Karl Ignaz who? Die Symphonien von Karl Ignaz Weigl

  • Hallo zusammen,


    ich höre gerade meine Aufzeichnung des gestrigen ARD-Nachtkonzertes ab und bin an einem mir bis dato völlig unbekannten Stück hängengeblieben: Es handelt sich um die sechste Sinfonie eines Herrn namens Karl Ignaz Weigl. Für meinen Geschmack gar nicht so übel: Die Tonsprache der Sinfonie scheint mir spätromantisch zu sein, die Tonalität bis zu ihren Grenzen ausdehnend, ohne sie völlig zu verlassen. Manche Passagen erinnern ein wenig an den späten Bruckner, auch die Sinfonien von Nielsen kommen mir in den Sinn. Die eine oder andere Passage könnte man so ähnlich vielleicht auch bei Mahler finden.


    Wer die Sinfonik des beginnenden 20. Jahrhunderts mag, wird hier möglicherweise auf seine Kosten kommen. Ich jedenfalls habe künftig einen Namen mehr, an dem ich bei einer Programm- oder Konzertankündigung ein Kreuzchen machen kann :-)


    Gruß aus dem Norden, Ralf


    (Tippfehler nachträglich korrigiert ;-))

    Einmal editiert, zuletzt von Ralf_Hamburg ()

  • Karl Ignaz Weigl (1881-1949) war ein Repräsentant der vielfältigen Wiener Musikszene des frühen 20. Jahrhunderts, der heutzutage fast vergessen ist. Er war Schüler von Alexander Zemlinsky, Freund Arnold Schönbergs und ist von Gustav Mahler als Korrepetitor und Stimmbildner an die Wiener Oper engagiert worden. Nach dem 1. Weltkrieg wurde er als Professor für Theorie und Komposition an das Neue Wiener Konservatorium berufen, und ab dem Jahr 1929 wirkte er als Nachfolger Hans Gáls als Dozent an der Wiener Universität.


    Die anfänglich aufstrebende hoffnungsfreudige Komponistenkarriere wurde durch die Machtübergabe an die Nazis im deutschen Reich bereits früh drastisch in Mitleidenschaft gezogen. Die Werke des Juden Weigl galten als „Entartete Musik“ und wurden eines der vielen Opfer der antisemitischen NS-Kulturpolitik. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 gelang es dem Komponisten gerade noch rechtzeitig, mit seiner zweiten Frau und dem zwölfjährigen Sohn nach Amerika zu emigrieren.


    Die Freundschaft zu Schönberg — dem er allerdings die Aufgabe der Tonalität nie verziehen hatte — wurde für den immerhin bereits 57-Jährigen jetzt zu einer großen Hilfe. Eine Empfehlung Schönbergs bezeichnete ihn als einen der besten Komponisten der alten Schule, was mit dazu beitrug, dass Weigl mehrere bedeutende Lehrämter übertragen wurden. Er starb nach langer Krankheit im Jahr 1949.


    Die 1945 vollendete Fünfte, mit dem Beinamen „Apokalyptische“, ist wie auch Korngolds „Symphony in Fis“ dem Andenken an Präsident Franklin Delano Roosevelt gewidmet. Sie bleibt, wie auch die 1947 komponierte 6. Sinfonie, einem spätromantischen Gestus verpflichtet, freilich ohne dabei repetitiv und epigonal zu wirken. Im Gegenteil: beide Werke belegen, welch reizvolle und frisch wirkende Ausdrucksmöglichkeiten auch eine post-wagnerianische Tonsprache noch zu bieten vermag.


    Die Sinfonien 5 und 6 bieten kontrastreiche, hochexpressive Musik, gesetzt für großes Orchester. Beide Werke weisen stimmungsmäßig gewisse Parallelen auf, freilich ohne, dass dies für den Hörer Langeweile bedeutet. Vielfach zeigt sich dabei ein nahezu unendlicher melodischer Fluss, facettenreich harmonisiert und abwechslungsreich und effektvoll instrumentiert. Kumulative Crescendi wechseln dabei ab mit lyrischen Episoden, was breite Spannungsfelder schafft und den Hörer zu fesseln vermag. Dabei ist zwar als ein entferntes Vorbild Mahler spürbar, aber zugleich gibt es hier gehörig „eigene Stimme“ und sogar verblüffend modern Anmutendes zu hören.


