Leoš Janáček (1854-1928)
DIE AUSFLÜGE DES HERRN BROUČEK
AUF DEN MOND
UND INS 15. JAHRHUNDERT (I)
(Výlety páně Broučkovy:
1. Výlet pana Broučka do měsíce,
2. Výlet pana Broučka do 15. století)
Oper in zwei Teilen und vier Akten
Libretto von Viktor Dyk (Výlet pana Broučka do Měsíce) und
Frantisek Serafin Procházka (Výlet pana Broučka do 15. století) nach Svatopluk Čecha
Uraufführung am 23. April 1920 im Prager Nationaltheater
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Mathias Brouček, Hausbesitzer in Prag (Tenor)
IN PRAG 1888:
Mazal, ein junger Maler, Tenor
Der Sakristan von Sankt-Veit, Baß-Bariton
Málinka, seine Tochter, Sopran
Würfl, Gastwirt von Vikárka, Baß
Čišníček, junger Kellner in Würfls Gasthaus, Sopran
Skladatel, Komponist, Tenor
Chor: Gäste in der Vikárka, Zuschauer
AUF DEM MOND:
Blankytný (Sternenfried), Mondpoet, Tenor
Lunobor, Mondkristan, Baß-Bariton
Etherea, seine Tochter, Sopran
Caroskvoucí (Zauberlicht), Mäzen der Künste, Baß
Oblačný (Wolkengrau), Poet, Bariton
Zázračné Dítě (Wunderkind), Sopran
Harfoboj (Harfenist), Komponist, Tenor
Větroboj, Tenor
Zwei Dichter, Tenöre
Chor: Künstler, Mondmädchen
IN PRAG 1420:
Petřík (Peter), Kunkas Bräutigam, Tenor
Domšík von der Glocke, Glöckner der Teynkirche, Baß-Bariton
Kunka (Kunigunde), seine Tochter, Sopran
Konšel (Schöffe), Baß
Ein Scholar, Sopran
Vaček der Bärtige mit der eisernen Hand, Bariton
Vojta, Hussitenkämpfer, Tenor
Miroslav, Goldschmied, Tenor
Stimme des Professors, Tenor
Kedruta (Gertrud), Wirtschafterin bei Domšík, Alt
Erscheinung des Svatopluk Čech, Bariton
Chor: Bürger, Bewaffnete, Volk, Kinder
Orte und Zeiten des Geschehens:
Im Wirtshaus Vikárka auf der Prager Burg, die Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1888;
Verwandlungen: Auf dem Mond und im hussitischen Prag von 1420.
INHALTSANGABE
ERSTER TEIL
ERSTER AKT
Erstes Bild: Das Gasthaus Vikárka, links, auf dem Hradschin; Lärm dringt heraus. Rechts der St.-Veits-Dom, daneben das Sakristanhaus. Es ist eine Vollmondnacht.
Nach dem Vorspiel kommt Málinka entrüstet aus dem Gasthaus und streitet mit ihrem Freund Mazal, weil der sich unterstanden hat, mit Franči zu tanzen. Eifersüchtig und entschlossen, ihn ebenso leiden zu lassen, teilt sie ihm mit, sie werde den Herrn Brouček nehmen! Mazal kann sich vor Lachen kaum halten, küßt Málinka und fragt dann wie entgeistert: Diesen Dickbauch? Die beiden Verliebten können nicht weiter streiten, denn in diesem Moment kommt Málinkas Vater, der Sakristan von St.Veit, aus seinem Haus und trennt die beiden unter deren Protest.
Jetzt lernen wir die Hauptfigur unserer Geschichte kennen, das Urbild eines biederen Spießbürgers, den Prager Hausbesitzer Mathias Brouček (den wir auf gut Deutsch Mathias Käferchen nennen dürfen): der kommt nämlich soeben in (sehr wohlwollend ausgedrückt) heiterer Stimmung aus der Vikárka, von Málinka schäkernd und von Mazal spöttisch begrüßt. Den jungen Mann kann Brouček allerdings nicht leiden, weil er mit der Miete rückständig ist; den hier jetzt auch noch mit Málinka zu sehen, verdirbt ihm gehörig die Laune. Er kündigt deshalb dem Säumigen schon mal seinen Rauswurf an. Spöttisch verbeugt sich Mazal vor Brouček und nennt ihn „vom Mond gefallen“, bevor er wieder ins Gasthaus zurückgeht. Als Gastwirt Würfl in den gleichen spöttischen Ton verfällt und zudem noch der Vollmond gerade hervortritt, schimpft Brouček nicht nur über diese albernen Reden, sondern fordert den Mond auf, ihn aufwärts zu ziehen, weil er ihm „ins Auge schaun will“.
