Barber: Vanessa

  • Samuel Barber (1910-1981): Vanessa - Gothic Tschechow


    Nachdem ich mit der Empfehlung, Samuel Barbers Vanessa in den Opernkanon aufzunehmen, nicht allein war, aber festgestellt habe, das ein eigener Thread zur Oper fehlt, will ich mich daran versuchen, das Werk vorzustellen und hoffe, dabei auf Resonanz zu stoßen.


    Ich konnte mich gestern Abend in Frankfurt erneut von der Bühnenwirksamkeit überzeugen, nachdem ich bereits 2015 die Hagener Aufführungsserie mehrfach besuchte. Bis zum 5. Oktober kann man die sehr überzeugende Inszenierung in Frankfurt noch erleben - wer das einrichten kann: Es lohnt sich!

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    Handlung:


    Vanessa lebt mit ihrer Mutter und ihrer Nichte Erika abgeschottet in einem nordeuropäischen Schloss - einer Behausung der Starre, von ewigem Winter umgeben. Die alte Baronin spricht nicht
    mehr mit ihrer Tochter, alle Spiegel, alle Gemälde sind verhüllt. Seit mehr als zwanzig Jahren wartet Vanessa auf die Rückkehr ihrer Jugendliebe Anatol, der sie zu Gunsten ihrer Schwester verlassen hat.
    Anatol kündigt seinen Besuch an - als er ankommt, stellt sich aber heraus, das es sein gleichnamiger Sohn ist, der die Frau aus den schwärmerischen Erzählungen seines Vaters kennenlernen möchte. Er verliebt sich in Erika und verführt sie, verlobt sich jedoch mit Vanessa, die ihn als Projektionsfläche ihrer enttäuschten Liebe nutzt.
    Erika begeht einen Selbstmordversuch, bei dem sie ihr ungeborenes Kind verliert, aber schließlich von Anatol jr. gerettet wird. Vanessa und Anatol beschließen, nach Paris zu gehen. Vanessa lässt ihre Mutter und Erika zurück. Die Baronin überträgt ihre Verachtung für Vanessa auf ihre Enkeltochter, Erika ergibt sich in ihr Schicksal: das Warten auf die Rückkehr Geliebten, Gemälde und Spiegel verhängt.


    Zum Werk:


    Barber kam erst spät zur Oper. Die MET hatte schon in den dreißiger Jahren mit ihm über eine Oper verhandelt, erst Anfang der 50er Jahre wurden tatsächlich konkrete Pläne daraus. Als sich die Zusammenarbeit u.a. mit Thornton Wilder zerschlug, sprang Barbers Lebenspartner Gian Carlo Menotti als Librettist in die Bresche. Er hatte die Libretti zu seinen eigenen Opern verfasst und konnte als einziger die von Barber gewünschte enge zusammenarbeit garantieren. Die Handlung orientiert sich an den Seven Gothic Tales von Tania Blixen (Jenseits von Afrika), ob eine der Erzählungen der Handlung zu Grunde liegt oder die generelle Stimmung Inspiration bot, ist durch Netzrecherche allein kaum herauszufinden - ich selbst kenne die Sammlung noch nicht.
    Die gesamte Stimmung erinnert an Gothic Movies wie Rebecca und die Melancholie von Tschechows Komödien, gerade Vanessa hat ihre erkennbaren Vorbilder in dessen Heldinnen.
    Barber und Menotti hatten klare Vorstellungen zur Besetzung, auch Dimitri Mitropoulos als Dirigent der Uraufführung stand schnell fest. Nach vielen MET-Besuchen waren Rosalind Elias als Erika, Regina Resnik als Alte Baronin und Giorgio Tozzi als Doktor die Wunschinterpreten, als Anatol stellte Barber sich den jungen Nicolai Gedda vor. Diese Wünsche erfüllten sich.
    Anders verhielt es sich mit der Titelpartie. Maria Callas wäre Barbers Wunschbesetzung gewesen, nach einem Vorspiel der Partitur soll sie allerdings mit der Begründung abgelehnt haben, die Erika sei wirkungsvoller als die Titelrolle.
    Sena Jurinac sollte schließlich als Vanessa ihr lange geplantes MET-Debut geben, die Proben mit ihr und Barber liefen sehr erfolgreich. Doch Anfang Dezember 1957 - keine zwei Monate vor der geplanten Premiere - musste sie aus gesundheitlichen Gründen absagen. Man verfiel schließlich auf Eleanor Steber, der damit einer der größten Triumphe ihrer Karriere gelang.
    Am 23.1.1958 fand die Uraufführung statt - ein großer Erfolg, für Barber mit dem Pulitzer-Preis für Musik gekrönt.
    Der von Mitropulos zur Bedingung für ein Engagement gemachten Inszenierung bei den Salzburger Festspielen ("Endlich eine amerikanische Grand opèra!" soll Mitropoulos gejubelt haben) allerdings bescheinigte der Spiegel "50 Jahre Rückstand" auf die europäische Moderne, auch die übrige Presse war alles andere als freundlich, die Aufnahme durch das Salzburger Publikum wohl auch eher verhalten.
    Sicherlich fällt Barbers Musik nicht in die Kategorie der radikalen Moderne, wie sie die Besucher der Darmstädter Ferienkurse erleben konnten, Vorbilder wie Puccini, Strauss und auch Korngold sind zu erkennen. Barber komponiert freitonal aber mit erkennbaren tonalen Zentren, die ariosen Momente sind von im besten Sinne traditioneller Melodieführung bestimmt.
    Sehr interessant finde ich die kompositorische Behandlung von Anatol: seine Funktion als Traumbild der verlorenen Liebe Vanessas wird im gemeinsamen Duett wunderbar dargestellt, indem er ihre Musik doppelt, anstatt eigenständiges melodisches Profil zu entwickeln.


