Beethoven, Klaviersonate Nr. 11 B-dur op. 22, CD-Rezensionen und Vergleiche (2016)

  • Lieber Willi,


    ich habe gerade Korstick laufen lassen und bin doch ziemlich enttäuscht. Der 1. Satz ist burschikos heruntergespielt, wirkt nur fosch, aber wo ist die Seele dieser Musik? Nichts Heiter-Spielerisches, keine Anmut, keine Noblesse, einfach nur positivistisch durchgespielt. Und dann noch dieser wirklich unschöne, harte Klavierklang. Das ist Beethoven - nichts für Ästheten. Der langsame Satz gelingt ihm, das ist Beethoven mit Bachscher Klarheit - aber auch keine Ausdrucksoffenbarung. Das Scherzo wieder etwas derb ohne jeden Hintersinn und das Rondo-Finale langweilig. Musik hat ja nun auch eine seelische Dimension, einen "Geist", der sich nicht in Notenbuchstaben aufzeichnen lässt. Ich bezweifle, dass es Korstick bei op. 22 gelungen ist, davon viel zu erfassen! :hello:


    Mal sehen, ob ich nachher noch Feinberg und Kempff höre!


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Wie immer ist Wilhelm Kempff sehr musikalisch - der erste Satz mit flexiblen rhythmischen Akzenten, ein Spiel des Lebens, mit sprechender Rhetorik. Alles fließt. Nur ist das - insbesondere im zweiten Satz - Beethoven als etwas harmloses naives Naturkind, als Bruder sozusagen des kleinen Wunderkind-Mozart. Aber diese typische Kempff-Naivität ist in ihrer Natürlichkeit einfach sehr schön anzuhören! :hello:

  • Lieber Holger,


    schönen Dank für deine beiden Beiträge, auch wenn ich, wie schon hin und wieder, bei Korstick anderer Meinung bin. Aber so darf es ja ruhig sein.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Liebe Freunde,


    wenn ihr euch fragt, warum ich keine Besprechungen mehr poste, dann hat das einen ganz einfachen Grund:


    ich habe zwar genügend Aufnahmen mit nach Teneriffa genommen, aber meine Noten vergessen. Aber so sitze ich abends bei der hier obligatorischen lauen Luft auf meinem Balkon und höre die Aufnahmen so, am Stück und kann sie ganz entspannt geniessen.
    Wenn ich jedoch in der ersten Maiwoche zurückgekehrt sein werde, dann geht es wie gewohnt weiter.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • ich habe zwar genügend Aufnahmen mit nach Teneriffa genommen, aber meine Noten vergessen. Aber so sitze ich abends bei der hier obligatorischen lauen Luft auf meinem Balkon und höre die Aufnahmen so, am Stück und kann sie ganz entspannt geniessen.

    Lieber Willi,


    das ist vielleicht doch ein glücklicher Umstand und genau das Richtige! :thumbsup:


    In Deutschland schneit es - da hast Du es bestimmt besser! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • So ist es, wir haben jetzt noch 21°, und morgen früh geht es nach La Gomera.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ohne die leichten Irritationen im Kopfsatz hätte ich diese Aufnahme als Koreferenz eingesetzt, einfach weil sie herausragend ist.

    Das ist eine Referenz, lieber Willi! :) Mit "Irritationen" meinst Du wohl die fehlnde Expositionswiederholung! :D Was für ein geistvolles Beethoven-Spiel! Er weiß, was der Sinn eines Motivs ist, nämlich Motiv zu bewegen, etwa die Tremoli im 1. Satz. Das hat Klarheit, Empfindsamkeit, Flexibilität, Esprit und ist ohne alle Mätzchen gespielt. Warum kennt diesen großen Pianisten nur kaum jemand...


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Ich habe neulich, obwohl ich bei diesem Repertoire mehr oder weniger Kaufstopp verordnet habe (und obwohl weder op.22 noch 26 jemals zu von mir hochgeschätzten Werken gehören werden), doch die Live-CD Pollinis mit opp.22,26,53 angeschafft und es nicht bereut. Sicher für manche zu einseitig auf der schnell-brillanten Seite, aber sehr souveräne und packende Darbietungen mit einem extra "Kick" (und einem akzeptablen Tempo im adagio von op.22 ;)).


    Leider sind die "enhanced" features auf Windows 98 ausgerichtet und auf einem modernen OS nicht nutzbar...



    Edit: Ich weiß nicht genau, welche Aufnahmen in den (wenigen) Fällen, in denen Pollini mehrere vorgelegt hat (außer den genannten z.B. auch op.31/2) in der Gesamtbox enthalten sind.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich habe neulich, obwohl ich bei diesem Repertoire mehr oder weniger Kaufstopp verordnet habe (und obwohl weder op.22 noch 26 jemals zu von mir hochgeschätzten Werken gehören werden), doch die Live-CD Pollinis mit opp.22,26,53 angeschafft und es nicht bereut. Sicher für manche zu einseitig auf der schnell-brillanten Seite, aber sehr souveräne und packende Darbietungen mit einem extra "Kick" (und einem akzeptablen Tempo im adagio von op.22 ;)).

    Ich finde Pollinis op. 22 auch eine der bemerkenswertesten Aufnahmen - vor allem, weil er sich im 1. Satz wie kaum jemand Gedanken über das "con brio" macht. Natürlich habe ich beide Aufnahmen von ihm. :) Da muß ich demnächst nochmals ausführlicher nachhören! :hello:


    Schöne Grüße zum 1. Mai
    Holger

  • Ich habe natürlich auch beide Aufnahmen von ihm, auch beide hier, aber, wie gesagt, es fehlen nur die Noten. Ich werde sie trotzdem heute Abend mal hören. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Ach, Willi, - ein bisschen wundere ich mich über Dich und empfinde sogar so etwas wie Bedauern.
    Du machst doch Ferien, bist in Urlaub, kannst Dich an fernen Gestaden wohlfühlen und heiter in den sonnigen Tag hineinleben. Warum postest Du weiter wacker alle Tage, nimmst Dir vor, heute Abend Beethoven zu hören, bedauerst gar, dass Du die Noten dazu ärgerlicherweise zu Hause gelassen hast?
    Warum hörst Du nicht auf den Gesang der Vögel dort, lauschst dem Rauschen der Wellen, gibst dem dem Flirren der Zikaden hin und lässt die laue südliche Nacht langsam in Dein Herz und Deine Seele Eingang finden?
    "Gott preist das Grillchen für den Tau" meinte der Heilige. Und er schloss den Psalter, um ihm zu lauschen. Er wusste, dass er größeren Gewinn für seine Seele und sein Heil daraus gewinnen würde, als wenn er den Psalter anstimmte.

  • Lieber Helmut,


    den Gesang der Vögel höre ich natürlich auch und erfreue mich jeden Tag an der überwältigenden Landschaft. Damit ich das aber noch intensiver genießen kann, werde ich bei meinem nächsten Aufenthalt hier eine andere Lösung finden.


    Liebe Urlaubsgrüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das war nicht kritisch gemeint, was ich da schrieb. Damit Du mich recht verstehst, lieber Willi!
    Es waren Gedanken, die sich einstellten, als ich mich in die Situation versetzte, in der sich zurzeit Dein Leben ereignet.
    Imaginativ natürlich, denn wirklich ist mir derlei nicht möglich.
    Ich wünsche Dir schöne und erfüllte Tage dort, wo Du gerade bist.


  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Anne Oland, Klavier
    AD: 2001
    Spielzeiten: 7:39-8:15-3:14-5:58 -- 25:06 min.;


    Anne Oland ist im Kopfsatz etwas rascher als Tatjana Nikolajewa, aber doch wesentlich langsamer als John Lill.
    Auch hier besticht wieder ihr klares Spiel, der durchaus diesseitige Klang und der elegante Bogen im lyrischen Teil der Überleitung, in einem kraftvollen Schlusstakt (29) auslaufend.
    Sie spielt im Seitenthema die zweite Sforzandokette mit den verkürzten Notenwerte doch als Echo, wenngleich auch hier die Sforzandi deutlich hervortreten und in einen rhythmisch und dynamisch kraftvollen dritten Teil mit den Oktavwechseln übergehen.
    Auch die Schlussgruppe gestaltet sie dynamisch sehr kraftvoll, durchaus das Fortissimo erreichend. Natürlich wiederholt auch sie die Exposition.
    Die fünfteilige Durchführung beginnt sie moderat in der Einleitung, auch in der Konfrontierung bleibt sie dynamische etwas unter den Möglichkeiten der Partitur, aber im Ganzen bleibt ihr Vortrag organisch sehr geschlossen, ebenso im Austrag, in dem sie langsam in das Decrescendo des Friedens gleitet, also eine relativ undramatische, spielerisch betonte Durchführung, wie der ganze Satz. Im Frieden gestaltet sie auch die melodischen Verläufe im Tiefbass ganz unaufgeregt und fließend und vollführt in der Reprisenvorbereitung, dem fünften Teil, die sanfte Gegenbewegung in diese herrliche Pianissimofermate hinein.
    Auch die Reprise mit ihren etwas geänderten musikalischen Figuren trägt sie ruhig und rhythmisch exakt vor, wobei sie in der lyrische Sequenz der Überleitung wieder ins sanfte Schweben gerät. Im Seitenthema spielt sie ebenso überzeugend wie in der Exposition, wobei die Betonung immer auf dem Spielen liegt. Das Gleiche gilt auch für die Schlussgruppe.


    Im Adagio gehör Anne Oland auch zu den Schnelleren, bleibt aber noch deutlich über 8 Minuten und spielt weiter ruhig und gelassen. Auch dynamisch ufert sie nicht aus, sondern gestaltet das Crescendo ab Takt 6 moderat und sanft. Das gilt auch für die Sforzandokette in Takt 11.
    In der Überleitung nach dem Doppelstrich (ab Takt 13) steigert sie noch ihren Ausdruck in all seiner Sanftheit und gelangt zu überzeugenden Seufzern in den Takt 16 und 17, und das Seitenthema ist geradezu atemberaubend in seiner Schlichtheit. Auch die Zweiunddreißigstel in der Schlussgruppe ab Takt 24 atmen Ruhe und strahlen von innen heraus. Auch die dritte Seufzersequenz ab Takt 28 hat diesen beseligenden Ausdruck.
    Auch in der Durchführung bleibt sie bleibt sie beim moderaten Umgang mit den dynamischen Verläufen und lässt die Sforzandi organisch in den Ablauf tropfen. Auch die dynamischen Bewegungen im Durchführungskern haben in ihrer Lesart nur einen mäßigen melancholischen Überzug, und das Crescendo-Decrescendo am Ende der Durchführung führt kaum merklich in die "helle" Sphäre zurück, in der sie in der Reprise wieder die berührende Stimmung aus der Exposition zum Erblühen bringt. Wiederum zieht die Seufzersequenz an uns vorüber, und das Seitenthema in der nunmehr höheren Lage spielt sie herausragend. Mit der Schlussgruppe schließt sie einen grandiosen Satz würdig ab.


