wie Paul Schöffler und Vera Little als Daphnes Eltern Peneios und Gaea, und selbst die Nebenrollen waren Koryphäen wie Hans Braun und Rita Streich anvertraut. Daphne ist eine der wenigen Opern im Repertoire, in der die zwei Kontrahenten beide Tenöre sind, und mein Pendant als Schäfer Leukippos war der ohne Zweifel größte lyrische Tenor
    seiner Generation, wenn nicht seines Jahrhunderts - Fritz Wunderlich.
    In der Handlung hatten wir uns feindlich gegenüberzustehen, aber hinter der Bühne erwies sich Fritz als wunderbarer Freund, und unsere Zusammenarbeit war die reinste Freude. Seine Gesangstechnik war unvergleichlich, und oft gab er mir unschätzbare Tipps, die beträchtlich zur Verfeinerung meiner eigenen Technik beitrugen. So gab er mir den Rat, mich am Anfang nicht zu hoch einzusingen, sondern die hohen Töne allmählich kommen zu lassen, um meine Stimme nicht zu strapazieren. Wenn ich mich heute einsinge, denke ich oft an diesen guten Rat eines jüngeren Kollegen, der sich damals bereits alle Qualitäten zu Eigen gemacht hatte, die wirklich edle Gesangskunst ausmachen: Musikalität, rhythmisches Gefühl und eine von Natur aus herrliche, die er wie kein anderer mit größtem Können führte. Welche Tragödie widerfuhr unserer Kunst, als ein abstruser Unfall ihn mitten aus einem derart fruchtbaren und beseelten Leben riss!


    Zitiert nach der Autobiografie von James King "Nun sollt Ihr mich befragen", Henschel Verlag Berlin 2000, Seite 157


    King bezieht sich auf die Produktion der Bukolischen Tragödie von Richard Strauss, die 1964 unter Böhm am Theater an der Wien herausgekommen ist und von der Deutschen Grammophon aufgezeichnet wurde. Nach meiner Meinung ist es nach wie vor die mit Abstand beste Aufnahme dieses Werkes.



    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold1876,


    es gibt in ähnlich spektakulärer Besetzung sogar einen Film der "Daphne" aus dem Jahr 1965.


    Peneios: Gottlob Frick
    Gaea: Herta Töpper
    Daphne: Stefania Wotovicz
    Leukippos: Fritz Wunderlich
    Apollo: James King
    1. Schäfer: Raimund Grumbach
    2. Schäfer: Friedrich Lenz
    3. Schäfer: Gerog Wieter
    4. Schäfer: Max Proebstl
    1. Magd: Lotte Schädle
    2. Magd: Ursula Gust
    Chor und Sinfonie Orchester des Bayerischen Rundfunks unter Joseph Keilberth


    Eine außergewöhnlich gelungene Aufnahme mit damaligen Spitzenkräften der Münchner und Wiener Oper. Diese Aufzeichnung ist in der Gottlob-Frick-Gedächtnisstätte in Ölbronn archviert und kann dort auch angesehen werden.


    Herzlichst
    Operus

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  • Der Thread entwickelt sich ganz gut, wofür ich allen Mitwirkenden herzlich danken möchte.


    Heute möchte ich eine Kollegin zu Wort kommen lassen, mit der Fritz Wunderlich einige hervorragende Tondokumente gemeinsam geschaffen hat, z.B. Mahlers Lied von der Erde oder Bachs Weihnachtsoratorium. Es ist Christa Ludwig, die über ihren Kollegen sagte:


    ''Er hatte alles. Ob das nun Natur war oder erlernt, das weiß ich nicht. Jedenfalls sang er meines Erachtens total richtig. Er hatte nicht eine einzige Schwachstelle.''

    Freundliche Grüße Siegfried

  • es gibt in ähnlich spektakulärer Besetzung sogar einen Film der "Daphne" aus dem Jahr 1965


    Sehr wohl, lieber Operus. Diesen Film kenne ich auch, habe sogar eine Kopie. Wunderbar! :) Vor einigen Jahren hatte ich dazu ein Gespräch mit dem Archiv des Bayerischen Rundfunks mit dem Ziel, eine erneute Sendung zu befördern, denn meine Kopie ist nicht die beste. Die Antwort war damals, dass dies nicht möglich sei, weil die Rechte für eben diese Produktion verfallen seien. Es müssten neue Verhandlungen mit den überlebenden Künstlern - einschließlich Orchester - bzw. deren Erben geführt werden. Dies gelte auch für die Strauss-Erben. Ich bedauerte in dem Gespräch, dass die Öffentlichkeit damit eines bedeutenden Dokuments verlustig gehe. Darauf die Stimme aus dem Archiv: So groß könne das Interesse nun auch wieder nicht sein, denn ich sei der erste, der sich seit 1967 nach der Aufnahme erkundige. ;) Soll heißen, es gibt einen Laufzettel, in dem wohl derartige Kontakte dokumentiert werden.


    Bitte trage mir eine kleine Anmerkung nicht nach: Du hattest bei Frau Woytowicz das y vergessen.


    Liebe Grüße von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Die Gottlob-Frick-Gesellschaft als Erbe der künstlerischen Rechte von Gottlob Frick würde selbstverständlich einer erneuten Ausstrahlung freudig zustimmen. Vor Jahren gab es sogar eine erneute Ausstrahlung. Das ganze Gebiet der Urheberechte ist offensichtlich sehr kompliziert. Es ist schon viel gewonnen, wenn solche schwarz/weiß Filme nicht gelöscht werden. So soll meines Wissens die letzte Kopie des Jahrhundertfilms "Der Postmeister" mit Heinrich George "entsorgt" worden sein.
    Frau Woytowicz möge mir das fehlende Y verzeihen. In Problemen liegen Chancen. So wurde der Name der Sängerin nicht nur einmal sondern dreimal erwähnt.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Operus,


    vielleicht könnten dir deine guten Kontakte zur Tochter Barbara Wunderlich dabei helfen, den statisch-behutsam auf ihren Schätzen thronenden Archivaren etwas Dynamik einzuhauchen. Da wären noch einige Schätze zu heben: Ich denke nur an die legendär besetzten Don Giovanni-Aufführungen von 1963 mit Karajan/Wien und Fritz Rieger/München und an diverse Festspiel-Aufführungen von Così fan tutte, wo kein Mitschnitt bis heute veröffentlicht wurde.


    Lassen wir heute den Belcanto-Tenor Juan Diego Florez zu Wort kommen:
    ''Fritz Wunderlich ist einer meiner Lieblingssänger. Er hatte eine ganz besondere Stimme, voller Wärme und Leidenschaft, mild und souverän, naiv und heroisch. Er gestaltet deutsches wie italienisches Repertoire mit seinem ''Instrument'', das großen Klang und feine Stilistik hatte. Ein wirklich großartiger und bewundernswerter Künstler.''

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Heute kommt eine Kollegin zu Wort, mit der Fritz Wunderlich an der bayrischen Staatsoper München gemeinsam gesungen hat, z.B. in Eugen Onegin, worüber auch ein Film existiert. Es ist Brigitte Fassbaender.


    ''Noch heute fragen mich Sänger, natürlich vor allem Tenöre: Wie hat er das gemacht? Sie waren doch dabei damals!''


    Und an anderer Stelle:


    ''Fritz Wunderlich – der hat immer so gesungen, als ob es das letzte mal wäre. Das möchte ich auch...''

    Freundliche Grüße Siegfried

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