Beethoven: Quartett op.135 - Es muß sein!

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Hier wird bei der Frage des Tempos häufig Kolisch zitiert und als Basis für Tempoüberlegungen genommen. Ist damit der Geiger, den ich mit Schönberginterpretationen in Verbindung bringe, gemeint? Ist seine Vorstellung von den Tempi der Beethovenquartette maßgebend oder allgemein anerkannt?



    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ja, das ist der Geiger. Nein, seine Tempovorstellungen sind heiß umstritten (sonst würden etwa in diesem Falle vn 135,i hier gewiß nicht fast alle Interpreten sehr viel langsamer spielen.
    Es gibt von Beethoven folgende Originalmetronomziffern: alle Sinfonien, Quartette 1-10, Sonate op.106, Septett und vielleicht noch ein oder zwei kleinere Werke. Von denen sind bekanntlich ziemlich viele sehr schnell, besonders für eigentlich langsame Sätze, wo das Tempo oft als unangemessen für lyrischen Ausdruck aufgefaßt wird, während viele schnelle die Grenzen der spieltechnischen Möglichkeit sprengen (MM=84 für ganze Takte im Finale von op.59,3, 92 für Halbe im Kopfsatz von op.95, d.h. es müssten bei 184 (!) Vierteln pro Minute staccato-16tel artikuliert werden z.B. usw.)


    Daher gibt es seit jeher Versuche, diese Metronomisierungen aufgrund von Beethovens Taubheit und seiner teils widersprüchlichen Aussagen zum Nutzen des Metronoms wegzuerklärren. Kolisch hat jedoch in einem Aufsatz (Anfang der40er) zum einen für diese sehr schnellen tempi plädiert (und sie mit seinem Quartett angeblich auch gespielt), zum andern versucht durch Analogiebetrachtungen von Sätzen mit ähnlichem "Charakter" Tempovorschläge für nicht-metronomisierte Stücke, etwa das Violinkonzert oder anscheinend auch die späten Quartette zu erstellen.



    Die Literatur zum Thema "Beethoven und das Metronom" ist ja inzwischen beträchtlich angewachsen. Ich denke, es lässt sich (zumindest in der Theorie, aber seit längerer Zeit vermehrt auch in der musikalischen Praxis) eine starke Tendenz zur Beachtung der originalen Beethoven'schen Ziffern feststellen. Das muss nicht immer eine exakte Befolgung der Vorgaben bedeuten - aber schon die Anerkennung der Zahlen als eine Art Richtwert bedeutet einen Fortschritt. Frühere Behauptungen, die Metronomisierungen führten über die Grenzen des Spielbaren hinaus, dürften inzwischen durch die Praxis als widerlegt gelten, auch bei den von Johannes genannten Beispielen: der Schlussatz von 59/3 wird vom Emerson-Quartett durchgehend genau im vorgegebenen Tempo gespielt (überhaupt kann man nicht oft genug betonen, dass die oft als "zu schnell" oder "oberflächlich brillant" charakterisierten Emersons von op. 18 bis op. 95 sich schlichtweg nur an die Metronomisierungen Beethovens halten). Op. 95/1. Satz gelingt nach meiner Erinnerung einigen Formationen im vorgegebenen Tempo ohne Probleme bei den staccato-Sechzehnteln. Für den Kopfsatz von op. 106 wäre Korstick zu nennen. Es gibt nur ganz wenige (evtl. auf Irrtümern oder Schreibfehlern basierende) Problemfälle bei den originalen Metronomisierungen, u.a. das Trio der Neunten Symphonie.


    Sehr vereinfacht könnte man die zunehmende Akzeptanz der Metronomziffern Beethovens auf folgenden Nenner bringen: die langsamen Sätze werden "entwagnerisiert", bei den schnellen Sätzen sind die an die Grenzen des Spielbaren gehenden Tempi nur ein Aspekt des für Beethoven typischen "an-die-Grenzen-Gehens".