Hier kommt nun wieder Málinka, über Mazal schimpfend, ins Spiel; Brouček bedeutet ihr, daß der Windhund nichts für sie sei. Málinka kommen die Tränen, weil keiner sie mag, nicht einmal der Herr Brouček. Der wird, trotz seiner umnebelten Stimmung, hellhörig, wankt heran und äußert lebhaft sein Interesse an der jungen Frau, deren Reize es ihm wahrlich angetan haben. Als sie ihn direkt fragt, ob er sie denn zur Frau nehmen würde, antwortet Brouček mit freudiger Zustimmung. Da erscheint der Sakristan mit einem Bierkrug in der Hand, nähert sich dem aufgekratzten Brouček mit der unterschwelligen Drohung, seine Tochter sei ein ehrbares Mädchen. Als er fragt, ob der Herr sie zur Frau nehmen würde, zuckt Brouček erschrocken zusammen und kann nur noch „Auf dem Mond oben“ stammeln, ehe er schnell zur Schloßtreppe verschwindet. Der Sakristan und Málinka folgen ihm ratlos.
Čišníček, der Piccolo der Vikárka, kommt mit Schweinswürstl aus der Gaststätte und ruft laut nach Brouček, der jedoch verschwunden bleibt. Weiter suchend und rufend geht der Piccolo in die Dunkelheit davon. Schimpfend kommt der Sakristan mit Málinka, die weinerlich ihren Eheträumen mit dem Herrn Hausbesitzer nachhängt, um die Ecke und sie gehen ins Sakristanhaus.
Die letzten Gäste verlassen die Vikárka, unter ihnen ist auch Mazal, der sich nach Málinka umsieht und dann vor dem Sakristanhaus stehen bleibt, mehrmals nach ihr ruft und schließlich noch ans Fenster klopft. Kurz darauf kommt Málinka erregt heraus und schimpft, er solle nicht so einen Lärm machen, sonst werde der Vater noch zornig. Mazal beruhigt sie mit Liebesgeflüster und beide gehen davon.
Jetzt taucht Brouček auf, klettert auf die Schloßmauer und himmelt den „bleichen Bruder Mond“ an. Auch der Piccolo läßt sich wieder mit seinen Rufen aus dem Hintergrund hören. Brouček beachtet den Rufenden nicht, sondern sinniert über die glücklichen Menschen auf dem Mond, wo es bestimmt keine Häuser gibt, demzufolge auch keine zahlungsunfähigen Mieter. Sie kennen dort bestimmt keine Rechtsanwälte, Steuerämter, keine Zeitungen mit ihren Nachrichten über Mordanschläge oder Bankkonkurse. Diese Gedanken haben Brouček völlig vergessen lassen, daß er nicht mehr sicher zu Fuß ist - er erhebt sich von der Mauer, stellt eine Figurine dar, die ihn zum Mond fliegend zeigt. Der Piccolo taucht auf und steckt dem so lange Gesuchten die Schweinswürstl in die Rocktasche -
- und schon verbreiten sich Nebelschwaden und hüllen während eines Zwischenspiels die ganze Bühne ein.
Zweites Bild: Phantastische Mondlandschaft; im Hintergrund ein Schloß; Blankytný landet mit einem Pegasus neben dem schlafenden Brouček.
