Brahms muss diese Liedmusik für besonders treffend erachtet haben, das zentrale lyrische Bild vom „niederwallenden Regen“ betreffend. Und bemerkenswert ist ja, dass er dabei nicht zu simplen klangmalerischen Mitteln greift. Die Achtel-Figuren im Klaviersatz bilden nicht mit klanglichen Mitteln die fallenden Tropfen ab, vielmehr evozieren sie die Atmosphäre des lyrischen Bildes. Und das melodische Grundthema dieses Liedes, wie es gleich am Anfang aufklingt, kann man in der ihm eigenen Rhythmik, der Aufeinanderfolge eines punktierten Viertels, eines Achtels und einer punktierten halben Note also, durchaus als Imagination des Aufkommens der Erinnerungen auffassen und verstehen, die das eigentliche Zentrum der Aussage des Liedes bilden.
Das alles ist liedkompositorisch so stimmig, dass Brahms die Melodik nicht nur im Schlusssatz seiner A-Dur-Violinsonate op.100 verwendet hat, er legte sie auch der ersten Strophe des in diesem Opus 59 nachfolgenden Liedes mit dem Titel „Nachklang“ zugrunde. Melodische Linie und Klaviersatz dieser Strophe sind identisch mit jenen in der ersten Strophe von „Regenlied“. Beide Lieder bilden insofern eine liedmusikalische Einheit.
Nachklang“, op.59, Nr.4
Regentropfen aus den Bäumen
Fallen in das grüne Gras,
Tränen meiner trüben Augen
Machen mir die Wange naß.
Wenn die Sonne wieder scheinet,
Wird der Rasen doppelt grün:
Doppelt wird auf meinen Wangen
Mir die heiße Träne glühn.
(Klaus Groth)
Hier die Links zu diesen beiden Liedern:
https://www.youtube.com/watch?v=L1Ix3_Br15c