Schuberts „Schwanengesang“ und seine Begegnung mit der Lyrik Heinrich Heines


  • Auf all die Fragen, die historischen und die um das Problem eines potentiellen zyklischen Zusammenhangs der Lieder kreisenden, die diese im Januar 1929 durch den Verleger Tobias Haslinger getätigte und von ihm mit dem Titel „Schwanengesang“ und dem Kommentar „die letzten Blüten seiner edlen Kraft“ versehene Publikation von Liedern aus Schuberts Nachlass aufgeworfen hat, soll hier nicht eingegangen werden.
    Es ist nicht erforderlich, findet sich dazu doch eine große Fülle an partiell tiefschürfenden Beiträgen in dem Thread Schubert: Schwanengesang , auf den hier nachdrücklich verwiesen sei.

    Hingewiesen werden soll aber darauf, dass dieser Thread an den mit dem Titel Franz Schubert. Liedkomposition nach existenziell tiefgreifender Lebenskrise anbindet. In dessen Zielsetzung geht es ja um die in Schuberts späten Liedern sich artikulierende Liedsprache und die Frage, in welcher Formen und Gestalten darin sich die vom zugrundeliegenden Text her bewirkte personal-existenzielle Betroffenheit durch die jeweilige lyrische Aussage darstellt.
    Hier, im sog. „Schwanengesang“, stellt sie sich in besonders eindringlicher Weise bei den Heine-Texten, aber auch die Rellstab-Lyrik erweist diesbezüglich ergiebiger, als man auf den ersten Blick denken möchte.
    Das soll hier nun aufgezeigt werden.

    Lied 1: „Liebesbotschaft“

    Rauschendes Bächlein,
    So silbern und hell,
    Eilst zur Geliebten
    So munter und schnell?
    Ach, trautes Bächlein,
    Mein Bote sei du;
    Bringe die Grüße
    Des Fernen ihr zu.

    All' ihre Blumen,
    Im Garten gepflegt,
    Die sie so lieblich
    Am Busen trägt,
    Und ihre Rosen
    In purpurner Glut,
    Bächlein, erquicke
    Mit kühlender Flut.

    Wenn sie am Ufer,
    In Träume versenkt,
    Meiner gedenkend
    Das Köpfchen hängt,
    Tröste die Süße
    Mit freundlichem Blick,
    Denn der Geliebte
    Kehrt bald zurück.

    Neigt sich die Sonne
    Mit rötlichem Schein,
    Wiege das Liebchen
    In Schlummer ein.
    Rausche sie murmelnd
    In süße Ruh,
    Flüstre ihr Träume
    Der Liebe zu.

    (Ludwig Rellstab)

    Man fühlt sich erinnert an die „Schöne Müllerin“: Das lyrische Ich in der Ansprache an das „Bächlein“, das als Bote dienen und all das der fernen Geliebten überbringen soll, was sich an Gedanken und Gefühlen in der Situation des Denkens an sie einstellt. Hurtig wie das Bächlein fließen die Verse in der regelmäßigen Kombination von Daktylen und Trochäen und oft im Enjambement ineinander übergehend dahin, wobei das dann am Ende auf durchaus rhythmisch-metrisch kunstvolle Weise zur Ruhe kommt dergestalt, dass beim drittletzten und beim letzten Vers der Unruhe erzeugende Daktylus ausgeschieden wird.
    In lieblichen, süßen und seelenvollen, sich dabei sprachlich bis in den Diminutiv steigernden Bildern vergegenwärtigt sich das lyrische Ich die Situation des fernen „Liebchens“ und bittet das Bächlein, es in süße Ruh zu wiegen. Zwar ist von baldiger Rückkehr die Rede, aber es bleibt offen, ob sie sich je ereignen wird. Quell aller lyrischen Aussagen und dem darin sich bekundenden seelischen Reichtum ist das Faktum des Getrennt-Seins vom geliebten Du.

    Ob sich Schubert, als er dieses Lied im August 1828 komponierte, an seine „Schöne Müllerin“ erinnert fühlte, wissend, dass solche Botschaften über ein Bächlein letzten Endes ins Leere gehen können und das „In-den-Schlummer-Wiegen“ für das lyrische Ich eine ganz andere Bedeutung annehmen kann?

    Die Liedmusik lässt nichts davon vernehmen, und es mutet etwas seltsam an, wenn Christian Strehk (im „Schubertlied-Lexikon“, Kassel 2012), offensichtlich von einer Art zyklischem Zusammenhang der Schwanengesang-Lieder ausgehend, die Sonne im Bild vom „rötlichen Schein“ als „Vorbotin des Unheils“ versteht, das im nachfolgenden Lied „Kriegers Ahnung“ thematisiert wird, und die „Naturidylle“ in „Liebesbotschaft“ als „nicht restlos“ überzeugend bezeichnet.

    Schubert hat diese Verse Rellstabs so nicht gelesen, und er hat die Liedmusik auf sie auch nicht mit Blick auf das Gedicht „Kriegers Ahnung“ komponiert. In ihr ist überdies an keiner Stelle auch nur eine Andeutung davon zu vernehmen, dass sich in ihr – die „Schöne Müllerin“ im Hinterkopf – das Wissen darum niedergeschlagen hat, dass „auch in Rellstabs Gedicht der Bach der Bote“ ist, „der eine (unüberbrückbare?) Distanz überwinden soll“.


  • „Liebesbotschaft“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Schon das Vorspiel lässt dies, vorausweisend auf den Geist der nachfolgenden Liedmusik, in unüberhörbarer Deutlichkeit vernehmen. Es ergeht sich in der klanglichen Evokation des Bildes vom silbern und hell rauschenden Bächlein, mit dem der lyrische Text einsetzt. Zweiunddreißigstel-Figuren im Auf und Ab von Terzen und Einzeltönen folgen aufeinander und beschreiben darin eine melodische Linie, die, in G-Dur harmonisiert, sich aus tiefer in mittlere Lage und in die harmonische Dominante erhebt, sich danach absenkt, die gleiche Bewegung danach aber noch einmal beschreibt, bevor sie auf tiefer tonaler Ebene dann verharrt, um der melodische Linie der Singstimme Raum zu geben.
    Da ist nicht die mindeste Verstörung und schon gar kein Bruch in der Evokation von Bächlein-Idylle zu vernehmen, die das Vorspiel mit seinen fließend dahinströmenden und dabei eine wiegende Figur beschreibenden Sechzehntel-Figuren bewirken soll und auch tatsächlich zustande bringt.

    Die melodische Linie entfaltet sich in der ersten Strophe durchgehend im gleichen Gestus der Aufeinanderfolge von deklamatorischen Schritten im Wert eines Achtels, zweier Sechzehntel und eines neuerlichen Achtels. Es ist der Gestus der Ansprache, der sie prägt. Aber sie reflektiert darin auch den Inhalt dieser Ansprache und der Gefühle, die sich für das lyrische Ich damit verbinden. Und um dem Nachdruck zu verleihen, hebt Schubert die Inhalte in markanter Weise dadurch hervor, dass er die Melodik in kleine Zeilen untergliedert, die durch eintaktige Pausen voneinander abgegrenzt werden, in denen das Klavier wie in einer Art Echo die vorangehenden deklamatorischen Schritte mit seinen Zweiunddreißigstel-Figuren noch einmal erklingen lässt und ihnen, um die Nachdrücklichkeit klanglich noch zu intensivieren, im Bass aufsteigende bitonale Achtelfiguren beigibt.

    Nicht nur im Notenwert der deklamatorischen Schritte bleiben sich sie kleinen Melodiezeilen gleich, auch in der Bewegung, die sie im tonalen Raum beschreiben, ist das der Fall. Drei Mal hintereinander ereignet sich strukturell die gleiche deklamatorische Bewegung mit zweifachem Sekundanstieg, Terzfall, neuerlichem Anstieg, nun aber mit Sprung über eine Quarte, und nachfolgendem zweifach gestuftem Fall. Das jeweils im Zentrum stehende Wort, also „Bächlein“ und „Geliebte“ erhält einen Akzent dadurch, dass sich auf ihm ein Fall ereignet, und Schubert nimmt hier nun, um die melodische Linie jeweils den Gehalt und die Emotionen des lyrischen Ichs reflektieren zu lassen, eine Differenzierung im Intervall der Sprünge vor und bringt den Faktor Harmonisierung zum Einsatz. Die erste Melodiezeile, das erste Verspaar beinhaltendend, ist in G-Dur harmonisiert, das aber eine Rückung über C-Dur und E-Dur nach a-Moll beschreibt, die leise Wehmut anklingen lassend, die sich im lyrischen Ich bei der Ansprache an das Bächlein regt. Die zweite Melodiezeile auf dem nächsten Verspaar steht in D-Dur, das am Ende wieder in die Tonika übergeht, wird doch dem lyrischen Ich bewusst, dass das Bächlein zur Geliebten eilt.

    Die dritte Zeile steht, weil mit dem Klageruf „Ach“ eingeleitet, ganz und gar in Moll Harmonik (e-Moll mir Rückung nach a-Moll), und die Sprungbewegung, die sich in allen drei Melodiezeilen vor dem zentralen Wort ereignet, erstreckt sich nun über das Intervall einer Quarte und wird von einem Quartfall gefolgt. Und das Tongeschlecht herrscht auch in der letzten Melodiezeile der ersten Strophe vor, wobei das e-Moll sogar eine Rückung in den Status verminderter A-Harmonik vollzieht.
    Die Liebste ist „fern“, wie dem lyrischen Ich in diesem Augenblick bewusst wird. Und so ereignet sich denn auf dem Wort „Grüße“ ein hochexpressiver, in e-Moll harmonisierter und im Klavierbass von einer Staccato-Triole begleiteter melodischer Sprung über das Intervall einer Dezime, und danach geht die melodische Linie bei dem Wort „Fernen“ in einen klanglich schmerzlichen, weil über eine kleine Terz erfolgenden und in verminderte Harmonik gebetteten Fall über.

  • „Liebesbotschaft“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage (Forts.)

    In der zweiten Strophe behält die Melodik zwar ihren deklamatorischen Grund-Gestus bei, sie entfaltet sich aber in stärker gebundener Weise. Zwischen den ersten beiden, jeweils zwei Verse umfassenden und in ihrer Struktur identischen Melodiezeilen liegt nur eine Achtelpause, so dass das Klavier auf seinen echohaften Kommentar verzichten muss. Gleichwohl nutzt es diese kleine Pause, um im Bass eine Staccato-Sechzehntel-Triole erklingen zu lassen. Die melodische Linie beschreibt, nun in C-Dur mit Rückungen nach G-Dur harmonisiert, auf den Worten „all ihre Blumen“ einen auf einem hohen „E“ ansetzenden Fall über eine ganze Oktave, auf den bei den Worten „im Garten gepflegt“ ein zärtlich wirkendes Auf und Ab in deklamatorischen Sechzehntel-Schritten nachfolgt. Die letzten vier Verse („Und ihre Rosen / In purpurner Glut, / Bächlein, erquicke / Mit kühlender Flut“) sind zu einer melodischen Einheit zusammengefasst, in die auf den Worten „purpurner Glut“ eine expressive Aufgipfelung in Gestalt eines mit zwei Sekundschritten eingeleiteten gedehnten Sekundfalls in hoher Lage auf dem Wort „Glut“ tritt.

    Die Harmonik verlässt hier das Tongeschlecht Dur und beschreibt, den hohen affektiven Gehalt des lyrischen Bildes zum Ausdruck bringend, eine Rückung von d-Moll nach A-Dur, um danach beim zweifachen Sekundfall auf dem Wort „Bächlein“ wieder zum d-Moll zurückzukehren. Auch das Klavier entfaltet hier in der Begleitung der melodischen Linie stärkere Expressivität in Gestalt von größeren Intervallen in den die melodische Linie in ihren Anstieg begleitenden Zweiunddreißigstel-Figuren und fallenden und wieder steigenden Achteln im Bass. Weil aber die Aufforderung an das Bächlein, die Rosen mit „kühlender Flut“ zu erquicken aus fürsorglich-liebevollem Herzen kommt, kehrt die Harmonik bei dem Wort „erquicke“ wieder zu dem die ganze Strophe beherrschenden C-Dur zurück, und die melodische Linie beschreibt die gleiche klanglich zärtlich anmutende Auf und Ab-Figur wie auf den Worten „Garten gepflegt“.

    Schubert lässt diese Vers-Vierergruppe, eben weil sich in ihnen die Emotionen des lyrischen Ichs in so ausdrucksstarken Bildern ausdrücken, noch einmal wiederholen, und dies in einer bis auf eine Ausnahme identischen Liedmusik. Die Ausnahme findet sich bei den Worten „und ihre Rosen“. Hier setzt die melodische Linie nun mit einem Fall auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Lage ein und geht in einen verminderten Terzfall über, dem wie bei ersten Mal ein Quintsprung nachfolgt, aber eben einer, der sie in eine höhere Lage führt, so dass das Wort „Rosen“ auf noch markantere Weise hervorgehoben wird.

    Wie tiefreichend die Liedmusik die lyrische Aussage und die sie tragenden Bilder in ihrer Semantik und ihrem affektiven Gehalt auslotet, das wird auf eindrucksvolle Weise in der dritten Strophe vernehmlich und erfahrbar. Diese weist ja eine ausgeprägte Binnengliederung auf. Die ersten vier Verse heben sich, obgleich sie durch das einleitende „wenn“ syntaktisch an die nachfolgende Vers-Vierergruppe angebunden sind, in der Metaphorik deutlich von dieser ab. Denn in ihrem Zentrum steht das geradezu idyllische Bild von der in Träume versenkten und zärtlich das „Köpfchen“ hängenden Geliebten, und nachdem das lyrische Ich sich dieser Imagination hingegeben hat, kehrt es wieder zu seinem Aufforderungs-Gestus dem Bächlein gegenüber zurück. Und diesen Umschlag in der lyrischen Aussage lässt die Liedmusik in einer Weise klanglich-sinnlich erfahrbar werden, wie es die lyrische Sprache nicht vermag.

    Bei den ersten vier Versen lässt die melodische Linie ganz und gar von ihrem bislang geübten deklamatorischen Gestus der Aufeinanderfolge von Achtel- und Sechzehntel-Schritten ab und überlässt sich einer ruhigen Entfaltung in auffällig gedehnten, im engen Raum einer Quarte auf mittlerer tonaler Ebene verbleibenden und den Sprung weitgehend meidenden Schritten. Und auch das Klavier passt sich dem darin sich ausdrückenden Geist der Ruhe und Besinnlichkeit an, indem es mit seinen Zweiunddreißigstel-Figuren ebenfalls auf der tonalen Ebene verharrt. Im Bass allerdings lässt es vernehmen, dass hinter dieser Imagination eines idyllischen Bildes beim lyrischen Ich doch eine gewisse Unruhe steht: Die Sehnsucht nach der Geliebten, die sich in den Worten „Denn der Geliebte kehrt bald zurück“ dann ja auch Ausdruck verschafft.

    Zwei Mal ereignet sich im Bass ein aus einem länger gehaltenen Einzelton hervorgehender Anstieg von in einen wiederum lang gehaltenen Ton mündenden Staccato-Sechzehnteln, wobei die Harmonik erst eine Rückung von a-Moll nach E-Dur, dann eine von F-Dur nach C-Dur beschreibt. Denn auch in der Harmonisierung dieser so ruhig sich entfaltenden, bei den Worten „Ufer“, „Träume“, „meiner“, „gedenkend“ und „Köpfchen“ in Dehnungen verfallenden melodischen Linie auf dieser ersten Vers-Vierergruppe schlägt sich in die innere Unruhe des lyrischen Ichs nieder. Sie beschreibt die von den Bewegungen im Quintenzirkel und im Tongeschlecht durchaus bemerkenswerten Rückungen von a-Moll über E-Dur, e-Moll, g-Moll, D-Dur, F-Dur und C-Dur um dann – auch das ein auf die Subtilität von Schuberts Liedmusik verweisender Sachverhalt – bei dem Sekundsprung, der sich nach der Dehnung auf „Köpfchen“ zu dem Wort „hängt“ hin ereignet, vom C-Dur in ein c-Moll zu verfallen. Dem lyrischen Bild wohnt ein leicht schmerzlicher Unterton inne.