    Anne Oland setzt im Minuetto mit normalem Tempo das Spielerische, das Leichte, teilweise Schwebende fort, das sie in den ersten beiden Sätzen schon s natürlich entwickelte. Dazu gehört, dass sie auch in diesem lieblichen Satz keine dynamischen Brachialgewalten entfesselt, sonder zu Beginn des zweiten Minuettoteils den dynamischen Bogen organisch fortspinnt. In ihrem Vortrag hat man jederzeit das Gefühl, dass hier Klavier gespielt wird, nicht Schicksal.
    Im Minore setzt sie einen bewussten dynamischen und temporalen Kontrast, hält das Ganze aber in einem organischen fließenden Gesamtzusammenhang.


    Im Finale ist Anne Oland wieder mit Tatjana Nikolajewa und John Lill temporal gleichauf, nachdem sie im Minuetto etwas schneller war als Nikolajewa und etwas langsamer als Lill.
    Auch hier verliert sie nichts von ihrem sanften, wenn auch klaren Spiel. Man hört meines Erachtens mit jedem Ton, wie gern sie diese Sonate spielt und wie ernst sie auch andererseits jeden Ton nimmt.
    Wie wunderbar klingen doch auch bei ihr die Arpeggien im Seitenthema ab Takt 22 auf der Zwei.
    In der Schlussgruppe lässt sie in der hohen Oktave die Zweiunddreißigstel wunderbar fließen, im Tiefbass von den Achteln mit sanfter Kraft kontrastiert. In der nur aus dem Themenbeginn bestehenden und mehrfach wiederholten Überleitung führt sie sehr überzeugend zur Themenwiederholung hin.
    In der Durchführung erhöht sie die dynamische und leicht auch die dramatische Intensität, aber nur soweit, dass die Stimmung nicht gänzlich kippt. Schon die Art, wie sie die erste Zweiunddreißigstel-Sequenz spielt, zeigt, dass sie es nicht dazu kommen lässt.
    Auch der Durchführungskern mit dem bachischen Kondukt scheint mir nur vordergründig dramatisch, fast wie eine Parodie, und mit der zweiten Zweiunddreißigstelsequenz werden wir ja gleich in dieser Annahme bestätigt, die sanfte Überleitung führt uns dann zu einer unglaublich berührend gespielten Reprise hin, hier mit einer nochmals höher liegenden Arpeggiensequenz und einer kurz darauf folgenden wunderbaren hohen Themenoktave gefolgt. Auch der Ausklang dieser Sequenzen, wieder aus Themenanfängen bestehend, zeigt uns, wie einfallsreich und auf welch hohem Niveau schon der junge Beethoven komponiert hat und wie großartig die Ergebnisse sind, wenn Pianisten dieses Stück ernst nehmen, so wie hier Ann Oland.
    Wie wunderbar schließt sie in der Themenwiederholung doch die Sechzehnteltriolen und wenig später (ab Takt 173) die Sechzehntelduolen an, und schließlich die einzige, überaus wundersame Coda dieses Stückes.


    Eine grandiose Interpretation!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B.dur op. 22
    Gerhard Oppitz, Klavier
    AD: Februar 2005
    Spielzeiten: 7:20-8:30-3:32-6:23 -- 25:47 min.


    Gerhard Oppitz ist im Kopfsatz schneller als Anne Oland, hat aber auch diese leichte Art des Vortrags. Vielleicht ist er in der dynamischen Ausgestaltung gar ein wenig zurückhaltender, jedenfalls in der Exposition.
    Im lyrischen Abschnitt der Überleitung empfinde ich ihn noch etwas luzider als Anne Oland, diesen Eindruck habe ich auch im Seitenthema, so, als ob seine Klinge noch ein wenig sanfter über die Musik striche. Das setzt sich im dritten Teil des Seitenthemas in den Oktavwechseln fort, und auch in der Schlussgruppe bleibt sein Ausdruck dynamisch zurückhaltend.
    Gerhard Oppitz gehört m. E. auch zu den Pianisten, die der Spielfreude in dieser Sonate so wunderbar auf der Spur sind. Selbst verständlich wiederholt auch er die Exposition.
    Auch in der Durchführung lässt er dynamische Zurückhaltung walten, nicht jedoch rhythmische. Das merkt man auch in der Konfrontierung, in der die Fortissimi gar nicht so ins Gewicht fallen. Im Austrag fährt er sanft zurück, und im Frieden ist dur seine dynamische Handhabung ein klares Klangbild vorgegeben. Dadurch ist auch seine Annäherung in der Vorbereitung der Reprise im Crescendo ab Takt 120 unglaublich feinfühlig.
    In der Reprise mit den formal leicht veränderten Figuren setzt Gerhard Oppitz sein ungemein fein sinniges Spiel fort, ansonsten entsprechen die Ausführungen der Exposition.
    Auch in der Schlussgruppe bleibt Oppitz in seiner zurückhaltenden dynamischen Sichtweiser, organisch den ganzen Satz hindurch.


    Gerhard Oppitz bleibt auch zu Beginn des Adagios bei seiner zurückhaltenden Auslegung der dynamischen Ausdehnung der Sonate.
    In seiner schon im Kopfsatz absehbaren Spielweise gestaltet er auch den langsamen Satz trotz der vergleichsweise kürzeren Spielzeit ungeheuer abgeklärt und musikalisch sehr tief.
    Die Sforzandokette Takt 12 und die anschließende Überleitung sind unglaublich intensiv in ihrer Einfachheit. Der Ausdruck, den Oppitz hervorbringt, kann m. E. nur auf diese Art bewerkstelligt werden, durch Ruhe und kleinschrittige dynamische Bewegung. Auf diese Weise gerät auch das Seitenthema zur Offenbarung.
    In der Durchführung ist sein Ausdruck etwas dunkler als schon gehört, dennoch nicht zu sehr in die melancholische Tiefe abgleitend. Und so schließt sich in der Reprise wieder der moderate Kreis. Melodisch steigert sich er Ausdruck noch di die Verlagerung in die höhere Oktave. Das Seitenthema spielt auch Oppitz überwältigend, desgleichen die Schlussgruppe.


    Das Minuetto kommt Oppitz' Spielweise und Werkverständnis m. E. wiederum sehr entgegen, und auch in der temporalen Ausdehnung trifft er m. E. die von Beethoven gedachten Binnenverhältnisse sehr gut. Vor allem steht auch bei ihm wie schon bei etlichen Anderen Die Spielfreude im Vordergrund.
    Auch Oppitz zeigt wie jeder gute Bachspieler, wie gut er das Minore in der Gesamtzusammenhang einordnen kann und behält den Fluss der Musik bei.


    Im Finale ist Opptiz etwas langsamer als die zuletzt gehörten, Lill, Nikolajewa und Oland. Zugleich atmet seine Musik etwas ruhiger. Die Arpeggien des Seitenthemas gleiten etwas sanfter, und die Zweiunddreißigstel der Schlussgruppe scheinen einen etwas geschlosseneren Bogen zu bilden.
    Die Sechzehntel in der Überleitung entfalten sich ganz wie von selbst und führen ohne große Not in die Themenwiederholung hinein.
    Auch der Eintritt in die vergleichsweise dunkle Durchführung fällt bei Oppitz nicht so düster aus, wie auch gleich darauf Zweiunddreißigstel demonstrieren. Sie huschen in Oppitz' Lesart hurtig durch das musikalische Gelände. Auch der Durchführungskern (ab Takt 81 erscheint mir ohne dramatischen Zuschnitt. Nach der neuerlichen Zweiunddreißigstelhatz entspannt sich das ganze wieder und öffnet sich wieder zur beseligenden Reprise.
    Diese ist zu Beginn auch in Oppitz' Lesart in den Oktavwechseln von unglaublicher Intensität. Auch die Oktavenwechsel in den Zweiunddreißigsteln ab Takt 121 sind vom Feinsten, ebenso wie das nachmalige Seitenthema und die wunderbare Schlussgruppe, die auch unter Oppitz noch ein besonderes Bonbon in der erhöhten Themenoktav (ab Takt 153) bereithält, einfach, weil er es überragend spielt. Dem lässt er die gleichfalls berührenden Sechzehnteltriolen ( ab Takt 165) und Sechzehntelduolen (ab Takt 173) folge Auch die wundersame Coda gestaltet Oppitz als letzten Höhepunkt.


    Ebenfalls eine grandiose Aufnahme!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Murray Perahia, Klavier
    AD: August 1980
    Spielzeiten: 7:02-8:06-3:13-5:31 -- 23:53 min.;


    Murray Perahia beginnt den Kopfsatz in seiner gewohnt leichten, mozartinischen Art. Allerdings scheint es am Beginn der Aufnahme einen Fehler gegen zu haben, denn die Wiederholung des Auftaktes (Takt 2 mit Auftakt) fällt hier unter den Tisch. Perahia trifft das Spielerische des Kopfsatzes sehr gut. Auch in der Überleitung sind die dynamischen Abstufungen fließend, und im zweiten, lyrischen Teil beginnt er aus einem unglaublichen Pianissimo- grandios!
    Das Seitenthema beginnt er dynamisch stärker, aber nicht überbordend. Er behält seinen moderaten Gesamtrahmen in der Dynamik bei, wobei das Decrescendo am Ende der ersten Sforzandosequenz atemberaubend ist, und die zweite Sforzandosequenz ist nur etwas leiser. Im dritten, dem Sechzehntelabschnitt, bleibt der temporale Impetus im nah wie vor moderaten dynamischen Zusammenhang erhalten.
    Auch die dynamischen Gegensätze in der Schlussgruppe passen wunderbar zu dem vorher Gespielten. natürlich wiederholt auch Perahia die Exposition.
    Auch in der Durchführung, die nun doch eine Steigerung des dramatisch-dynamischen Impetus aufweist, bleibt er dem spielerischen Grundcharakter der Sonate treu, geht also auch nicht ganz auf die Fortissimo-Steigerungen. Dabei hat sein Spiel natürlich auch in den rhythmische Prägnanten Auf- und Abwärtsläufen eine von ihm stets gewohnte kristalline Klarheit der Strukturen und des dynamischen Verlaufes. Trotz des vergleichsweise niedrigeren dynamischen Pegels, oder vielleicht gerade deswegen, weiß man jederzeit, wo in der Sonate man sich gerade befindet, und in der Vorbereitung zur Reprise spielt er ein geradezu schulmäßiges Decrescendo.
    In der Reprise bleibt der zweite Auftakt nicht unterdrückt, was mich zu der Annahme verleitet, dass es sich am Beginn tatsächlich um einen Aufnahmefehler gehandelt hat.
    Die Reprise mit ihren musikalisch leicht geänderten Figuren spielt er in gleicher Weise leicht und luftig und mit der gleichen dynamisch-rhythmischen Geschlossenheit wie schon die Exposition. Perahia, von Bach und Mozart inspiriert, zeigt hier, wie der Weg logisch zu Beethoven führt.