    Die wichtigsten Fakten zu Kolisch hat Johannes ja schon erläutert, deshalb hier nur der Verweis darauf, dass Kolischs grundlegender Aufsatz in der Reihe "Musik-Konzepte" wiederveröffentlicht worden ist und in ziemlich vielen Bibliotheken erhältlich sein dürfte:


    Rudolf Kolisch, Tempo und Charakter in Beethovens Musik, München 1992 (Musik-Konzepte, Bd. 76/77)


    Kolischs "erschlossene" Metronomisierungen können natürlich nicht die gleiche Verbindlichkeit beanspruchen wie Beethovens Originalziffern. Allerdings sind seine Zusammenstellungen verschiedener Satztypen nach Tempovorschrift, Taktart und Satzcharakter nicht von der Hand zu weisen. Ich finde es überzeugend, das Tempo des langsamen Satzes von op. 135 am Tempo des Adagio von op. 106 auszurichten. Es ist zumindest weniger fragwürdig, als den Satz zweieinhalbmal (!) so langsam zu spielen, wie es das Busch-Quartett tut. In meinen kurzen Erläuterungen zu den einzelnen Sätzen von op. 135 habe ich Kolischs Vorstellungen deswegen so breiten Raum gegeben, weil mir immer wieder aufgefallen ist, wie oft Tempi a) nach dem persönlichen Gusto des jeweiligen Rezipienten beurteilt werden und b) bei langsamen Sätzen die sehr breiten Tempi immer wieder als besonders überzeugend beurteilt werden.


    Im übrigen betone ich, dass ich sehr viele Beethoveninterpretationen schätze, die sich nicht an die originalen oder erschlossenen Metronomisierungen halten :D.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Nun noch einmal zum ersten Satz, wenngleich es einen großen Sprung bedeutet.



    Das empfinde ich, bei vielen Übereinstimmungen an anderen Stellen, anders. Auf mich wirkt der erste Satz im Gegensatz zu den Eröffnungssätzen der anderen „Späten“ sogar sehr entspannt. Wenngleich, wie oben richtig beschrieben wurde, natürlich einige kleine Durchführungsteile existieren, wirkt der Satz auf mich aber eher wie eine lockere Aneinanderreihung von "harmlosen" Themen, deren Charaktereigenschaften jeweils die Wirkung von Geschlossenheit in sich sind, d.h. die Themen sind in sich rund, und nach dem Verklingen scheinen sie sozusagen „abgehakt“. Von Doppelbödigkeit ist also auch nach meiner Wahrnehmung kaum eine Spur zu erkennen, im Gegensatz zu den drei vorausgegangenen Quartetten, die dafür allerdings eine mehrfache Bodenschicht vorweisen.


    Über einen schillernden Begriff wie "Doppelbödigkeit" lässt sich natürlich trefflich diskutieren. Trotzdem habe ich (im Anschluss an Indorf) versucht, den doppelten Boden nicht als subjektiven Eindruck zu proklamieren, sondern anhand der musikalischen Struktur aufzuzeigen: so etwa beim ersten Motiv, das Du "harmlos" nennst, das aber immerhin (wie oben erläutert) Tritonusspannung, kleine Sekunde und Mollfärbung beinhaltet. Am wichtigsten finde ich die Erkenntnis, dass der Satz den meisten Rezipienten spontan als ein Rollback zu Haydn und Mozart erscheint, tatsächlich aber eine Struktur aufweist, die dem "klassischen" Modell entgegengesetzt ist: die auch von Dir betonte Aneinanderreihung von Motiven, die erst allmählich verdichtet und kombiniert werden, das Spiel mit "echtem" und "falschem" Seitenthema usw. zersetzen die scheinbare Klassizität durch das Verfahren der "Disassoziation" - ein Verfahren, das man m.E. als "doppelbödig" bezeichnen kann. In mancher Hinsicht ist der Kopfsatz von op. 130 verwandt, während ich die ersten Sätze von op. 127, op. 131 und op. 132 nicht mit diesem Terminus belegen würde.


