Einer meiner Lieblingsgeiger war und ist der Franzose Zino Francescatti, der am 9. August 1902 in Marseille zur Welt kam.
Er wird in eine musikalische Familie hineingeboren, Vater und Mutter sind professionelle Violinisten. Sein Vater René ließ sich von Ernesto Camillo Silvoris ausbilden, und dieser war - zumindest soweit bekannt - der einzige Schüler des legendären Niccolò Paganini. Zino zeigt schon früh seine Begabung für das Geigenspiel, und von seinen Eltern gefördert und gestützt, spielt er bereits als Zehnjähriger Beethovens Violinkonzert. Sein sicheres, aber bescheidenes Auftreten und seine technischen Fähigkeiten hinterlassen beim Publikum spontan einen gewaltigen Eindruck. 1925 tritt er erstmals in Paris auf, im Palais Garnier, und wird wiederum bewundert und gefeiert. Schon ein Jahr später unternimmt er mit dem Komponisten Maurice Ravel eine ausgedehnte Konzertreise durch England. Im Jahr 1927 läßt er sich in Paris nieder und arbeitet als Geigenlehrer an der Ecole Normale de Musique. Seine erste Welttournee unternimmt er 1931. Im Jahr des Kriegsausbruchs, 1939, gibt er in New York sein erstes Konzert mit dem Dirigenten Sir John Barbirolli. Auf dem Programm steht Paganinis Violinkonzert Nr. 1, das er in der Folge auch auf Platte einspielt. Dieses Konzert bleibt bis zum Ende seiner Karriere eines seiner Glanzstücke.
Nach erzwungenen Einschränkungen nimmt er 1945 seine Konzerttätigkeit wieder auf und zählt nun mindestens drei Jahrzehnte zu den weltberühmtesten seiner Zunft. Seine überragenden technischen Fähigkeiten erlauben ihm, praktisch sämtliche große Konzerte der Musikliteratur, von Bach bis zur Spätromantik, in seinem Repertoire zu haben. Als besondere Leckerbissen gelten seine Aufführungen der Konzerte von Mendelssohn, Bruch und die Nr. 3 von Saint-Saens. Die Musik französischer Komponisten nimmt in seinen Programmen einen breiten Raum ein. Seine berühmteste Konzertaufnahme ist wohl die des Beethoven-Konzertes mit Bruno Walter, das 1959, bereits in Stereotechnik, aufgezeichnet wurde und noch heute von vielen Musikfreunden als maßstabsetzend gefeiert wird:
Mit dem Pianisten Robert Casadesus ist er befreundet und gründet mit ihm ein berühmtes Duo, das in der Folge ähnlichen Ruhm erlangt wie vorher die Zusammenarbeit von Alfred Cortot und Jacques Thibaud. Die begehrteste Aufnahme des Duos Francescatti/Casadesus ist wohl die der 10 Violinsonaten von Ludwig van Beethoven (aufgenommen 1959/61, Stereo), die noch heute für viele Kenner als Geheimtip gilt:
1939, als der Krieg in Europa beginnt, läßt sich Francescatti in New York nieder und bleibt während des Krieges in den USA. Danach lebt er abwechselnd in Frankreich und den Vereinigten Staaten. Er unternimmt Konzertreisen rund um den Globus. Kurz vor seinem 70. Geburtstag beginnt er, seine Reise- und Aufnahmetätigkeit einzuschränken. Er bleibt aber der Musik weiterhin eng verbunden.
So gründet er 1987 einen internationalen Geigenwettbewerb in Aix-en-Provence, den er mit dem Verkauf seiner Stradivari, der berühmten "Hart" aus dem Jahr 1727, die er mitten im Krieg, 1942, käuflich erworben hatte, finanziert. Das edle Instrument ging später in den Besitz von Salvatore Accardo über. Auch Uraufführungen moderner Klassik hat Francescatti gemacht, seine bekannteste ist wohl die Englische Suite für Violine und Orchester von Darius Milhaud (1942). Francescatti hat sich auch als Komponist versucht, doch sind seine Werke nicht populär geworden. In den 1970er Jahren ist der Künstler auch mit dem Südwestfunk-Orchester Baden-Baden aufgetreten. Diese CD legt Zeugnis von der Zusammenarbeit ab:
Die Angabe zum Orchester auf dem Cover ist irreführend; zu dieser Zeit gab es den SWR noch nicht (das Südwestfunk-Orchester wurde erst in den 1990er Jahren umbenannt).
Und hier ist er als Bach-Interpret zu erleben:
Die nachfolgende preiswert erhältliche Box mit 3 CDs enthält einige bemerkenswerte Aufnahmen Francescattis mit diversen Orchestern und Dirigenten. Mit ihr möchte ich den Schlußpunkt dieses Threads setzen:
Zino Francescatti, dessen Stil geprägt war von einer scheinbar mühelosen Technik, einer seltenen Wärme des Ausdrucks und klanglicher Eleganz, starb im gesegneten Alter von 89 Jahren am 17. September 1991 in La Ciotat an der Côte d'Azur, wo er zuletzt seinen Wohnsitz hatte.
LG Nemorino