Klavierrecital von Tzimon Barto am 4. 11. 2018 in Köln, 20 Uhr
Gestern Abend gab sich Tzimon Barto, dem ich am 2. Januar dieses Jahres hier im Forum zum 55. Geburtstag gratulieren konnte, die Ehre mit einem hochinteressanten und virtuosen Programm:
Ich habe dieses Foto ausgewählt, das vor genau zwei Monaten bei einem Konzert in Aachen aufgenommen wurde, weil er genau dieses "Outfit" nebst der mir sehr bekannten Kurzhaarfrisur und dem gewinnenden Lächeln auch gestern Abend trug.
Das Programm, das er gestern Abend spielte, hat mich ein wenig beschämt, weil ich die meisten Stücke teilweise schon seit Jahren in meiner Sammlung habe, aber so wenig davon gehört habe.
Er begann mit den Grandes Études de Paganini S,141 (1851), die ich in meiner Sammlung in der Interpretation von André Watts habe.
Ich weiß jetzt auch, warum ein früherer lieber Kollege von mir ein Anhänger Tzimon Bartos war und mir von seinen Konzerten etwas vorschwärmte, aber bei mir hatte es sich bis dato nicht ergeben. und nun war er gestern in meinem Klavier-Abo. Ich hatte ja im Vorfeld Einiges über ihn gelesen, auch im Zusammenhang mit dem Erinnerungsthread, aber dennoch war ich fast ehrfürchtig erstaunt, als der muskulöse Zweimetermann mit der Modellfigur auftrat, begleitet von einem Notenwender, den ich im Gegensatz zu Barto schon bei früheren Konzerten erlebt habe .
Mei Erstaunen wuchs, als er mit den Études begann und ein höchst kontrastreiches Werk mit seinen enormen virtuosen Fähigkeiten, was Tempo, Rhythmus und Dynamik betraf, entfaltete, aber auch, was man ihm von Ansehen vielleicht im ersten Moment gar nicht zutraute, zu unerhört zartem lyrischen Spiel fand. Spätestens da konnte man vermuten, dass seine Virtuosität keineswegs Selbstzweck war.
Er begann das kurze Prélude als Vorspiel der ersten Étude in g-moll (in Anlehnung an das 5. aus Paganinis 24 Capricci op. 1 mit gewaltigem dramatischen Impetus in den gebrochenen Dreiklängen und ging dann nahtlos in die erste Étude über, die in der Thematik auf das sechste Capriccio Paganinis zurückgeht.
Hier konnte das erstaunte Publikum (zumindest ich, aber höchstwahrscheinlich nicht alleine) erleben, wie sich aus dem Tremolo-Gewusel eine schlichte, fast choralartige Melodie herauslöste. In der Mitte dieser Étude ließ Barto gekonnt die tiefen Bassakkorde aufdonnern, dem sich die Melodie mit zunehmender Dramatik anpasste, aber das alles in einer dynamischen Wellenbewegung. Diese erste Étude, die am Schluss nochmal dem Präludium Platz machte, hat mich schon sehr beeindruckt.
Die zweite Ètude, zurückgehend auf das 17. Capriccio, zeitigte neue Ausdrucksformen. Nach einer kurzen Einleitung, erklang eine eher schreitende Melodie, eigentlich mehr ein Motiv, umspielt von zahlreichen, immer wieder über die Oktaven eilenden silbrigen Läufen, mit rasenden chromatischen Auf- und Abwärtsbewegungen und Arpeggien sowie donnernden Akkordgewittern und rasenden Oktavläufen.
Die dritte Étude kam mir sofort bekannt vor, aber nicht von Liszt, sondern von Paganini himself, denn lange, bevor ich Nennenswertes aus Liszts Klavieroeuvre kennlernte, wurden mir Paganinis ersten beiden Violinkonzerte bekannt. Ich hatte sie zwar nie in meiner Sammlung, habe sie aber oft im Rundfunk gehört. Ich werde sie mir aber jetzt doch zeitnah anschaffen.
Auch das ständig changierende "Campanella-Thema" aus dem Rondo des zweiten Violinkonzertes trug Tzimon Barto in dieser dritten Étude souverän vor.
Die vierte Étude nach dem ersten Capriccio, die aus ständigen Arpeggien und staccatoförmigen Melodien bestand, spielte Barto wohl, was ich aber von meinem Platz nicht einsehen konnte, mit ständigem Überkreuzen der Hände. Auch wenn es sich auf den ersten "Blick" son anhört, ist aber dieses kürzeste der sechs Étuden keineswegs eine Etüde im herkömmlichen Sinne, sondern ebenfalls hochvirtuos und wurde auch von Barto so ausgeführt.
Nummer fünf, auch "La Chasse" (die Jagd) genannt, führt uns, gemäß des neunten Paganinischen Capriccios, eine anheimelnde Jagdhornmelodie vor, die dann erweitert wird um eine Flötenvariation, auch im Zusammenspiel mit der Jagdhornstimme. Dann spielen kraftvolle Bässe die Melodie in moll, bevor die Flöten und Hörner wieder das Regiment übernehmen.
Eine weitere Variation findet wieder im Bass statt, dem sich Glissandi im hohen Diskant anschließen.
So geht es hin und her, kongenial von Tzimon Barto wiedergegeben. Am Schluss schließt er auch diesen Kreis nochmal mit dem Originalthema, ab er diesmal im Doppel- bis Dreifachtempo.
Die letzte Etude hat es nochmal in sich, nach dem berühmtesten Paganini-Capriccio überhaupt, der Nummer 24, das Liszt hier, wie im Original, in elf kontrastierenden Variationen komponiert hat, die nicht nur kontrastieren, sondern in ihrer Gegensätzlichkeit auch eine gigantische Steigerung von der ersten bis zur letzten Variation bilden. Hier legt Tzimon Barto noch einmal alles hinein, und manchmal ist eine Steigerung auch eine Steigerung der Kontraste in Bezug auch auf Rhythmus, Tempo und Dynamik- gigantisch- auch das explosionsartige Ende in Bartos Interpretation!! Das Publikum honrierte es mit einem beinahe ebenso explosionsartigen Beifallsorkan!
Weil die Zeit so fortgeschritten ist, schreibe ich, entweder am Nachmittag oder am späten Abend weiter. Dann folgen noch Brahms, Liebermann und Chopin.
Liebe Grüße
Willi