    Übrigens ist bei mir inzwischen die von Dir empfohlene Einspielung des Ungarischen Streichquartetts eingetroffen, die ich ebenfalls als hochinteressant und gelegentlich als frappierend empfinde. Bericht folgt. Auch meine Eindrücke bezüglich des vierten Satzes von op. 135 folgen morgen oder übermorgen.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo,


    schönen Dank Euch für die Erläuterungen meiner Fragen.



    Hier zum zweiten Satz noch der Vergleichsmöglichkeit wegen die Ergänzungen der Spieldauern in meinen Aufnahmen (die des Alban Berg Quartetts habe ich verliehen, kann die Zeiten momentan nicht einsehen):


    Zitat

    Zeiten: Emerson 3:00; Busch 3:12; Hagen 3:15; Juilliard 3:21; Gewandhaus 3:21; LaSalle 3:22


    - Hollywood 3:01
    - Ungarisches 3:12
    - Talich 3:18
    - Melos 3:19


    Die bisherigen Aussagen über den zweiten Satzmöchte ich noch um einen oberflächlichen persönlichen Eindruck ergänzen: Ich finde das synkopitisierte erste Thema raffiniert und das Vorbeirauschen dieses Satzes angenehm zu hören.



    Zum dritten Satz folgende Einspieldauern:


    Zitat

    Zeiten: Gewandhaus 6:34; LaSalle 7:19; Emerson 7:25; Hagen 8:00; Juilliard 8:52; Busch 10:15


    - Ungarisches 6:43
    - Melos 6:44
    - Talich 6:49
    - Hollywood 6:57
    - Busch (Aufn. von 1933) 10:30


    Zitat

    Bernd schrebt:
    Uwe hat sich oben im Thread sehr positiv geäußert. Für mich liegt hier eine Verfehlung der Intentionen Beethovens vor: das extrem langsame Grundtempo, die pastosen Klangflächen, das Vibrato, die kleinen Portamento-Schluchzer in der vierten Variation und das langandauernde, wie beim Juilliard-Quartett viel zu früh ansetzende Ritardando am Schluss gehören zu einer spätromantischen Tradition, die auf mich im negativen Sinne historisch wirkt.


    Meine Neigung zur langsamen Einspielung des Variationensatzs hat, soweit mir dies bewusst ist, zwei Gründe: Erstens: Ich habe das Quartett mit dieser Einspielung kennengelernt. Zweitens: Nach meinem Empfinden gehen der erste, zweite und vierte Satz verhältnismäßig flott, glatt und (ich habe es oben erwähnt) ohne besondere Umwege und Unebenheiten ab. Aus diesem Grund erscheint mir der langsame Satz in der gedehnten, ja fast zeitlosen Einsielung, sehr ausgleichend und hält irgendwie das dynamische und spannungsbezogene Gleichgewicht.


    Das heißt nicht, dass ich die schnelleren Interpretationen nicht auch schätze und aus anderen Gründen nicht auch für angemessen halte. das ist ja gerade für mich das Markenzeichen für den späten Beethoven: so eindeutig ist nichts.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Vierter Satz: Grave, ma non troppo tratto - Allegro (F-dur, 4/4-Takt alla breve)


    Sonatensatzform mit langsamer Einleitung (f-moll-Einleitung T. 1-12, Exposition T. 12-81, Durchführung mit variierter Wiederkehr der Einleitung T. 82-173, Reprise T. 174-243, Coda T. 243-277)