  • „Liebesbotschaft“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage (Forts.)

    Mit den Worten „Tröste die Süße mit freundlichem Blick“ tritt ein Crescendo in das Pianissimo, in dem die Liedmusik sich bislang entfaltete, die Harmonik rückt nach H-Dur und die melodische Linie geht wieder in ihren lebhafter anmutenden Ansprache-Gestus aus einer Folge von einem deklamatorischen Achtelschritt und zwei Sechzehntelschritten über. Sie beschreibt zunächst einen Fall über das Intervall einer Sexte, der aber schon bei den Worten „mit freundlichem Blick“ in einen Anstieg in Gestalt eines dreimaligen Sekundfalls übergeht, bei dem die Harmonik eine Rückung nach cis-Moll vollzieht. Dort verbleibt sie auch zunächst bei dem vom Klavier mit seinen Zweiunddreißigstelfiguren mitvollzogenen Anstieg in hohe Lage, den die melodische Linie bei den Worten „denn der Geliebte“ beschreibt.

    Aber diese beiden letzten Verse der dritten Strophe enthalten ja ein höchst bedeutsames Versprechen, und so kehrt die Harmonik zu ihrem H-Dur zurück und die melodische Linie vollzieht bei den Worten „kehrt bald zurück“ Nachdrücklichkeit zum Ausdruck bringende Sprungbewegungen, erst über eine Sekunde, dann sogar über eine Sexte. Das Klavier begleitet hier durchweg mit sprunghaft sich im Bass auf und ab bewegenden und teilweise punktierten Achteln und Sechzehnteln, und dies auf zur melodischen Linie durchaus gegenläufige Art und Weise. Bei dem melodischen Sekundsprung auf den Worten „kehr bald“ ereignet sich zum Beispiel im Bass ein in Gis-Dur harmonisierter Oktavfall.

    Auch bei dieser Vers-Vierergruppe bringt Schubert wieder das Prinzip der Wiederholung zum Einsatz, und die Variationen, die er dabei in den Bereichen Melodik, Harmonik und Klaviersatz vornimmt, lassen sehr deutlich vernehmen und erkennen, dass die Wiederholung hier dazu dient, die seelischen Dimensionen der Ansprache an das Bächlein auszuloten und dem Versprechen der alsbaldigen Rückkehr Nachdruck zu verleihen. Bei den Worten „Tröste die Süße / Mit freundlichem Blick“ beschreibt die melodische Linie nun eine zweimalige, bei den Worten „tröste“ und „freundlichem“ auf einem hohen „Dis“ ansetzende Fallbewegung, wobei die Harmonik jeweils eine trugschlüssige Rückung von Dis-Dur nach E-Dur beschreibt. Und nach einem ausdrucksstarken, mit einem Terzsprung eingeleiteten dreischrittigen Sekundfall auf dem Wort „Geliebte“ geht sie in einen weit gespannten, auf einem „H“ in mittlerer Lage ansetzenden und zu ihm wieder zurückkehrenden Bogen über, der in H-Dur mit Rückung in die Dominante harmonisiert ist und die Liedmusik dieser Strophe beschließt.

    Bei der vierten Strophe kehrt die Liedmusik der ersten bis hin zum letzten Vers zunächst in unveränderter Gestalt wieder, - wenn man einmal von solch kleinen Varianten wie dem textbedingten gedehnten Sekundfall auf dem Wort „Schlummer“ und dem melismatischen Sechzehntelvorschlag auf dem Wort „süße“ absieht. Die Einschränkung „zunächst“ ist deshalb erforderlich, weil Schubert auch hier wieder zum kompositorischen Mittel der Wiederholung greift. Die an das Bächlein gerichtete Bitte „Flüstre ihr Träume / Der Liebe zu“ ist angesichts ihrer Innigkeit und der Fülle an seelischen Regungen, die in ihr mitschwingen, viel zu gewichtig, als dass sie in ihrer ersten liedkompositorischen Fassung einfach so verklingen dürfte.

    Und so erklingt sie denn noch einmal, nun aber in Gestalt einer melodischen Linie, die sich einem schwärmerischen Gestus überlassen möchte und deshalb von dem beim ersten Mal vollzogenen Oktavsprung auf dem Wort „Träume“ ablässt, sich nun mit einem über das Intervall einer Sexte zufriedengibt, um sich danach einer schier endlos anmutenden, zwei Takte übergreifenden und sich als zweimaliger Sekundfall ereignenden Dehnung hinzugeben.
    Die Harmonik vollzieht dabei eine Rückung von G-Dur hin zur Dominante, das aber nur deshalb, weil die melodische Linie von dem Endpunkt ihrer so exzessiven Dehnung, dem Grundton „D“, nicht mehr ablassen will und deshalb das letzte kleine Wörtchen „zu“ ebenfalls auf ihm deklamiert werden muss. Mit der Rückkehr zur Tonika G-Dur kann ihm die Harmonik das ihm gebührende Eigensein verleihen.

    Das Klavier kann im Nachspiel eigentlich nichts anderes tun, als das Vorspiel noch einmal erklingen und in einem sechsstimmigen fermatierten G-Dur-Akkord enden lassen. Schließlich ist der musikalische Geist dieses Liedes in auf seine wesentlichen Züge verdichteter Gestalt voll und ganz gegenwärtig.

  • Lied 2: „Kriegers Ahnung“

    In tiefer Ruh liegt um mich her
    Der Waffenbrüder Kreis;
    Mir ist das Herz so bang und schwer,
    Von Sehnsucht mir so heiß.

    Wie hab' ich oft so süß geträumt (Rellstab: „geruht“)
    An ihrem Busen warm,
    Wie freundlich schien des Herdes Glut,
    Lag sie in meinem Arm!

    Hier, wo der Flammen düstrer Schein
    Ach nur auf Waffen spielt,
    Hier fühlt die Brust sich ganz allein,
    Der Wehmut Träne quillt.

    Herz, daß der Trost Dich nicht verläßt,
    Es ruft noch manche Schlacht. -
    Bald ruh' ich wohl und schlafe fest,
    Herzliebste - Gute Nacht!

    (Ludwig Rellstab)

    Im regelmäßigen Wechsel von vier- und dreihebigen Jamben mit durchweg stumpfer Kadenz entwerfen diese Verse die Szene nächtlicher Ruhe von Kriegern vor dem bevorstehenden Waffengang und artikulieren die Gedanken und Empfindungen, die sich bei einem von ihnen dabei einstellen. Das Herz ist ihm „bang und schwer“. Sehnsucht nach der Geliebten macht es ihm „heiß“.
    In der zweiten Strophe stellen sich all die Erinnerungen an sie ein. Zwei Mal geht damit die Empfindung von Wärme einher: In den Bildern von „des Herdes Glut“ und vom „Busen warm“. In der dritten Strophe kehrt die Realität der kriegerischen Welt wieder zurück, und das anfängliche Bild von den „Waffenbrüdern“ enthüllt sich in seiner Hohlheit, denn Einsamkeit ist das Schicksal: Die Brust fühlt sich „ganz allein“, und der Wehmut Träne quillt. Wie trotzig stellt die letzte Strophe dem den Ruf nach Trost entgegen, gepaart mit der Vision von Ruhe und festem Schlaf und einem Gute Nacht-Gruß an die ferne Geliebte.
    Aber diese Vision von Ruhe verbleibt in der eigenartigen Ambivalenz. Es könnte der Wunsch nach Ruhe in den Armen der Geliebten sein, der diesem Krieger da vorschwebt, viel eher aber dürfte ihm bewusst sein, dass es die auf dem Schlachtfeld ist.

    Ein lyrisch düsterer, von den Bildern vergangener liebevoller Zweisamkeit nur vorübergehend aufgehellter, in Wirklichkeit aber hoffnungsloser Entwurf von menschlichem Leben also. Und Schuberts Komposition darauf, die in bemerkenswert freier und ganz und gar eigenständiger Weise mit diesen Versen umgeht, bringt diese zwischen Gegenwart und Vergangenheit wie irrlichternd hin und her kreisenden Gedanken und Erinnerungen des lyrischen Ichs auf eine vielgestaltige, uneinheitlich wirkende und deshalb ebenfalls klanglich irrlichternd anmutende Liedmusik zum Ausdruck.

    Sie entstand im August 1828, und wenn man sie in allgemeiner Weise, Grundtonart, Metrum und Vortragsanweisung betreffend beschreiben sollte, so ginge das nicht, weil es ein diesbezüglich einheitliches Bild nicht gibt. Das Metrum wechselt von einem anfänglichen Dreivierteltakt zu einem von vier Vierteln und dann zu sechs Achteln, aus dem Tempo „nicht zu langsam“ wird erst ein „etwas schneller“ und dann „geschwind, unruhig“, und die Harmonik schweift ohne wirkliche grundtonartliche Bindung an das anfängliche c-Moll auf geradezu kühn wirkende Weise durch die Tongeschlechter und die B- und Kreuztonarten des Quintenzirkels.

    Es sind Gedanken und Gefühle des lyrischen Ichs, die Schubert mit dieser Liedmusik ausdrückt, und da diese zwischen der Imagination eines von Liebe erfüllten Lebens und einer Gegenwart hin und her irren, in der die ehemals warme Glut des Herdes zu dem auf Waffen spielenden düsteren Schein wird und sich schließlich in der Ahnung eines Todes auf dem Schlachtfeld verlieren, kann diese Liedmusik auch selbst nur zu einem Hin und Her zwischen konträrer und kontrastiver Melodik und Harmonik werden.

    Dietrich Fischer-Dieskau charakterisiert dieses Lied als „kleine Opernszene vom Typ arioser Reihung“ und meint kritisch, dass die „mehr äußerliche Anpassung an den Text“ verhindere, „daß das Lied völlig ungebrochene Überzeugungskraft ausstrahlt“. Das aber scheint mir nun ein dieser Liedmusik nicht voll gerecht werdendes Urteil zu sein. Es ist gerade dieses geradezu kompromisslose kompositorische Sich-Einlassen Schuberts auf die lyrischen Aussagen der drei Strophen, auf deren jeweilige sprachliche Gestalt und ihre Metaphorik, die der Liedmusik ihre so starke Ausdruckskraft verleiht, wie sie aus dem Aufeinandertreffen solch gegensätzlicher Ausdrucksformen hervorgeht.

    Und es ist ja auch nicht so, dass es sich dabei um eine einfache „Reihung“ handele. Schubert hat hier eine in sich geschlossene Liedkomposition geschaffen: In den letzten elf Takten des Wiederholungsteils kehrt die Liedmusik auf den Worten „Herzliebste gute Nacht“ mit dem Dreivierteltakt, dem c-Moll in der Harmonisierung der melodischen Linie und dem Klaviersatz in Gestalt einer rhythmisierten Folge von Akkorden im Wert eines punktierten Viertels, eines Sechzehntels und eines Achtels zu ihren Anfängen in der ersten Strophe zurück.


  • „Kriegers Ahnung“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Wie tiefgreifend und intensiv dieses kompositorische Sich-Einlassen auf die lyrische Aussage, ihre Sprachlichkeit und ihre Metaphorik erfolgt, und wie wenig dies zu einem Bruch in der Anbindung der einzelnen Liedpassagen aneinander führt, das soll in der gebotenen Kürze, das heißt in Beschränkung auf die relevanten Elemente der Liedmusik nun aufgezeigt werden.
    Das Vorspiel lässt gleich zwei solcher, für die liedmusikalische Aussage relevante Elemente vernehmen: Die im Dreivierteltakt aus der Abfolge von zweifach punktiertem Viertelakkord, Sechzehntel- und Achtelakkord erfolgende Rhythmisierung der Liedmusik der ersten Strophe, die weniger die Anmutung eines Trauermarschs, als vielmehr die eines Totentanzes aufweist, und die auf das Tongeschlecht Moll wie fixiert erscheinende, sich daraus nicht wirklich zum Dur erheben könnende, eher sogar sich im Chroma der Verminderung zu verlieren drohende Harmonik.
    Von der Totentanz-Rhythmisierung lässt die Liedmusik in der zweiten und der dritten Strophe zwar ab, in der vierten mutet sie aber so an, als würde sie sich auf der Basis eines Sechsachteltakts und mit den wellenartig sich entfaltenden Sechzehntelfiguren im Klaviersatz wie im Wirbel in sie hineinsteigern. Und dass sich darin ihr Wesen verkörpert, das wird schließlich darin sinnfällig, dass sie am Ende in der Urfassung wiederkehrt.

    Die Melodik der ersten Strophe ist, darin die Duplizität von lyrischer Situationsevokation und Ich-Bekenntnis reflektierend, strukturell von deklamatorischer Repetition und Sprung- und Fallbewegungen geprägt. Das Wort „Ruh“ erhält durch einen Quartsprung und eine Dehnung einen Akzent, bei „liegt um mich her“ senkt sich die melodische Linie, das lyrische Bild reflektierend, in tiefe Lage ab, und diese Bewegung setzt sich auch noch zu „Waffenbrüder“ hin fort, geht aber in diesem zu einem ausdrucksstarken, weil aus extrem tiefer Lage erfolgenden Oktavsprung über, um danach in der nun erreichten tonalen Lage zu verharren und mit einem Sekundfall in einer Dehnung zu enden.

    Wie tief Schubert hier schon, nämlich bei dem Wort „Waffenbrüder“ in die Seele des lyrischen Ichs vorgedrungen ist, das zeigt eben dieser Oktavsprung. Denn er ist in das klangliche Chroma verminderter Harmonik gebettet. Diese Gesellen da ringsum sind keine wirklichen Brüder. Die Worte „Mir ist das Herz so bang und schwer“ werden auf einer melodischen Linie deklamiert, bei der sich nach einer Tonrepetition auf dem Wort „Herz“ ein Sekundsprung ereignet, der in eine kleine Dehnung mündet und mit einer Rückung von G-Dur in ein vermindertes „As“ verbunden ist. Das verleiht ihm einen starken schmerzlichen Akzent, und das nachfolgende Auf und Ab der melodischen Linie auf den Worten „so bang und schwer“ mutet, weil es auf der tonalen Ausgangsebene der Zeile erfolgt, wie eine Bekräftigung an, so dass Schubert diese melodische Figur wiederholen lässt.

    Auch die Worte „Von Sehnsucht mir so heiß“ werden wiederholt, und dies ganz offensichtlich, um die Ambivalenz zum Ausdruck zu bringen, wie sie Schubert aus diesem Geständnis des lyrischen Ichs herausgelesen hat, dem ums Herz so „bang und schwer“ ist. Beim ersten Mal schwingt sich die melodische Linie von eben jenem „G“, um das sie bei den Worten „bang und schwer“ kreiste zu einem hohen gedehnten „E“ empor, wobei sie bei dem Wort „so“ einen melismatischen Doppelvorschlag beschreibt. Das Klavier folgt ihr dabei mit dreistimmigen Akkorden im Diskant: Bemerkenswert aber: Die Harmonik rückt von Es-Dur über B-Dur nach einem verminderten Es-Akkord, so dass das Wort „heiß“ in ein klangliches Chroma gebettet ist. Und aus der Wiederholung dieser Worte meint man vernehmen zu können, warum dies der Fall ist. Nun beschreibt die melodische Linie auf dem Wort „Sehnsucht“ einen veritablen Septfall, der in der Dominantseptversion der Tonart „F“ harmonisiert ist. Danach geht die melodische Linie nach einer Viertelpause in einen Anstieg aus tiefer Lage über zwei verminderte Sekundschritte in eine Dehnung über, wobei die Harmonik eine Rückung nach G-Dur beschreibt. Die vorangehende Dehnung in hoher Lage auf „heiß“ enthüllt sich hier als ein Ausbruch in schmerzliche Klage, den das lyrische Ich im Bewusstsein der Hoffnungslosigkeit seiner gegenwärtigen Situation wieder zurücknimmt.