Brouček wacht auf und sieht sich, wie er glaubt, seinem Mieter Mazal gegenüber, dessen „Faschingskostüm“ er lustig findet. Doch der eine Lyra zupfende Typ stellt sich als der auf dem ganzen Mond bekannte Poet Blankytný (auf deutsch „Sternenfried“) vor. Unser Held versteht nur Bahnhof und macht für seine merkwürdigen Wahrnehmungen die „sieben Krüge Bier“ beim Würfl verantwortlich. Er springt auf, wobei ihm die Schweinswürstl aus der Rocktasche fallen, die er schnell, wie ertappt, aufhebt und erneut einsteckt. Er blafft Mazal/Blankytný an, es könne doch wohl nicht sein, daß ihm sein Hauswirt nicht mehr bekannt sei. Von diesen Nichtigkeiten will der Mondpoet aber nichts hören, wohl aber, was der Fremde von Liebe und Schönheit hält. Na, mit diesem Thema ist Brouček in seinem Element: es lockt ihn stets, ein hübsches Mädchen in die Arme oder die „Sitzbäckchen“ zu kneifen. Der Poet beklagt daraufhin die niederen Instinkte und das kleinbürgerliche Interesse Broučeks, heißt sie eine Freveltat gegen die Würde der Frau und stellt seine eigene platonische Liebe zu Etherea als Vorbild hin.
Zu weiterem Schwärmen kommt Blankytný nicht, denn Lunobor, der Mondkristan, kommt mit Etherea und deren Gespielinnen auf die Szene. Lunobor freut sich, Blankytný hier anzutreffen, und die Maiden loben in höchsten Tönen ihrer „Lieder bunte Aster“, darin der „Tau wie der Tränen Perlen blitzt“. Brouček aber zeigt sich wenig beeindruckt von dem pompösen Auftritt, hält die poetischen Ergüsse der Mädchenschar einfach nur für dämlich.
Broučeks Äußerungen stören Lunobor ganz gewaltig und er hält es für dringend geboten, dem Neuankömmling aus dem „Buch der Ästhetik“ drei Kapitel vorzulesen - er geht davon, um das Buch zu holen. Etherea aber hat keine Probleme mit unserem Helden, umarmt ihn plötzlich und nennt ihn „Mein“; Brouček fühlt sich verschaukelt und nennt Etherea „blutarm und klapperdürr“. Einer plötzlichen Eingebung folgend, bindet sie den Pegasus hastig los, setzt Brouček auf das geflügelte Dichterroß, schwingt sich auch hinauf und gibt dem Roß die Sporen. Sie verschwinden durch die Lüfte...
Während Ethereas Gefährtinnen schnell abgehen, steht Blankytný wie erstarrt. Da kommt Lunobor mit dem dicken Wälzer über die Ästhetik zurück und stellt erstaunt fest, daß der Fremde nicht mehr da ist. Laut nach Etherea rufend geht er mit Blankytný ab.
ZWEITER AKT
Drittes Bild: Der Tempel der Künste, märchenhaft beleuchtet. Die Künstler sind, jeder in seinem Fach, lebhaft beschäftigt. In der Mitte der Thron von Čaraskvoucí, davor eine Festtafel, mit Blumen anstelle von Speisen gedeckt.
Brouček ist mit Etherea auf dem Pegasus im Mondtempel der Künste angelangt, wo sich Caroskvoucí (nennen wir ihn auf deutsch „Zauberlicht“) gerade als Mäzen der Künstler feiern läßt. Als die Gesellschaft der Intellektuellen Brouček wahrnehmen, zeigen sie sich entsetzt und verstecken sich in sämtlichen Ecken. Etherea fällt vor Zauberlicht auf die Knie und bittet ihn, seine Huld „dem Liebespaar“ zu gönnen. Brouček sieht sich jedoch in eine falsche Rolle gedrängt und protestiert energisch; als er dann seinen Namen nennt, zeigt sich Caroskvoucí wissend, wen er vor sich hat, und ruft die Künstler aus ihren Verstecken herbei.
Lunobor kommt mit dem Ästhetik-Buch unter dem Arm und einem Netz auf die Szene, ruft nach Etherea, fängt das „unglückliche Kind“ mit seinem Netz ein und schleppt sie mit sich fort. Brouček ist erleichtert, daß die aufdringliche Dame aus seinem Gesichtsfeld verschwunden ist, und Caroskvoucí stellt ihm Oblačný (was mit „Wolkengrau“ zu übersetzen ist) vor, den er als hohen Priester der Mondpoesie bezeichnet, der seinerseits den Besucher von der Erde herzlich willkommen heißt.