    Der Komponist hat dem Satz eine Überschrift („Der schwer gefaßte Entschluß“) und ein Motto vorangestellt, in dem er die beiden gegensätzlichen Themen programmatisch ausdeutet: „Muß es sein?“ – „Es muß sein!“. Im Gegensatz zum dritten Satz von op. 132, wo Beethoven ähnlich verfährt, ist die Bedeutung dieser semantischen Aufladung der Musik umstritten. Man kann das so ernstnehmen wie beim „Heiligen Dankgesang“ oder eher als Joke mit anekdotischem Hintergrund zur Kenntnis nehmen. Das gilt auch für den Gestus der langsamen Einleitung, der wahlweise als plötzlicher Einbruch von Bekenntnismusik in das bisher so beschauliche Werk oder als übertrieben-parodistisch wahrgenommen wird. „Die molto-ritardando-Effekte, das steife Unisono und die pathetisch wirkenden Septimenakkorde sind tatsächlich als klischeehafte Floskeln nicht ernst zu nehmen“, pflichtet Indorf (S. 495) Kerman bei. Trotzdem weist Indorf zu Recht darauf hin, dass man den programmatischen Aspekt „nicht bagatellisieren“ sollte. Beethoven greift den von ihm selbst oft in Wort und Ton gepflegten Topos „Leiden – Wollen – Überwinden“ auf, lässt ihn aber ins Leere laufen.


    Das Allegro-Hauptthema ist konsequenterweise eine freie Umkehrung des Themas der Einleitung und von eher signalhaft-schlichtem Charakter. Kaum Gegensätzliches bietet das unscheinbare Seitenthema, das fast den Charakter eines Kinderlieds trägt und in geradezu provozierender Naivität die Coda dominiert. Kontraste schafft Beethoven durch farbige Modulationen in der Durchführung, ein darauf folgendes Aufstauen der Musik und den anschließenden Einbruch des Grave-Themas. Danach geht’s (bis auf eine ganz kurze Stockung am Anfang der Coda) wieder weiter, als wäre nichts passiert. Die Wiederholung der Exposition ist vorgeschrieben, diejenige von Durchführung und Reprise freigestellt (alle von mir gehörten Formationen spielen die vorgeschriebene Wiederholung und lassen die freigestellte aus). Insgesamt ist der Satz in seiner Faktur schlichter als der recht intrikate Eingangssatz, zu dessen Tonfall es sonst einige Parallelen gibt.


    Zeiten: Gewandhaus 6:31; Emerson 6:38; LaSalle 6:58; Busch 7:00; Juilliard 7:19; Hagen 7:25


    Es lässt sich eine gewisse Gesetzmäßigkeit bei der Temporelation von Grave und Allegro feststellen: Die Ensembles mit langsamen Tempo in der Einleitung (Hagen 29, Juilliard 30, LaSalle 32 Halbe pro Minute) bevorzugen auch ein langsameres Allegro-Tempo (Hagen 138, LaSalle 140, Juilliard 144 Halbe pro Minute). Und auf der entgegengesetzten Seite: Gewandhaus- (Grave 35, Allegro 150 Halbe) und Emerson-Quartett (Grave 35, Allegro 154 Halbe). Nur das Busch-Quartett macht eine Ausnahme (relativ schnelle 35 Halbe im Grave, relativ langsame 138 Halbe im Allegro; die Wiederkehr des Grave am Ende der Durchführung wird hier wesentlich flotter gespielt als beim erstenmal). Kolisch erschließt für das Allegro ein Tempo von 112-138 Halben pro Minute – alle Formationen bewegen sich also am oberen Ende dieser Skala oder teils weit darüber. Das Emerson-Quartett wird hier leider wirklich einmal seinem Ruf gerecht, immer oberflächlich durch die Musik zu sausen – über alle Irritationen und Stauungen wird hinweggespielt. Wenn schon sehr schnelles Tempo, dann das Gewandhaus-Quartett mit dramatischen Akzenten und lebhafter Akzentuierung. Dagegen stellen Busch-, Hagen- und Juilliard-Quartett eher das Zögern bzw. die Irritationen in den Mittelpunkt – bei den Busch-Leuten kommt der Satz geradezu mühsam voran, ist immer wieder vom Stillstand bedroht. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt, das Hagen-Quartett, bei dem wieder die ausgefeilte Dynamik und Artikulation überzeugen. Stillstand ist auch das Stichwort für das Juilliard-Quartett, das auf jede Ritardando-Vorschrift mit einer Vollbremsung reagiert (eine etwas ungerechte Beschreibung, aber die Leidenschaft für Temposchwankungen ist bei diesem Ensemble schon recht stark). Nicht zum erstenmal geht das LaSalle-Quartett einen Mittelweg, der nach Rom führt: in Dynamik und Phrasierung wunderbar differenziert und farbig. Zusammen mit dem Hagen-Quartett stelle ich die LaSalles bei diesem Satz an die Spitze. Die originelle Lesart des Busch-Quartetts ist aber auch unbedingt hörenswert.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich besitze diese CD zar nicht, aber beim Endellion Quartet ist mir die Spieldauer 9:29 aufgefallen, die, falls so richtig, eine Wiederholung des zweiten Teils impliziert.
    Op. 135 ist in Vol. 1 der Gesamtaufnahme enthalten, zusammen mit opp. 18/2 und 95 (aus meiner Sicht eine ziemlich unpraktische Aufteilung).