    Drei Takte lang lässt das Klavier ein Nachspiel erklingen, bevor die Liedmusik der zweiten Strophe einsetzt. In der Totentanz-Rhythmisierung folgen Akkorde aufeinander, dies zunächst in c-Moll, dann aber in einer Rückung nach G-Dur, in dem auch der lang gehaltene, weil fermatierte Akkord steht, mit dem dieses Nachspiel abschließt. Die Imagination liebeerfüllten vergangenen Lebens folgt lyrisch nach, und das erfordert eine Liedmusik, die sich schon durch den zugrundeliegenden Viervierteltakt und das angehobene Tempo (Anweisung: „Etwas schneller“) von der mollbetonten Totentanz-Düsternis der ersten Strophe abhebt.

    Um aber keinen liedmusikalischen Bruch entstehen zu lassen, lässt Schubert aus dem lang gehaltenen G-Dur-Akkord triolische Achtel-Arpeggien hervorgehen, die As-Dur-Harmonik aufklingen lassen, - die Tonart, die die Harmonisierung der melodischen Linie in der zweiten Strophe maßgeblich prägt und die die Subdominante der Dur-Parallele des c-Molls darstellt, auf das die Harmonik der ersten Strophe ausgerichtet ist. Und tatsächlich ereignen sich auch permanente Rückungen von diesem As-Dur hin zu dieser Dur-Parallele, so dass sich der Eindruck einstellt, dass dies die eigentliche Grundtonart dieser zweiten Strophe darstellt. Die steigend und fallend aufeinander folgenden Achtel-Triolen, die vorübergehend auch ausschließlich fallende Bewegung beschreiben, entfalten sich durchweg im Diskant des Klaviersatzes, und sie erhalten einen starken Akzent durch tiefe, oft legato miteinander verbundene und oft über eine Oktave angeschlagene Einzeltöne im Bass.

    Ein von Helle, Klarheit und einem – durch die Achtel-Triolen bedingten - Anflug von Lieblichkeit geprägter klanglicher Raum für die Entfaltung der melodischen Linie entsteht auf diese Weise, und diese überlässt sich nach dem anfänglichen, noch im Gestus des Berichtens erfolgenden Auf und Ab auf den Worten „Wie hab´ ich oft so süß geträumt“, bei dem die Harmonik von As-Dur über B-Dur nach Es-Dur rückt, auch prompt mehr und mehr einer Entfaltung in klanglich lieblich anmutenden Bogenbewegungen. Bei den Worten „An ihrem Busen warm“ geschieht das zum ersten Mal. Sie steigt nach einem anfänglichen Sekundfall in zwei Sekundschritten zu einem hohen „Es“ hinauf, beschreibt bei „Busen“ einen gedehnten Terzfall und senkt sich danach über eine Sekunde zu einer Dehnung auf dem Wort „warm“ ab, wobei die Harmonik eine Rückung von As-Dur nach Es-Dur vollzieht, das, auch weil die Dehnung auf einem „B“ in mittlerer Lage liegt, nicht wie eine Dominante, sondern eher wie die Tonika anmutet.

  • „Kriegers Ahnung“ (II)

    Diese die emotionale Wärme der lyrischen Bilder reflektierende Bogenbewegung der melodischen Linie lässt Schubert bei der Wiederholung dieser Worte noch einmal wiederkehren, nun in der tonalen Ebene um eine Sekunde abgesenkt und in einer Rückung von b-Moll nach F-Dur harmonisiert. Sie ist ihm in der klanglich warmen Lieblichkeit, die von ihr ausgeht, ganz offensichtlich wichtig, lässt sie doch tief in die Seele des lyrischen Ichs blicken, so wie er diese sich vorgestellt hat. Und vielleicht liefert das auch die Erklärung dafür, dass er aus Rellstabs „geruht“ ein „geträumt“ gemacht hat. Die Tatsache, dass die Melodik auf den beiden Versen „Wie freundlich schien des Herdes Glut, / Lag sie in meinem Arm“ als eine Wiederkehr derjenigen auftritt, die auf dem ersten Verpaar liegt, darf wohl als Bestätigung dieser Vermutung aufgefasst werden.

    Aber da wäre liedkompositorisch kein Schubert am Werk, erschöpfte sich die Liedmusik dieser Strophe in simpler Wiederholung. Der melodische Bogen auf den wiederholten Worten „Lag sie in meinem Arm“ entspricht zwar strukturell exakt dem auf der Wiederholung der Worte „An ihrem Busen warm“, Schubert harmonisiert ihn aber nun in einem im Quintenzirkel weitab liegenden Ges-Dur mit Rückung nach Des-Dur und lässt das Klavier ihn nun mit Triolen begleiten, die durch die großen Intervalle ihrer Sprünge deutlich größere Expressivität entfalten. Dieses vom lyrischen Ich imaginierte Bild vergangenen Lebens erhält auf diese Weise eine Eindringlichkeit, die jene des lyrischen Textes weit übersteigt.

    Mit dem Wort „hier“, das die dritte Strophe einleitet, wird das lyrische Ich wieder in die Düsternis seiner realen Lebenswelt zurückgeholt, und in der Liedmusik schlägt sich das in der Weise nieder, dass sie in eine Art Starre verfällt. Es ist die von permanenten Repetitionen, akkordischen im Klaviersatz und deklamatorischen in der Melodik, wobei diese, im Unterschied zu jenen, im letzten Vers, also bei den Worten „Der Wehmut Träne quill“, eben diese Aussage reflektierend, von einen großen tonalen Raum einnehmenden Anstiegs- und Fallbewegungen abgelöst werden. Eine hohe Eindringlichkeit geht hier von der Liedmusik aus, und dies vor allem dadurch, dass die melodische Linie lange im gleichen deklamatorischen Gestus verharrt dabei erst in Rückungen von Cis-Dur nach fis-Moll harmonisiert ist, dann über vier Takte in in a-Moll gebettet ist, um schließlich in das anfängliche fis-Moll zurückzufallen und über einen neapolitanischen Sextakkord bei den Worten „der Wehmut Träne“ in einer f-Moll-Harmonisierung zu enden.

    Erheblich trägt auch zu dieser Eindringlichkeit bei, dass die Melodiezeilen fast allesamt nach der deklamatorischen Tonrepetition oder, später, nach einem Fall in einer Dehnung enden. Beim ersten Vers verharrt sie ganz und gar repetierend auf einem „Fis“ in tiefer Lage und endet in einer Dehnung auf dieser tonalen Ebene. Der Klageruf „Ach“ wird durch eine Dehnung auf einem „Cis“ in hoher Lage mit Nachdruck versehen, danach stürzt die melodische Linie über eine ganze Oktave in tiefe Lage ab und steigt über einen Quartsprung wieder in mittlere auf, um sich dort bei den Worten „Waffen spielt“ wieder in Tonrepetitionen zu ergehen, die in eine Dehnung münden.

    Schubert arbeitet auch hier mit dem Mittel der Wiederholung, um über eine Steigerung der Expressivität der melodischen Linie der Klage des lyrischen Ichs den gebotenen Nachdruck zu verleihen. So werden die sich auf einem „A“ in mittlerer Lage ereignenden und in einen Fall mündenden Tonrepetitionen auf den Worten „Hier fühlt die Brust sich ganz allein“ auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene wiederholt, was zur Folge hat, dass sich der Fall am Ende über größere Intervalle ereignet und mit einer Rückung von a-Moll nach fis-Moll verbunden ist. Wiederholt wird auch das Geständnis „Der Wehmut Träne quillt“. Und hier verfährt Schubert bemerkenswerterweise ähnlich wie am Ende der ersten Strophe, bei den Worten „Von Sehnsucht mir so heiß“. Erst beschreibt die melodische Linie eine geradezu klassische Seufzer-Figur mit einem gedehnten, in hoher Lage ansetzenden und das Intervall einer Sexte überspannenden Fall auf dem Wort „Wehmut“ und nachfolgendem, mit einem Legato-Terzsprung eingeleiteten ebenfalls gedehnten Sekundfall auf „Träne“. Bei der Wiederholung wird daraus aber eine den Klage-Gestus betonende Kombination aus in hohe Lage führendem Quartsprung mit nachfolgendem Quintfall, woran sich ein langsames, in gewichtigen Schritten von halben Noten erfolgendes Absinken der melodischen Linie in Sekundschritten anschließt.
    Auch hier nimmt das lyrische Ich, so wie Schubert sich ein Bild von ihm gemacht hat, bei der Wiederholung den hohen emotionalen Gehalt seines Geständnisses teilweise wieder zurück, indem es in den Gestus einer Feststellung verfällt.

    Aber mit der Ansprache an sein Herz, die sich in der letzten Strophe ereignet, ist es vorbei mit diesem Sich-Zusammennehmen am Ende. Die Liedmusik entfaltet sich nun in einem Sechsachteltakt, und das tut sie „Geschwind“ und „unruhig“, wie die Vortragsanweisungen hier lauten. Unruhe geht auch vom Klaviersatz aus, der im Diskant nun aus wellenartig angelegten Sechzehntel-Sextolen besteht und im Bass aus lang gehaltenen Einzeltönen mit Sechzehntel-Terz-Nachschlag. Auch die melodische Linie atmet Unruhe. Auf den Worten „Herz! Daß der Trost Dich nicht verläßt!“ geht sie nach einer anfänglichen, in G-Dur harmonisierten Dehnung auf „Herz“ in eine zweifache, um eine Sekunde sich absenkende Tonrepetition über, wobei die Harmonik nach As-Dur rückt, und beschreibt dann am Ende eine expressive, weil über eine Sexte sich erstreckende Sprung- und Fallbewegung, Und Schubert lässt das alle gleich noch einmal wiederholen und den Terzfall auf „verlässt“ dieses Mal in eine lange Dehnung münden. Das Wort „Schlacht“, das den zweiten Vers beherrscht, hat zur Folge, dass die melodische Linie, nun in a-Moll harmonisiert, einen mit einem Terzsprung eingeleiteten vierfachen Sekundanstieg beschreibt und bei eben diesem Wort in eine lange, das Taktende überschreitende Dehnung auf einem hohen „E“ übergeht, wobei die Harmonik prompt eine Rückung nach E-Dur vollzieht.

  • „Kriegers Ahnung“ (III)

    Aber nun folgt ja die Schlussvision einer baldigen Ruhe, die vom lyrischen Kontext her in eigenartiger semantischer Schwebe verbleibt. Sie ist mit einem in den nächtlichen Himmel entlassenen Gute-Nacht-Gruß an die Geliebte verbunden. Und es dürfte diese von Rellstab in die lyrische Aussage eingebrachte Ambiguität von Wunsch und Wirklichkeit gewesen sein, die Schubert dazu bewogen haben mag, sich dieser letzten Strophe liedmusikalisch so ausführlich zu widmen, dass er sie nicht nur ganz und gar wiederholen lässt, sondern darin auch noch textliche Binnen-Wiederholungen vornimmt und das Lied in einer zweifachen Deklamation der Worte „“Herzliebste, gute Nacht“ enden lässt. Und diese hat es in sich, was dieses von Rellstab in der Unbestimmtheit gelassene Wort „Ruhe“ anbelangt.

    Bei den Worten „Bald ruh' ich wohl und schlafe fest“ ergeht sich die melodische Linie in langen Dehnungen in hoher Lage, aus denen sie sich am Ende in drei, bzw. zwei Sekundschritten absenkt. Die Harmonik beschreibt dabei bemerkenswerterweise zunächst eine Rückung von C-Dur nach F-Dur, geht bei dem Wort „schlafe“ dann zwar in den Moll-Bereich über (d-Moll), kehrt aber am Ende, bei dem Sekundfall auf „fest“ wieder zum Tongeschlecht Dur zurück. Und das bleibt auch bei der Wiederholung dieser Worte in unveränderter Weise so. Das Klavier begleitet die melodische Linie hierbei mit einer Folge von Achteloktaven im Bass und einer fallend angelegten Achtelfigur im Diskant, und die Liedmusik will wohl sagen, dass sich diese lyrische Ich diese Ruhe im festen Schlaf als eine schöne Hoffnung ausmalt.

    Das Wort „Herzliebste“ wird beim ersten Mal auf einer Kombination aus kleinem Sekundsprung und Terzfall in hoher Lage deklamiert, die in c-Moll harmonisiert ist. Durch eine nachfolgende kleine Pause wird der Anrede-Gestus betont. Bei der Wiederholung erfährt er eine Steigerung dadurch, dass nun ein Quartsprung auf dem Wort liegt, der in F-Dur harmonisiert ist. Auch die melodische Linie auf den Worten „gute Nacht“ erfährt bei der Wiederholung eine Variation. Beim ersten Mal besteht sie aus einer Dehnung in hoher Lage, die in einen Terz- und einen Sekundfall mit Dehnung übergeht, wobei die Harmonik eine Rückung von Des-Dur nach As-Dur vollzieht. Daraus wird dann eine Dehnung in tiefer Lage mit Sekundsprung und doppeltem Sekundfall bei Harmonischer Rückung von C-Dur nach F-Dur.
    Das lyrische Ich nimmt also bei diesem an die Geliebte gerichteten Gute-Nacht-Wunsch aus Wiederholung die Emphase ein wenig heraus, so als verfalle es in den Gestus des Zu-sich-selbst-Sprechens.

    Und genau dieses ereignet sich am Ende des Liedes auf hoch expressive und die musikalische Aussage des Liedes maßgeblich prägende Weise noch einmal. Nachdem die Worte „Herzliebste, gute Nacht“ zunächst wieder auf der melodischen Linie der Erstfassung deklamiert werden, bei der die Harmonik eine Rückung von c-Moll über Des-Dur nach As-Dur beschreibt, ereignet sich bei der Wiederholung innerhalb des Wortes „Herzliebste“ während des kleinen Sekundsprungs mit nachfolgender Tonrepetition in tiefer Lage, der nun auf diesem Wort liegt, eine Rückkehr der Liedmusik zum Geist der ersten Strophe: Zu deren Metrum, der Tonart c-Moll, dem Tempo und dem Klaviersatz. Aber nicht zu deren Melodik.

    Und das ist das so tief Beeindruckende. Die melodische Linie will sich nun, anders als sie das in allen vorangehenden Fällen getan hat, nun bei diesem Gute-Nacht-Gruß an die Geliebte nicht mehr von der tiefen tonalen Lage zu höherer aufschwingen. Sie verharrt, und das nach einer auffällig langen Pause im Wert von drei Vierteln, bei „gute Nacht“ auf der Ebene des tiefen G“, auf die sie der Sekundsprung bei „Herzliebste“ geführt hat. Und bei „Nacht“ vermag sie sich gerade mal zu Sekundsprung, aufzuraffen, um sich auf dem damit erreichten fermatierten „A“ nun einer langen Dehnung zu überlassen. Eine starke klangliche und das Wort „Nacht“ markant hervorhebende Wirkung geht von ihr aus, denn das Klavier begleitet sie mit einer dissonanten Version seiner Totentanz-Figur.

