Hallo,
seit längerem scheint in der Kammermusik eine seltsame Mode zu grassieren: Man nimmt Streichquartette in Kirchen auf. Ich finde dies nicht genregerecht, da Feinheiten in der Artikulation und Phrasierung (also dem Singen und Sprechen auf den Instrumenten) untergehen, die für mich ein wesentlicher Teil von Kammermusik darstellen. Es stellt sich ein eher "sinfonisches" Klangbild ein. Der Hall stört auch die genaue Lokalisation der Instrumente und erschwert daher das polyphone Hören. Es ist nicht leicht, den dreifachen Kontrapunkt ohne optische Hilfe, wie in einem Konzert, mit dem Gehör aufzulösen.
Ich habe Eberhard Sengpiel gefragt, warum z.B. das Alban Berg Quartett von Johann Nikolaus Matthes in der evangelischen Kirche in Sion aufgenommen wird. Seine Antwort war überraschend: Man wolle Fehler im Spiel überdecken. Das finde ich unnötig, ich erwarte von Musikern keine Perfektion. Falsche Noten können schonmal vorkommen und wenn die Intonation etwas unrein ist, ist sie eben etwas unrein. Vor einiger Zeit hörte ich z.B. Leonie Rättig im kleinen Sendesaal des NDR in Hannover. Sie spielte wunderbar musikalisch, aber einige falsche Noten waren dabei. Das ist nicht schlimm, sie ist vor mir dennoch eine große Pianistin.
Auch die heute üblichen vielen Schnitte (oft hunderte pro CD) lassen den musikalischen Bogen oft verlorengehen - das Ergebnis ist dann aber sicher frei von Spielfehlern und wirkt perfekt. Durchgespielte live-Aufnahmen gefallen mir meist am besten, auch wenn da mal Fehler drin sind.
Liebe Grüße
Andreas