    Gruß, Khampan

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  • Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile - deshalb noch einmal eine Gesamtbewertung der von mir gehörten Einspielungen:


    Wer Klangschönheit (Wärme!) und Virtuosität schätzt, ist mit dem Emerson-Quartett gut bedient. Wenn nicht ausgerechnet der scheinbar so einfache letzte Satz etwas abfallen würde, stünde die Einspielung für mich in der vordersten Reihe.


    Wenn der Satz mit den Teilen und dem Ganzen auf irgendeine Einspielung zutrifft, dann auf die mit dem Gewandhaus-Quartett: Nie ganz vorne dabei, aber insgesamt ganz konsequent ein Konzept mit relativ zügigen Tempi und energischen Akzenten verwirklichend, das sich jeglicher Alterswerk-Serenität enthält.


    Dagegen habe ich beim Hagen-Quartett den Eindruck, dass hier schon ein wenig auf das bedeutungsschwangere Spätwerk hingespielt wird. Wie dem auch sei: das ist eine beeindruckende Aufnahme, mit einem Gesamtkonzept, das durch eher zögerliche (objektiv evtl. etwas zu langsame) Tempi und Ausreizung insb. unterer Dynamikgrade gekennzeichnet ist. Fantastisches Ensemblespiel, ausgefeilt bis ins letzte Detail.


    Mit dem Juilliard-Quartett habe ich bei den späten Beethoven-Quartetten Schwierigkeiten: Gegenüber den früher und in anderer Besetzung eingespielten Werken op. 59 (Referenz!) tritt hier ein subjektivistischer Manierismus etwas zu sehr in den Vordergrund (z.B. langsamer Satz). Das ist natürlich Geschmackssache, passt in gewisser Weise vielleicht sogar zum späten Beethoven. Eine gute, nicht uninteressante Aufnahme, aber für mich keine Referenz.


    Das LaSalle-Quartett gibt sich relativ unspektakulär, was man im zweiten und dritten Satz vielleicht sogar ein bisschen bedauern kann. Aber kaum ein anderes Ensemble spielt rhythmisch so differenziert, gibt sich solche Mühe mit der Phrasierung. Sehr empfehlenswert!


    Schließlich das Busch-Quartett: soweit man das bei der historischen Klangtechnik würdigen kann, hört man hier perfektes und sehr klangschönes Ensemblespiel. Eine sehr reflektierte, originelle Interpretation - aber ich bleibe bei meiner Meinung, dass der verschleppte dritte Satz die Proportionen innerhalb des Werks ungebührlich verschiebt.


    Als "klassische" Einspielung würde ich insgesamt das LaSalle-Quartett empfehlen, als insgesamt langsamere und subjektivere Alternative das Hagen-Quartett. Dazu auf der ganz zügigen, "objektiven" Seite noch eine weitere Einspielung, deren Erwerb ich Uwes Tip verdanke:


    Das Ungarische Streichquartett hat Anfang der 50er Jahre eine Einspielung vorgelegt, die sich zumindest im ersten und dritten Satz am stärksten an die Tempovorgaben Beethovens bzw. die erschlossenen Metronomisierungen Kolischs annähert. Das Ensemble pflegt einen geradezu frappierend nüchternen Tonfall, der gerade diesem Werk sehr gut ansteht (das hier noch mehr wie eine gläserne Sphinx anmutet). Das dynamische Spektrum ist bei dieser Formation (auch aufnahmebedingt) allerdings nicht übermäßig groß. Trotzdem: es lohnt sich!


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo,


    eine schöne Zusammenfassung ist das.


    Wie für die ersten drei Sätze erweitere ich die Einspielungsdauern des letzten Satzes von folgenden Ensembles:


    - Ungarisches 6:21
    - Talich 6:36
    - Melos 7:06
    - Hollywood 7:22


    Wie immer die objektiven Vorzüge des Schlussatzes sind: auf mich wirken sie kaum. Zweifellos ist der "Grundton" i.S.v. Grundgefühl der der anderen späten Quartette; auch dieses Quartett bzw. dieser Satz trägt diese unvergleichliche Atmosphäre der Späten Werke Beethovens in sich. Aber ebenso wie der nachkomponierte Schlussatz des op. 130 erscheint mir der vierte Satz des op. 135 als verhältnismäßig kantenlos, glatt, eindeutig und somit sehr wenig magisch. Besonders das Thema "Es muss sein", das sich stetig durch den Satz zieht, geht mir persönlich durch seinen aufdringlichen Charakter mittlerweile etwas auf den Nerv; ich kann es nicht häufig hören.


    Würde dieser Satz bzw. das Werk von einem anderen Komponisten geschrieben worden sein, wäre ich möglicherweise in Entzücken geraten; ich weiß es nicht. In einem Atemzug mit den Quartetten op. 127, 130, 131 und 132 kann ich Beethovens letztes Quartett aber in keinem Fall nennen und empfinden - was weniger gegen die Qualität dieses Werkes als vielmehr für die Ausnahmequalität der anderen vier spricht.


    Ich habe noch eine Verständnisfrage zu:


    Zitat

    Die molto-ritardando-Effekte, das steife Unisono und die pathetisch wirkenden Septimenakkorde sind tatsächlich als klischeehafte Floskeln nicht ernst zu nehmen“, pflichtet Indorf (S. 495) Kerman bei.


    Könnt Ihr nachvollziehen, welche Stellen im letzten Satz bezüglich molto-ritardando-Effekte und steifes Unisono und pathetisch wirkender Septimenakkorde gemeint sind?


    Schönen Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo Uwe,


    Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Ich habe noch eine Verständnisfrage zu:



    Könnt Ihr nachvollziehen, welche Stellen im letzten Satz bezüglich molto-ritardando-Effekte und steifes Unisono und pathetisch wirkender Septimenakkorde gemeint sind?


    gemeint ist hier die langsame Einleitung, insb. Takt 5-12 - ingesamt 11mal werden hier die das Motiv variierenden Akkordschläge (zwei Achtel, ein Viertel) wiederholt, anfangs zweimal im Unisono gespielt, dann immer von zwei Instrumenten gleichzeitig, und am Schluss in einem Adagio-Takt mündend (wobei manche Ensembles schon vorher mit dem Ritardando beginnen).


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo zusammen,


    ich habe in dieser Woche anlässlich meiner Neuanschaffung der späten Beethoven-Quartette mit dem Takacs-Quartett ein Vergleichshören zu op. 135 veranstaltet. Dabei waren:


    - Busch-Quartett, 13. November 1933
    - Budapester Streichquartett, 27. November 1951
    - Amadeus-Quartett, März/April 1963
    - Alban-Berg-Quartett, (P) 1982 (Studioaufnahme bei EMI)
    - Hagen Quartett, Oktober 1990
    - Emerson String Quartet, März/April 1995
    - Takacs Quartett, Nov 2003 oder Mai 2004 oder Juli 2004


    Op. 135 ist ein seltsames Stück. Ich fühle mich an meine Jugendlektüre von Hermann Hesse erinnert, dieses Beschreiben einer gelassenen Heiterkeit, die man im Alter erlangen mag. Für mich ist op. 135 die musikalische Entsprechung dieser Haltung.