    Was nach einem fast zweitaktigen Zwischenspiel nachfolgt, die letzte melodische Fassung dieser Worte, wirkt wie ein tief resignatives liedmusikalisches Schlusswort.
    Noch einmal rafft sich die melodische Linie bei dem Wort „Herzliebste“ zu der Kombination aus Sprung und Fall auf, die ansonsten immer auf ihm lag. Nun aber ist sie in c-Moll-Harmonik gebettet, und eine Viertelpause folgt ihr nach. Das anschließende „gute Nacht“ wird im dreifachen Piano deklamiert, und das auf der gleichen tonalen Ebene, auf der die melodische Linie beim Quartfall auf den Silben „-liebste“ endete. Sie kann sich davon nicht mehr erheben, und das c-Moll in das sie gebettet ist, wird vom Klavier mit einem fünfstimmigen Schlussakkord bekräftigt.
    Dieses lyrische Ich weiß nun, ganz und gar in sich versunken, dass seine Nachtruhe eine des Todes auf dem Schlachtfeld sein wird.

  • Lied 3: „Frühlingssehnsucht“

    Säuselnde Lüfte
    Wehend so mild,
    Blumiger Düfte
    Atmend erfüllt!
    Wie haucht Ihr mich wonnig begrüßend an!
    Wie habt Ihr dem pochenden Herzen getan?
    Es möchte Euch folgen auf luftiger Bahn!
    Wohin?

    Bächlein, so munter
    Rauschend zumal,
    Wollen hinunter
    Silbern in's Tal.
    Die schwebende Welle, dort eilt sie dahin!
    Tief spiegeln sich Fluren und Himmel darin.
    Was ziehst Du mich, sehnend verlangender Sinn,
    Hinab?

    Grüßender Sonne
    Spielendes Gold,
    Hoffende Wonne
    Bringest Du hold.
    Wie labt mich Dein selig begrüßendes Bild!
    Es lächelt am tiefblauen Himmel so mild,
    Und hat mir das Auge mit Tränen gefüllt.
    Warum?

    Grünend umkränzet
    Wälder und Höh',
    Schimmernd erglänzet
    Blütenschnee.
    So dränget sich Alles zum bräutlichen Licht,
    Es schwellen die Keime, die Knospe bricht;
    Sie haben gefunden was ihnen gebricht:
    Und Du?

    Rastloses Sehnen,
    Wünschendes Herz,
    Immer nur Tränen,
    Klage und Schmerz?
    Auch ich bin mir schwellender Triebe bewußt,
    Wer stillet mir endlich die drängende Lust?
    Nur du befreist den Lenz in der Brust,
    Nur Du!

    (Ludwig Rellstab)

    Der Verfasser dieser, und aller dem ersten Teil des „Schwanengesangs“ zugrundeliegenden Verse, erfährt als Lyriker in literaturgeschichtlichen Werken keine besondere Würdigung. Da wird manchmal nur angemerkt, dass Schubert einige seiner Gedichte vertont habe, und auch ein Dietrich Fischer-Dieskau meint, dass dieser „streitbare Mann“ „keiner besonderen literarischen Wertschätzung begegnen“ könne.

    Mir scheint aber, besonders angesichts dieser Verse, aber auch ganz allgemein, dass ihm da Unrecht geschieht. Dieses Gedicht hier ist, wie ich meine, ein durchaus gelungener lyrischer Wurf, - wenn man mal von dem kleinen sprachlichen Reim-Schnitzer „bricht“ – gebricht“ in der vierten Strophe absieht. Was diese Lyrik so beachtlich macht, das ist die Tatsache, dass es Rellstab gelungen ist, die mit dem „rastlosen Sehnen“ einhergehende tiefe innere Unruhe seines lyrischen Ichs, die Gegenstand seiner Verse ist, in die lyrische Sprache selbst zu übertragen und sie auf diese Weise gleichsam sinnlich erfahrbar werden zu lassen.

    Vier kurze Verse gehen in drei lange über, daktylisches Versmaß wechselt mit trochäischem, auffällig viele syntaktische Partizip-Präsens-Konstruktionen machen das Drängen auch semantisch sinnfällig, stumpfe Kadenzen bringen den dahineilenden sprachlichen Fluss immer wieder einmal zum Stoppen, dann setzt er erneut an, bis der dann am Ende, in dem aus einem einzigen Wort bestehenden Kurzvers einen geradezu rabiaten Stopp erfährt. Da es aber ein Fragewort ist, wirkt es wie ein sprachlicher Zünder, der das stürmische Dahineilen der lyrischen Sprache erneut in Gang setzt. Bis dann am Ende aus den Fragen eine Antwort wird, die mit den Worten „Nur du“ in unverblümter Weise offenlegt, dass all die drängende „Frühlingssehnsucht“ im Grund eine nach dem geliebten Du ist.

    Schuberts Liedmusik auf diese Verse, die im August 1828 entstand, greift den lyrisch-sprachlichen Gestus des drängenden Dahineilens nicht nur auf, sie steigert ihn mit ihren Mitteln sogar noch und lässt ihn zu einer geradezu mitreißenden klanglich-sinnlichen Erfahrung werden. Und das Erstaunliche dabei ist: Das geschieht in Gestalt eines reinen Strophenliedes. Es ereignet sich zwar eine Variation darin, und zwar in der Moll-Harmonisierung der melodischen Linie in der letzten Strophe, diese, wie auch der Klaviersatz, behalten aber die Grundfiguren ihrer Entfaltung im Wesentlichen bis zum drittletzten Vers einschließlich bei, so dass der Eindruck von Strophenlied-Musik gewahrt bleibt.

    Mit dem zweitletzten Vers der letzten Strophe nutzt Schubert allerdings die Möglichkeiten der Variation nicht nur, um der Liedmusik ein beeindruckendes Finale zu verschaffen, er gibt mit dem kunstvoll gestalteten offenen Ende der Melodik auch eine deutlichere Antwort auf die Fragen, die das lyrische Ich in den vorangehenden vier Strophe auf so drängende, und am Ende gleichsam provokativ in einem Fragewort verdichtet aufwirft.


  • „Frühlingssehnsucht“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Der Liedmusik liegt ein Zweivierteltakt zugrunde, und sie soll „Geschwind“ vorgetragen werden. B-Dur ist als Grundtonart vorgegeben, aber die Harmonik verbleibt keineswegs im Bereich dieser Tonika und ihrer Dominanten. In einer durchaus schweifenden und darin den Geist und die Aussage des lyrischen Textes reflektierenden Art und Weise bezieht sie nicht nur in das andere Tongeschlecht ein (d-Moll und b-Moll), sondern greift im Dur-Bereich bis hin in die fernen Quintenzirkel-Sphären von As-Dur und Des-Dur aus.


    Die ihr eigene, sie klanglich maßgeblich prägende und geradezu stürmisch anmutende Rasanz entfaltet die Liedmusik auf beeindruckende Weise schon im zwölftaktigen Vorspiel. In triolischer Gestalt folgen auf einen Vorschlag im Bass, der als Einzelton, aber auch als zwei- und dreistimmiger Akkord auftreten kann, eine fallend angelegte Folge von zwei Achteln im Diskant nach, von denen das erste zumeist ein zweistimmiger Akkord, das zweite aber ein Einzelton ist. Das Vorspiel tritt in dieser Gestalt nicht noch einmal auf, das heißt weder in verkürzter Form als Zwischenspiel noch in Gänze als Nachspiel. Zwischen den Strophen hätte es ja auch gar keinen Sinn, würde es doch die Überleitungsfunktion der Fragewörter regelrecht pervertieren.

    Deshalb lässt Schubert – darin wieder die eminente Nähe seiner Liedmusik zum lyrischen Text unter Beweis stellend – eine Folge von drei lang gehaltenen, zwei Takte übergreifenden Akkorden erklingen, die eine Rückung von der Subdominante über die Tonika nach der Dominante in der Sextversion beschreiben. Das ist eine Art nachdenkliches Innehalten der Liedmusik, das Raum schafft für das Nachdenken über die die Strophen beschließenden Fragen, bevor die Liedmusik erneut mit ihrem stürmischen Dahineilen fortfahren kann. Und das Vorspiel liefert gleichsam die Vorlage dazu und darf sich deshalb darin auch erschöpfen. Den Geist des Voranstürmens und –drängens bringt es deshalb auf so beeindruckende, ja mitreißende Weise zum Ausdruck, weil die die triolischen, Bass und Diskant übergreifenden Figuren in ihrer Aufeinanderfolge eine in B-Dur harmonisierte und mit einem Crescendo versehene ansteigende melodische Linie beschreiben, die dann in ein Auf und Ab übergeht, bei dem sich permanent eine Rückung von der Tonika zur Dominante ereignet, wobei sich die Dynamik am Ende wieder ins Piano zurücknimmt.

    Die melodische Linie folgt unmittelbar darauf, und dies nicht in auftaktiger Weise, so dass sie – von Schubert ganz bewusst so gewollt – so wirkt, als würde sie den Schwung, den das Klavier im Vorspiel entfaltet hat, ohne zu Zögern aufgreifen und fortsetzen. Das geschieht wohlgemerkt aber nur einmal, am Liedanfang eben, und man kann das durchaus so verstehen, dass Schubert auf diese Weise deutlich machen will, dass diese Rellstab-Verse sich für ihn nicht im Dahinstürmen der lyrischen Bilder und der damit einhergehenden Emotionen des lyrischen Ichs erschöpfen, sondern auch eine Dimension von Nachdenklichkeit aufweisen.

    Deshalb die vom Vorspiel auf so radikale Weise abweichenden Zwischenspiele, deshalb die Einbeziehung des Tongeschlechts Moll in die Harmonik und deshalb vor allem die mit markanten Variationen im Bereich Melodik und Klaviersatz einhergehende und nach einer langen, mit einer Fermate versehenen Pause einsetzende Abkehr vom Strophenlied-Prinzip in der Wiederholung der Worte „Nur du befreist den Lenz in der Brust“ und dem ebenfalls wiederholten „Nur Du!“.

    Auch wenn die Melodik entfernt an die der „Liebesbotschaft“ erinnert, sie atmet einen anderen Geist. Zwar liegt ihr der gleiche Grund-Gestus zugrunde, die Abfolge von einem langen, zwei kurzen und wieder zwei langen deklamatorischen Schritten (dort sind es Achtel und Sechzehntel, hier Viertel und Achtel), aber nicht nur, dass das stürmische Tempo ihrer Entfaltung sie voneinander unterscheidet, sie ist auch anders angelegt, und dabei spielt nicht nur die Bewegung im tonalen Raum eine Rolle, sondern auch das Prinzip der Wiederholung, bei der sich bedeutsame, die musikalische Aussage maßgeblich bereichernde Variationen ereignen.

  • Banner Strizzi
  • „Frühlingssehnsucht“ (II)

    Die Melodik der Strophen ist so angelegt, dass zunächst zwei kurze, jeweils die beiden ersten Verse beinhaltende und durch eine Viertelpause voneinander abgehobene Melodiezeilen aufeinanderfolgen. Das wiederholt sich dann noch einmal auf der gleichen Textgrundlage, wobei die melodische Linie eine ihre Expressivität steigernde Variation erfährt. Es folgen zwei Melodiezeilen von größerem Umfang, wobei dieser dadurch zustande kommt, dass die erste die beiden Langverse fünf und sechs umfasst, die zweite zwar nur den siebten Vers, diesen aber in Gestalt einer Wiederholung. Den Schluss bilden die Fragewörter, bzw. die Anrede „nur du“, die in allen Fällen ebenfalls wiederholt werden.

    Auch wenn die Melodiezeilen, wie das bei den ersten beiden der Fall ist, durch eine Viertelpause getrennt sind, wirkt die zweite doch so, als würde sie das fortführen, was die erste zu sagen hat und es auf diese Weise zu Ende bringen. Das liegt ganz wesentlich daran, dass beide am Anfang, also auf den Worten „Säuselnde Lüfte“ und “Blumiger Düfte“ eine in ihrer Grundstruktur identische Fallbewegung beschreiben, wobei die zweite in der tonalen Ebene um eine Sekunde angehoben ansetzt. Und beim zweiten Teil wirkt die zweite Melodiezeile so, als vollziehe die melodische Linie die Bewegungen der ersten bis auf den letzten Schritt in identischer Weise nach, ersetze aber den Terzfall auf dem Wort „mild“ bei „fällt“ durch einen Terzsprung. Und hinzu kommt, dass die Harmonik bei der ersten Zeile eine Rückung von der Tonika B-Dur zur Dominante F-Dur vollzieht, die zweite Zeile dann bei den Worten „Blumiger Düfte“ zwar in c-Moll-Harmonisierung einsetzt, die Harmonik dann aber über einer neuerliche Rückung in die Dominante zur Tonika zurückkehrt. Auch die Harmonik trägt also dazu bei, dass man die beiden ersten Melodiezeilen als eine liedmusikalische Einheit empfindet.

    Bei der Wiederholung nehmen beide Melodiezeilen eine in Melodik, Klaviersatz und Harmonik identische Gestalt an. Sie erklingen nach einem zweieinhalbtaktigen Zwischenspiel, in dem das Klavier mit seinen triolischen Figuren die Bewegungen der melodischen Linie der zweiten Zeile echohaft noch einmal nachvollzieht, und man empfindet sie als eine neuerliche Fortführung dessen, was die erste Melodiezeile zu sagen hat, nur in einer gleichsam gesteigert Form. Die melodische Linie beschreibt zwar ähnliche Fall- und Sprungbewegungen, einschließlich der eingelagerten Tonrepetitionen, nur erfolgen diese nun über größere Intervalle, so dass nun zu „Lüfte“ hin ein Quartfall stattfindet und auf diesem Wort nun kein Sekundfall, sondern ein es mit einem Akzent versehender Quartsprung. Noch deutlicher weicht die melodische Linie dann von der ersten Melodiezeile bei den Worten „wehen so mild“ ab. Dort liegt auf ihnen eine melodische Kombination aus Sekundsprung, Tonrepetition und Terzfall. Nun wird daraus eine musikalisch deutlich expressivere dreifache Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines hohen „Es“, die bei mild in einen Legato-Sekundfall übergeht, wobei die Harmonik eine Rückung von der Dominante zur Tonika beschreibt.
    Die lyrischen Bilder erfahren also in allen fünf Strophen durch diese Wiederholung eine musikalische Steigerung ihres lyrisch-evokativen Potentials.

    Dieses Aufgreifen und Fortführen der melodischen Aussage, das die beiden ersten Melodiezeilen miteinander verbindet und einer Einheit werden lässt, ereignet sich auch in den beiden Langzeilen, bei denen beide Teile durch eine eingelagerte Achtelpause am Versende voneinander abgehoben werden. Auf den Worten (um wieder bei der ersten Strophe zu verbleiben) „Wie haucht Ihr mich wonnig begrüßend an“ beschreibt die melodische Linie eine den lyrischen Ansprache-Gestus aufgreifende Bewegung aus einer mit einem Terzsprung einetzenden und dann immer wieder aus einem Fall in eine Tonrepetition übergehende Bewegung, die am Ende, also bei dem Wort „an“ dann allerdings in einen Sekundsprung zu einem „D“ in hoher Lage übergeht, bei dem es sich, da in der Tonika harmonisiert, um die Terz zum Grundton handelt, die sozusagen eine Fortsetzung der melodischen Bewegung reklamiert.