    im Adagio gehört er naturgemäß auch zu den Schnelleren, nichtsdestotrotz aber auch zu den Gelassenen, wobei er die dynamischen Verläufe dennoch sehr genau nachzeichnet und nichts dynamisch einebnet. Dies ist vor allem im Takt 11 mit den drei Sforzandi sehr schön zu hören. Das spielt er so, wie es gehört.
    Die Überleitung ab Takt 13 mit Auftakt spielt er mit unglaublichem Ausdruck, am Ende mit sehr anrührenden Seufzern (Takt 16/17), und das Seitenthema in seiner kristallinen Schönheit gehört mit zu dem besten, was ich bisher in diesem Vergleich gehört habe. Auch die Art und Weise, wie er die Schlussgruppe spielt, die Zweiunddreißigstel, die man so falsch spielen kann, zeigt, wie genau er mit Beethoven atmet.
    Die Bedeutung der Durchführung hebt er m. E. auch dadurch hervor, dass er hier die Stimme stärker erhebt, ohne allerdings zu sehr ins Dramatische abzugleiten. Im Ganzen ist auch dies ein wunderbares Seelengemälde, das ein Pianist malt, der seinen Komponisten liebt. Das atmet selbst im "Moll" Ruhe und Frieden.
    In der Reprise wiederholt er das wunderbare Thema auf gleichem Höchstniveau, vor allem das Seitenthema ab Takt 65 hat es mir wieder angetan, gehörte es doch auch zu Beethovens größten Eingebungen.
    Murray Perahia erweist sich auch in diesem Satz als einer der größten Sachwalter des lyrischen Beethoven, und von dem gibt es eine ganze Menge.


    Wenn es überhaupt möglich ist, stellt das Minuetto nochmal eine (kleine) ausdrucksmäßige) Steigerung im Verlauf dieser Sonate dar, jedenfalls in der Interpretation Perahias. Auch der zweite Teil des Minuetto ist so geschlossen, dass es gar keine andere Interpretationsweise zu geben scheint..
    Und dann das "Bachische" Minore. Er spielt es runder als viele andere. Er zeigt, im Gegensatz zu Anderen, wie das fließt, und wie schön das ist, wenn das fließt, auch wenn es in "moll" ist.
    Nach Anhören dieses Satzes verstärkt sich in mir mehr und mehr der Eindruck, dass Murray Perahia möglicherweise zu den am meisten unterschätzten Beethoven-Pianisten gehört.


    Im finalen Rondo setzt Perahia seinen unglaublich leichtfüßigen, ja beinahe schwebende Vortrag fort, mit fließenden dynamischen Kurven, ohne Unterbrechung der melodischen Linie. Selbst der Übergang zum Arpeggien-Seitenthema fließt. Auch dieses erscheint uns in völliger Klarheit und führt in die Zweiunddreißigstel-Schlussgruppe, die er entspannt vorwärts fließen lässt. So setzt es sich in der Überleitung fort, an deren Ende er ein kurzes Accelerando einfügt, was durchaus schlüssig ist, auch, wenn es nicht in der Partitur steht.
    Wahnsinnig interessant ist Perahias Konzept der dramatischen Durchführung. nach den einleitenden Takten 66 bis71, die Dunkles verheißen, zeigt er ab Takt 72 wieder, dass auch dies nur Spiel ist. Die Zweiunddreißigstelsequenz ist ein virtuoses Stück, die zum nächsten leicht verdunkelten Abschnitt, dem "Durchführungskern" (ab Takt 8ß) hinführt.
    Diesen spielt Perahia in typisch bachischen Zuschnitt, fließend und unaufgeregt, wieder in die Zweiunddreißigstel-Sequenz hinein führend.
    Und dann folgt wieder die herrliche Reprise, die auch Perahia in den Zweiunddreißigstel-Oktavwechseln sehr anrührend spielt, auch die anschließenden Arpeggien ab Takt 135, und die ebenso beeindruckende Schlussgruppe. Das Thema in der hohen Oktave (ab Takt 153) spielt er dabei besonders lucide.
    Die letzten Themenwiederholung ist ebenso überzeugend, die drängend zur einzigen, der abschließenden Coda dieser Sonate hinführt, deren wundersamen Gehalt Perahia adäquat wiedergibt.


    Sicherlich eine Koreferenz!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    dass Perahia gerade diese Sonate besonders liegt, kann man sich schon denken! :D Ich muß mal schauen, ob ich die Aufnahme als Datei habe....


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Ich galube schon, dass du sie hast. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Alfredo Perl, Klavier
    AD: 1995
    Spielzeiten: 7:13-7:48-3:33-5:53 -- 24:27 min.;


    Alfredo Perl geht ähnlich feinfühlig an die Sache heran wie Murray Perahia, wobei er geringfügig langsamer ist, aber auch vielleicht ein wenig mehr an Dynamik zulegt. Vor allem lässt er es auch einfach laufen, betont auch den leichten Spielcharakter, was, richtig gemacht, gar nicht so leicht ist.
    Der zweite Teil der Überleitung, unter den Legatobögen, gerät auch bei ihm unglaublich.
    Auch seine Behandlung des Seitenthemas in seinen zwei Abschnitten unterscheidet sich kaum von der Spielweise Perahias, höchstens wiederum in etwas mehr Dynamik, was sich auch im letzten Teil des Seitenthemas mit den Oktavwechseln niederschlägt. Auch der letzte Teil der Exposition, die Schlussgruppe, gerät in seinen Dynamikwechseln sehr überzeugend und wieder etwas dynamischer insgesamt. Natürlich wiederholt auch Perl die Exposition. Auch die rhythmischen Verläufe der Exposition zeichnet Perl genau nach.
    Eine weitere Ähnlichkeit kann ich im Beginn der Durchführung feststellen, kein Drama um jeden Preis, sondern weiterhin ein, wenn auch thematisch verdunkeltes Spiel.
    In der Konfrontierung legt er die dynamisch-dramatische Ausgestaltung der Partitur abermals etwas kräftiger aus als Perahia, wobei sich auch bei ihm im dritten Teil der Durchführung, dem Austrag, dieser kontinuierliche Fluss der Melodie nicht nur in der hohen, sondern auch in der tiefen Oktave aus sich selbst her aus einstellt, faszinierend!
    Das sind eben die großen Melodiker und Lyriker, wobei ich Perl durch seine noble Zurückhaltung und Bescheidenheit und seine engagierte Lehrtätigkeit an der MHS Detmold sowie als künstlerischer Leiter des Detmolder Kammerorchesters vielleicht für einen der unterschätztesten Pianisten unserer Zeit halte.
    Auch im weiteren Verlauf der Durchführung im vierten Abschnitt "Frieden" besticht sein Spiel vor allem in der tiefen Oktave durch seine große strukturelle Klarheit und Präzision. Seine klare Linie mit einer immer gegenüber Perahia etwas erhöhten dynamischen Kurve behält er auch im letzten Teil der Durchführung, der Vorbereitung auf die Reprise, bei. nach dem etwas stärkeren Crescendo läuft die Durchführung in einem unglaublichen decrescendo mit endender pp-Fermate aus.
    Die Reprise spielt er mit dem gleichen mitreißenden Brio wie die Exposition und auch die rhythmischen Änderungen geraten sehr überzeugend.
    Sehr lauter ziehen noch einmal Hauptthema und Seitenthema mit ihren rhythmischen-dynamischen Rückungen an uns vorüber - ein grandios gespielter Satz!


    Im Adagio ist er nochmal etwas schneller als Perahia, aber m. E. dennoch so ruhig und entspannt, dass keinerlei Hast aufkommt. Die Musik atmet frei. Die kurze Überleitung ab Takt 13 mit Auftakt ist mit den Seufzern am Ende betörend, und das Seitenthema ist m. E. noch mal eine ausdrucksmäßige Steigerung. Solche Ruhe können nur große Pianisten verbreiten. Auch in der Zweiunddreißigstel-Schlussgruppe ist das zu verspüren, ebenfalls mit der anschließenden abgeklärten Achtel-Sequenz- meisterlich.
    In der Durchführung verbreitet er durch das stärkere dynamische Engagement so eine Ahnung von dramatischem Impetus, mehr aber soll es auch nicht sein, wobei die klangvollen Sforzandi am Beginn jedes Taktes das Ganze wunderbar strukturieren. und er auch die regelmäßigen dynamischen Kurven wunderbar nachzeichnet und so den kaum merklichen Wandel am Ende der Durchführung von Moll nach Dur aus sich selbst heraus erscheinen lässt.
    Ich meine, dass er sogar den Beginn der Reprise dynamisch noch ein wenig zurückschraubt. Da ist er ganz bei Perahia.
    Ich habe es geahnt, dass Perl so spielen würde, aber nicht gewusst, weil es schon Jahre her ist, dass ich diese Sonate zum ersten Mal von ihm gehört habe. Auch die Reprise atmet himmlische Ruhe. Manchmal glaube ich, dass sich so ernsthafte Pianisten wie Alfredo Perl gegen Ende eines Satzes anschicken, sich nochmals ausdrucksmäßig zu steigern. So geschieht es auch hier im Seitenthema in der hohen Oktave. Wie sagte der Rezensent zu Sokolovs Vortrag der Sonate Nr. 2 b-moll op. 35 Von Chopin 1992 über einen winzigen Ausschnitt im Trauermarsch: "Nicht ganz von dieser Welt". So möchte man es auch hier bezeichnen.


    Im Minuetto dreht Perl das temporale Karussell um, ist er langsamer und auch noch luzider und gelassener als Perahia. Jedenfalls sind die ersten acht Thementakte exorbitant. Mit dem etwas weniger an Tempo klingen auch die achtfolgenden Crescendotakte des zweiten Minuetto-teils noch eindringlicher und vergrößern zugleich den dynamisch-stimmungsmäßigen Kontrast zur Themenwiederholung ab Takt 17. Der pastorale Charakter diese Minuetto kommt bei Perl vielleicht noch ein wenig überzeugender rüber als bei dem etwas schnelleren Perahia.
    Auch im Minore findet perl zu einer etwas anderen Lösung als Perahia: seine Sforzandi sind weniger eingebunden, sondern strukturieren mehr, ein Umstand, der auch genau in das etwas höhere dynamisch-rhythmische Gesamtlevel passt.
    Auch Perl lässt natürlich das wunderbare Minuetto Da Capo noch einmal an uns vorüberziehen.