    Um sich ein paar Eindrücke zu verschaffen:
    Erikas Arie "Must the winter come so soon"


    Vanessas Arie
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    Das Quintett des Schlussakts
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    Leider gelingt mir keine Verlinkung auf die entsprechenden Aufnahmen bei den Werbepartnern, vielleicht mag das jemand nachholen?
    Ich hoffe, ich konnte ein wenig Neugier auf Vanessa wecken!

    Viele Grüße
    Erik

  • Hallo lieber Baculus, ich stelle dann mal die GA ein die ich besitze ....


    AD Feb./Apr.1958
    Link
    Das ist und bleibt das Original! Die Steber und Gedda letztendlich >unerreicht<!



    Europäische Erstaufführung 1958
    Samuel Barber
    Vanessa
    Dirigent: Dimitri Mitropoulos
    Regie: Gian-Carlo Menotti und Nathaniel C. Merrill
    Bühne und Kostüme: Cecil Beaton
    Festspielhaus Salzburg
    Die Besetzung ist bis auf die alte Baronin gleich wie auf obiger GA, in Salzburg sang dann Ira Malaniuk.
    Klanglich muss man ein paar Abstriche machen, aber ansonsten ist das für Live völlig OK.
    Höre ich aus welchem Grund auch immer, nicht so oft an!


    AD 15.u.16.Nov.2003


    Diese Aufnahme ist meines Erachtens sehr gelungen und ich höre sie neben dem Original sehr gerne, liegt vielleicht daran das ich S.Graham sehr gerne höre und Chr.Brewer oft gehört habe, der Tenor ist gut, aber wenn man Gedda im Ohr hat >hmm!?<, ihr kennt das bestimmt auch. Die alte Baronin singt hier die verdienstvolle Catherine Wyn-Rogers. Auch Neil Davis der den Doktor singt, ist ja kein u bekannter, alles in allem finde ich es als sehr gutes Ensemble, und L.Slatkin mit dem BBC Symphonie Orchestra macht seine Sache mehr als nur routiniert. Hier sollte ich noch erwähnen daß das Booklet dreisprachig ist engl.franz.und deutsch. Alle Achtung !


    Diese Naxos Ausgabe nenn ich nicht mein eigen !



    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Noch ein Wort zur Verbreitung, die Oper wurde 13.3.1965, in der 2.Fassung uraufgeführt von 4 auf 3Akte die heute gängige Version ist jene. Die Aufnahme von RCA hat vier Akte, die von Chandos 3!


    Hier habe ich noch das Vorwort der Partitur von Gian-Carlo Menotti


    Zitat

    Diese ist die Geschichte zweier Frauen, Vanessa und Erika, die in dem zentralen Dilemma gefangen sind, das sich jedem menschlichen Wesen stellt: bis hin zur Abschottung von der Realität für seine Ideale zu kämpfen oder mit dem, was das Leben bietet, einen Kompromiss einzugehen, sich sogar selbst zu belügen, nur um des Lebens willen. Wie ein düsterer griechischer Chor verurteilt eine dritte Frau (die alte Großmutter) mit ihrem Schweigen zunächst Vanessa, später Erikas Weigerung, die bittere Wahrheit zu akzeptieren, dass das Leben keine Lösung mit sich bringt, nur den ihm selbst innewohnenden Kampf. Als Vanessa diese Wahrheit in ihrer finalen Begierde, das Leben zu ergreifen, erkennt, ist es womöglich zu spät.