    Und genau dieses ereignet sich auf den Worten „Wie habt Ihr dem pochenden Herzen getan?“. Denn die melodische Linie setzt, den Gestus der auf dem vorangehenden Vers aufgreifend, auf eben diesem hohen „D“ an und beschreibt wieder einen anfänglichen Sprung, der nachfolgend in eine Tonrepetition übergeht, nur dass es dieses Mal keiner über das Intervall einer Terz, sondern einer über eine Quarte ist. Und hinzu kommt, dass die Harmonik, die mit der Subdominante Es-Dur einsetzte, hier nun sogar eine Rückung hin zur Doppel-Subdominante As-Dur vollzieht. Schubert will also wieder, wie das auch schon bei den ersten Melodiezeilen der Fall war, die Fortführung der Melodik auf der Grundlage er deklamatorischen Anfangsfiguren dazu nutzen, eine Steigerung ihrer Expressivität zu bewirken. Und wie dort lässt er nun die melodische Linie bei den Worten „dem pochenden Herzen getan“ nicht wieder in einen Fall mit nachfolgender Tonrepetition übergehen, sondern in repetierender Weise auf der Ebene eines hohen „Es“ verharren und am Ende, nach einem kurzen Sekundsprung auf „getan“ dort auch in einer langen Dehnung erst einmal ausklingen. Diese ist allerdings in As-Dur harmonisiert, so dass sich angesichts der Tatsache, dass es sich dabei um die Quinte zum Grundton handelt, die Erwartung einer Fortführung der Melodik einstellt, unbeschadet der Tatsache, dass ihr erst einmal eine fermatierte Viertelpause auferlegt wird, in der das Klavier einen lang gehaltenen dreistimmigen As-Dur-Akkord erklingen lässt.

  • „Frühlingssehnsucht“ (III)

    Die Fortführung erfolgt in der Melodik auf den Worten „Es möchte Euch folgen auf luftiger Bahn“, denen des zweitletzten Verses also, und die setzt bemerkenswerterweise eine ganze Oktave tiefer ein, - nicht allerdings auf einem tiefen „Es“, sondern einem „E“; denn es geschieht auftaktig. Es ist ein großer Aufstieg, den die melodische Linie hier nimmt, das Intervall einer None umfassend und bis zu einem hohen „F“ reichend, von dem aus sie dann einen bogenförrmigen Fall in Sekundschritten mit nachfolgendem Wiederanstieg beschreibt, und sie bringt darin den hohen emotionalen Gehalt des Wunsches zum Ausdruck, den das lyrische Ich hier äußert. Er ist es auch, der Schubert dazu veranlasst haben dürfte, diese Worte noch einmal deklamieren zu lassen. Das geschieht, nach einer Achtelpause, auf anfänglich der gleichen melodischen Linie wie beim ersten Mal, ohne den auftaktigen Sekundsprung bei es“ allerdings.

    Dann aber erfolgt, wie das ja geradezu der Regelfall hier ist, eine leichte Steigerung der musikalischen Expressivität dadurch, dass sich die melodische Linie nun bei den Worten „luftiger Bahn“ nicht mehr so tief absenkt, sondern nur noch um eine kleine Sekunde, um danach mit einem Terzsprung wieder zur Ausgangslage zurückzukehren. Das hat zu tun mit einem anderen Faktor, den Schubert hier zur Auslotung des emotionalen Gehalts einsetzt: Der Harmonik. Denn während diese beim ersten Mal im Bereich der Tonika B-Dur mit Rückung zur Dominante verbleibt, bettet sie beim zweiten Mal die melodische Linie in ein d-Moll, das ihr die Anmutung von Innigkeit, den Wunsch betreffend, verleiht.

    Diese Funktion der Auslotung der emotionalen Tiefe in den Äußerungen des lyrischen Ichs kommt dem Tongeschlecht Moll auch bei der letzten Strophe zu. Die ersten beiden Verse sprechen von „rastlosem Sehnen“ und einem „wünschenden Herzen“, und die beiden folgenden lassen mit den Worten „Tränen“, „Klagen“ und „Schmerz“ erkennen, dass die „Frühlingssehnsucht“ etwas ist, das beim lyrischen Ich existenziell tiefer reicht, als dieses Wort vermuten lassen könnte. Eben das dürfte es gewesen sein, wodurch Schubert sich personal durch diese Verse Rellstabs angesprochen gefühlt hat, und so harmonisiert er denn die in ihrer Struktur unveränderte melodische Linie auf diesen ersten vier Versen der letzten Strophe in b-Moll mit Rückungen nach F-Dur. Bei der auch hier erfolgenden Wiederholung rückt die Harmonik freilich nach Des-Dur als Tonika und beschreibt bei den Worten „wünschendes Herz“ und „klage und Schmerz“ eine diesen Nachdruck verleihende Rückung in die Dominante As-Dur. Die Wiederholung hat hier ganz offensichtlich die Funktion, durch die Wegnahme der Moll-Harmonik und die Rückung in das Tongeschlecht Dur im tiefen Bereich des Quintenzirkels deutlich werden zu lassen, dass es sich bei diesen Tränen, den Klagen und dem Schmerz um existenziell hochgradig relevante Erfahrungen handelt.

    Bis zum sechsten Vers einschließlich stellt die Liedmusik der letzten Strophe eine Wiederkehr derjenigen auf den vier vorangehenden Strophen dar. Mit den Worten „Nur du befreist den Lenz in der Brust“, die wie alle zweitletzten Verse wiederholt werden, nehmen melodische Linie und Klaviersatz eine neue Gestalt an. Dieser lässt teilweise ab von seinen triolischen Figuren und entfaltet mit Viertel-, Achtel- und Sechzehntelakkorden in Diskant und Bass lebhafte Bewegungen, die die der melodischen Linie mitvollziehen, aber auch gegenläufig angelegt sind oder, wie das bei deren Aufstieg in hohe Lage bei der Wiederholung von „nur du“ der Fall ist, die Bewegung nachvollziehen. Die Liedmusik ist bei diesem zweitletzten und dem letzten Vers auf die Entfaltung hoher Expressivität hin angelegt, um der Emphase, in der das Du hier angesprochen wird, den angemessenen musikalischen Ausdruck zu verleihen.

    Und so liegt denn auf dem ersten „nur du“ ein gewichtiger, weil in deklamatorischen Schritten im Wert eines Viertels erfolgender Sekundsprung in hoher Lage, und auf dem zweiten gar ein Terzsprung, der in eine Dehnung auf einer noch höheren, nämlich um eine Terz angehobenen tonalen Ebene mündet, wobei die Harmonik eine diesen melodischen Sprung affektiv aufladende Rückung von B-Dur nach d-Mol vollzieht. Und wenn die melodische Linie nach diesen so expressiven Sprüngen auf „nur du“ bei den nachfolgenden Worten „befreist den“ in eine Fallbewegung übergeht, dann nur, um den Worten „„Lenz in der Brust“ mit einem Anstieg den gebotenen Nachdruck zu verleihen.

    Und dann ist da noch das letzte, doppelte und die Emphase der Anrede auf ihren Höhepunkt führende „Nur du“. Schubert setzt es in eine Liedmusik um, die mehr aus diesen Worten macht, als ihnen lyrisch-textlich eigen ist. Vorangehend endete die melodische Linie bei den Worten „in der Brust“ mit einem forte vorgetragenen und in d-Moll harmonisierten Sekundsprung. Eine Achtelpause folgt nach. Und dann geht die Liedmusik mit einem sechsstimmigen Es-Dur Akkord im Klaviersatz ins Fortissimo über und die Singstimme deklamiert das erste „nur du“ mit einem in ein lang gedehntes „Es“ in hoher Lage mündenden Sekundsprung. Beim zweiten „nur du“ setzt die melodische Linie aber um eine verminderte Terz höher auf einem „Ges“ an und senkt sich in einem kleinen Sekundfall zu einem hohen „F“ hin ab, auf dem sie ausklingend lange, nämlich zweieinhalb Takte übergreifend verweilt.

    Und dabei ereignet sich harmonisch Bemerkenswertes. Der Dominantseptakkord in „F“, mit dem das Klavier diese lange melodische Dehnung begleitet, wird mit den triolischen Figuren, die das Klavier am Ende derselben erklingen lässt - und im Nachspiel fortführt, bevor sie von drei Akkorden abgelöst werden - ,durch ein B-Dur abgelöst. Damit wird das hohe „F“ der Schlussdehnung zur Tonika-Quinte und der Liedschluss ein offener.
    Womit Schubert wohl sagen will:
    Für ihn besteht die Hoffnung, dass dieses lyrische Ich in seiner Sehnsucht nach einem Gestillt-Werden der „drängenden Lust“ Erfüllung finden kann.

  • Lied 4: „Ständchen“

    Leise flehen meine Lieder
    Durch die Nacht zu dir;
    In den stillen Hain hernieder,
    Liebchen, komm' zu mir!

    Flüsternd schlanke Wipfel rauschen
    In des Mondes Licht;
    Des Verräters feindlich Lauschen
    Fürchte, Holde, nicht.

    Hörst die Nachtigallen schlagen?
    Ach, sie flehen dich,
    Mit der Töne süßen Klagen
    Flehen sie für mich.

    Sie verstehn des Busens Sehnen,
    Kennen Liebesschmerz,
    Rühren mit den Silbertönen
    Jedes weiche Herz.

    Laß auch dir die Brust bewegen,
    Liebchen, höre mich!
    Bebend harr' ich dir entgegen;
    Komm, beglücke mich!

    (Ludwig Rellstab)

    Wenn man dem Lyriker Rellstab hier ein wenig genauer auf die Finger schaut, dann bewegt er sich hart am Rande übertriebener sprachlicher Süßlichkeit: Lieder flehen, schlanke Wipfel rauschen flüsternd, Nachtigallen schlagen nicht nur, sie flehen mit süßen Klagen, rühren das Herz mit Silbertönen, und das lyrische Ich harrt der Liebsten bebend entgegen.
    Dass man die Grenze als nicht überschritten empfindet, dürfte wahrscheinlich daran liegen, dass alles in eine strenge Form gebracht ist. Die vierzeiligen Strophen sind alle in gleicher Weise aufgebaut: Auf einen vierhebig angelegten trochäischen Vers mit klingender Kadenz folgt eine dreihebiger mit stumpfer, und ein Kreuzreim bindet sie alle in die Strophe ein.
    Was dabei auch noch von Bedeutung sein dürfte, ist die Tatsache, dass all diese affektiv so hochgradig aufgeladenen Bilder einem lyrischen Ich in den Mund gelegt sind, das dem Liebchen ein Ständchen bringt und dabei im Grunde nur das will, was es im letzten Vers zum Ausdruck bringt.
    Unter Berücksichtigung seiner Funktionalität im Rahmen des traditionellen Ständchen-Modells kann der süßliche Schmalz durchaus verdaulich werden. Rellstab hat wohl, wie zu vermuten ist, dieses Gedicht genau darauf hin angelegt.

    Was an diesen Versen Schubert angezogen und zur Umsetzung in Liedmusik angeregt hat, das verrät diese sehr deutlich: Es waren nicht die süßlichen Bilder, es war die Gestalt des sich der Geliebten im „Ständchen“, im Medium der Musik sehnsuchtsvoll hingebenden lyrischen Ichs.
    Das ihn sein Leben lang beschäftigende Thema „Sehnsucht“ ist es also, was ihn hier ansprach. Und so lässt er sich gleich gar nicht im einzelnen auf diese Bilder ein, nimmt von ihnen nur die Rahmenbedingungen von nächtlicher, unter Nachtigallen-Schlagen ausgeführter Lautenmusik in sie auf, und konzentriert sich ganz und gar auf den Ansprache-Gestus, der diesen Versen zugrunde liegt, und darauf, die darin sich niederschlagende Haltung des lyrischen Ichs liedmusikalisch zu erfassen und in ihren emotionalen Tiefen auszuloten.

    Das heißt, und das ist ja typisch und charakteristisch für seine Liedsprache generell: Er setzt nicht primär an den lyrischen Bildern an, vielmehr am Gestus der lyrischen Sprache. Und das hat zur Folge, dass er die Liedmusik strophisch anlegen kann und nur dort davon die Melodik und den Klaviersatz eine neue Gestalt annehmen lässt, wo das lyrische Ich vom Schwelgen in Bildern zum imperativischen Gestus der Bitte und des Verlangens übergeht, in der letzten Strophe also.

    Als ein „melodisches Juwel“ hat Werner Oehlmann dieses Lied in seinem „Liedführer“ bezeichnet, und Walter Dürr beendet seine kurze Besprechung mit der Frage „Und wer – außer einer ganz unmusikalischen Person – könnte seinem Zauber widerstehen?“
    In der Tat gehört es neben dem „Ave Maria“ und der Torso-Version vom „Lindenbaum“ zu den drei bekanntesten Schubertliedern, und natürlich wird hier auf die Frage nach den Ursachen kurz einzugehen sein. Es entstand im August 1828, ein Dreivierteltakt liegt ihm zugrunde, als Grundtonart ist d-Moll vorgegeben, und die Vortragsanweisung lautet „Mässig“. Zwei Gedichtstrophen sind zu einer Liedstrophe zusammengefasst, die in unveränderter Gestalt wiederholt wird. Die letzte Gedichtstrophe weist eine eigenständige Melodik auf, und auch der Klaviersatz weicht zwar nicht in seiner Grundstruktur von dem der vorangehenden Strophe ab, wohl aber in der Art und Weise, wie er sich auf die Melodik einlässt.


  • „Ständchen“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Der Charakter der Liedmusik ist gleich im viertaktigen Vorspiel zu erfassen und in ihrem klanglichen Effekt zu vernehmen. Auf eine Bass-Oktave im Wert einer halben Note folgt im Diskant ein Auf und Ab von vier bitonalen Achtelakkorden, und die Harmonik beschreibt dabei von Takt zu Takt erst eine Rückung von d-Moll nach B-Dur, dann eine von g-Moll nach A-Dur, das als Dominante für die in d-Moll einsetzende melodische Linie fungiert. Das ist die klangliche Imagination von Lautenmusik, was das Klavier in Begleitung der Singstimme hier erklingen lässt. Aber es ist weit davon entfernt, sich darin auf diese einfache Figur zu beschränken und sich in einem schlichten Lautenmusik-Begleitungsgestus zu erschöpfen. Der Reiz dieses Liedes und seine hohe liedkompositorische Qualität bestehen gerade darin, dass sich hinter der Fassade der klanglichen Einfachheit und Schlichtheit der Liedmusik im Bereich der Harmonik und der Struktur des Klaviersatzes komplexe Vorgänge ereignen, - ein Sachverhalt, der für Schuberts Liedmusik geradezu typisch ist.

    Es ist wohl vor allem die Melodik, in der die so große Beliebtheit dieser Liedmusik gründet. Ein großer klanglicher Zauber geht von dem beschwingt wiegenden Gestus aus, in dem sie sich entfaltet. Immer wieder beschreibt sie bei der ersten und der dritten Gedichtstrophe die strukturell gleiche Bewegung und steigert sich in dem Geist, der sie darin beflügelt. Der Eindruck dass dies der einer tief innerlichen Beschwingtheit ist, kommt dadurch zustande, dass die melodische Linie bei der Grundfigur, wie sie bei den Worten „Leise flehen“ erstmals erklingt, aus einer triolischen Folge von Sekundsprung und -fall in einen Quartsprung übergeht, sich auf der damit erreichten tonalen Ebene einer kurzen Dehnung überlässt, um danach wieder auf die Ausgangsebene zurückzufallen. Auf den Worten „meine Lieder“ wiederholt sich diese Figur, nur dass dies nun auf einer um eine Sekunde abgesenkten tonalen Ebene geschieht, nicht in d-Moll, sondern in g-Moll erfolgt und aus dem Quartsprung einer über eine Quinte wird.