    Im Finale ist er nochmals langsamer als Perahia, wobei ich das aber bei beiden als gleichberechtige temporale Gestaltung ansehe. Auch bei Perl fließt es wunderbar, nur ein wenig langsamer, was angesichts der Tempobezeichnung "Allegretto" auch durchaus berechtigt ist. Es gibt noch langsamere Beispiele. Das Seitenthema mit den einleitenden Arpeggien spielt Perl wunderbar. Auch die Schlussgruppe ist vom Feinsten. ebenso wie die Überleitung, die organisch in die Themenwiederholung führt.
    Die scheinbar etwas vom melodiösen Wege abweichende Durchführung fällt auch bei perl nicht allzu grummelig aus, da wir zwar etwas mit dem Säbel gerasselt, mehr aber auch nicht. Die Zweiunddreißigstelsequenzen ab Takt 72 und 95 führen das Ganze wieder in ruhigeres Fahrwasser.
    Auch der Durchführungskern wirkt zwar etwas verhangener, aber m. E. nicht dramatisch. Das ist trotz allem immer noch spielerischer Charakter, und die tiefe Oktave ab Takt 103 bringt die endgültige Beruhigung.
    Die Reprise mit ihre geänderten musikalischen Figuren geht noch einmal ganz und gar unter die Haut.
    Grandios, wie er auch die kurzen Zweiunddreißigstel-Oktavwechsel spielt, und dann wiederum das Seitenthema mit den herrlichen Arpeggien und der anschließenden kunstvollen Zweiunddreißigstel-Schlussgruppe. Herrlich spielt er auch die höher liegende Themenwiederholung ab Takt 164 mit den himmlischen Sechzehnteltriolen und hinterher ab Takt 173 mit den Sechzehntelduolen.
    Auch die wundersame Coda ist bei Alfredo Perl in den besten Händen- wunderbar, wie er hier die Zweiunddreißigstel-Begleitung fließen lässt und die finalen Dynamik-Kontraste ausspielt.


    Ich habe nicht das Geringste gefunden, was gegen Alfredo Perl als neue Referenz spricht. Welch ein großer Beethoven-Pianist. Und Swjatoslaw Richter steht ja auch noch mit zwei Aufnahmen vor der Tür.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Maurizio Pollini, Klavier
    AD: Januar 1997
    Spielzeiten: 6:56-6:42-3:05-5:22 --- 21:53 min.;


    Pollini steigt in seiner früheren Aufnahme auch so luzide ein wie Perahia, spielt aber in der Überleitung in Takt 16 die Sechzehntel-Passage nicht so "übergangslos" und gleitend wie Perahia und Perl, sondern man spürt hier einen deutlichen dynamischen Ruck.
    In der zweiten Hälfte der Überleitung, der lyrischen, ist er aber im gleichen Elysium angekommen wie seine Kollegen.
    Auch das Seitenthema spielt er wie seine beiden Vorgänger rhythmisch und dynamisch entsprechend. Das gilt auch für die Oktavwechsel ab Takt 47. In der wundersamen Schlussgruppe wuselt er m. E. noch etwas tiefer im Pianissimokeller herum- sehr eindrucksvoll.
    natürlich wiederholt auch er die Exposition. Im Ganzen ist er, wie ich meine in den dynamischen Steigerungen und Kontrasten noch ein wenig stringenter als Perahia und Perl.
    Das gilt auch für die Durchführung, die dadurch noch mehr aus dem ganzen Satz herausragt, jedenfalls, was ihr dramatisches Gewicht betrifft. Wunderbar auch sein ganz kleinschrittiges Decrescendo im dritten Teil, dem Austrag, ab Takt 104, und auch im Tiefbass im Frieden ist er bestrickend, was um so mehr auch für das Crescendo und anschließende Decrescendo im fünften Teil der Vorbereitung der Reprise gilt.
    In der Reprise fällt nach dem Thema in der Überleitung ab Takt 138 wieder seine etwas zupackendere Art in der Dynamik positiv ins Gewicht. Dabei sei auch bemerkt, dass die Clarté seines Spiels wie immer exorbitant ist. Und ich meine, für das Seitenthema gilt das hier noch etwas mehr.
    Das ist noch mehr in der dynamisch kontrastreichen Schlussgruppe festzustellen.
    Mit dieser Interpretation des Kopfsatzes ist Pollini mit ganz oben an.


    Im Hauptsatz des Adagios fällt Pollinis rasches Tempo noch nicht so ins Gewicht, weil er auch Ruhe walten lässt. Allerdings fällt mir auf, dass er hier, im Gegensatz zum Kopfsatz, dynamisch erstaunlich zurückhaltend reagiert, vor allem im Sforzandotakt 11, wodurch überhaupt kein Effekt zum pp-Takt 12 eintritt. Die Stelle klingt bei Anderen ganz wunderbar.
    In der Überleitung ab Takt 13 mit Auftakt , den abschließende Seufzern, und dem anschließenden wunderbaren Seitenthema ab Takt 18 spielt er ganz unglaublich, und erst in der Zweiunddreißigstel-Schlussgruppe ist das hohe Tempo doch deutlich zu verspüren, allerdings dank seiner ruhigen Spielweise nicht ganz so gravierend und in den abschließenden Achteln natürlich auch nicht.
    In den ersten 8 Takten der Durchführung erreicht er durch eine aggressivere Dynamik ab Takt 33 eine selten zu hörende dynamisch-dramatische Wirkung, die durch die fünf Sforzandi sehr gut strukturiert wird. In der Folge ab Takt 39 beruhigt sich das Geschehen wieder und er führt am Ende der Durchführung ganz behutsam, kaum merklich ins Dur gleitend, zu Reprise, wobei er noch im letzten Takt (46) leicht und höchst eindrucksvoll retardiert.
    In der Reprise gilt das Gleiche wie in der Exposition, nur dass hier leider schon im Hauptsatz eine schnelle Zweiunddreißigstelpassage auftaucht. Dadurch haben wir das "Vergnügen" mit den Zweiunddreißigstel gleich zweimal, negativ wie hier wie auch positiv bei anderen, die das im m. E. richtigen Tempo spielen. Ansonsten spielt Pollini auch hier die Achtelpassagen äußerst anrührend, so dass man den Frieden spürt, der in dieser Musik steckt.
    Sein hohes Seitenthema (ab Takt 66 mit Auftakt) ist an innerer (und äußerer) Schönheit kaum zu übertreffen, leider wieder auch der erste Teil der Schlussgruppe an zu hohem Tempo.
    Dieser Satz verhindert natürlich bei mir eine Spitzenwertung, aber längst nicht so krass wie bei anderen.


    Im Minuetto zeigt Pollini wieder, aus welchem Holz er wirklich geschnitzt ist. Auch wenn andere Meinen, das sei nur ein Übergangs(füll)satz zwischen adagio und Finale, halte ich ihn doch für überaus wichtig, weil er, wie stets bei Beethoven, dazu herausfordert zu zeigen, wer wirklich ein Meister ist. Pollini ist zweifellos einer, einer der größten Lebenden dazu. Bei einem Zweiten warte ich noch, dass er mehr von Beethoven einspielt.
    Es klingt vielleicht komisch, wenn ich das sage, aber ich meine, dass Pollini diesen Satz noch wesentlich ruhiger atmen lässt als das Adagio. Auch das Minore fließt ruhig und atmet- grandios!
    Ich meine, dies sei eines der besten Minuettos insgesamt, bis hierhin!


    Auch zu Beginn des Rondos lässt sich feststellen, dass Pollini Sowohl den musikalischen Fluss als auch die dynamischen Verläufe maximal deutet und wiedergibt. Das ist ganz große Pianistik. Auch im Seitenthema mit den wundersamen Arpeggien als auch in der Zweiunddreißigstel-Schlussgruppe mag man ihm zurufen: Genauso gehört es gespielt! Die Überleitung zur Themenwiederholung und Dieselbe schließt er mit unveränderter Luzidität an.
    Zu Beginn der Durchführung zeigt Pollini, dass er auch hier hauptsächlich den Spielcharakter in den Vordergrund stellt, nicht den dramatischen Impetus. Und dies setzt sich in der witzigen Zweiunddreißigstelsequenz fort, alles so, wie es m. E. Beethoven gemeint hat: dies ist keine existenzielle Sonate, sondern eine spielerische.
    Auch der Durchführungskern mit der bachischen Prägung offeriert den spielerischen Charakter. Das ist alles licht und leicht, und Pollini spielt die Zweiunddreißigstelsequenzen überragend. Wie entspannt klingt auch die Überleitung ab Takt 103-grandios!
    Wie richtig klingen hier die Zweiunddreißigstel (Takt 118ff, im Gegensatz zum Adagio). Herrlich auch, wie locker sich Pollini die Sechzehnteloktavwechsel ( ab Takt 121) aus dem Handgelenk schüttelt. herrlich auch wiederum das hohe Seitenthema, die anschließende Schlussgruppe, all das fließt ganz natürlich und klar und mündet in das unglaubliche hohe Thema ab Takt 153). Auch die Sechzehnteltriolen und die nachfolgenden Sechzehntelduolen in der Themenwiederholung ab Takt 165 mit Auftakt spielt Pollini grandios, ebenso wie die ab schließende wundersame Coda.