    Lieber Baculus, ich habe die Oper 4x in Frankfurt gesehen, am Sonntag den 2.Sept.2012 war Premiere. 3 Aktige Version.
    Es war eine tolle Besetzung....
    Vanessa / Charlotta Larsson
    Erika / Jenny Carlstedt
    Alte Baronin / Helena Döse (wunderbar)
    Anatol / Kurt Streit (ebenso)
    Der alte Doktor / Dietrich Volle
    Dies ist/war eine Produktion der Oper Malmö (2009)
    Dir. Jonathan Darlington


    Ich fand die Produktion einfach gelungen.
    Und man kann/sollte jedem der die Oper nicht kennt, sie unbedingt empfehlen!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Lieber Fiesco,


    zunächste: vielen Dank für das Einstellen der Aufnahmen! Ich teile deine Einschätzungen - und eigentlich braucht man RCA und Chandos wegen der verschiedenen Fassungen. Die Naxos-Aufnahme ist solide, man kann sie gut anhören, aber gerade Vanessa und Erika sind schon schwächer als die älteren Besetzungen.

    Zur Frankfurter Aufführungsserie:


    Jessica Strong ist eine Vanessa mit strahlenden Höhen und enormer Durchschlagskraft, Jenny Carlstedt (auch oben verlinkt) fantastisch, sehr dicht an Elias und Graham mit glaubhaft jugendlichem Mezzo. Barbara Zechmeister als Alte Baronin ist ok, da hat mir aber die Leistung von Gudrun Pelker und Marilyn Bennett in Hagen deutlich besser gefallen. Ihr fehlt die Dämonie in der Darstellung, speziell Bennett hat die Baronin mit fast reptilienhafter Gefährlichkeit zu einem Erlebnis gemacht.
    Anatol wird von Toby Spence ordentlich bewältigt, Dietrich Volles Doktor kommt komödiantisch nicht so recht zur Geltung, da hätte man mehr machen können. Als Figur ist er ähnlich wie die Baronin dem antiken Chor nicht unähnlich - wo diese schweigt, plappert jener. Das hätte ich mir mehr ausgespielt gewünscht.
    Dirigent Rasmus Baumann zerdehnt an einigen Stellen zu stark (darunter leidet auch der Doktor), so dass die Solisten in ihren langen Meldoielinien teils wirklich an Grenzen des Atems gelangen. Vielleicht gibt sich das in den nächsten Vorstellungen noch ein wenig. Als Inszenierung und mit den teils exzellenten Solisten und einem sehr guten Orchester aber in jedem Fall ein Plädoyer für das Werk, der Besuch lohnt.

    Viele Grüße
    Erik

  • „Vanessa“, oder: Echter Menotti ist besser...
    Pardon, ein Kalauer, der bei der Salzburger Aufführung umgegangen sein soll. Er enthält mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. „Vanessa“ hat zwei wirklich gute und einen ziemlich guten Moment. Wirklich gut: Ericas Winter-Arioso und die Arie des Doktors, ziemlich gut: das Quintett (am besten ohne den sonst sehr guten Gedda, dessen Stimme zu sehr dominiert). Alle drei Momente kann man in Menottis weit überlegenem „Konsul“ besser vorgebildet finden.
    Was „Vanessa“ indessen fehlt, ist etwas wie Menottis Konsulatsszene der Magda („Papers, papers“). Vanessas „Do not utter a word“ ist textlich gut aufgebaut, aber Barber fällt nichts ein außer ein paar verrenkten Koloraturen. Kein Wunder, daß die Callas das nicht singen wollte.
    Nun ist es aber keineswegs so, daß ich „Vanessa“ in Grund und Boden stampfen will: Das Werk hat wirklich schöne Momente, vor allem in den gelenkig begleiteten Rezitativen. Was mir aber am meisten imponiert ist, wie Barber über das ganze Werk eine trübe Winterstimmung festhält und sie quasi allen, auch den kleinsten, Partikeln seiner Partitur einschreibt.
    Aber ist das genug für eine Oper? (Für mich der Parallelfall: Bernard Herrmanns „Wuthering Heights“ - ebenfalls zwei, drei hinreißende Momente, eine grandios durchgezogene Grundstimmung, insgesamt aber eine Oper, die eine Regie oder Stars als Lebenshilfe braucht.)


    Was mich obendrein bei „Vanessa“ stört: Ich komme mit der Altersfrage nicht zurecht. Vanessa und Anatol sen. waren wie alt? Nehmen wir an sie 18, er 23. Anatol jun. muß, sonst käme es nicht zu der Projektion, ebenfalls ca. 23 sein. Um die Trennung von Vanessa zu überwinden, eine Frau zu finden und mit ihr ein Kind zu bekommen, braucht Alt-Anatol wohl auch Zeit, sagen wir: 2 Jahre. Macht mindestens 43 Lenze für Vanessa. Und in sie verknallt sich Anatol dermaßen, daß er für sie die jüngere Erika stehen läßt? Möglich. Vielleicht hat Anatol ja in Nürnberg bei David Schustergsell angerufen und ihn gefragt, wie es ist, wenn die Ehefrau im Alter der eigenen Mutter ist (bestenfalls). Nur, daß Barber halt kein Wagner war...

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