    Eine weitere Steigerung dieser in wiegendem Gestus sich entfaltenden Beschwingtheit ereignet sich dann bei den Worten „In den stillen Hain hernieder“. Hier wird nämlich aus dem anfänglich Quartsprung einer über eine Sexte mit entsprechendem Rückfall auf den Ausgangston auf dem Wort „stillen“, und nur auf den Silben „-nieder“ wird daraus ein Sekundfall, weil die melodische Linie einen Ansatzpunkt für ihre Bewegung auf den Worten „Liebchen, komm zu mir“ benötigt. Auch diese stellt, wie das ja auch beim ersten Teil der beiden Melodiezeilen der Fall ist, eine Wiederkehr der melodischen Figur auf den Worten „Durch die Nacht zu dir“ dar, dies allerdings auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene und nicht in A-Dur-, sondern in C-Dur-Harmonisierung. Es ist eine des ruhigen Ausklingens der Zeilen-Melodik: Aus einer Dehnung auf „durch“ (bzw. der ersten Silbe von „Liebchen“) senkt sich die melodische Linie erst um eine Sekunde ab und geht dann wiederum triolischen Sekundfall über, aus dem sie sich mit einem Sekundschritt wieder erhebt, um in einer langen Dehnung auf „dir“, bzw. „mir“ zu enden.

    Was den Zauber dieser Melodik noch steigert, das ist einerseits ihre Harmonisierung, daneben aber auch das, was das Klavier dazu beizutragen hat. Bei beiden Melodiezeilen ereignet sich ein wie ein klangliches Schillern anmutendes Hin und Her zwischen den Tongeschlechtern und den Tonarten. Bei der ersten Zeile geht das anfängliche d-Moll erst in ein g-Moll über, dann ereignet sich bei den Worten „durch Nacht“ eine Rückung nach A-Dur, das aber ganz am Ende der Zeile in ein d-Moll umschlägt.

    Und das hat einen tiefen Sinn, denn die Worte „durch die Nacht“ stellen eine reine Sachverhalts-Feststellung dar, das Wort „dir“ lässt aber all die Emotionen aufklingen, die sich für das lyrische Ich mit der Vergegenwärtigung der Geliebten verbinden. In ähnlicher Weise – und mit dem gleichen kompositorischen Hintersinn – verlaufen die harmonischen Rückungen bei der zweiten Zeile, nur dass nun nach der anfänglichen d-Moll- g-Moll-Rückung eine nach C-Dur erfolgt und dieser nun nicht eine zurück in Tongeschlecht Moll nachfolgt, sondern eine nach F-Dur. Das ist die Tonart, in der das Wort „mir“ harmonisiert ist, und auch diese, von der ersten Zeile abweichende Harmonisierung der melodischen Linie hat einen tiefen Sinn. Das lyrische Ich möchte, dass das „Liebchen“ zu ihm kommt, und da verleiht das Tongeschlecht Dur dem Wunsch Nachdruck und eine Eindeutigkeit, die einem Moll gerade nicht innewohnt.

    Und da ist auch noch der Beitrag des Klaviers zu dem, was die melodische Linie zu sagen und zum Ausdruck zu bringen hat. Bei beiden Melodiezeilen begleitet es die Singstimme mit seinen Lautenklang-Figuren. Wenn diese aber am melodischen Zeilen-Ende eine zweieinhalbtaktige Pause einlegt, lässt es die Schlussfigur der Melodik auf den Worten des zweiten und des vierten Verses der ersten und der dritten Strophe noch einmal erklingen. Und das auf klanglich geradezu verführerische Weise: In Gestalt einer einleitenden, die melodische Dehnung reflektierenden Sexte und einer sich anschließenden Folge von Terzen.
    Klanglich lieblicher geht´s eigentlich nicht mehr.

  • „Ständchen“ (II)

    Im zweiten Teil der beiden ersten Liedstrophen, die zweite und vierte Gedichtstrophe beinhaltend, entfaltet sich sie Melodik in anderen Figuren, ohne freilich ihren Grund-Gestus innerer Beschwingtheit aufzugeben. Ja sie scheint ihn sogar noch zu steigern, indem sie ihn mit einem des Ausschweifens bereichert. Dabei verfährt Schubert aber wiederum so, dass er bei den beiden, wiederum jeweils zwei Verse beinhaltenden, nun aber nicht durch eine Pause voneinander abgehobenen Melodiezeilen das Prinzip der Wiederholung der melodischen Grundstruktur zum Einsatz bringt. Das trägt ja ganz wesentlich zu der so hohen Eindrücklichkeit der Liedmusik bei. Beibehalten wird nicht nur die Entfaltung der melodischen Linie in triolischen Figuren, sie erfährt sogar eine Steigerung dadurch, dass diesen melismatische Sechzehntel-Vorschläge beigeben werden, was in die Beschwingtheit die Komponente einer Beseligung des lyrischen Ichs einbringt. Und wie um diesen Effekt zu verstärken, lässt Schubert den zweiten Vers (also die Worte „In des Mondes Licht“ und „Kennen Liebesschmerz) auf einer identischen, aber auf einer um eine Terz abgesenkten und nicht in B-Dur, sondern in C-Dur harmonisierten melodischen Linie wiederholen. Und nicht nur das: Er lässt das Klavier im Diskant diese sogar im oberen(!) Terzintervall mitvollziehen.

    In der zweiten und der vierten Gedichtstrophe weist die lyrische Sprache schildernd deskriptive, bzw. erläuternd konstatierende Elemente auf („Flüsternd schlanke Wipfel rauschen…“, / „Sie verstehn des Busens Sehnen“). Die Melodik greift dies in der Weise auf, dass sie sich zunächst wie schweifend in einem großen tonalen Raum entfaltet. Bei den Worten „Flüsternd schlanke Wipfel rauschen“ steigt sie in A-Dur-Harmonisierung mit einem Terz- und einem Quartsprung zu einem hohen „F“ auf und senkt sich anschließend zu „rauschen“ hin über eine ganze Oktave ab, um dann auf diesem Wort einen gedehnten und sie zu einem tiefen „D“ führenden Terzfall zu beschreiben, wobei die Harmonik eine Rückung nach d-Moll vollzieht. Bei „In des Mondes Licht“ überlässt sie sich aber, das lyrische Bild reflektierend, einem melismatischen, weil partiell triolischen und mit Sechzehntel-Vorschlag versehenen Auf und Ab in mittlerer Lage, das nun in B-Dur harmonisiert ist, das bei der Wiederholung dieser melodischen Figur auf um eine Terz abgesenkter tonaler Ebene eine Rückung nach C-Dur vollzieht. Dass das Klavier hier die melismatische Bewegung auf den Worten „in des“ im Terz-Abstand mitvollzieht, wurde bereits erwähnt.

    Die melodische Linie auf den Worten „Des Verräters feindlich Lauschen“ stellt eine Wiederholung derjenigen dar, die auf dem ersten Vers liegt, - mit einer feinen Variation allerdings: Der Fall über eine Oktave, der bei „Wipfel rauschen“ in d-Moll harmonisiert ist, erklingt nun in D-Dur-Harmonik. Dieser im Gestus der Feststellung auftretenden lyrischen Aussage würde ein weiches Moll nicht gerecht. Und das gilt auch für die syntaktische Fortsetzung „Fürchte, Holde, nicht“. Sie ist in G-Dur harmonisiert, das am Ende nach D-Dur rückt. Aber mit welcher Subtilität Schubert die lyrische Aussage in Liedmusik umsetzt, das ist hier auf beeindruckende Weise zu erleben. Da sie, bei aller Sachlichkeit ihres Gehalts, an „die Holde“ gerichtet ist, verfällt die melodische Linie wieder in einen melismatischen Gestus, so dass sie bei „fürchte“ wieder einen nach unten gerichteten und mit einem Sechzehntel-Vorschlag versehenen triolischen Bogen beschreibt, um danach bei „Holde nicht“ in einen gedehnten und in eine Dehnung mündenden Fall überzugehen.

    Auch hier greift Schubert wieder zum Mittel der Wiederholung, die ganz offensichtlich den Sinn hat, der beruhigenden Einrede auf die Geliebte Nachdruck zu verleihen. Die triolische Bogenbewegung auf „fürchte“ erklingt noch einmal, nun aber in hoher, um eine Quarte angehobener tonaler Lage, aber dieses Mal ohne Sechzehntel-Vorschlag und in A-Dur-Harmonisierung. Und bei „Holde nicht“ beschreibt die melodische Linie nun keine kontinuierliche Fallbewegung, sondern erst einen verminderten Quintfall und danach einen in eine Dehnung auf dem Grundton „D“ mündenden Sekundanstieg. Grundton deshalb, weil die Harmonik hier nach dem vorangehenden A-Dur eine Rückung nach D-Dur vollzieht. Dieses A-Dur hat es übrigens klanglich in sich, denn es erklingt als Dominantseptakkord und verleiht auf diese Weise der Tatsache, dass das Klavier im Diskant die melodische Linie forte in Gestalt von Oktaven im Terzintervall mitvollzieht besondere klangliche Eindringlichkeit.

    Bleibt noch der Blick auf die Liedmusik der letzten Strophe. Hier kommt das lyrische Ich, nachdem es sich in seinem „Ständchen“ vier Strophen lang in verführerischen lyrischen Bildern ergangen hat, sozusagen zur Sache: Die lyrische Sprache geht zu dem imperativischen Gestus des Verlangens, Beschwörens, ja mit „höre mich“ gar des Forderns über. Das erfordert eine eigene Melodik und einen ihrer Aussage gerecht werdenden Klaviersatz. Beides hat diese letzte Liedstrophe zu bieten, und die melodische Linie reflektiert dabei wieder auf beeindruckende Weise die lyrische Aussage und die Art und Weise, wie sie lyrisch-sprachlich auftritt. Die Haltung des Beschwörens, Drängens und Forderns, die das lyrische Ich hier einnimmt, schlägt sich in ihr dergestalt nieder, dass sie ihren deklamatorischen Auftritt bei den ersten beiden Versen wiederholt, und das Klavier diese Wiederholung echohaft mit Oktaven im Diskant nachvollziehen und damit akzentuieren lässt.

  • „Ständchen“ (III)

    Auf den Worten „Laß auch dir die Brust bewegen“ und „Liebchen, höre mich!“ liegen in ihrer Grundstruktur identische Melodiezeilen, wenn man einmal von der deklamatorisch durch den lyrischen Text bedingten Tonrepetition am Anfang absieht. Schon während des doppelten Sekundfalls aus hoher Lage auf „bewegen“ setzt das Klavier mit einer exakten Wiederholung dieser melodischen Bewegung in Gestalt von Oktaven im Diskant ein und führt diese in der Viertelpause für die Singstimme fort. Und genauso verfährt das Klavier bei der durch den gedehnten Sekundsprung auf „Liebchen“ geprägten zweiten Melodiezeile. Sie wird nach ihrem Ausklang ebenfalls in oktavischer Gestalt von ihm wiederholt. Vier Mal erklingt also die melodische Figur, die auf den an das „Liebchen“ gerichteten Aufforderungen liegt, und verlieht ihnen auf diese Weise eine hohe Eindringlichkeit. Dazu trägt auch noch bei, dass die Harmonisierung durchweg eine in der Dominante A-Dur ist.

    Das Bekenntnis „Bebend harr´ ich dir entgegen“ führt infolge seines hohen emotionalen Gehalts dazu, dass die melodische Linie mit einer das Wort „bebend“ mit einem starken Akzent versehenden starken Dehnung in Gestalt eines Sekundfalls einsetzt, bei dem die Harmonik eine expressive Rückung vom vorausgehenden A-Dur nach Fis-Dur beschreibt. Danach geht die melodische Linie zu einer wellenartigen Entfaltung in Achtel- und Sechzehntelschritten über, von denen die ersten wieder triolisch angelegt sind. Das Klavier begleitet hier mit lang gehaltenen Akkorden im Diskant, und die Harmonik rückt bei den Worten „dir entgegen“ von dem anfänglichen Fis-Dur nach h-Moll, um die Tiefe der Zuneigung zum Ausdruck zu bringen. Und am Ende wiederholt es die melodische Bogenbewegung auf den Worten „dir entgegen“ in partiell akkordischer Gestalt gleich zwei Mal: Einmal in e-Moll-Harmonisierung, das zweite Mal in h-Moll.

    Und dann ist da noch der Ausruf „Komm, beglücke mich!“, mit denen dieses lyrische Ich zum Kern des Anliegens gekommen ist, das es mit seinem „Ständchen“ verfolgt. Und Schubert widmet sich ihnen deshalb in liedkompositorisch ausführlicher Weise. Ihren emotionalen Gehalt lotet er mit der Melodik und dem sie darin unterstützenden Klaviersatz aus, die dahinterstehende Haltung des lyrischen Ichs bringt er, so wie er sie sieht, mit dem kompositorischen Mittel der Wiederholung zum Ausdruck. Beim ersten Mal liegt auf den Worten „beglücke mich“ melodisch eine Kombination aus Terzsprung, gedehntem Terzfall und über einen Sekundfall eingeleiteter Dehnung, wobei die Harmonik eine Rückung von der Subdominante G-Dur zur Dominante D-Dur vollzieht. Das vorgelagerte „komm“ trägt die in diesem Lied schon bei den Worten „in des Mondes Licht“ (bzw. „kennen Liebesschmerz“) verwendete melismatische Figur aus triolischem Bogen mit Sechzehntel-Vorschlag. Und wie dort, am Ende des zweiten Verses der zweiten und der vierten Strophe, wird diese gesamte melodische Bewegung in leicht variierter Gestalt, nämlich ohne Vorschlag, in A-Dur/D-Dur-Harmonisierung und mit in eine Dehnung mündendem Sekundsprung am Ende, auf einer um eine Quarte angehobenen tonalen Ebene wiederholt, wobei das Klavier nun die melodische Bewegung mit Oktaven im oberen Terzabstand mitvollzieht und ihre Anmutung von Innigkeit damit steigert.

    Der Ruf „beglücke mich“ erklingt nach einer Viertelpause für die Singstimme noch einmal. Nun aber in einer Melodik, die in einem bemerkenswerten Kontrast zu der emphatischen Verzückung steht, die von ihr gerade noch bei der vorangehenden melismatischen und in eine Dehnung mündenden Fassung in hoher Lage ausging. Nun senkt sie sich in einem Decrescendo und eingeleitet mit einem Terzfall auf der Vorsilbe „be-“ in extrem ruhigen, den ganzen Takt einnehmenden Terzfall-Schritten aus mittlerer in tiefe Lage ab, wobei sie das Klavier mit ebenso lang gehaltenen Oktaven im Diskant und dem Lautenmotiv im Bass begleitet und die Harmonik eine Rückung von g-Moll über die Dominante A-Dur zur Tonika D-Dur beschreibt.

    Das lyrische Ich, so wie Schubert es aufgefasst hat, zieht sich am Ende aus dem extrovertierten Aussprache-Gestus des „Ständchens“ wieder in sein Inneres zurück, aus dem die musikalische Ansprache an die Geliebte erfolgte. Und das Klavier lässt im Nachspiel dazu noch einmal einen nur drei Takte umfassenden Teil der vorangehenden Zwischenspiele erklingen und ihnen dann drei lang gehaltene und anfänglich noch mit dem Lautenmotiv begleitete D-Dur-Akkorde nachfolgen.

  • Lied 5: „Aufenthalt“

    Rauschender Strom,
    Brausender Wald,
    Starrender Fels
    Mein Aufenthalt.

    Wie sich die Welle
    An Welle reiht,
    Fließen die Tränen
    Mir ewig erneut.

    Hoch in den Kronen
    Wogend sich's regt,
    So unaufhörlich
    Mein Herze schlägt.

    Und wie des Felsen
    Uraltes Erz,
    Ewig derselbe
    Bleibet mein Schmerz.

    (Ludwig Rellstab)

    Das ist durchaus typische Rellstab-Lyrik: Eine auf den konstatierenden Gestus ausgerichtete Folge von kurzen Versen, in denen die poetische Aussage in hohem Maß aus syntaktisch auf das Verb ausgerichteter, und dabei häufig das Partizip Präsens in Anspruch nehmender lyrischer Sprache hervorgeht.