    Eine große Interpretation, trotz der genannten Irritationen im Adagio!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate B-dur op. 22
    Maurizio Pollini, Klavier
    AD: 2012
    Spielzeiten: 6:40-6:13-3:01-5:16 -- 21:10 min.;


    Maurizio Pollini ist in seiner späten Aufnahme in allen Sätzen etwas schneller als in der 15 Jahre zuvor entstandenen, was aber im Kopfsatz kaum ins Gewicht fällt.
    Im Gegenteil, der temporale, aber auch der dynamische Impetus, und damit die Überzeugungskraft des 70jährigen, die in diesem Kopfsatz steckt, ist sicherlich noch ein wenig stärker als die des 55jährigen. , zumal in der unglaublichen Steigerung der letzten beiden Takte des Hauptthemas.
    Die Clarté, die ich in der ersten Aufnahme schon so bewundert habe, hat m. E. noch ein wenig zugenommen, auch das zweite Crescendo ab Takt 27 in der Überleitung birst schier vor Brio. Im Seitenthema ist nun in den ersten beiden in den Notenwerten unterschiedlichen Sequenzen doch ein moderater Echoeffekt festzustellen, und im dritten Teil des Seitenthemas in den Oktavwechseln rumort es auch noch ein wenig stärker. Das gilt auch für die Schlussgruppe, wo er sich auf jeden Fall dynamisch deutlich von Perahia und Perl absetzt.
    Wie schön, dass wir diese grandiose Exposition noch einmal hören dürfen.
    Auch in der Durchführung verlässt Pollini den spielerischen Pfad dieser Sonate nicht, auch nicht durch die Molleintrübung. Das Brio läuft einfach weiter. Auch in der Konfrontierung liegt m. E. das Hauptaugenmerk auf den dynamischen Kontrasten bei gleichbleibendem temporalen Schwung, und im Austrag fließt es ebenso weiter wie vorher. Auch die Bögen im Tiefbass halten nicht inne. Und bei alledem herrscht weiter höchste klangliche Klarheit. Der letzte Teil der Durchführung, die Vorbereitung der Reprise, erfährt durch Pollinis stärkeren dynamischen Zugriff einen etwas anderen klanglichen, aber nicht minder überzeugenden Charakter, der von der stark decrescendierten pp-Fermate atemberaubend abgeschlossen wird.
    In der Reprise wird in Pollinis Lesart durch die musikalische Verkürzung die hier ausgedrückte Spielfreude noch gesteigert- grandios!
    Auch der lyrische Teil der Überleitung wirkt in der höheren Lage noch überzeugender und luzider als bei Perahia und Perl. Auch das "Glockenspiel" im Seitenthema gerät wieder sehr überzeugend, ebenso wie die Oktavwechsel im letzten Teil des Seitenthemas und die wundersame Schlussgruppe.
    Mit das Beste, was ich bisher im Kopfsatz gehört habe.


    Obwohl das Adagio nochmal eine gute halbe Minute schneller ist als in seiner ersten Aufnahme, verfällt Pollini nicht in den Fehler, die Ruhe und Gelassenheit zu verlieren, die ihn schon in seiner früheren Aufnahme ausgezeichnet haben. Die Frage ist, zu welchem Ausdruck er erst gelangt wäre, wenn er für den Satz zwei Minuten mehr verwendet hätte.
    Die Überleitung und das Seitenthema spielt er ebenfalls sehr anrührend mit der einmal absteigenden und zum Anderen aufsteigenden Seufzerkette. Leider fällt naturgemäß die Zweiunddreißigstel-Schlussgruppe etwas aus dem Rahmen. Das kann er nicht mehr auffangen, das muss er so schnell spielen, damit die temporalen Binnenverhältnisse zu den Viertel-, Achtel- und Sechzehntel-Sequenzen gewahrt bleiben.
    In der Durchführung, die in der ersten Hälfte in der oberen Oktave und in der zweiten Hälfte auch in der unteren Oktaven nur aus Sechzehnteln besteht, fällt m. E. da nochmal erhöhte Tempo durchgehend ins Gewicht. Das ist doch schon alles sehr adagiofern, und ich kann da außerdem in den jeweiligen Phrasenmitten auch die dynamischen Akzente nicht so vernehmen, wie es wünschenswert wäre. Da schafft erst wieder der Beginn der Reprise mehr Ruhe ins Geschehen, obwohl hier ja die Zweiunddreißigstel schon eher ins Geschehen eingreifen, aber in den Achtelpassagen lässt er die Musik wieder durchatmen. Hier geht die Sonne wieder auf ((Takt 57ff.) Die nachfolgende Seufzerkette ab Takt 61 mit dem sehr deutlichen Sforzando in der Mitte (Takt 63 auf der Eins) ist wieder grandios gespielt, was durch das nachfolgende elysische Seitenthema vielleicht noch getoppt wird, allerdings nur bis zum nun wieder forschen Schlussgalopp der Zweiunddreißigstel-Schlussgruppe, die aber ihrerseits vier wunderbare Achtel-Takte zum Abschluss hat. Wenn ich ehrlich sein soll, hat mir der langsame atz in der früheren Aufnahme näher gelegen.


    Aus wiederum ganz anderen Holz ist da natürlich das Minuetto geschnitzt, das nur unwesentlich schneller ist als 15 Jahre zuvor. ihm kommt ebenfalls der stärkere dynamische Zugriff Pollinis zu Gute, wodurch zum ersten Mal in den letzten Aufnahmen wieder das Fortissimo in Takt 10 voll erreicht wird. Ansonsten ist auch dies ein Satz durchaus pastoralen Charakters, gespielt von einem Meister, der diesen Satz auch ernst nimmt. Hier zeigt Pollini abermals, welch ein Meister der Lyrik er auch ist.
    Im Minore zeigt er auch, dass ihm das "Bachische" durchaus nicht fremd ist und was Beethoven daraus gemacht hat. Am Schluss hören wir natürlich das wunderbare Minuetto noch einmal (natürlich senza replica).


    Auch im finalen Rondo ist er nur unwesentlich schneller als in der früheren Aufnahme, und auch hier lässt er die Musik atmen, atmen. Auch hier fällt sein energischerer dynamischer Impetus positiv ins Gewicht.
    Das Crescendo im Arpeggienbeginn des Seitenthemas wirkt hier fast wie ein Sonnenaufgang, und in der nun folgenden Schlussgruppe dürfen die Zweiunddreißigstel so schnell fließen, denn dies ist ja ein Allegretto, kein Adagio. Auch die Überleitung, aus Sechzehnteln aufsteigend, im Bogen in die Zweiunddreißigstel übergehend, ist ebenso einfach wie genial und von Pollini kongenial gespielt und wieder in das herrliche Thema übergehend, und die Stimmung ist so ansteckend, dass sie auch durch die vorübergehende Verdunklung der Durchführung nicht eliminiert werden kann, denn nach wie vor feiert der Spielcharakter, vor allem hier wieder in den Zweiunddreißigstel fröhliche Urständ, und man merkt Pollinis Spiel an, wie er diese Passage genießt.
    Und im Durchführungskern: "Same Procedure as in Minore", auch hier wieder Verdunklung, aber ohne das Spielerische aus den Augen zu verlieren, was durch die neuerlichen Zweiunddreißigstel (ab Takt 95) dokumentiert wird. Und dieser Passagen spielt er exzellent. Freund Liebestraum würde jetzt sagen: Er rast wie ein TGV durch die Partitur. Soll er doch. Hier darf er es.
    Und in der Reprise mit ihren etwas geänderten musikalischen Formen haben wir mit den Oktavwechseln einen weiteren Höhepunkt erreicht. Auch das spielt Pollini unglaublich. Auch Seitenthema und Schlussgruppe ziehen in ihrer von innen heraus leuchtenden Schönheit an uns vorbei und greifen uns dabei tief in unserem Inneren an.
    Am Ende der Schlussgruppe serviert uns auch Pollini 2012 das Thema in der hohen Oktave auf dem goldenen Silbertablett. In der Themenwiederholung sind auch seine Sechzehnteltriolen und Sechzehntelduolen eine pianistische Offenbarung. Wie leicht sie doch durch das musikalische Geschehen tanzen. Und am Ende präsentiert uns Pollini diese wundersame Coda mit ihren rhythmisch-dynamischen Kontrasten, aber auch mit ihren geschmeidigen Formen.


    Mit einem anderen Adagio wäre dies meine neue alleinige Referenz gewesen.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Swjatoslaw Richter, Klavier
    AD: 1963
    Spielzeiten: 7:24-9:06-3:18-5:32 -- 25:20 min.;


    Swjatoslaw Richter beginnt den Kopfsatz in dieser früheren Aufnahme aus 1963 dynamisch etwas moderater als Pollini in seiner zweiten Aufnahme, aber mit mindestens der gleichen lyrischen Zartheit wie der italienische Meister. Im lyrischen Abschnitt der Überleitung ist er schon gleich in der elysischen Sphäre. Im Seitenthema poduziert auch er runde, sonore Glockenschläge, spielt aber vielleicht ein noch luzideres Decrescendo (ab Takt 35 auf er Zwei) als sein italienischer Kollege. Im Gegensatz zu diesem und den Herren Perl und Perahia verzichtet er aber im zweiten Teil des Seitenthemas auf den Echoeffekt und behält stattdessen den glockigen Ausdruck bei, was dieser sequenz eine ungewohnte Frische verleiht. Im dritten Teil steigert er dafür nicht so stark, sondern behält eine etwas gemäßigtere dynamischere Linie bei, womit er tief in das Pianissimo der Schlussgruppe eintaucht, um aber überraschenderweise in Takt 62 einen umso größeren dynamischen Kontrast zu schaffen-ein wunderbares Überraschungsmoment!
    Natürlich wiederholt auch er die temporal moderate Exposition.
    In der Durchführung präferiert er auch einen gehörigen dynamischen Kontrast, durchaus schon in der Einleitung des Fortissimo beachtend, ebenso die Fortissimi in der Konfrontierung doch zumindest in etwa erreichend. Dann im austrag lenkt er den dynamischen Bogen etwas eher nach unten und ist so im Frieden wieder nahtlos im Pianissimokeller angekommen. Die Vorbereitung der Reprise ist an dynamisch moderaten Bögen und anrührender Wirkung nicht mehr zu überbieten. Das ahb e ich so überzeugend noch nicht gehört, und das zeigt mir, dass es immer noch wieder einen geringfügig anderen weg gibt, und Richter weiß ihn.
    Die Reprise gestalte er denn auch genauso grandios wie die Exposition mit den gleichen dynamischen Höhepunkten.


    Der eigentliche Höhepunkt dieser Aufnahme ist m. E. das Adagio- welch ein langer Atem, welche ein konsequenter Pianisssimobeginn, und welch ein behutsames, aber doch deutliches Crescendo in Takt 6, und auch die Sforzandi in takt 12 sind deutlicher als die bei Pollini, auch seil er vorher leiser war.
    Der Hauptunterschied ist jedoch das endlich richtige Tempo, endlich ein Adagio, was wir allerdings in der ersten Hälfte dieses Threads auch schon des öfteren gehört haben, z. B. von Gilels.
    So sitzt z. B. die Überleitung ab Takt 13 mit Auftakt und das anschließende Seitenthema einfach überragend. Keiner kann das besser spielen als der ukrainische Großmeister. Ein großer Unterschied ist auch in der Zweiunddreißigstelsequenz der Schlussgruppe zu hören, da atmet die Musik einfach so, wie sie laut Partitur atmen muss, und schon stellt sich beim Hörer das Glücksgefühl ein. Auch die Achtelsequenz am Ende der Schlussgruppe spielt Swjatoslaw Richter einfach unglaublich.
    In der Durchführung strukturiert Richter wunderbar durch die gleichwohl moderat angeschlagenen Sforzandi und behält aber den gleichmäßigen ruhigen Atem der Musik bei. Auch die gelinden dynamischen Akzente in der Mitte der jeweiligen Phrasen spielt er moderat aber deutlich. Wie sollte man präziser einen 9/8-Takt spielen?
    Der geneigte Leser wird auch bemerkt haben, dass ich hier nichts erzählt habe von der Stimmungsverdunklung, einfach, weil sie hier nicht so ins Gewicht fällt, weil Richter auch hier auf dem Spielcharakter der Sonate beharrt.
    Das Wunderbare an diesem "richtigen" Tempo ist, dass hier die "Zweiunddreißigstelpassagen in Schlussgruppe und Reprise nicht aus dem musikalischen Zusammenhang herausfallen, sonder in ihn nahtlos integriert werden. , und so ist diese Musik eine einzige elysisch-pastorale Melodie.
    Richter in seinem unendlich zaubrischen Vortrag steigert sich am Schluss noch in atemberaubende lyrische Wendungen.
    Das Seitenthema ab Takt 65 ist unübertrefflich, und das Adagio ist insgesamt das Beste, das ich bis hierhin gehört habe.


