Jetzt sollten wir noch die anderen Kulturen mitnehmen (kein Boulez ohne Bali - oder so) und dann haben wir mal genug Stoff für die nächsten 10 Leben.

JAZZ - Bruder oder Feind der "Klassischen Musik" ?
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Daß Jazz von vielen nicht gemocht oder verstanden wird, liegt daran, daß überhaupt nicht bekannt ist, was es im Jazz so alles Herrliches gibt!
Auch hier in diesem Thread werden nur größtenteils alte oder modische, d.h. vielverkaufte, Aufnahmen genannt. Das ist so, als würde ein Jazzfan unter Klassik nur Vivaldis "4 Jahreszeiten", Bachs "Air", Mozarts 40te, Tschaikowskis 1. KK und Prokofjews "Peter und der Wolf" verstehen und von der Existenz der wunderbaren Kammermusik und Sinfonien von Beethoven, Schubert und Brahms oder von Wagners "Parsifal" nichts ahnen!
Daß es gerade in neuerer Zeit Jazzmusiker gibt, die eine außerordentlich feinfühlige, kreative, klangbewußte und auch gut hörbare Musik machen, welche den Vergleich mit guter klassischer Kammermusik kein bißchen scheuen muß (sowohl von der Qualität als auch von der "Genießbarkeit"), ist offenbar gar nicht bekannt.
Stattdessen gibt es für den normalen, nicht-ahnung-habenden Menschen eigentlich nur 3 Kategorien:
- Dixie = Bratwurstjazz für ältere Herren (was meist auch stimmt)
- Modern Mainstream = ganz gut hörbar, aber irgendwie immer gleich klingend, da immer Ablauf: Thema -> jeder dudelt ein zu langes Solo mit vielen Achteln und Sechzehnteln -> wieder Thema (diese Kritik ist nicht selten berechtigt, allerdings gibt es auch in diesem Genre Künstler, die es auf eine wesentlich höhere und begeisternde Ebene heben)
- Free Jazz = scharlatanhaftes, unerträgliches Durcheinandergedudel (Free Jazz ist aber auch nichts zum Von-CD-Hören, guter Free Jazz ist ein Live-Erlebnis. Und es stimmt, es gibt hier unerträgliches Gedudel, und es gibt Scharlatane)
Um zu erfahren, daß dies längst nicht alles ist, muß man schon genauer forschen! Dabei stößt man auf Musiker wie:
- Brad Mehldau
- Fred Hersch
- Marc Copland
- Wayne Shorter
- Kurt Rosenwinkel
- Mark Turner
- Stefano Bollani u.v.m.Einige von ihnen haben sogar Projekte mit großen Klassikstars gemacht, z.B. Brad Mehldau und Fred Hersch mit Rene Fleming. Und es war nicht Fred Hersch, der Rene gefragt hat, sondern umgekehrt! (Platte "Haunted Heart".)
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BRAVO HASI =) =)
hab hier im Forum übr. durchaus schon Namen wie JIM HALL, LEE KONITZ und JIMMY GIUFFRE fallen lassen
- ob mit / mit welcher Resonanz weiß ich nicht, aber die Hoffnung stirbt zuletztschön`Abnd noch
mike -
Stimmt, Pieter! Die Trioaufnahmen aus den Fünfzigern mit Giuffre, Hall und entweder Kontrabaß oder Posaune (Bob Brookmeyer) dazu sind sehr unbekannt, aber ganz großartig! Wirklich kreative Kammermusik, die dazu noch Spaß macht und wie die Pest swingt! Völlig unverständlich, warum diese Musik nicht berühmter geworden ist!
Aber Bach war ja auch lange Zeit der breiten Bevölkerung unbekannt, und Meister wie Zelenka entdeckt man erst in unseren Tagen...Shit happens!
LG,
Hasenbein -
Hier übrigens für alle zum Reinhören 2 Beispiele dieses Trios:
http://www.lastfm.de/music/Jim…_/The+Train+And+The+River
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Konkrete Stücke sollten vielleicht besser im Jazz-Unterforum diskutiert werden...
(auch wenn es interessant ist und tatsächlich ziemlich anders daherkommt)Ich habe übrigens nicht den Eindruck, daß unter "Jazz" tendenziell Dixieland, Free Jazz oder "Modern Mainstream" (was genau ist das? Marsalis?) verstanden wird. Ohne die älteren Sachen von den Ursprüngen bis zur Swing- und Bigband-Ära ausklammern zu wollen, wird für mich "typischer" Jazz am ehesten durch die mittelgroßen Ensembles zwischen ca. Anfang der 1940er bis in die 1960er Jahre repräsentiert. Parker, Gillespie, Davis usw.
"Bruder" finde ich eine problematische Bezeichung, weil es eine Verwandtschaft nahelegt, die so m.E. nicht besteht. Der Jazz hat andere Wurzeln und bis in die 1960er verliefen die Entwicklungen geradezu gegenläufig: Beim Jazz hin zum immer freieren Improvisieren, bei der Modernen Musik in der Nachfolge der Klassik hin zur systematischen Durchorganisation aller Parameter. Seitdem läßt sich vielleicht einiges nicht mehr so scharf trennen und gewiß hat es auch vorher wechselseitige Beeinflussung gegeben (wobei ich nicht glaube, daß diese Einflüsse für die jeweiligen Entwicklungen wesentlich gewesen sind). Insgesamt scheinen mir aber, was überhaupt keine Wertung sein soll, bei "traditionellen" Vertretern beider Richtungen, die Unterschiede zu überwiegen.
JR
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Zitat
Original von Johannes Roehl
(wobei ich nicht glaube, daß diese Einflüsse für die jeweiligen Entwicklungen wesentlich gewesen sind).
In den 20ern waren die Modetänze auch eine Modewelle in der klassischen Musik. Ob die Ragtimes von Strawinsky aber ein Anzeichen einer wesentlichen oder fundamentalen Auseinandersetzung mit dem Jazz sein sollen, scheint mir unklar. -
Zitat
Original von Kurzstueckmeister
In den 20ern waren die Modetänze auch eine Modewelle in der klassischen Musik. Ob die Ragtimes von Strawinsky aber ein Anzeichen einer wesentlichen oder fundamentalen Auseinandersetzung mit dem Jazz sein sollen, scheint mir unklar.An so etwas dachte ich natürlich. Ebenso Ravels Violinsonate oder noch mehr Weill und Schulhoff. Für mich klingt allerdings selbst ein Stück wie das "Ebony Concerto", das für einen Jazzklarinettisten geschrieben wurde, viel mehr nach Strawinsky als nach wirklichem Jazz, jedenfalls scheint mir keine längerfristige wesentliche Beeinflussung stattgefunden zu haben.
Etwas später begann dann wohl auch der "durchkomponierte" arrangierte Jazz oder Arrangements von klassischen Werken. Ziemlich bekannt geworden sind ja die Sachen von Evans/Davis um 1960 (Porgy&Bess, Concierto de Aranjuez). Das ist schon sehr hübsch, aber mir scheint doch von der Energie und der Improvisationsfreudigkeit des üblichen Jazz hier einiges verloren zu gehen.
Ich will einzelne fruchtbare wechselseitige Einflußnahmen gar nicht bestreiten, die Ansicht, die Gattungen seien, um nicht auszutrocken, mal wesentlich aufeinander angewiesen, halte ich aber für falsch.JR