Und ich glaube, dass genau das, was Du beschreibst, nur jemandem zugänglich ist, der auch in der Theorie über die Grundbegriffe hinausgekommen ist.
Die anderen können natürlich auch das Stück mögen und irgendwie "verstehen", aber eine Spannung, die "dem rein funktionsharmonischen Sinn entgegengesetzt, ihn geradezu auf den Kopf stellend" nicht aufgelöst wird, werden sie nicht wahrnehmen.
Die Erklärung und die Wahrnehmung sind einfach zwei verschiedene Dinge. Beethoven war ein Komponist, der wusste, wie er mit welchen Mitteln welche Wirkung erzielt. Dazu hat ihm seine Kenntnis harmonischer Funktionszusammenhänge und ihrer psychologischen Wirkungsweise geholfen. Davon muss der Hörer freilich gar nichts wissen - aber die Wirkung wird auf jeden Fall erzielt. Wäre es anders, wäre Beethoven kein so großer und erfolgreicher Komponist. Die Akkordfolge D7-Tonika hat einen Spannungs-Lösungseffekt. Beethoven verstärkt dynamisch, durch die Zeitwerte, die Akkordwiederholung und geschickte Setzung der Pausen die Spannungswirkung so, dass das einen dramatisierenden Effekt hat. Der Analytiker kann das dann schön erklären, warum genau diese Wirkung eintritt. Das kann übrigens ein Werbefachmann auch, wenn er eine erfolgreiche Werbung analysiert. Auch da tritt die Wirkung ein, ohne dass die Mechanismen dem "Opfer" bekannt sind. Sonst wäre die Werbung ja auch nicht erfolgreich, wenn die Mechanismen und "Tricks" alle durchschaubar wären. Auch ein Komponist wie Beethoven hat seine "Tricks", wie er Wirkung bei seinen Hörern erzielt. Dafür ist der Beginn der 1. Symphonie ein schönes Beispiel!
Schöne Grüße
Holger