Nun treten Tänzerinnen auf, die in überschwenglicher Art die Anwesenden tanzend begrüßen. Oblačný verbeugt sich währenddessen tief vor Brouček, reißt ihn dabei zunächst nieder und richtet ihn dann wieder auf, dem Erstaunten die Hände fest drückend, ihn schließlich heftig umarmend. Als sich Brouček frei machen kann, stürzen sich alle übrigen auf ihn, um ihn zu begrüßen.
Caroskvoucí kündigt eine Erfrischung an, und zum Erstaunen Broučeks werden Blumen und Tränengefäße aufgetischt. Daraufhin begeben sich alle an die Tafel und nehmen Platz. Caroskvoucí fordert Zázračné Dítě, das Wunderkind, auf, eine Hymne zu singen. Danach reicht er Brouček ein Tränengefäß und fordert ihn zum Weinen auf. In diesem Augenblick kommt Etherea hinzu, liebkost ihn stürmisch und nennt ihn „Mein“ und „Auf immer dein“. Brouček wehrt sich heftig, äußert sich empörend, er wolle nicht mit der „Zimperliese“ verkuppelt werden und Oblačný kündigt an, ihm „hundert Sternenwolkenverse“ vorzutragen.
Brouček ist verzweifelt, wird müde und schläft ein. Im seinem Traum findet er sich in der Vikárka wieder und bestellt beim Würfl Knödel und Schweinefleisch, später noch Würstl. Die Mondbewohner sind über die Worte des schlafenden Fremdlings entsetzt und gehen entnervt ab. Caroskvoucí folgt ihnen niedergeschlagen und Blankytný bricht in einen Weinkrampf aus: „Niemals war der auf einer Mondgesellschaft“. Brouček aber erwacht mit hungrigem Magen und beißt in seine Schweinswürstl, die er aus der Rocktasche zieht. Als die Künstler wahrnehmen, was der Erdenbewohner ihnen da vorexerziert, sind sie entsetzt: Wie kann man denn nur Lebewesen töten und verspeisen? Das ist ja Kannibalismus! Brouček tobt, es wäre doch nur feingehacktes Schweinefleisch, in Häute gefüllt - Zázračné Dítě, das Wunderkind, und die Künstler fallen allesamt in Ohnmacht.
Etherea kommt und umtanzt Brouček bewundernd, versucht ihn erneut mit Liebeswerben zu umgarnen, doch der Hungrige bläst Etherea an, die sich darufhin auflöst: „Schluß! Ich will essen und trinken“. Wütend wirft er die ganze Festtafel um, stürzt auf den Pegasus zu und stürmt mit ihm davon.
Interludium: Nebel hüllt nach und nach die ganze Bühne ein; zunächst sieht man noch den Himmelsraum mit Sternen überbesät, dann aber verwandelt sich die Szene langsam:
Viertes Bild: Aus dem Nebel erscheint die Vikárka aus dem ersten Akt.
Die Gesellschaft verläßt gerade das Gasthaus, vom angeheiterten Würfl verabschiedet. Etherea und Blankytný kommen als Mazal und Málinka eng aneinander geschmiegt auf die Szene, verliebt turtelnd. Der Piccolo kommt hinzu und weist die beiden auf den umhertorkelnden Brouček hin, was die jedoch nicht interessiert, dazu sind sie viel zu sehr mit sich selber beschäftigt. Brouček fällt hin und schläft wieder ein - zu seinem nächsten Traum.
ZWEITER TEIL
ERSTER AKT
Viertes Bild: Ein niedriges Gewölbe mit kostbaren Edelsteinen aller Art: Schatzkammer König Wenzels IV. Die Wände in Gold gefaßt; überall goldene und silberne Schwerter, Helme, Panzer, Schilde, Ringe, Gefäße und Schüsseln umherliegend. An den Wänden künstlerisch gestaltete Truhen, mit goldenen und silbernen Reifen beschlagen. An der einen Wand ein Bild des Königs, gegenüber ein Bild der Königin.
