Opern unter der Lupe -003- Carl Maria von Weber: Der Freischütz

  • Zitat

    dr.pingel: Meine Abneigung und eure Liebe zum Fidelio ist ja hinreichend bekannt.

    Ich möchte deine Einlassung doch etwas korrigieren, lieber dottore. Muss es nicht heißen: "Meine Abneigung und eure Liebe zu Beethoven?" :D Ich möchte nicht wissen, wass du gesagt hättest, wenn die Chöre im Fidelio oder in der Neunten lediglich von einem Doppelquartett gesungen worden wären. Wie klänge aber der schaurige Chor aus der Wolfsschluchtszene oder gar der Jägerchor, wenn diese ebenfalls nur von einem Doppelquartett gesungen worden wären? Da hätte dann die arme Wildsau auch nichts mehr dran gerettet. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich weiß nicht, warum man diese Form durch das Wagner-Erlebnis als obsolet betrachten sollte. "Freischütz" und "Fidelio" teilen dieses Schicksal der Nummernoper mit verbindenden Dialogen, zwar mit vielen Werken, die in leider Vergessenheit zu geraten drohen (das deutsche Singspiel, voran Lortzing, aber auch die Werke des 18. Jahrhunderts, die französische Opéra comique um Auber), aber drei der populärsten und meistaufgeführten Opern der Gegenwart sind auch Nummernopern: Mozarts "Entführung" und "Zauberflöte" sowie Bizets "Carmen". "Carmen" gilt vielen als die populärste Oper überhaupt, aber bei der Wahl zur beliebtesten Opern aller Zeiten,


    Bekanntlich wurde aber Carmen noch im 19. Jhd. zu einer Fassung mit accompagnato-Rezitativen statt Dialogen nachbearbeitet und bis weit ins 20. Jhd. hauptsächlich so gespielt. (Und Berlioz musste Rezitative für seine französische Fassung des Freischütz komponieren, weil das Stück sonst in Frankreich nicht möglich gewesen wäre.)
    Ich meine natürlich auch nicht, dass das ein objektives Manko dieser Stücke ist. Anscheinend wurde aber schon früh eine gewisse Spannung zwischen der Singspiel/opera comique-Form und dem andererseits recht ernsten Charakter dieser Stücke empfunden.
    Die "Entführung" ist noch genügend Singspiel, dass das nicht so stört und die "Zauberflöte" vermutlich auch (wobei selbst hier die Dialoge normalerweise deutlich gestrafft weden und selbst große Mozartfans hier im Forum halten die Zauberflöte anscheinend inhaltlich für einen Schmarrn, so dass sogar hier mitunter eine Diskrepanz empfunden wird).
    Kurz, die "Singspielform" kommt zu der Diskrepanz, die einige zwischen "Goldarie" und "Kerkerszene" oder "Wolfsschlucht" und "Jungfernkranz" auch musikalisch überdeutlich empfinden, noch dazu. Dass man sich für ernste Opern seit Wagner an die mehr oder minder "durchkomponierte" Form gewöhnt hat, verstärkt nur einen Effekt, den es auch sonst gäbe.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Stimmenliebhaber: die Sache mit der Wildsau und der Kugel für den Regisseur stammen aus meinem Satire-Thread. Ich denke, dass man das dann als nicht ernsthaft stehen lassen kann.
    @ William: deine Korrektur ist nicht korrekt. Abneigung habe ich nur gegen den Fidelio und den 4. Satz der Neunten, meine Abneigung gegen die Missa solemnis habe ich hier mehrfach deutlich korrigiert! Und eine allgemeine Abneigung gegen Beethoven kann man mir durchaus nicht nachsagen!

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Bekanntlich wurde aber Carmen noch im 19. Jhd. zu einer Fassung mit accompagnato-Rezitativen statt Dialogen nachbearbeitet und bis weit ins 20. Jhd. hauptsächlich so gespielt. (Und Berlioz musste Rezitative für seine französische Fassung des Freischütz komponieren, weil das Stück sonst in Frankreich nicht möglich gewesen wäre.)
    Ich meine natürlich auch nicht, dass das ein objektives Manko dieser Stücke ist. Anscheinend wurde aber schon früh eine gewisse Spannung zwischen der Singspiel/opera comique-Form und dem andererseits recht ernsten Charakter dieser Stücke empfunden.
    Die "Entführung" ist noch genügend Singspiel, dass das nicht so stört und die "Zauberflöte" vermutlich auch (wobei selbst hier die Dialoge normalerweise deutlich gestrafft weden und selbst große Mozartfans hier im Forum halten die Zauberflöte anscheinend inhaltlich für einen Schmarrn, so dass sogar hier mitunter eine Diskrepanz empfunden wird).