    Das Minuetto ist im ersten Teil an einfachem, natürlich Spiel nicht zu übertreffen, was sicherlich sehr schwierig ist. Im zweiten Teil bleibt er dynamisch deutlich unter Pollinis Fortissimo. Das Ganze klingt noch etwas runder.
    Da Minore weist ihn unverzüglich als herausragenden Bachspieler aus und zeigt hier gleichzeitig die Schnittstelle zwischen Bach und Beethoven auf
    Das wunderbare. in seiner Interpretation beinahe jenseitige Minuetto spielt er natürlich noch einmal.


    Im finalen Rondo hält Richter natürlich das bisher erarbeitete Niveau mühelos, und was ich bisher in den ersten drei Sätzen so über die Maßen bewundert habe, behält er auch hier bei:
    er betrachtet die Überleitungen nicht als dynamische Zwischenhöhepunkte, sondern spielt sie als fließende Verbindungen. Das fiel mir sofort vor dem ersten Seitenthema auf, in dem er die Arpeggien wunderbar natürlich spielt. Auch die Schlussgruppe lässt er so selbstverständlich hinterher fließen.
    Zweite Überleitung unt Themenwiederholung folgen in gleichem Duktus.
    Auch Richter begeht natürlich nicht den Fehler, die Durchführung zu sehr zu dramatisieren. Er sielt sie markant an und leitet dann sofort zauberhafte Zweiunddreißigstelsequenz über. Auch der Durchführungskern verbleibt im normalen fugativen Verlauf.
    Auch im neuerlichen Übergang (ab Takt 103) färbt sich sein Klan schon etwas eher positiv als bei anderen, und dann lässt er einen wie aus dem Nichts entstehenden Reprisenbeginn folgen, so sanft,a ber auch so bestimmt.
    Seine kurzen Oktavwechsel (ab Takt 121) sind unglaublich, auch seine Arpeggien und seine Schlussgruppe sind wiederum grandios, wobei letztere in eine besonders anrührende hohe Oktave des Themas mündet.
    Selbstredend, dass Richter auch die Sechzehntel-Triolen un die darauf folgenden Sechzehntelduolen herausragend spielt, was natürlich auch für die wundersame Coda gilt.


    Das ist m-E. sicherlich die beste Aufnahme, die ich bisher von der 11. Sonate gehört habe, aber da hatte ich mit gerechnet, ich hatte sie ja schon vor einigen Wochen auf Teneriffa gehört, nur, dass mir da die Noten fehlten..


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    von Richter hat man ja so viel - aber ausgerechnet op. 22 fehlt mir! Damals brachte Philips mal diese große Box raus mit den einzelnen 2er-Boxen in Extrahülle, die auch einzeln veröffentlicht wurden. Von Beethoven gab es zwei oder drei nach meiner Erinnerung - davon habe ich eine mit op. 90 und op. 14 1 u. 2 - nur op. 22 ist da nicht drin. Vielleicht war sie in der anderen Beethoven-Box. Hier, auf der von Dir abgebildeten, ist es eine andere Zusammenstellung und diese CD ist wohl vergriffen. In Prag hat er nur op. 26 gespielt, so muß ich also bei Richter leider passen!


    Perl werde ich mir natürlich noch anhören und auch die beiden Pollini-Aufnahmen - hoffentlich bis Ende der Woche. Perahia hatte ich vielleicht sogar mal kurz besprochen, kommt mir in den Sinn - ich weiß es selbst nicht mehr. (Vielleicht kannst Du Dich erinnern!) :D :D Also werde ich mir diese 4 Aufnahmen vorknöpfen - vielleicht bekomme ich ja auch noch den Richter auf dem "kleinen Dienstweg"! :D


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Richter ist natürlich immer Richter - eine Qualität für sich. Von op. 22 gibt es zwei Aufnahmen - eine von 1962 und eine sehr viel später von 1994.


    Von der 1962iger Aufnahme der eindruckendste Satz ist sicher der zweite, langsame. Da ist das zu hören, was Richter so unvergleichlich kann, Empfindsamkeit mit unerhörter Schlichtheit, Strenge und Natürlichkeit gespielt. Ansonsten muss ich sagen, fehlt mir in der Gesamtinterpretation der Sonate doch etwas die Ausgewogenheit. Im Kopfsatz wird es zunächst etwas grimmig, dann wieder großflächlich. Im Trio (oder Durchführungsteil) des Scherzo wird das Tempo angezogen. Natürlich ist Richter zu hören immer spannend, aber ich würde mal sagen, auf der Richter-internen Werteskala von 1-10 liegt die Appassionata bei 10, die op. 22 von 1962 so bei 7-8. :D


    Ganz anders die 1994iger Aufnahme. Am Anfang unruhiger, aber auch viel konsequenter durchgestaltet mit der Entdeckung von rhythmischen Figuren der erste Satz. Man merkt allerdings auch das Alter - die Leichtigkeit von 1962 ist nicht mehr so da. Der langsame Satz ist viel flüssiger, das Scherzo moderater und in den Tempi konstant. Am besten gefällt mir hier das Finale. Wie er da die Fuge quasi seziert - toll!


    Wie gesagt - Richter bei Beethoven ist immer beeindruckend. Nur speziell bei diesen beiden Aufnahmen muss ich sagen: Sowohl was die interpretatorische Geschlossenheit als auch die Klangästhetik angeht kommen beide Mitschnitte - im internen Neuhaus-Schüler-Vergleich :D - dann doch nicht an die phänomenale Gilels-Aufnahme heran!


    Schöne Grüße
    Holger



  • Maurizio Pollini zeigt exemplarisch, wie man wirklich konsequent eine interpretatorische Idee umsetzt auf sehr persönlich-unverwechselbare Weise, wie es selbst großen Interpreten nicht immer gelingt. Er nimmt das „con brio“ des Sonatenallegro Ernst, macht aus dieser spielerischen Sonate ein von Anfang an unruhig drängendes Stück, was von der vorwärtstreibenden Bewegung getragen wird. Da gibt es motivische Auslösungen, Hemmungen, Stauchungen – wobei sein Spiel in beeindruckender Weise unakademisch ist: So wird auch schon mal etwas sensibel empfunden überraschend zurückgenommen, eine andere emotionale Facette gezeigt. Ein emotional höchst vielschichtiger, fantasiereicher Vortrag, unterstützt von Pollinis herausragender pianistischer Anschlagskunst, seiner Fähigkeit, dem Klavierton Fülle, schillernde Farbe und Saft zu geben und wenn es sein muss auch Kraft. Nicht nur treibt Pollini aus dem ersten Satz förmlich ein aufgewühltes Seelenleben heraus, auch der zweite Satz schließt sich dem bruchlos an. Der Vergleich mit seinem älteren Konzertmitschnitt zeigt, dass er in dieser späten Studioaufnahme einfach noch viel konsequenter den eingeschlagenen Weg zuende geht. Da wird der begleitende Rhythmus zur pochenden, pulsierenden Kraft, der die Bewegung vorantreibt und ist eben nicht nur flächige Begleitung für eine wunderbar „italienisch“ ausgesungene, kantable Melodie. Der ältere Konzertmitschnitt ist sicher wunderschön, auch da ist Pollinis Ansatz der Beseelung schon spürbar, aber er bleibt letztlich doch noch im Rahmen einer „klassischen“ auf Formklarheit bedachten Darstellung. Das ist zweifellos sehr beeindruckend – vor allem auch wunderschön gespielt – aber die späte Aufnahme hat ihre Ausnahmequalität eben in dieser Konsequenz, das „con brio“ radikal zu nehmen, als eine alles durchdringende Beseelung und Subjektivierung der Musik, die letztlich alle vier Sätze ergreift. Die Tempowahl sowie die Wahl der wechselnden, kontrastierenden Charaktere der Themen der verschiedenen Sätze, sie stimmen einfach absolut: so und nicht anders kann es in diesem Pollini-Konzept nur sein. Für mich gehört diese Aufnahme zu den absolut herausragenden – auf eine Stufe mit Gilels, Michelangeli, Feinberg oder Arrau – Richters wenn auch nicht immer unanfechtbare, „durchwachsene“ Darstellung ist natürlich ebenso eine Ausnahmeerscheinung.


    Dagegen fällt Alfredo Perl für mich deutlich ab. Er versucht im ersten Satz spürbar die akademische Langeweile zu vermeiden – aber es wird leider nur der Ton forciert und Akzentuierungen etwas überdeutlich herausgehoben bei einem insgesamt metallischem, ästhetisch weniger schönen Klang. Akademische Tadellosigkeit mit ein bisschen rhetorischer Würze aufgepeppt – das ist eindeutig zu wenig, um den Hörer von diesem Beethoven-Satz wirklich einzunehmen. Der langsame Satz ist eine komplette Enttäuschung: eher einfalls- und ein wenig indifferent wirkend im Ausdruck und der Finalsatz gerät dann doch zu bieder. Da hat ein Svjatoslav Richter, auch wenn seine Darstellung nicht so ganz geschlossen ist, mit seiner insgesamt ungemein spannenden, hoch komplexen Aussage dann doch ganz andere Qualitäten.


    Es folgen noch Murray Perahia und Claude Frank. :)


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Lieber Willi,


    es steht Deine Besprechung von Richter 1994 noch aus. :D Ich warte gespannt! Zur Sicherheit habe ich nochmals geschaut, welche Aufnahmen ich bereits durchgehört hatte. (Für einen "Opa" inszwischen, der ich nun auch schon bin, ist das mittlerweile nötig! :D ) Tatsächlich fehlen aus meinem Bestand Perahia und Claude Frank. Jetzt fällt mir ein - Schnabel habe ich natürlich ebenfalls noch! Also sind es drei. Dieser Thread hat doch sein Gutes! :D Dann mache ich meine ganz persönliche Bestandsaufnahme. Vielleicht können wir sie am Ende mal "abgleichen" - das wird für die Mitleser hier eventuell interessant.