    Aber das hat, ich sagte es schon einmal, durchaus dichterisches Format. Die lyrische Aussage erfolgt in bemerkenswerter, ohne falsches Pathos und fragwürdige Metaphorik auskommender Direktheit. Die Reihung der Bilder und der lyrischen Aussagen mutet in dem zugrundliegenden konstatierenden Gestus geradezu lapidar an und wirkt in der darin sich ereignenden Parallelität und Korrelation von Innen und Außen, von hochgradig bewegter Außenwelt und erregter seelischer Innenwelt poetisch durchaus wahrhaftig.
    Wahrhaftig deshalb, weil die innere Unruhe des lyrischen Ichs auf überzeugende Weise in der Struktur der lyrischen Sprache, der ununterbrochenen Folge der Daktylen nämlich und auch im evokativen Potential der Metaphorik niederschlägt.

    Schuberts Liedmusik setzt – typisch für ihn - an genau diesem spezifischen, auf ein drängendes, daktylisch geprägtes Voraneilen angelegten Gestus der lyrischen Sprache an und bringt in der Auslotung des evokativen Potentials der lyrischen Bilder die Haltung des lyrischen Ichs in einer semantischen Fülle und Tiefe zum Ausdruck, die darin das Aussage-Potential der lyrischen Sprache übersteigt, ohne freilich etwas ihm nicht Adäquates aufzupfropfen. Sie entstand im August 1828, steht in e-Moll als Grundtonart, weist einen Zweivierteltakt auf und soll „Nicht zu geschwind, doch kräftig“ vorgetragen werden. Angelegt ist sie als Strophenlied nach dem Schema „A-B-C-B-A´“.


  • „Aufenthalt“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Im sechstaktigen Vorspiel lässt das Klavier im Diskant Piano-Triolen aus dreistimmigen Akkorden in repetierender Weise erklingen, wobei die Harmonik mehrfach eine Rückung von e-Moll nach H-Dur vollzieht. Im Bass aber beschreiben Achtel zwei Mal erst auf hoher, dann auch tiefer Lage eine zunächst steigend angelegte, dann aber in einen Fall übergehende Figur. Sie wird später von der Melodik des Liedes nicht in voll identischer, wohl aber in ihrer Grundstruktur wieder aufgegriffen, und zwar am Ende der letzten Strophe bei den Worten „brausender Wald, mein Aufenthalt.“ Damit erweist sie sich als ein liedmusikalisches Element, das die von drängender Unruhe geprägte Seelenlage des lyrischen Ichs zum Ausdruck bringt. Dass Schubert es schon im Vorspiel erklingen lässt, zeigt, welche Bedeutung er ihm für die liedmusikalische Aussage zumisst.

    Und das gilt ja auch für die triolischen Akkordrepetitionen. Mit ihnen begleitet das Klavier im Diskant die melodische Linie durchweg von Anfang bis Ende, und man kann diese nicht abreißen wollende Folge von Akkord-Triolen sehr wohl als liedmusikalisches Pendant zu den dahineilenden Daktylen des lyrischen Textes empfinden. Auch was den Klavierbass anbelangt, erweist sich das Vorspiel als gleichsam programmatisch. Ihm kommt in diesem Lied eine bedeutende Funktion zu, u.a. in Gestalt einer Akzentuierung melodischer Bewegungen durch Wiederholung (dies in den A-Strophen), durch die orgelpunktartigen Repetitionen in der B-Strophe und den Mitvollzug der melodischen Bewegungen in der C-Strophe.

    Wenn auch der Klaviersatz über alle Strophen hinweg zumindest im Diskant strukturell identisch ist, so heben sich die drei Strophentypen, die hier mit den Buchstaben A, B, C und A ´versehen wurden, in der Melodik und ihrer Harmonisierung deutlich voneinander ab, und es ist offenkundig, dass dies der Notwendigkeit geschuldet ist, der lyrischen Aussage liedmusikalisch gerecht zu werden. Und auch in der Art und Weise, wie Schubert das Prinzip der Wiederholung zum Einsatz bringt – dem in diesem Lied eine große Bedeutung zukommt -, unterscheiden sich die drei Strophentypen voneinander. Das soll im folgenden kurz aufgezeigt werden.

    In der A-Strophe ist die Melodik so angelegt, dass durchweg auf zwei kleine, durch eine Viertel-, bzw. Achtelpause voneinander angehobene und nur zwei Takte einnehmende Melodiezeilen eine Zeile nachfolgt, die vier Takte in Anspruch nimmt. Bei den beiden ersten Zeilen lässt das Klavier im Bass den Fall der melodischen Linie in gleichsam gesteigerter Form, über eine Quinte nämlich, noch einmal erklingen. Schubert legt diese Melodiezeilen in ihrer Melodik und deren Harmonisierung so an, dass die beiden kleinen einander strukturell verwandt anmuten, und die nachfolgende große Zeile wie eine abschließende Antwort auf das wirkt, was diese zu sagen haben.

    Das verleiht der Liedstrophe eine große innere Geschlossenheit und musikalische Eigenständigkeit und prägt damit den Strophenliedcharakter der Komposition recht deutlich. Die Melodik auf den Worten „Rauschender Strom“ und „Brausender Wald“ ist jedes Mal auf einen Fall am Ende angelegt, nur dass er sich beim ersten Mal aus einer deklamatorischen Tonrepetition, beim zweiten aber in zweifacher Weise nach einem Terzsprung ereignet. Die Tonrepetition ist freilich dabei die maßgebliche melodische Figur, wie sich alsbald bei der Wiederholung dieser beiden Verse erweist. Denn diese erfolgt in identischer Weise in Gestalt einer dreifachen deklamatorischen Repetition des Tones „E“ in hoher Lage, der am Ende ein expressiver Fall über eine ganze Oktave nachfolgt.

    Den beiden lyrischen Bildern, die sich ja als Ausdruck der inneren Seelenlage des lyrischen Ichs erweisen, wird auf diese Weise hohe Nachdrücklichkeit vermittelt, nicht nur durch die zweifache Wiederholung der melodischen Figur auf den Worten „rauschender Strom“ auf einer um eine Oktave angehobenen tonalen Ebene, sondern auch dadurch, dass diese nun nicht in e-Moll-Harmonisierung erfolgt, sondern sich beim ersten Mal eine harmonische Rückung von E-Dur nach A-Dur, beim zweiten Mal aber eine von a-Moll nach E-Dur ereignet. Die melodische Linie auf den Worten „starrender Fels mein Aufenthalt“, die nach einem in eine Dehnung mündenden Sekundanstieg in ein Auf und Ab in mittlerer Lage übergeht, erfährt bei der Wiederholung nur eine geringfügige, der Kadenzbildung dienende Variation dergestalt, dass sich nun bei Aufenthalt ein Oktavfall mit nachfolgendem Oktavsprung ereignet.

    Die B-Strophe ist in Melodik und im Bassbereich des Klaviersatzes anders angelegt. Und der Grund ist offensichtlich: Während die erste Gedichtstrophe aus der Abfolge von lyrischen Bildern besteht und das lyrische Ich erst im letzten Vers auftritt, und dies auch nur in Gestalt einer schlichten Feststellung, geht die zweite nach dem einleitenden Bild von der „Welle“ zu einem die seelische Innenwelt reflektierenden Geständnis des lyrischen Ichs über. Das muss zur Folge haben, dass die Liedmusik einen höheren Grad an Expressivität annimmt, und das ist auch tatsächlich der Fall, wobei das von Schubert so oft und gern verwendete Prinzip der Wiederholung eine große Rolle spielt. Der höhere Grad an Expressivität geht im Klaviersatz aus der Tatsache hervor, dass der Bass sich nun dem Gestus der triolisch-akkordischen Repetition, wie ihn der Diskant durchweg praktiziert, anschließt, und dies zumeist in Gestalt von repetierenden Einzeltönen und bitonalen Septen.

    Die Liedmusik erhält auf diese Weise eine stärker ausgeprägte, aus dem Gestus des Insistierens basierende klangliche Nachdrücklichkeit. Erst bei der letzten Wiederholung der Worte „Fließen die Tränen mir ewig erneut“ kehrt der Klavierbass wieder zu seinem Verfahren der Begleitung der melodischen Linie in Gestalt von Einzeltönen zurück. Und das zeigt die hohe kompositorische Subtilität, mit der Schubert das Prinzip der Wiederholung handhabt. Das Bild vom Fließen der Tränen führt bei seiner letzten Wiederholung dazu, dass sich die melodische Linie zum Höhepunkt ihrer Expressivität steigert. Da sie das nun im Aufgreifen des vom Klaviersatz praktizierten Prinzips der Repetition tut, geht dieses im Bassbereich nun davon ab, um der melodischen Linie die Komponente des gleichsam weichen Fließens beizugeben, die vom lyrischen Bild her geboten ist.

  • „Aufenthalt“ (II)

    Die melodische Bewegung, die auf den Versen „Wie sich die Welle / an Welle reiht“, kehrt auf dem zweiten Verspaar „Fließen die Tränen / Mir ewig erneut“ wieder“, dabei werden allerdings die Intervalle beim Steigen und Fallen größer, so dass sie einen größeren tonalen Raum einnehmen. Aus dem Sextsprung auf „wie sich“ wird bei „Fließen“ einer über eine Oktave, und das hat zur Folge, dass aus dem Quintfall auf „Welle“ bei dem Wort „Tränen“ ein Fall über eine Septe wird, was der mit jener auf dem ersten Vers strukturell identischen und ebenfalls in Rückung von e-Moll nach H-Dur harmonisierten melodischen Bewegung auf dem dritten Vers eine deutlich gesteigerte Expressivität verleiht. Und das gilt auch für den Vers „an Welle reiht“ und den parallelen vierten „mir ewig erneut“. Aus dem Septsprung auf „Welle“ wir bei „ewig“ nun einer über das große Intervall einer None, womit dieses Wort eine starke melodische Hervorhebung erfährt.

    Bei der Wiederholung der Verse dieser Strophe setzt Schubert dieses Prinzip der Steigerung der liedmusikalischen Expressivität fort. Auf dem Wort „Tränen“ liegt nun eine aus einer Tonrepetition mit Sekundsprung hervorgehende hochexpressiv lange, nämlich drei Takte einnehmende Dehnung in Gestalt eines verminderten Terzfalls in hoher Lage, bei dem die Harmonik eine Rückung von A-Dur nach E-Dur vollzieht. Bei dem Vers „mir ewig erneut“, von dem das Wort „ewig“ nun wiederholt wird, beschreibt die melodische Linie einen Fall in Gestalt von sich absenkenden Sekundschritten, der am Ende mit einem Sekundanstieg in eine Dehnung mündet. Hier ereignet sich eine ausdrucksstarke Rückung von h-Moll nach Fis-Dur. Den deklamatorischen Gestus auf den Worten „ewig erneut“, die Aufeinanderfolge von Schritten im Wert eines Viertels und zweimal eines Achtels, wird von der melodischen Linie dann bei der in hoher Lage ansetzenden Fallbewegung auf der letztmaligen Wiederkehr der Worte „Fließen die Tränen mir ewig erneut“ aufgegriffen. Sie senkt sich dabei, in einer Rückung von h-Moll über Fis-Dur nach einem neuerlichen h-Moll harmonisiert, von einem hohen „G“ in repetierenden Sekundschritten zu einem „H“ in mittlerer Lage ab, womit die Melodik dieser Strophe an ihrem Ende angelangt ist.

    Wie bei dem ersten Verspaar, so folgt das Klavier auch beim zweiten und den auch in dieser Strophe von Schubert zum Einsatz gebrachten Wiederholungen den Bewegungen der melodischen Linie im Bassbereich mit Einzeltönen, während es im Diskant die üblichen repetierenden Akkord-Triolen erklingen lässt. Der Melodik wird auf diese Weise in ihrer ohnehin großen, den hohen affektiven Gehalt der um das Bild vom „schlagenden Herzen“ kreisenden lyrischen Aussage reflektierenden Expressivität großer Nachdruck verliehen. Bei den Worten „So unaufhörlich / Mein Herze schlägt“ beschreibt sie in ruhigen, stark von deklamatorischen Viertelnoten geprägten Schritten eine wellenartige Linie, die bei dem Wort „Herze“ in Gestalt eines gedehnten Legato-Bogens aus Sekundsprung und Terzfall aufgipfelt. Bei dem nachfolgenden Sekundfall zu dem Wort „schlägt“ hin, geht die Harmonik vom der vorangehenden Dominante D-Dur wieder zur Tonika G-Dur über.

    Auch der zweiten Strophe folgt ein Zwischenspiel nach, dieses Mal sogar noch umfänglicher, nämlich acht Takte in Anspruch nehmend. Das Klavier lässt dabei fortwährend repetierende Achtel-Akkorde, bzw. Einzeltöne erklingen, wobei die Harmonik eine Rückung vom anfänglichen h-Moll nach G-Dur vollzieht, der Tonart, in der die melodische Linie der nachfolgenden C-Strophe einsetzt. Auch in ihr, deren Inhalt die dritte Gedichtstrophe bildet, entfalten sich melodische Linie und Klaviersatz, darin die lyrische Aussage und das zentrale lyrische Bild reflektierend, in eigener, sich von der Liedmusik der ersten und der zweiten Strophe abhebenden Weise.

    Das dem Schlagen des Herzens korrespondierende lyrisch Bild ist „hoch in den Kronen“ angesiedelt. Die melodische Linie greift das in der Weise auf, dass sie bei diesen Worten mit Schritten über eine Terz und zwei Sekunden aus unterer in obere Mittellage aufsteigt. Bei „Kronen“ geht sie dann zwar in einen Fall über zwei Terzen über, das dient aber nur dazu, den Worten „wogend sich´s regt“ umso stärkeren Ausdruck zu verschaffen. Denn sie schwingt sich nach dem Fall auf „Krone“ mit einem veritablen Septsprung zu einer noch um eine Sekund angehobenen tonalen Lage auf und überlässt sich dort einer zweifachen, partiell gedehnten Tonrepetition, bevor sie zu dem Wort „regt“ hin in einen Quintfall übergeht. Der einleitende Septsprung entfaltet auch deshalb so große Ausdruckskraft, weil mit ihm eine harmonische Rückung vom anfänglichen G- Dur hin zur Doppeldominante A-Dur verbunden ist.

  • „Aufenthalt“ (III)

    Schubert wiederholt nicht nur alle Verse dieser Strophe, er lässt am Ende sogar die Worte „So unaufhörlich mein Herze schlägt“ noch einmal, zum dritten Mal also, deklamieren. Und man empfindet das als durchaus angebracht, kann die Liedmusik doch auf diese Weise den hohen affektiven Gehalt dieses so gewichtigen Bekenntnisses des lyrischen Ichs in seiner Tiefe voll ausloten. Während bei der ersten Wiederholung die melodische Linie auf diesen Worten noch einmal die gleiche Bewegung beschreibt wie beim ersten Mal, geht sie nun am Ende ihrer Wellenbewegung bei den Worten „Herze schlägt“ in eine lange Dehnung über, der ein melismatischer Achtelfall in gleich zwei Triolen nachfolgt. Das Klavier, das anfänglich diese melodische Bewegung im Bass noch mitvollzogen hatte, verfällt hier bemerkenswerterweise ins Schweigen und vollzieht nur den Sekundfall auf „schlägt“ nach, das aber in geradezu übertriebener Weise mit einem Oktavfall.