    Berlioz komponierte nicht nur die Dialoge im "Freischütz", er griff auch in die Intsrumentation erheblich ein. ich scheue mich nicht, von einem Berlioz'schen "Freischütz" zu sprechen. 2002 gab es in Paris eine wahnsinnig spannende konzertante Aufführung im Salle Pleyel unzter Christoph Eschenbach. Hier mal die genaue Besetzung:


    Carl Maria von Weber / Hector Berlioz
    DER FREISCHÜTZ
    [Sung in French, 1841 version]


    Paris, Salle Pleyel
    16.02.2002


    Max - Clifton Forbis
    Agathe - Michaela Kaune
    Annette - Annick Massis
    Gaspard - José van Dam
    Kouno - Jean-Philippe Courtis
    Ottokar - Marc Barrard
    L'Ermite - Carsten Stabell


    Choeur et Orchestre de Paris


    Conductor - Christoph Eschenbach


    Schade, dass dieses Konzert bisher nicht auf Tonträger gelangt ist. Es war aber wenigstens im Radio. Die alte Einsoielung ist nicht so besonders:



    Was nun die ebenfalls erwähnte "Zauberflöte" anbelangt, kam sie in Frankreich auch in ziemlich veränderte Form aufs Theater. Anmerkungen dazu zitierte ich der Einfacheit halber mal gleich von der JPC-Seite, wo die Aufnahme auch gelistet ist:


    Ägyptischer Mozart
    Heute kaum vorstellbar, aber die Rezeption der Musik Mozart im Ausland geschah zunächst nicht immer mittels der Originalversion. Das galt auch für Die Zauberflöte: Als das Werk 1801 in Paris zur Aufführung kam, wurde es stark bearbeitet und in Les Mystères d’Isis umbenannt. Der Komponist Ludwig Wenzel Lachnith und der Librettist Étienne Morel de Chédeville behielten das Libretto Schickaneders nur noch in groben Zügen bei und benannten die meisten Figuren um. Musikalisch handelt es sich zudem um ein Pasticcio: Es gibt einige Einschübe aus anderen Mozart-Opern sowie eigene Musik Lachniths. Dass sich das Werk damals in Paris als großer Erfolg erwies, lag zum Teil auch an der allgemeinen Ägyptenbegeisterung im Zuge der militärischen Kampagnen Napoleons. Diego Fasolis und Le Concert Spirituel haben das Werk für Glossa eingespielt.



    Sehr zu empfehlen. Nicht, weil ich das Original nicht mag, sondern aus musikhistorischen Gründen. Damals waren die Bearbeitungen ganz praktische Lösungen, heute wirken sie als eigenständige Werke. Inzwischen gibt es in den Opernhäusern die Laufbänder für die Texte, die nach meinem Dafürhalten nur eine sehr grobe Lösung darstellen und vom Libretto nicht sehr viel übrig lassen. Es ist, als würde man sich Inhalte in Opernführeren durchlesen. Viel mehr nicht.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent


  • Diese Produktion des "Freischütz" unter der Leitung von Erich Kleiber beim WDR ist im Forum schon mehrfach genannt worden. Was macht sie neben der musikalischen Qualität besonders? Die zweite Arie des Ännchen "Einst träumte meiner sel'gen Base" sucht man vergebens. In der CD-Ausgabe des Labels Capriccio, die mir zur Verfügung steht, gibt es dazu den Hinweis, dass Rita Streich, die Sängerin des Ännchen, zwischenzeitlich krank gewesen sei und also für die Aufnahme nicht zur Verfügung gestanden habe. Das leuchtet ein, nicht aber in Bezug auf den akribisch arbeitenden Kleiber, der die Fassungen von Opern sehr genau nahm. Es gibt immer Möglichkeiten, eine Arie oder eine Szene nachträglich aufzunehmen oder auf die Tonspur zu singen. In der Weber-Literatur findet sich eine andere Erklärung: Kleiber habe die Arie nicht aufgenommen, weil sie erst nachträglich, also nach Abschluss der Partitur auf Wunsch der Sängerin Johanna Eunicke textlich verfasst und komponiert worden sei. Die Eunicke war eine gefeierte Sängerin und bestand auf einer zweiten Arie bei der Uraufführung in Berlin. Für Kleiber gehörte sie deshalb nicht zur Oper. Hat er Recht? Und wer weiß etwas dazu?

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent