„Aus einem Totenhaus“, Janaceks letzte Oper, erlebte ihre Uraufführung am 12.04.1930 in Brünn. Der tschechische Komponist was damals bereits über ein Jahr tot und hatte das Manuskript der Partitur, das er vom Kopisten zur Durchsicht erhalten hatte, nicht mehr zu Ende redigieren können. So bleibt offen, was Janacek noch geändert und wie „Aus einem Totenhaus“ geklungen hätte, wenn Janacek die Komposition bis zum Ende hätte betreuen können.
Lange Zeit war eine Bearbeitung Rafael Kubeliks gängig – heute versucht man dem Original so nahe, wie möglich zu kommen und benutzt die Fassung von Charles Mackeras und John Tyrell und in dieser Form ist das Werk auch in Hannover zu hören.
„Aus einem Totenhaus“ schildert den Alltag in einem Strafgefangenenlager in Sibirien, die Vorlage stammt von Fyodor M. Dostoyewski, dessen „Aufzeichnungen (oder Tagebücher – im russischen sind beide Übersetzungen möglich) aus einem toten Hause“ im Jahr 1860 erschienen sind.
Es gibt eigentlich keine richtige Handlung, die Szenen sind eher locker aneinandergefügt und werden durch die Aufnahme des politischen Gefangenen Goryantchikoff in das Gefangenenlager und seiner Entlassung am Ende des dritten Aktes zusammengehalten.
In jedem Akt gibt es eine Erzählung eines der Gefangenen, die über ihr Schicksal berichten.
Janaceks Musik ist von grandioser Ausdruckskraft, oft schneidend kalt, extrem im Schwierigkeitsgrad, was die Spielbarkeit angeht, immer wieder klar durchhörbar bis zum Einsatz von Soloinstrumenten und rhythmisch packend. Janaceks Kompositionsstil hat hier noch einmal einen Höhepunkt erreicht.
Die Bühne in Hannover zeigt einen angeschrägten, betonierten Platz, auf dem die Häftlinge sitzen. Alle haben sie Blue-Jeans und graue Sweatshirts an, die sie sich über den Kopf gezogen haben, sodass dem Publikum keine Gesichter, sondern das Rund des Kragenausschnittes der Sweatshirts gezeigt werden.
Alle sind Gefangene, auch die Aufseher gehören dazu – nur ziehen sich diese Handschuhe an und setzen sich verspiegelte Pilotensonnenbrillen auf, wenn sie in ihre Kapo-Rolle wechseln.
Barrie Kosky schenkt den Zuschauerinnen und Zuschauern nichts. Im ersten Bild sieht man, wie mit Fäkalien gefüllte Eimer in einer Sickergruppe entsorgt werden – die Reinigungsarbeiten werden mit den blossen Händen vorgenommen. Als Goryantchikoff, der neue Gefangene (der tatsächlich schon unter den Gefangenen im Hintergrund von Anfang an dabei war), seiner Kleidung entledigt und in die Jeans und das Sweatshirt des Lagers gesteckt wird, kippt einer der Kapos einen solchen Fäkalieneimer über Goryantchikoff aus, bevor er ihm zwischen die Beine langt und kräftig zudrückt.
Bei Janacek quälen die Gefangenen einen lahmen Adler. Dieser Adler ist bei Kosky ein alter Gefangener, der, ausgezogen bis auf die Unterhose und mit einer Feder im Haar, von den Gefangenen im Kreis herumgezerrt und misshandelt wird.
Der junge Aleya, sitzt dabei völlig verängstigt im Bühnenvordergrund und hält sich die Ohren zu.
Es sind solche Bilder, die sich einprägen, und die tief berühren.
Immer wieder wird Kosky Gewalt, oftmals auch sexuelle Gewalt, zeigen, drastisch und brutal.
Wenn im zweiten Akt die Gefangenen ein Theaterstück aufführen, ziehen sie sich dazu Frauenkleider über – ein Surrogat für das andere Geschlecht, das es in der Gefangenschaft nicht gibt.
Kosky inszeniert Beschädigte, bei den einen sieht man es offen, bei den anderen ist die Psyche kaputt und wer überleben will, passt sich an.
Ausgerechnet der Junge, Aleya, wird brutal zusammengeschlagen, blutüberströmt steht er da und wird von Goryantchikoff in einer unglaublich anrührenden Szene gepflegt – ein Bild der Menschlichkeit in einer unmenschlichen Umgebung.
Wenn im dritten Akt bunte Blumen aus dem Beton hervorwachsen, ist dieses Bild zweifelsfrei kitschig – aber am Ende sitzen die Gefangenen wieder so auf der Bühne, wie am Anfang: die Beine angezogen, die grauen Sweatshirts über dem Kopf. Goryantchikoff verlässt das Lager nicht, er bleibt – es gibt keine Freiheit für diese Menschen, es sei denn, durch den Tod.
Das Bild bleibt stehen, auch nachdem die Musik verklungen ist – der Applaus setzt erst nach einer guten halben Minute ein.
Die Ensembleleistung ist enorm und das schliesst die Solisten, den Chor und die Statisterie ein. Manchem der Darsteller ist noch beim Schlussapplaus die Anspannung anzusehen.
Erwähnt werden sollen Robert Künzli als Luka, Brian Davis als Siskov, Ivan Tursic als Skuratov, Frank Schneiders als Platzkommandant, aber auch besonders Janos Ocsovai als Aleya (darstellerisch erstklassig) und Stefan Zenkl als junger Sträfling.
Wolfgang Bozic lässt insgesamt zu laut spielen, da wirkt gerade am Anfang manches zu kompakt – der satte Streicherklang könnte viel klirrender und kalter daherkommen. Dafür gibt es im Verlauf des Abends manch gelungenes Detail, gerade, aber nicht nur, bei den Instrumentalsoli zu hören. Der Zusammenhalt war am Anfang nicht ideal, auch das wurde im Laufe des Abends besser. Insgesamt bot Bozic eine spannende Jancacek-Aufführung und setzte sich sehr für diese enorme Partitur ein.
Starker Beifall für alle Beteiligten, einige vernachlässigbare Buhs für die Regie.