Alles anzeigenZitat von »Stimmenliebhaber«
Wer beruft sich denn heute ernsthaft auf ihn?
Na unter anderem ja die Komische Oper, die das, was man da heute zu sehen bekommt, allen Ernstes als in der "Felsenstein'schen Tradtion stehend" verkauft.
Schon Homoki hat sich nicht mehr wirklich auf ihn berufen und Kosky beruft sich jetzt ganz explizit auf die Traditionen des Hauses vor Felsenstein, auf Gregors Komische Oper und das ehemalige Metropol-Theater, Fritzi Massary usw. Die sichtbare Distanzierung ist längst auch verbal geworden.
Zitat
Im Übrigen empfinde ich die Forderung nach Gleichrangigkeit von Musik und Theater auf der Opernbühne als alles andere als einen "Irrtum", im Gegenteil, eher als Ideal!
Das aber nur in den seltensten Fällen umzusetzen sein wird und wenn, dann meistens zu Ungunsten einer der Komponenten.
Wenn man nicht mal dieses Ideal als Ziel anstrebt, kann man es nie erreichen - sonst vielleicht nicht immer, aber manchmal.
Und was war mit internationalen Stars, die an seinem Gebot der deutschsprachigen Aufführungen "scheiterten"?
Herrje, warum hätten denn nun auch noch an Berlins drittem Opernhaus die gleichen großen Gesangstars gastieren sollen wie an den beiden anderen Häusern, noch dazu originalsprachlich? Dann wäre die Komische Oper nie so berühmt geworden, sondern ein Haus unter vielen gewesen. Deine Idee hätte die Komische Oper nicht besser gemacht, sondern ihr den Todesstoß gegeben!
Hinzu kommt, dass die von dir genannten Größen dort nie Dauergäste waren
Anny Schlemm war über Jahrzehnte ein Dauergast, und die sang auch überall sonst, gerade auch in Wien. Aber wie gesagt: Es konnte doch auch gar nicht das Ziel sein, dass die gleichen Leute, die woanders sangen, auch dort singen. Felsenstein formte sein eigenes ENSEMBLE und dieses war unverwechselbar und wurde deshalb berühmt.
Es gab z.B. eine Turandot, in der wohl ein etwas fülligerer, aber stimmlich guter Kalaf singen sollte. Felsenstein sah ihn und meinte "Elefanten treten bei uns nicht auf!". Im Endeffekt sang dann wieder Nocker, obgleich der ja nun auch alles andere als Idealmaße hatte und über dessen stimmliche "Qualitäten" wir uns nicht unterhalten müssen.
JETZT wird es wirklich interessant, denn Nocker hat an der Komischen Oper Berlin NIE den Kalaf gesungen!!! 1972 ist anlässlich des 25. Geburtstages des Hauses im Jahrbuch der Komischen Oper eine Übersicht mit den Namen sämtlicher bis dato aufgetretener Solisten und allen Rolle, in denen sie auftraten, erschienen. Bei Nocker sind an großen Rollen u.a. aufgeführt: Max, Pedro, Hoffmann, Othello, Almaviva/Paisiello, Cavaradossi, Herodes, Blaubart, Eisenstein,dazu noch einige kleinere Rollen - kein Kalaf weit un breit!!! Premierenbesetzung der Herz-Inszenierung 1958 war immerhin Hermin Esser, die nächste Inszenierung dieser Oper folgte erst 1998, nach Nockers Tod.
Im Übrigen war Nocker nicht so schlecht, wie du ihn hier machst. Gerade seinen Cavaradossi in der Verfilmung der Friedrich-Inszenierung finde ich höchst eindrucksvoll, und im Rundfunkmitschnitt der Premiere 1959 (mit Schlemm und Gutstein) ist sein Othello noch deutlich besser als 1967, dem Zeitpunkt der Verfilmung. Hoffmann wurde erst 1970 verfilmt, die Premiere war 1957, Blaubart wurde sogar erst 1972 verfilmt, das war alles reichlich spät für ihn.
Das war in der Tat üblich, mein Vater, der in ganz jungen Jahren Regieassistent bei Felsenstein war, hat mir das bestätigt. Felsenstein forderte generell vollen Einsatz, stimmlich und szenisch. An sich nichts Schlimmes, aber da konnte halt nicht jeder mithalten.
Ganz ehrlich: Hat dir dein Vater auch diese Nocker-Kalaf-Räuberpistole erzählt? Die jetzige erscheint mir genausowenig glaubwürdig! Nicht nur aufgrund der genannten Dokumentarfilme, sondern auch aufgrund vieler direkter Gespräche mit Felsenstein-Sängern und -Mitarbeitern weiß ich, dass das so nicht stimmt. Natürlich verlangte Felsenstein auf den Proben unbedingten Einsatz und Intensität, keine Frage, aber ein Oktavieren nach unten oder ein intensives Piano statt dem eigentlichen Fortissimo waren natürlich selbstverständlich möglich, sonst hätte ja kein Sänger diese Proben überlebt!