    So überrascht der erste Satz der Fünften mit einem auf die Avantgarde vorausweisenden Effekt, der einem in ähnlicher Form beispielsweise in Alfred Schnittkes sinfonischem Erstling begegnet: Noch während die Musiker ihre Instrumente stimmen, betritt der Dirigent das Podium und gibt den Posaunen und der Tuba den Einsatz. Der dritte Satz „Paradise Lost“ ist ein breit angelegtes, zu Mahler wiederum Distanz haltendes Adagio: Eine zweifellos nostalgische, aber zugleich süßlichen Kitsch meidende Musik, eine, die entrückt und schwebend wirkt und im höchsten Register, quasi himmelwärts, entschwindet. Das Finale, „The Four Horsemen“, anspielend auf die vier apokalyptischen Reiter, ist ein grimmiger und zugleich rätselhaft erscheinender (Kriegs-)Marsch, in dessen feierlich-jubelndem Schluss nicht eindeutig die Mächte des Guten triumphieren.


    Die Uraufführung der „Apokalyptischen Sinfonie“ erfolgte erst 1968 durch Leopold Stokowski, die sechste Sinfonie gar erlebte ihre Publikumspremiere erst anlässlich der Produktion o. g. CD.


    Ergänzt werden die beiden Symphonien durch zwei Zugaben: Da ist einmal „Old Vienna“, das Weigl 1939 wohl eher als wehmütige private Reminiszenz an das nicht mehr existierende Wien seiner Jugendjahre komponierte. Das rund 20-minütige Stück ist in freier Anlehnung an einen der großen Konzertwalzer des Walzerkönigs Johann Strauß konzipiert, wobei nach einer breiteren Einleitung eine Reihe echt wienerisch anmutender Walzerfolgen im Dreivierteltakt erklingen. Diese unmittelbar ansprechende, sehr nostalgische Musik erklang erstmalig im Jahre 1978 bei einem Konzert im New Yorker Central Park. Außerdem findet sich das faszinierend farbige, vom impressionistischen Klangrausch beeinflusste und partiell auch auf russische Einflüsse (Rimsky-Korsakoff) verweisende „Phantastische Intermezzo“.

  • Hallo nochmal,


    vielen Dank für die ausführlichen Informationen - ich hatte mir davon bisher nur einen kleinen Teil "erlesen" können. Das macht mich auf jeden Fall neugierig auf die fünfte Sinfonie Weigls, die ich mir ganz sicher irgendwann mal zu Gemüte führen werde.


    Gruß und gute Nacht - Ralf

  • Das Capriccio-Label bringt zwei Konzerte von Karl Weigl auf den Markt, darunter ein für Paul Wittgenstein geschriebenes für die linke Hand. Der Bruder des Philosophen verlor im ersten Weltkrieg seinen rechten Arm und hat zahlreiche Konzerte dieser Art in Auftrag gegeben (Ravel, Prokofieff, Strauss). Viele davon hat er gar nicht gespielt, entweder weil ihm die Musik fremd war oder weil sie zu schwer waren. Letzteres gilt wohl für das von Weigl.


  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Karl Weigl (1881-1949) war ein weiterer österreichischer Komponist, dessen Karriere durch die politischen Wirren des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflusst um nicht zu sagen beschädigt wurde. Der Komponist aus dem Umfeld von Mahler und Schönberg, der auch einige Jahre Assistent von Mahler war, musste als sozialistischer Jude 1938 aus dem "angeschlossenen" Österreich fliehen und überlebte in den USA, wo er sich eine bescheidene Existenz als Professor aufbauen konnte, die dann aber durch ein Tumorleiden 1949 beendet wurde.


    Er schrieb u.a. 6 Symphonien, die von Dirigenten wie Furtwängler uraufgeführt wurden. Die vorliegende 1945 geschriebene 5. allerdings erst posthum 1968 durch niemand Geringerem als Leopold Stokowski.