Mathias Brouček hört Stimmen, die über geheimnisvolle unterirdische Gänge sprechen. Er meint sich dann zu erinnern, daß es einen Durchgang von der Burg unter der Moldau zum Altstädter Ring geben soll. Gastwirt Würfl ist auf merkwürdige Weise ebenfalls anwesend und von ihm möchte Brouček aus diesem komischen Keller herausgeführt werden. Der geht darauf nicht ein, sondern wünscht Brouček eine gute Nacht - und verschwindet.
Man hört ein Türschloß knarren und das Abbild des Königs dreht sich, worauf Brouček in die Schatzkammer fällt. Er erhebt sich und zündet ein Streichholz an, mit dem er einen Lüster ansteckt. Als er sich an dem Bildnis der Königin zu schaffen macht, gibt es nach und zeigt den Ausgang zum Altstädter Ring; es ist früher Morgen. Brouček löscht das Licht und gewahrt plötzlich einen grün gefärbten Mann, den Dichter Svatopluk Čech.
Čech spricht von herrlichen Zeiten, tapferen Helden, die mit Vítkov um Ehre, Heim und Boden gekämpft haben. Er ruft die „Sonne längst vergangenen Ruhms“, die den müden Händen Kraft verleihen soll. Begeistert wünscht er sich den goldenen Quell herbei, den er als Dichter hoher Hymnen empfangen will: nicht nur mit hohlen Worten, nicht als eine Karikatur, sondern mit Leben erfüllt. Dann verschwindet er.
Brouček tritt ins Freie; verwundert stellt er fest, daß die Gegend anders aussieht, als er sie kennt. Auch tragen die vorbeigehenden Menschen so merkwürdige Kleidung. Von einem dieser Männer, es ist der Konšel, der Schöffe, wird er für einen Fremden mit „sonderbarer Zunge“ und „verquerer Kleidung“ gehalten, der sich wohl verirrt habe. Brouček wird wütend und ruft die Polizei. Verstehend meint der Konšel: „Daran erkenne ich den Deutschen!“ und ist überzeugt, einen Spion von Kaiser Sigismund vor sich zu haben. Unser Held ist verwirrt und will wissen, von welchem Sigismund die Rede ist, etwa von jenem Herrscher, der mit dem seligen Žižka kämpfte? Wieso selig, fragt der Konšel? Žižka wird noch heute dafür sorgen, daß sein Banner vom Vítkov wehen wird.
Inzwischen sind mehrere Leute auf den Disput aufmerksam geworden und glauben auch, daß Brouček ein Spion des Kaisers, ja sogar der Antichrist ist. Aber der tapfere Prager verteidigt sich, er habe gelernt, daß Žižka Anno vierzehnhundertundzwanzig den Kaiser schlug, aber heute wäre doch achtzehhundertachtundachtzig. Das aber hätte Brouček besser nicht sagen sollen, denn nun will man ihn vor den Richter bringen! Mit Hilferufen bricht Brouček zusammen.
Domšík erscheint: Ein großer, bärtiger Mann mit blauem Mantel und rotem Futter, auf dem Kopf eine merkwürdige Mütze, an der Seite ein langes Schwert, grüne Beinkleider, Schuhe mit langer Spitze.
Das Volk bezeichnet Domšík gegenüber den ohnmächtigen Broučekals einen Späher des Kaisers. Aus der Ferne hört man das bewaffnete Volk in Kampfesrufe einstimmen. Als Brouček zu sich kommt, verlangt man von ihm, seine Identität preiszugeben. Brouček ist sich ganz sicher, daß der Mann vor ihm der Sakristan von St. Veit ist und ihn doch kennen muß. Der aber weist das von sich und nennt sich Domšík. Brouček erkennt seine Lage und stellt sich darauf ein: Er komme aus der Türkei, lügt er, und könne deshalb das Tschechische nicht so gut. Dafür bringen die Umstehenden sogar Verständnis auf und Domšík bietet Brouček sein Haus als Quartier an. Der Vorwurf, ein Spion des Kaisers zu sein, ist somit für Brouček erst einmal aus der Welt.
Das Volk und die Bewaffneten, die inzwischen die Szene gefüllt haben, schreiten in die Richtung der Teynkirche, vorneweg ein Dudelsackspieler. Gemeinsam besingen sie den Kampf der Gottesknechte für des Glaubens Rechte, schwören, sich gegen den Antichristen zu wehren und treten dann alle in das Gotteshaus. Nur der Dudelsackspieler bleibt vor dem Eingang stehen.