    Zu Pollinis Tempogestaltung kann man finde ich auch noch einige - diskussionwürdige - Anmerkungen machen.


    Herzlich grüßend aus dem schwülen Münster
    Holger

  • Die CD lasg schon seit gerstern Abend bereit, aber dann habe ich mich doch dem Fußball hingegeben und das Ganze heute Nachmittag erledigt:



    Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Swjatoslaw Richter, Klavier
    AD: 3. 7. 1994, Wildbad Kreuth
    Spielzeiten: 8:05-7:50-3:27-5:54 -- 25:15 min.;


    Swjatoslaw Richter ist 1994 in Kreuth doch signifikant langsamer als 32 Jahre zuvor und auch erheblich langsamer als Pollini und im Gegensatz zu diesem in der älteren Aufnahme langsamer als in der früheren, während Pollini, der bei der Aufnahme 2012 mit 70 Jahren neun Jahre jünger ist als Richter 1994, in der späteren Aufnahme nochmal an Tempo zulegt.
    Hier ist er im Kopfsatz rund eineinhalb Minuten schneller als Richter. Dieser ist aber bei dem langsameren Tempo nicht etwa langweilig geworden, sondern, wie ich meine, nur entspannter und geht m. E. noch ein wenig mehr in die musikalische Tiefe.
    Dynamisch legt er noch etwas zu, der Klang ist natürlich voller und präsenter, schon von der Aufnahmetechnik her. Dieses langsamere Tempo verleiht dem zweiten, lyrischen Teil der Überleitung noch etwas mehr ätherischen Glanz, und er spielt ein sehr ausdrucksvolles Crescendo (ab Takt 27).
    Im Seitenthema verzichtet er in den glockigen Sforzandoketten wieder auf den Echoeffekt im zweiten Teil, was wiederum auch sehr überzeugend klingt. In den Oktavwechseln zur Schlussgruppe hin wählt er einen mittleren dynamischen Weg mit sehr feinen Abstufungen. Hier ist er aber schon zu Beginn der Schlussgruppe etwas stärker und spielt in Takt 62 ein vehementes Fortissimo und insgesamt dynamisch eine sehr kontrastreiche Schlussgruppe. Natürlich wiederholt er auch hier die Exposition.
    Die Durchführung beginnt er mit den gleich starken dynamischen Kontrasten, mit denen er die Exposition beendet hat, sowohl in der Einleitung als auch im zweiten Teil, der Konfrontierung, die ich selten dynamisch so markant gehört habe. Hier kommt keinesfalls der Eindruck von Beliebigkeit auf, sondern schon eher der von dramatischer Verdichtung, und er hält den dynamischen Level im Austrag lang hoch, länger als mancher andere und fasst das Decrescendo zum Frieden hin relativ kurz. Dieser und der letzte Teil der Durchführung, die Vorbereitung der Reprise, spielt er unglaublich intensiv und klar im Klang mit dem atemberaubenden Crescendo ab Takt 120 und dem anschließenden Decrescendo ab Takt 124 in die pp-Fermate hinein- grandios!
    Die Reprise mit ihren musikalisch leicht geänderten Figuren spielt er genauso überzeugend wie die Exposition, wobei ich meine, dass er die absteigenden Forti in den Takten 181 und 182 noch kraftvoller spielt als 132 Takte zuvor, in den Takten 50 und 51. Dafür nimmt er die Dynamik am Beginn der Schlussgruppe etwas zurück gegenüber der Exposition und vergrößert auf diese Weise noch einmal den dynamischen Kontrast in der Schlussgruppe, als wäre sie eine Coda, was sie ja nicht ist.


    Im Adagio ist Richter diesmal deutlich schneller als in der frühen Aufnahme, um 75 Sekunden, aber auch hier kommt noch kein Eindruck von Eile auf, wenngleich ich meine, dass die Ausdruckstiefe in der frühen Aufnahme noch größer gewesen sei.
    Die Überleitung und das Seitenthema (Takt 13 mit Auftakt bis 23) spielt er wieder überragend, wonach anschließend die Zweiunddreißigstel-Sequenz in der ersten Hälfte der Schlussgruppe dann doch ein wenig verhuscht klingt, wie bei allen Interpretationen dieser Zeitdauer, was wieder besonders deutlich wird in den Achtel-Takten 27 bis 30, in denen die Musik wieder ganz entspannt und tief atmen darf.
    In der Durchführung mit den durchlaufenden Sechzehnteln atmet die Musik zwar noch ruhig, aber gleichsam doch deutlich rascher als in seiner frühen Aufnahme. Ansonsten ist das dynamisch auch in dieser Aufnahme großartig gespielt.
    In der Reprise taucht ja die erste rasche Zweiunddreißigstel-Sequenz schon nach drei Takten auf, kurz drauf gefolgt von einem weiteren zweiunddreißigstel-Takt (53). Erst in Takt 54 kehrt wieder mehr Ruhe ein, und dann ziehen die beseligende Überleitung mit den berührenden Seufzertakten und das überirdische Seitenthema, diesmal in der höheren Lage, an uns vorüber, bevor das Geschehen in den schnellen Zweiunddreißigsteltakten der Schlussgruppe aus der musikalischen Tiefe wieder auftaucht, letztlich aber noch einmal von den anrührenden abschließenden Achteltakten wieder ausgeglichen wird.
    Also ich empfinde doch schon einen deutlichen Unterschied in der musikalischen Tiefe zu Gunsten des frühen Adagios von 1962, aber das mag nicht jeder so sehen.


    Im Minuetto ist Richter sogar etwas langsamer als 1962. Was kaum möglich schien nach dem herausragenden Minuetto von 1962, scheint hier zu geschehen, zumindest im ersten Teil, in dem ich nochmal eine Steigerung im Ausdruck empfinde. Auch im zweiten Teil ist er, was die Dynamik betrifft, deutlich näher an Pollini dran. Ich finde, je einfacher und natürlicher dieses Minuetto klingt, desto besser ist es gespielt, so wie hier.
    Das Minore spielt er sehr energisch und mit deutlichen höherem Grundtempo, in quasi klassischer Strenge und schließt dann noch einmal das grandiose Minuetto senza replica an.


    Im finalen Rondo Allegretto ist Richter auch etwas langsamer als in seiner ersten Aufnahme und vor allem noch einmal langsamer als Pollini.
    Aber wie entspannt und abgeklärt spielt er das auch, wie wunderbar die Arpeggien des Seitenthemas, wie herrlich fließend die Zweiunddreißigstel der Schlussgruppe, desgleichen die angeschlossene Überleitung. Alles bleibt im Fluss und führt zur berührenden Themenwiederholung.
    Die Durchführung scheint zwar zu Beginn dunkel auf, aber nicht tragisch., und die Zweiunddreißigstel ab Takt 72 lösen das Ganze wieder auf. Auch der Durchführungskern ist von einer gewissen bachischen Strenge, es bleibt aber alles in einem Rahmen, der m. E. das Spielerische nicht verlässt.
    Nach den neuerlichen Zweiunddreißigsteln und der beruhigenden Überleitung ist die beseligende Reprise erreicht, in der er die Zweiunddreißigstel-Oktavwechsel mitreißend spielt mit den Arpeggien im anschließenden Seitenthema, der herrlich fließenden Schlussgruppe und dem Thema in der hohen Oktave, der Themenwiederholung, diesmal mit den originellen Sechzehnteltriolen und den anschließenden Sechzehntelduolen und abschließend der wundersamen Coda. Ich glaube, besser kann man das nicht spielen.


    Ebenfalls eine große Aufnahme, die ich mir gerne mit einem langsameren Adagio Marke 1962 vorstelle.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ebenfalls eine große Aufnahme, die ich mir gerne mit einem langsameren Adagio Marke 1962 vorstelle.

    Lieber Willi,


    Dir scheint also auch, dass Richter hier doch deutlich "geschlossener" gestaltet. ;) Die Frage mit dem Tempo ist für mich letztlich immer nur vom Ganzen her zu betrachten. Kann man sich wirklich das Adagio so langsam vorstellen wie 1962? Meistens haben die Interpreten ein inneres intuitives Gespür, wie sie es machen. Ich glaube, dass flüssige Tempo hat hier schon seinen Sinn. Auch der Flügel spielt eine gewisse Rolle, ich vermute mal, 1994 ist es ein Yamaha, 1962 wars ein Steinway. Da müsste ich auch nochmals reinhören und nachhören diese Woche, was ich wohl tun werde. Bei Richter lohnt es natürlich immer!


    Heute habe ich erst einmal Perahia und Claude Frank drangenommen.


    Murray Perahia – das ist gelungen! Gleich der Beginn zeigt einen Beethoven mit spielerischer, Mozartscher Leichtigkeit, klar, behutsam unaufdringlich, wunderbar wie die Musik quasi schwerelos wie selbstverständlich fließt. Musik – transformiert in ein rein ästhetisches Spiel, als höchst geistvoll anregende „Spiel“-Musik. Das setzt sich fort im langsamen Satz: unprätentiös, klassisch klar, freilich ohne große emotionale Gegensätze und Bewegungen, dafür aber wieder mit einer sehr ästhetischen, „verklärten“ Haltung feinsinniger klassischer Gefasstheit und Zurückhaltung gespielt. Vom Scherzo ließe sich das Gesagte wiederholen. Und im Rondo-Finale zeigt Perahia sein großes Verständnis für Bach mit einer glasklar und wahrlich vorbildlich gespielten Fuge, die aber trotzdem nie gelehrsam wirkt, sondern das Spielerische wahrt. Das ist Beethoven als Reminiszenz an Mozart – eine sehr eigene Perspektive und Bereichung. Freilich kann man der Sonate durchaus mehr Eigengewicht geben, wie Michelangeli, Gilels oder Pollini zeigen.


    Wahrlich souverän ist auch Claude Franks Aufnahme, doch zeigt sie zugleich, wie schwer doch das vermeintlich Einfache ist. Frank vermag zwar auch leicht zu spielen – aber diese Leichtigkeit hat eben doch nicht diese innere Gelöstheit eines Perahia, welche die Musik zu etwas „Höherem“ macht, einem zu sich selbst befreiten ästhetischen Spiel. Woran liegt es? Perahias Behutsamkeit verzichtet nicht zuletzt auf jegliche „gewollt“ wirkenden rhetorischen Akzente, die Claude Frank wiederum gerade setzen will, freilich im Unterschied zu Alfredo Perl wohltuend ohne Forcierung. Sein Spiel bleibt so immer natürlich, aber letztlich auch unauratisch. Leider setzt er diesen klassischen Ansatz im langsamen Satz nicht fort, da gibt es reichlich Rubato-Drücker, die den natürlichen Fluss stören und etwas „klebrig“ wirken, zumal trotz Rhetorik dann doch keine großen Emotionen bewegt werden. Dem Scherzo mangelt es etwas an Anmut und Zartheit und das Finale ist zweifellos gut gespielt, aber auch nicht außergewöhnlich. Der klar akzentuierten Fuge fehlt es an sukzessiver Spannung des Fortgangs, sie wirkt etwas zu „vertikal“ akzentuiert. Insgesamt eine wirklich gute Aufnahme, die aber auch nicht die ganz große Ausstrahlung einer interpretatorischen Großtat hat.