    Weigl's Tonsprache ist unüberhörbar durch Gustav Mahler geprägt, ohne dass sie deshalb epigonal wirken würde. Andythr hat sie in Beitrag 3 bereits schön charakterisiert. Der Titel Apokalyptische ist ein wenig reißerisch und ich höre auch nicht so viel Apokalyptisches, jedenfalls nicht im Vergleich zu dem "Buch mit sieben Siegeln" von Franz Schmidt, wo die Apokalypse wirklich hörbar dargestellt wird. Trotzdem ein Werk, das Beachtung verdient und die Frage aufwirft, warum die ersten vier Symphonien noch nicht eingespielt wurden. Da scheint es in der deutsch-österreichischen Symphonik des 20. Jahrhunderts noch einigen Nachholbedarf zu gegen (Günter Raphael, Max Butting, Johann Nepomuk David, Karl Weigl und und und). In der Beziehung scheinen uns die nordischen und angelsächsischen Ländern dann in der Aufbereitung ihrer musikalischen Schätze doch weit voraus. Ich hoffe, Herr Burkhard Schmilgun liest dies. :)

  • Die m.W. erste Aufnahme von Karl Weigls 4. Symphonie ist im Anmarsch. Gekoppelt ist das Werk mit der 6. Symphonie, von der es aber schon eine Aufnahme auf BIS gibt.



    P.S. Vielleicht wäre es jetzt ander Zeit den thread-Titel leicht zu modifizieren in "Karl Ignaz who? Die Symphonien von Karl Ignaz Weigl."

  • Norbert

    Hat den Titel des Themas von „Karl Ignaz who? Die sechste Sinfonie von Karl Ignaz Weigl“ zu „Karl Ignaz who? Die Symphonien von Karl Ignaz Weigl“ geändert.
  • Capriccio plant offensichtlich eine GA der 6 Weigl-Symphonien, was auf jeden Fall zu begrüssen ist. Die unlängst erschienene erste Folge mit der Symphonie Nr. 1 von 1908 hat mich allerdings - ehrlich gesagt - nicht überzeugen können. Ein - zumindest beim ersten Hördurchgang - eher langatmiges, melodisch wenig ansprechendes Werk. Eine zweite Chance wird das Werk aber auf alle Fälle noch bekommen.


  • Eine zweite Chance wird das Werk aber auf alle Fälle noch bekommen.

    Die hat es heute bekommen und ich bin deutlich gnädiger gestimmt als beim ersten Hördurchgang. Sicher kein Meisterwerk, aber als Erstling lasse ich es mal durchgehen. Bin sehr gespannt (und muss wohl noch ein bisschen warten) wie die 2. Symphonie klingt.

  • Die (Wieder-) Entdeckung des jüdisch-österreichischen Komponisten Karl Weigl schreitet voran und hat mit der Ersteinspielung seiner 4. Symphonie einen weiteren Höhepunkt erreicht. Das ist ein Werk, das mich unmittelbar anspricht.

    Es wurde 1936 komponiert und schwankt im Tonfall zwischen heiterer Melancholie und bedrohlicher Aufgeregtheit. Weigl war zu dieser Zeit in Österreich zwar noch relativ sicher, aber er sah die Zeichen an der Wand, die ihn zwei Jahre später zwangen, seine Heimat fluchtartig zu verlassen. Er wäre sonst ohne Zweifel der Vernichtungsmaschinerie der Nazis zum Opfer gefallen.

    Das Werk besteht aus drei Sätzen, einem umfangreichen Allegro Kopfsatz von 17 min Länge, gefolgt von einem klanglich ähnlichen Scherzo. Abgeschlossen wird das Werk von einem wunderbaren 12-minütigen Adagio, das sogar hoffnungsvoll-optimistisch ausklingt. Es sollte dann aber nicht sein. Die Nähe zur Musik Gustavs Mahler ist auch in dieser Symphonie nicht zu überhören, aber Weigl bringt einen eigenstänigen Tonfall ein, der ihn vor Epigonentum bewahrt.

    Eine wichtige Entdeckung für mich.


  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich habe neben der oben abgebildeten CD mit der "Apokalyptischen" diese mit Streichquartetten:

    Das Artis Quartett spielt Nr. 1 und 5.

    Weigls erstes Streichquartett ist das Werk, das mir von ihm mit deutlichem Abstand am besten gefällt - damals war er auch noch bei den Modernen ganz vorne dabei, denn sein Mahler-ähnlicher Stil war ja mit vom Avanciertesten vor 1908. Was mir hier wie aus einem Guss vorkommt, bekommt für mich später etwas Gezwungenes, Aufgesetztes.