ZWEITER AKT
Fünftes Bild: Ein Raum im Hause Domšíks, das einen Blick auf den Altstädter Ring mit dem Rathaus gewährt. Das Zimmer ist mit Tisch, Stühlen, Wandbänken, einer großen Wäschetruhe und einem Himmelbett, hoch mit gestreiften Kissen ausgerüstet. In einer Ecke stehen typische Waffen der Zeit. Durch das Fenster fällt Sommerlicht.
Brouček hockt auf dem Himmelbett und reibt sich die Augen: Hat der verfluchte Würfl ihm wieder zu oft nachgeschenkt? Im Jahre des Herrn Vierzehnhundertzwanzig? Das ist doch Quatsch! Andererseits: Möglich wäre es ja. War ja auch mit dem Mond so! Also, da muß er sich unter die Hussiten verirrt haben. Aber er wird nicht mitspielen, sich nicht wie ein Beefsteak zerhacken lassen. Nein, zum Militär geht er nie und nimmer!
In diesem Augenblick steckt Kedruta, was auf deutsch Gertrude bedeutet, den Kopf herein und bekreuzigt sich, als sie Brouček sieht und knallt die Türe sofort wieder zu. Brouček flucht über die Störung durch „alte Weiber“, ruft aber dann nach Frau Nováková und seinem Frühstück. An deren Stelle kommt jedoch Domšík und verlangt, Mathias solle aus seinem schrulligen Zeug kriechen und die von Kedruta gebrachten Kleider anziehen. Brouček zieht sich um und erregt sich über das bunte Beinkleid: Rot das eine, grün das andere Bein. Maskenzeit, Maskenkleid schimpft er. Kedruta kommt jetzt noch mit einem roten und einem grünen Stiefel und Domšík fordert Brouček auf, den roten zum grünen Bein und den grünen zum roten Bein anzuziehen. Als von draußen Volkes Stimme mit einem Gesang zu hören ist, meint er ironisch, das Kirchenlied sei wohl neu.
Es treten auf Domšíks Tochter Kunka, Vaček der Bärtige mit der eisernen Hand, Vojta von den Pfauen und Miroslav der Goldschmied.
Während Kunka die Gäste eintreten läßt, berichtet sie vom soeben beendeten Gottesdienst, dem selbst Žižka mit allen Feldherren beigewohnt hat. Domšík heißt alle in seinem Hause willkomen, stellt ihnen Brouček als „einen guten Tschechen“ und Jungfer Kunka als seine Tochter vor. Kunka erzählt weiter, der berühmte Jan Rokycana habe mit seiner Predigt ein großes Feuer in der Brust der Kämpfer entfacht und alle aufgefordert, für die fromme Sache zu kämpfen und mit Gottes Hilfe auch zu siegen. Begeistert stimmt Domšík in den Kampfesruf ein, während sich Brouček durch Kunkas Bericht irritiert fühlt.
Miroslav reicht Brouček ein Becher und fordert ihn auf, zu trinken und nennt ihn, nachdem der Becher in einem Zug geleert wurde, einen guten Säufer, der auch gut im Raufen sein muß. Dann soll Brouček erzählen, was man im Ausland von den Tschechen hält. Die Antwort ist negativ, und Vojta sieht darin seine Meinung bestätigt, zumal das gegnerische Heer sich aus Soldaten aller Herren Länder gegen sie gesammelt hat. Das folgende Gespräch der Männer dreht sich um den bevorstehenden Kampf, der gewonnen werden muß. Einwände werden hinweggefegt durch die Überzeugung, daß man für eine gerechte Sache eintritt.
Hier mischt sich ein hinzugekommener Scholar ein und bringt einige theologische Fragen in das Gespräch ein. Er meint, die Taboriten-Priester würden immer wieder Ketzereien verkündigen - mit dieser Aussage erregt er den Zorn des Goldschmiedes Miroslav, der es als Frechheit empfindet, Kritik an den Taboriten zu üben. Dennoch gibt er dem „Milchgesicht“ in diesem Punkt recht: auch er hat den Eindruck, daß die Taboriter keinen König über sich haben wollen. Überdies brennen sie auch noch Kirchen und Klöster nieder, zertrümmern Altäre und zerreißen Ornate. Domšík verlangt ein Ende des Streites, vor allen Dingen wegen der Ornate.