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    du sagst in deinem Posting Nr. 148:


    Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Die Frage mit dem Tempo ist für mich letztlich nur vom Ganzen her zu betrachten.

    Dem stimme ich vorbehaltlos zu.
    Nur löse ich da 1. nicht gerne einen Satz aus dem Zusammenhang heraus, und 2. sehe ich auch das ganze Werk als temporales Ganzes und die Spielzeiten als temporales Binnenverhältnis, das stimmen muss.
    Im Posting Nr. 144 sagst du über Richter:

    Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Man merkt allerdings auch das Alter- die Leichtigkeit von 1962 ist nicht mehr so da.

    Im nächsten Satz sagst du aber:

    Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Der langsame Satz ist viel flüssiger

    Der Meinung bin ich nicht. Ich halte ihn nur für schneller.
    Um die ganze Sache aus meiner Sicht mal etwas zu erhellen, habe ich mir die Mühe gemacht, die Sache mathematisch zu betrachten, zumal ein offenes Geheimnis ist, dass Beethovens sämtliche Sonaten in ein exaktes mathematisches Gerüst passten, und zwar bis in die kleinsten Satzbausteine hinein. Ich habe das in meinen bisher über 660 Rezensionen immer mal wieder in meine Texte mit einfließen lassen. Alle Satzbausteine passen in die mathematische Zweierreihe hinein, viele auch in die Viererreihe und in die Achterreihe. Und wenn man größere Abschnitte nimmt und die Taktzahlen vergleicht, so sind diese Abschnitte mindestens immer durch zwei teilbar, oft auch durch vier oder acht oder größere gemeinsame Teiler.
    Zum Beispiel habe ich in meinem letzten Posting über Richters zweite Einspielung auf zwei identische Sequenzen aus Exposition und Reprise im Kopfsatz hingewiesen, die er dynamisch in der Reprise etwas steigert. Die erste Stelle ist Takt 50/51 und die zweite Takt 181/182. Die Differenz von 132 Takte ist durch 2 und 4 teilbar. Beethoven hatte, ob bewusst oder unbewusst, ein Gespür für diese innere Mathematik, und er hat sie konsequent angewendet. Das ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass uns alles an seiner Musik so folgerichtig, so ausgewogen, harmonisch und eben klassisch vorkommt und es ja auch ist.


    Eine Folge dieser Überlegungen ist es auch, dass die Sätze nicht nur nach der Anzahl der Takte, sondern natürlich auch in Verbindung mit ihren Tempovorschriften in einem bestimmten temporalen Binnenverhältnis stehen, vorausgesetzt gleiche Anzahl von gespielten Takten, d. h., man muss auch berücksichtigen, ob die Satzzeiten die gleiche Anzahl von vorgeschriebenen Wiederholungen enthalten, auch ein Grund dafür, warum mancher schon die Spielzeiten von Beethoven-Sonaten bei Backhaus für schnell gehalten hat, obwohl er nur die Wiederholungsvorschriften missachtet hatte, d. h. viel weniger Takte gespielt hatte.
    Ich habe hier im Forum tatsächlich einmal gelesen, wie rasant Emil Gilels das Finale der Appassionata gespielt hätte, obwohl er ausgerechnet in dieser Aufnahme die Wiederholungvorschriften "la seconda parte, due volte" im Finale nicht beachtet hatte, eine absolute Ausnahme bei ihm.


    Ich habe nun also hier in unserem Beispiel die Aufnahme-Zeiten von vier unserer beider Lieblingspianisten aus dem Duodezimalsystem (Minuten/Sekunden) in das Dezimalsystem umgerechnet und die Satzzeiten prozentual zur Gesamtzeit abgebildet. Erst dann kann sich ergeben, dass ein scheinbar langsamer spielender Pianist doch sehr schlüssige Binnenverhältnisse in den Satzzeiten zueinander "erspürt" hat. Das gilt vor allem auch für Emil Gilels, dessen Interpretation du als phänomenal bezeichnet hast.
    Am Schluss habe ich nun einen hinzugefügt, der nach meiner Ansicht völlig aus der Art geschlagen ist (Kaiser hat das viel besser begründet, als ich es je könnte).


    Hier sind die Ergebnisse, (Zahlen im Minuten und Prozent, Prozent in Klammern):


    Pollini 1:
    1. Satz: 6,93 (31,4)
    2. Satz: 6,70 (30,3)
    3. Satz: 3,08 (13,9)
    4. Satz: 5,37 (24,3)



    Richter 1:
    1. Satz: 7,40 (29,2)
    2. Satz: 9,10 (35,9)
    3. Satz: 3,30 (13,0)
    4. Satz: 5,53 (21,9)


    Richter 2:


    1. Satz: 8,08 (32,0)
    2. Satz: 7,83 (31,0)
    3. Satz: 3,45 (13,6)
    4. Satz: 5,92 (23,4)


    ABM:


    1. Satz: 7,53 (29,9)
    2. Satz: 8,79 (34,9)
    3. Satz: 3,15 (12,5)
    4. Satz: 5,73 (22,7)


    Gilels:


    1. Satz: 8,07 (26,5)
    2. Satz:11,23(36,9)
    3. Satz: 3,80 (12,5)
    4. Satz: 7,30 (24,1)


    Gulda:


    1. Satz: 6,75 (33,5)
    2. Satz: 5,48 (27,2)
    3. Satz: 2,97 (14,7)
    4. Satz: 4,97 (24,6)


    Wenn man also die Sonate als eine Einheit begreift, die, bedingt durch Beethovens immer sehr genau gemeinte Satzbezeichnungen inklusive seiner Wiederholungsvorschriften, nicht die größten wie immer gearteten Spielräume zuließen, dann ergeben sich für unsere Beispiele folgende Erkenntnisse:


    Generell ist sehr auffällig, dass Pianisten, die ein sehr rasches Adagio spielen, wie Pollini 1997 und noch krasser Gulda 1967, auch einen sehr raschen Schlusssatz spielen. M. E. spielen sie beide Male zu schnell, weil einerseits Adagio generell ein sehr langsames Tempo ist und andererseits auch Allegretto von den schnelleren Gangarten (allegro aufwärts) die Langsamste ist. Nur fällt das im Adagio bei Pollini nicht so ins Gewicht, weil er eine sehr ruhige Spielweise hat. Andererseits muss man Gulda zu Gute halten, dass sein Schlusssatz prozentual der Langsamste ist.


    Noch viel interessanter ist allerdings die Tatsache, dass Gilels prozentual den schnellsten Kopfsatz spielt, zwar auch das langsamste Adagio, aber was für Eines, und zusammen mit ABM das schnellste Minuetto.


    Was kaum jemand für möglich gehalten hätte:


    Gulda spielt von diesen 6 Kandidaten den Kopfsatz deutlich am langsamsten, allerdings auch das Minuetto, jedoch nicht so deutlich, weil ihm auch Pollini 1 da nahe kommt. Insgesamt spielt er also drei Sätze prozentual am langsamsten. Wer hätte das gedacht.
    Man kann doch nicht bei einer Sonate wie der Nr.11 so die temporalen Binnenverhältnisse verschieben, indem man nur im langsamsten Satz, dem Adagio, so "heizt". Das ist m. E. völlig unverhältnismäßig.


    Wenn man jetzt nach denjenigen Pianisten sucht, die (und zwar von den hier besprochenen) am meisten übereinstimmen, dann muss man zu dem Ergebnis kommen, dass dies Swjatoslaw Richter in seiner Aufnahme aus dem Jahre 1962 und Arturo Benedetti Michelangeli aus dem Jahre 1981 sind, die in keinem Satz im temporalen Binnenverhältnis mehr als 1 % auseinanderliegen, s. o.).


    Ich habe diese Tempodiskussionen auch schon im Bruckner- und Beethovenforum geführt, wo gerade in den Symphonien mehr Ansatzpunkte vorhanden sind als in den Sonaten (Ausnahme op. 106), und ich finde, dass jeder für sich durch intensive Vergleiche der Spielzeiten einen Gewinn daraus ziehen kann.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Um die ganze Sache aus meiner Sicht mal etwas zu erhellen, habe ich mir die Mühe gemacht, die Sache mathematisch zu betrachten, zumal ein offenes Geheimnis ist, dass Beethovens sämtliche Sonaten in ein exaktes mathematisches Gerüst passten, und zwar bis in die kleinsten Satzbausteine hinein. Ich habe das in meinen bisher über 660 Rezensionen immer mal wieder in meine Texte mit einfließen lassen. Alle Satzbausteine passen in die mathematische Zweierreihe hinein, viele auch in die Viererreihe und in die Achterreihe. Und wenn man größere Abschnitte nimmt und die Taktzahlen vergleicht, so sind diese Abschnitte mindestens immer durch zwei teilbar, oft auch durch vier oder acht oder größere gemeinsame Teiler.

    Lieber Willi,


    das ist sehr interessant, was Du schreibst - auch die Aufschlüsselung in Prozenten aufschlußreich. :) Dafür kann man auch einen musiktheoretischen Hintergrund ausmachen. Hugo Riemann hat seine Theorie der achttaktigen Periode bezeichnend am Leitfaden von Beethovens Klaviersonaten entwickelt. Sie hat eine strenge Symmetrie 2 plus 2, 4 plus 4 Takte. Man kann es mit dem Konstruktivismus natürlich auch (wie bei Riemann manchmal) übertreiben, aber in vielen Fällen ist es wirklich möglich, bei Beethoven so die Takte zu zählen. Und die klassische Sonate und Symphonie ist auch in vielen Fällen nach Takten proportioniert. Die Sätze sind zudem verschieden gewichtet - das größte Gewicht liegt in op. 22 auf dem Sonatenallegro und dem langsamen Satz. Später - seit der Romantik bis Mahler - gibt es die gegenläufige Tendenz der "Finalsymphonie".


    Zur Tempofrage werde ich mir auch noch einige Gedanken machen. Mir scheint, es gibt zwei Ansätze der Gestaltung. Entweder man betont die kontrastierenden Charaktere der Sätze oder die Einheit in der Mannigfaltigkeit. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

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