Nachdem ich mich nun ein wenig gestärkt habe (23.30 Uhr), darf ich nach meiner Rückkunft von einem Bagno-Konzert der besonderen Art berichten:
Geplant war ein Klavierabend mit Bruno Leonardo Gelber und Beethoven pur: die Sonaten Nr. 14, 15, 26 und 21 (in der Reihenfolge), ein tolles Programm.
Am Eingang verkündete jedoch ein Zettel, dass Gelber das Konzert aus Krankheitsgründen abgesagt hatte. Wie wir etwas später erfuhren, hatte er wohl alle Europakonzerte abgesagt.
Stattdessen war ein junggebliebener österreichischer Pianist eingesprungen, der 90jährige Paul Badura-Skoda , ebenfalls mit Beethoven pur: die Sonaten Nr. 15, 23 und 32, ein noch tolleres Programm:
Ich habe dieses Foto gewählt, weil er dieses Käppi trug, wohl bei dem Konzert zu seinem 90. Geburtstag im Wiener Musikverein (das Foto erschien im Neuen Merker).
Die zweite Überraschung war, dass ich einen früheren Nachbarn und heutigen Sangesbruder mit seiner Frau traf, und die dritte Überraschung, dass sich nach Platznehmen ein jüngerer Herr neben mich setzte, der mich fragte, ob ich nicht im Tamino-Klassikforum wäre. Als ich das bejahte, stellte er sich als "Yagura" vor, der noch nicht arg so viel geschrieben hat, und er sagte mir auch warum. Wir erlebten anregende Gespräche.
Was nun Paul Badura-Skoda betraf, so war er sicherlich die eigentliche Überraschung des Abends: dieses Programm zu spielen in einem kleinen Konzertsaal mit 240 Plätzen und einem veritablen Steinway (so einen Flügel hätte ich Ronald Brautigam am 14. Januar 2015 in der Kölner Philharmonie gegönnt, als er die Sonaten Nr. 8, 21 und 32! spielte, statt eines Conrad-Graf-Nachbaus). Mi t dem Steinway hätte er die Kölner Philharmonie mühelos klanglich gefüllt).
Für den kleinen länglichen Bagno-Saal war der Steinway fast etwas zu groß, zumal Paul Badura-Skoda trotz seiner 90 Lenze in seinem Vortrag mühelos jedwedes Fortissimo, das die Partitur vorsah, abbilden konnte. :
Die Bagno-Konzertgalerie
Schon in der Pastorale, D-dur op. 28, Beethovens 15. Sonate, stellte Badura-Skoda unter Beweis, dass er immer noch ein Händchen für die lyrischen Sequenzen dieser Sonate hat, dass er aber auch die dramatischen Abschnitte adäquat hervorlocken kann und dies auch tut.
Das große Staunen überkam mich jedoch, als er sich dann der "Appassionata" widmete, zwar nicht mit dem gleichen Tempo wie Richter oder Berman, aber mit der gleichen Verve und mit einer Risikofreudigkeit ohnegleichen, jedoch auch mit einer altersweisen Abgeklärtheit im wunderbaren Andante con moto . Sein Spiel glich, vor allem im Finale, einem Ritt über den Bodensee, aber ohne Pferd. Zwar war jedem Klavierfreund völlig klar, dass auch Verspieler aus dem Vortrag hervorgingen, aber die waren nicht nur mir, wie ich den Eindruck hatte, angesichts seiner Gesamtleistung und der Wirkung, die das auf die Zuhörer hatte, nicht so wichtig. Im Einzelnen war hervorzuheben, dass er jegliche Läufe, ob im Bass oder im Diskant, mit eminentem Tempo spielte. Und er beachtete auch in dieser Situation im Finalsatz der Appassionata Beethovens wichtige Vorschrift "La seconda parte due volte", an die sich leider nicht alle Pianisten halten.
Die nächste Überraschung erwartete mich in der Pause, am Waschbecken der Herrentoilette (im Untergeschoss, als er plötzlich hinter mir stand (was ich im Spiegel sehen konnte). Ich stellte mich vor, und wir gerieten sofort in ein kurzes Gespräch, das wir auf dem Weg nach oben fortsetzten. Erst, als wir oben waren, sagte er: "Ach, meine Garderobe ist ja unten, ich muss wieder umkehren". Sprach's und ging die Treppe wieder runter. Dabei war das Gehen das Einzige, was ihm etwas Schwierigkeiten bereitete.
Und so warteten Yagura und ich auf den ultimativen Höhepunkt des Abends, die Sonate Nr. 32, die Situation an der Schwelle zu einer anderen Dimension. Bald verstand ich, warum er in unserem kurzen Gespräch betont hatte, dass ihm die Nr. 32 seit jeher ein besonderes Anliegen gewesen sei.
Wieder steckte er die dynamischen Kontrastgrenzen, besonders im 1. Satz, Maestoso - Allegro con brio ed appassionato, sehr weit, differenzierte in den Abschwüngen sehr sorgfältig und legte er in die unglaubliche Arietta die ganze Erfahrung seines über 80jähriugen Pianistenlebens, und er betonte noch einmal im Nachgespräch, dass ihn Beethoven seit seiner frühen Kindheit unglaublich interessiert und beschäftigt hätte.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren habe ich mir wieder ein Autogramm besorgt. Leider hatte ich die CD's, die angeboten wurden, schon alle, deshalb hat er es mir aufs Programm geschrieben Es wird in meinem Wohnzimmer einen Ehrenplatz erhalten.
Die Bilanz des Abends waren eine Reihe von überaus positiven Überraschungen, vor allem eine unerwartete Begegnung und ein erfüllender Konzertabend.
Liebe Grüße
Willi