Vaček will von Brouček wissen, welche Meinung er zum Ornaten-Streit hat. Unser Held hat inzwischen einen Becher nach dem anderen geleert und ist ziemlich hinüber. Er geht daher auf Vačeks Frage nicht ein, sagt aber unverblümt, daß ihm „Euer Kaiser Sigismund“ schnuppe ist und er auch nicht kämpfen will; von dem Herrscher fühlt er sich jedenfalls nicht bedroht. Diese Haltung nennt Domšík schamlos und erinnert seinen Gast an das feindliche Heer, das im Lande brandschatzt und auch Meister Jan Hus auf grauenhafte Weise umgebracht hat. Als dann die Rede auf die durch Flammen zerstörte Kleinseite Prags kommt, wird Brouček hellhörig, steht doch gerade dort sein Haus. Das kann doch nicht wahr sein! Er war doch noch gestern auf „volle neun“ Krüge (oder waren es doch nur sieben?) in der Vikárka. Vojta nennt ihn daraufhin einen „Hopfenheld“.
Plötzlich sind laute Rufe zu hören: „Zum Spitalsberg! Die Kreuzritter stehen schon am Brückenkopf!“ Alle stürmen hinaus; Domšík gibt Brouček einen Morgenstern, den der aber als zu unmodern ablehnt. Auch den angebotenen Hirschfänger mag er nicht nehmen. Schließlich drückt ihm der hinzugekommene Petřík, Kunkas Bräutigam, eine Pike in die Hand und stößt ihn zur Türe hinaus. Kunka, die sich ebenfalls eine Waffe genommen hat, wird von ihrem Vater jedoch beschieden, im Haus zu bleiben, um Verletzte zu pflegen.
Unter Glockenalarm ist Kampfgetümmel zu hören, Schüsse fallen, Gesang und Geschrei ertönt aus der Ferne, Feuerschein wird sichtbar.
Kunka wird unruhig und will beim Kampf dabei sein. Sie hofft, daß dem Vater und ihrem Petřík nichts geschieht und kniet zum Vater unser nieder. Das Gebet spricht sie aber nicht zu Ende, sondern nimmt sich eine Waffe, um hinauszustürmen. Kedruta kann sie im letzten Moment zurückhalten und beide sprechen das Gebet weiter. Noch bevor sie zum Ende gekommen sind, schleicht sich Brouček ins Zimmer, reißt sich das altertümliche Gewand vom Körper und zieht sich seine eigenen Kleider wieder an. Kedruta beschimpft ihn als „Nichtsnutz“ und Brouček fertigt sie ab mit der Bemerkung, sie sei eine „verfluchte Alte“, die nur „im Weg“ stehe. Dann rennt er zur Türe hinaus, gefolgt von Kedruta und Kunka.
Sechstes Bild: Verwandlung in den Altstädter Ring in der Abendsonne des gleichen Tages. Das Volk strömt herbei, das Heer der Prager und der Taboriten zieht als Sieger vorüber. Jan Žižka zu Pferde mit seinen Hauptleuten.
Das Volk bejubelt die Sieger. Brouček kommt hinzu und versteckt sich, als er die Menge sieht. Ein Taborit findet ihn und fragt ihn wegen seines blutigen Rocks nach seiner Verwundung. Erschrocken tastet Brouček seinen Körper ab und berichtet dann in wichtigtuerischem Ton, daß er ein Pferd mit der Lanze getroffen habe. Die aufschneiderische Erzählung will man ihm nicht glauben, schilt ihn einen Lügner, der Strafe verdient habe.