    Das Alban-Berg-Quartett trifft diesen entspannten, gelösten und doch konzentrierten, im Hier-und-Jetzt-befindlichen Ton hundertprozentig. Mit viel Charme, doch ohne Überschwang wird diese großartig-gelassene Musik wiedergegeben. Am nächsten kommt dem noch die Interpretation des Busch-Quartettes.


    Hagen und Takacs wirken dagegen ein bisschen wie unter Valium, mit angezogener Handbremse. Ja, ohne aufgesetzten Überschwang, sicher sehr gelassen und entspannt, aber eben auch ohne den Charme des ABQ.


    Das Budapester Quartett ist irgendwo dazwischen. Eine sehr gute Einspielung, die in ABQ und Busch halt ihren Meister findet.


    Das Amadeus-Quartett geht auf der anderen Seite am Stück vorbei wie Hagen und Takacs. Das klingt mir doch zu unbekümmert-naiv drauflos gespielt. Die Naivität des Stückes ist eine Naivität zweiten Grades, die durch das Fegefeuer der Selbst- und Welterkenntnis gegangen ist. Das Amadeus-Quartett klingt hingegen nach dem "reinen Toren".


    Das Emerson-Quartett bringt - wie so oft - einen nervösen Grundton mit. Unglaublich stimulierend etwa im Finale von op. 59 Nr. 3. Hier aus meiner Sicht fehl am Platze. Schade.


    Das ABQ bleibt mein Favorit bei diesem herrlichen Werk.


  • Hallo Wolfram,
    vielleicht ist es merkwürdig (oder was ähnliches)..... aber nachdem ich mich vor einer Stunde über Deinen Artikel betreffs Sinn/Unsinn/Funktion/Überflüssigkeit von DIRIGENTEN gefreut habe,
    möchte ich Dir nochmals danken.


    Danken für den Anstoß op. 135 / Beethoven


    Ich weiß gar nicht mehr wann ich dieses Werk zuletzt gehört habe......15 Jahre sind es wohl mindestens her.
    Jetzt ist es 1.17 morgens und ich höre gerade die letzten Takte des Allegro-Satzes...es beginnt der 2. Satz in einer "Ich bin der Welt abhanden gekommen"- Atmosphäre....wunderbar
    Das empfind ich als etwas Entrücktes..
    ALLES ist sofort in der Erinnerung wieder da.................15 Jahre dieses Werk nicht gehört zu haben ist Fakt......trotzdem hab ich das Gefühl dieses "Welt" des OPUS 135 letzte Woche in mich aufgenommen zu haben.
    Vier Mal hab ich in den siebziger und achtziger Jahren (wenn's Gedächtnis stimmt) dieses Quartett gehört......im Moment erinnert mich VIELES stark an das op 109 (die drittletzte Sonate)
    ...damals mit dem Guarneri Quartett, Amadeus Quartett,
    La Salle Quartett und dem Alban Berg Q.


    Im Konzertsaal hat mich das La Salle Quartett am meisten berührt, dann kam das junge ABQ, allerdings fand ich die ausgeprägte Ironie der Engländer auch passend für dieses Werk (Amadeus)


    Im Moment geht gerade der 3. Satz zu Ende, der bei mir starke Assoziationen an den langsamen Satz der NEUNTEN ausgelöst hat.


    Inzwischen läuft der 4. Satz, mit dem Untertitel "Der Schwer entfasste Entschluß" (!)


    Hermann Hesse hab ich viel gelesen....wwenn ich die Dissonanzen zu beginn des vierten Satzes im Moment höre, denk ich mehr an den "Steppenwolf".....doch schon geht es "burlesker" zu.


    Ich höre die Aufnahme mit dem La Salle Quartett, die 1976 entstanden ist. Mir gefällt die Transparenz, diese wunderbare Klarheit, gepaart mit analytischer Rhytmik.


    1.50 gute Nacht und nochmals Dank für den Anstoß zum WIEDERhören!!!


    Gruß..........."Titan"

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