Vojta von den Pfauen kommt hin zu und erzählt die wahre Geschichte: Mathias habe nämlich die Lanze weggeworfen, ist den Gegnern entgegengelaufen und hat sich ihnen, Gnade winselnd, zu Füßen geworfen. Sterben soll er, rufen die Umstehenden! Auf den Scheiterhaufen mit ihm! Nun wird’s brenzlig für unseren Brouček: er nennt sich einen Friedensgeist, ist auch kein Kämpfer und zudem noch ungeboren, ein „Sohn der Zukunft“ sozusagen. Als er sich dann eine Zigarre anzündet, geraten die Umstehenden in Angst und Schrecken: Feuer und Rauch - das kann doch nur eine Geburt der Hölle sein! Und für diesen Schreckensgeist gibt es nur eine Todesart: Brouček gerät, wen wundert es, in Panik; aber alles Flehen hilft nichts, der arme „Sohn der Zukunft“ soll in einem Faß verbrannt werden. Man reißt ihm seinen Umhang ab und drängt ihn zum dicken Faß. Dort knistert schon das Feuer und die Flammen schlagen empor.
Siebtes Bild: Hier fällt ein Zwischenvorhang; das Volk wird nach und nach ruhiger und ist dann, bei völliger Dunkelheit der Bühne, verschwunden. Die Flammen verkleinern sich bis zur Größe eines Kerzenlichtes, das Gastwirt Würfl in der Hand hält. Nach der Verwandlung sieht man den Hofraum der Vikárka; Würfl steht mit der Kerze in der Hand in der Türe, Brouček in einem Bierfaß.
Würfl hat lautes Stöhnen vernommen und ist erstaunt, daß einer seiner besten Gäste, eben unser Held Brouček, in dem leeren Bierfaß liegt. Auf Würfls Frage, wie er in das Faß geraten sei, antwortet Brouček immer wieder „Bin zu Hause!“ Dann erzählt er dem erstaunten Würfl, daß er heldenhaft mit Žižka gegen Sigismund gekämpft und damit Prag befreit habe. Ganz klar, meint Würfl in einem Ton, der Broučeks Aussage den Krügen Bier zuschreibt, hilft ihm aus der Tonne und Brouček bittet ihn, sich behutsam umsehend, nur ja niemandem davon zu erzählen...
INFORMATIONEN ZUM WERK
DIE AUSFLÜGE DES HERRN BROUČEK stehen in Janáčeks Œuvre einzigartig da: hier ist der Komponist der „Jenufa“ ganz Satiriker, der seine biedermännischen Landsleute mit ihrer Selbstzufriedenheit aufs Korn nimmt. Der Tod des tschechischen Dichters Svatopluk Čech im Jahre 1908 veranlaßte Janáček, der sich übrigens mit dessen moralischem Anspruch vollkommen identifizierte, eine Oper nach dessen Brouček-Romanen zu schreiben. Den noch im gleichen Jahr begonnenen ersten Teil stellte Janáček jedoch erst 1917 fertig und innerhalb weniger Monate komponierte er im gleichen Jahr dann den zweiten Teil.
Die Vielfältigkeit der literarischen Vorlage hat sicherlich dazu beigetragen, daß sich die Vollendung der Oper verhältnismäßig lange hinzog und nicht weniger als sechs Librettisten verschliß, darunter neben den Autoren Dyk und Procházka, von denen die Mond- und Hussitenepisode stammte, auch noch Karel Mašek, Zikmund Janke, František Gellner und Jiří Mahen. Die stilistische Vielfalt, zwischen Satire, Parodie und Operette, zwischen patriotischem Pathos, bizarrem Realismus und surrealistischen Traumsequenzen angesiedelt, hat es der Oper schwer gemacht, sich durchzusetzen.
Nach der Prager Uraufführung 1920 wurde das Werk 1959 in München in einer von Karlheinz Gutheim neu erstellten Fassung erstmals außerhalb der Tschechoslowakei aufgeführt. Der Dirigent dieser Fassung war seinerzeit Joseph Keilberth, der sich dabei als ein profunder Janáček-Dirigent erwies. Dem interessierten Musikfreund wird auch diese Version im Tamino-Opernführer vorgestellt.
Neben den Londoner Aufführungen von 1978 unter Charles Mackerras muß man die Düsseldorfer Inszenierung von Bohumil Herlischka zu den bemerkenswertesten des - bedauerlicherweise - stark vernachlässigten Werkes zählen.
© Manfred Rückert für Tamino-Opernführer 2011
unter Hinzuziehung des Librettos der Supraphon-Aufnahme (August/September 1980)