    In der letzten Strophe kehrt die Liedmusik der ersten in variierter Gestalt wieder. Die Variation beschränkt sich zwar auf die Wiederholung von Versen der letzten Gedichtstrophe in Gestalt von Melodiezeilen mit den Worten: „Starrender Fels / rauschender Strom / brausender Wald mein Aufenthalt“, aber sie sind gravierend, steigern sie doch, um die innere Unruhe und den tiefen seelischen Schmerz des lyrischen Ichs voll zum Ausdruck zu bringen, die Expressivität der Liedmusik auf ihren Höhepunkt. Das geschieht – und das will viel sagen – vor allem bei den Worten „starrender Fels“. Aus einer in e-Moll harmonisierten Tonrepetition steigt die melodische Linie bei dem Wort „Fels“ mit einem Quartsprung zu einem „G“ auf und überlässt sich dort einer langen, fast drei Takte übergreifenden Dehnung. Und das geschieht in einem dreifachen Forte und ist mit der ungewöhnlichen harmonischen Rückung vom anfänglichen e-Moll nach c-Moll verbunden.
    Man meint fast eine Art Wehklage-Schrei zu vernehmen.

    Auch die nach einer Viertelpause einsetzende melodische Linie auf den Worten „rauschender Strom“ mündet nach einem Sekundanstieg in eine taktübergreifende Dehnung, nun in mittlerer tonaler Lage und mit einer Rückkehr der Harmonik nach e-Moll verbunden, das am Ende in ein H-Dur übergeht. Und schließlich ist auch noch die Melodik auf den Worten „brausender Wald mein Aufenthalt“ von expressiven Dehnungen geprägt, weist aber einen deutlichen Anflug von Ausklang auf. Bei „brausender Wald“ bäumt sie sich aus einer langen Dehnung heraus in einem das Intervall einer Sexte einnehmenden Bogen noch einmal auf, senkt sich danach aber in einer kleinen Wellenbewegung zu einer langen Ausklangs-Dehnung auf der Silbe „-halt“ auf der tonalen Ebene eines tiefen „E“ ab. Die Harmonik, die gerade noch einmal nach H-Dur gerückt war, kehrt dabei zu ihrem e–Moll zurück.
    Es ist das der Seelenlage des lyrischen Ichs entsprechende Tongeschlecht.

  • Banner Strizzi
  • Lied 6: „In der Ferne“

    Wehe dem Fliehenden
    Welt hinaus Ziehenden! -
    Fremde Durchmessenden,
    Heimat Vergessenden,
    Mutterhaus Hassenden,
    Freunde Verlassenden
    Folget kein Segen, ach,
    Auf ihren Wegen nach!

    Herze, das sehnende,
    Auge, das tränende,
    Sehnsucht, nie endende,
    Heimwärts sich wendende!
    Busen, der wallende,
    Klage, verhallende,
    Abendstern, blinkender,
    Hoffnungslos sinkender.

    Lüfte, Ihr säuselnden,
    Wellen sanft kräuselnden,
    Sonnenstrahl, eilender,
    Nirgend verweilender:
    Die mir mit Schmerze, ach!
    Dies treue Herze brach, -
    Grüßt von dem Fliehenden,
    Welt hinaus Ziehenden.

    (Ludwig Rellstab)

    Ist das große Lyrik? Oder lyrisch-sprachliche Konfusion in einem regelrecht exzessiv sich ausbreitenden Meer von Präsenz-Partizipial-Konstruktionen und Gerundiva?
    Man sucht nach Syntax, und findet keine. Man fragt nach der lyrischen Aussage, und stößt auf sie erst am Schluss, wo deutlich wird, dass all die angesprochenen Wesen, Dinge, Organe und Gefühle, das „Herze“ also, das „Auge“, die „Sehnsucht“, der „Busen, die „Klage“, der „Abendstern“ und so weiter und so weiter nur eines sollen: Dem geliebten Wesen von dem „Fliehenden“, in die Welt hinaus „Ziehenden“ Grüße bestellen.

    Ein hochgradig poetisch-artifizielles Produkt liegt hier vor. Und wenn man will, so kann man ihm bescheinigen, dass in diesem immer gleichen, geradezu unaufhaltsam daherkommenden, jegliche syntaktische Bindung meidenden und rhythmisch durchaus beeindruckenden Dahinströmen der permanent in einem Daktylus endenden Verse das Lebensgefühl des aus der Welt fliehenden, die Heimat vergessenden und das Mutterhaus hassenden lyrischen Ichs lyrisch-sprachliche Gestalt annimmt. Wäre da nicht dieser gerundivische Exzess. Er lässt das Gedicht – so wie ich das empfinde – zu einem sprachlich übertrieben artifiziellen lyrischen Produkt werden.

    Schubert hat daraus mehr gemacht, als Rellstabs Verse an poetischer Qualität zu bieten haben, - weitaus mehr.
    Das sich in ihrer lyrisch-sprachlichen Anlage und ihrer Abfolge ausdrückende Gehetzt-Sein des aus der Heimat fliehenden lyrischen Ichs ist ganz offensichtlich nicht der Ansatzpunkt für seine Liedmusik und deren musikalische Aussage. Schon die Vortragsanweisung „Ziemlich langsam“ deutet darauf hin, und das siebentaktige Vorspiel setzt diesbezüglich einen eindeutigen richtungsweisenden Akzent.

    Nicht an dem sich im Gestus der lyrischen Sprache niederschlagende Fliehen des lyrischen Ichs setzt Schuberts Liedmusik an, vielmehr ist es – und das entspricht der Motivlage für seine Liedkomposition zu dieser Zeit – die existenzielle Grundbefindlichkeit, die das lyrische Ich zu dieser Flucht aus seiner Lebenswelt treibt. Das erinnert ein wenig an die „Winterreise“, und so verwundert nicht, dass die Liedmusik in der Gestalt der Melodik, der in ihren inneren Brüchen geradezu kühn anmutenden Harmonik und dem komplexexen, auf starken Kontrast angelegten Klaviersatz durchaus Verwandtschaft zu der der „Winterreise“ aufweist.

    Die Komposition stellt ein variiertes Strophenlied dar, wobei die Variationen allerdings so tiefgreifend sind, dass der aus formalen Gründen durchaus angebrachte Begriff fast irreführend anmutet. Die erste, die zweite und die dritte Liedstrophe haben sprachlich die drei Gedichtstrophen zum Inhalt, die vierte Liedstrophe stellt eine Wiederholung des Textes der dritten Strophe dar. Das Strophenlied-Konzept wahrt Schubert hierbei in der Weise, dass er melodische Figuren wiederkehren lässt, sie aber nicht nur als solche schon mehr oder weniger großen Variationen unterzieht und in anderer Weise harmonisiert, er führt sie von Strophe zu Strophe in neuer Gestalt fort, und in der letzten Strophe arbeitet er in ganz und gar eigenständiger Weise mit dem melodischen Material der vorangehenden dritten.

    Ein wesentlicher Faktor ist dabei die Harmonik. Während die Liedmusik der ersten beiden Strophen in h-Moll als Grundtonart steht, fungiert bei der dritten und der vierten Strophe H-Dur als Grundtonart, was zur Folge hat, dass die auf den ersten beiden Liedstrophen wiederkehrende, die ersten beiden Verse beinhaltende melodische Figur nun, wenn sie am Anfang der dritten Strophe erneut erklingt, durch ihre Dur-Harmonisierung mit einem Mal wie neu geboren wirkt und eine gewandelte musikalische Aussage entfaltet.


  • „In der Ferne“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Ein Dreivierteltakt liegt der Liedmusik zugrunde. Das siebentaktige Vorspiel lässt vorausweisend recht deutlich ihr zentrales Anliegen vernehmen. In der stockenden Art, in der es sich in seinen klanglichen Figuren seiner Harmonik entfaltet, will es sagen, dass es um das Ausloten der Seele des „Fliehenden“ gehen wird, und nicht um die musikalische Konkretisierung des Flucht-Gestus, wie ihn der lyrische Text in seiner konkreten lyrisch-sprachlichen Gestalt zum Ausdruck bringt und verkörpert.

    Tatsächlich wie stockend, weil in einem Akkord im Wert von einer halben Note innehaltend, erklingt, „fzp“ vorgetragen, drei Mal die strukturell gleiche Figur: Aus einem lang gehaltenen (punktierte halbe Note) Akkord löst sich im Bass eine Kette von ansteigenden Sechzehnteln und mündet in einen weiteren Akkord, der mit einer harmonischen Rückung legato in einen anderen übergeht. Das Wesentliche – und Vielsagende - dabei ist die harmonische Modulation: Beim ersten Mal vollzieht Fis-Dur eine kurze Rückung nach h-Moll, um zu sich selbst zurückzukehren, beim zweiten Mal ereignet sich das aber mit einem G-Dur als Ausgangstonart, und beim dritten Mal wiederholt sich die harmonische Rückung vom ersten Mal. Die Grundtonart h-Moll, in der die melodische Linie nachfolgend auch einsetzt, wird im Vorspiel also jeweils nur kurz gestreift. Dem Fis-Dur kommt eine dominante Rolle zu, und die im Bass aufsteigende Sechzehntel-Kette mutet an, als drücke sich darin ein unruhiges Suchen aus, das aber nicht in der Tonika zur Ruhe kommt, sondern in der Dominante landet, so dass es immer wieder von neuem beginnen muss.

    Und dem entspricht eine auffällige Eigenart der Melodik auf den ersten vier Versen der ersten Strophe. Sie ist stark von deklamatorischen Tonrepetitionen geprägt, und diese ereignen sich in bemerkenswerter Beharrlichkeit bis hin zu dem Wort „Vergessenden“ allesamt auf der tonalen Ebene eine „Fis“ in unterer Mittellage. Auf den Worten „Wehe dem Fliehenden“ verbleibt die melodische Linie in silbengetreuer Deklamation fast ausschließlich auf dieser Ebene und weicht nur bei dem Wort „Fliehenden“ mit einem Sekundschritt nach oben kurz davon ab, wobei die Harmonik eine Rückung von h-Moll nach Fis-Dur vollzieht.
    Und im Grunde ist auch die Melodik auf den Worten „Welt hinaus Ziehenden“ strukturell in dieser Weise angelegt und harmonisiert, nur dass dieses Mal der Ausgriff von der tonalen Ebene des „Fis“ in Gestalt eines Quartsprungs mit nachfolgendem Fall über eine kleine Sekunde und eine Terz erfolgt, um aber wieder in einer Repetition eines Fis auf den beiden letzten Silben von „Ziehenden“ zu enden.

    Was nachfolgt, lässt sehr deutlich vernehmen, dass Schubert, wie ja schon die für das ganze Lied geltende Vortragsanweisung deutlich macht, seine Liedmusik auf keinen Fall dem dahineilenden Gestus der lyrischen Sprache überlassen will. Auf dem sprachlichen Daktylus von „Ziehenden“ liegt zwar ein Terzfall von einem punktierten Viertel und einem Achtel. Aber der zum Daktylus gehörige dritte deklamatorische Schritt ist nicht ein weiteres Achtel, sondern ein Viertel.
    Heißt: Schubert will in Gestalt einer kurzen Dehnung kurz innehalten, und an dieser Stelle macht er das sogar auf markante Weise dergestalt deutlich, dass er der Singstimme eine eintaktige Pause verordnet, in der das Klavier die letzten deklamatorischen Schritte noch einmal nachvollzieht und am Ende sogar noch in einer Fermate innehält. Diese markante Zäsur ereignet sich zwar im weiteren Verlauf der Melodik der ersten Strophe nicht wieder, aber in allen Fällen liegt auf dem verbalen Partizip Präsens der Versenden die gleiche, am Ende in einer kleinen Dehnung innehaltende melodische Figur aus punktiertem Viertel, Achtel und Viertel.

    Und das lässt tief in die liedkompositorische Intention Schuberts blicken.
    Ganz offensichtlich fasst er die Partizip-Präsens-Verben am Versende nicht, wie Rellstab das angelegt hat, als Motor der inneren Dynamik der lyrischen Sprache auf, sondern er will sie als Angelpunkte für das musikalische Ausloten der Seelenlage des lyrischen ich verstanden wissen und sie deshalb in ihrem jeweiligen semantischen Gehalt zur Geltung kommen lassen. Deshalb das kurze Innehalten der melodischen Bewegung auf ihnen und – höchst bedeutsam – die jeweilige Harmonisierung der sich jeweils auf unterschiedlichen tonalen Ebenen ereignenden deklamatorischen Tonrepetitionen auf diesen Worten.

    Bei den Worten „Fremde Durchmessenden, Heimat Vergessenden“ beschreibt die melodische Linie zweimal den gleichen, auf einem tiefen „E“ ansetzenden zweifachen Sekundanstieg, um dann wieder auf der tonalen Ebene des „Fis“ in der üblichen Rhythmisierung zu verharren. Das erste Mal ist das in h-Moll harmonisiert, das zweite Mal aber in e-Moll.
    Bei den Worten „Mutterhaus Hassenden“ ereignet sich schließlich eine geradezu verstörend wirkende harmonische Rückung bei dieser melodischen Figur auf den substantivierten Partizip-Präsens-Verben. Nach einer in e-Moll harmonisierten Tonrepetition auf einem „H“ in mittlerer Lage senkt sich die melodische um eine kleine Sekunde, also auf ein „B“, ab und die Harmonik beschreibt eine geradezu kühne Rückung vom vorangehenden e-Moll nach B-Dur, was das Klavier mit einem lang gehaltenen und mit einem Crescendo versehenen B-Dur-Akkord akzentuiert. Schubert hebt auf diese Weise das Motiv des Hasses in hoch expressiver Weise hervor.

  • „In der Ferne“ (II)

    Bei den letzten drei Versen löst sich die melodische Linie erst einmal von ihrer Bindung an die tonale Ebene des „Fis“. Den zweifachen Sekundanstieg, den sie auf „Fremde Durchmessenden, Heimat Vergessenden“ in tiefer Lage vollzog, verlagert sie nun bei den Worten „Freunde Verlassenden“ auf die Ebene des „B“, auf dem die Repetitions-Figur bei „Hassenden“ erklang. Und sie erklingt hier noch einmal, und zwar nach einem Quartfall auf „Verlassenden“, nun auf der tonalen Ebene eine A“ in mittlerer Lage und in d-Moll harmonisiert. Und bei diesem letzten Erklingen dieser Figur wird noch einmal deutlich, dass Schubert die unterschiedlichen tonalen Lagen und die Vielfalt der Harmonisierung dazu nutzt, den semantischen Gehalt dieser Versenden mit musikalischen Mitteln auszuloten.

    Auf den Worten „Auf ihren Wegen nach“ beschreibt die melodische Linie in Fis-Dur-Harmonisierung zunächst einen dreifachen Sekundfall, geht aber dann mit einem Quartsprung zu einer Tonrepetition auf „D“ in mittlerer Lage über, wobei die Harmonik wieder eine expressive Rückung nach D-Dur vollzieht. Schubert lässt diesen Vers aber, wie er es durchweg bei allen letzten Versen tut, wiederholen, und hier kehrt die melodische Linie wieder zu ihrem „Fis“ zurück, in geradezu exzessiver Weise sogar. Auf dem Wort „Wegen“ liegt nun eine lange, zweieinhalb Takte übergreifende Dehnung in Gestalt eines „Fis“, die auf der zweiten Silbe des Wortes schließlich in einen Terzfall übergeht, der sich zu dem Wort „nach“ hin über eine weitere Terz bis zu einem tiefen „H“, dem Grundton also, fortsetzt und darin in einer langen Dehnung verharrt. Die Harmonik vollzieht während der langen Dehnung eine Rückung nach Fis-Dur, kehrt aber bei dem die Melodik der ersten Strophe beschließenden Dehnung auf dem tiefen Grundton wieder zu h-Moll zurück.

    Als Zwischenspiel erklingt vor der zweiten Strophe das Vorspiel in voller Länge. Dass dies vor der dritten Strophe noch einmal geschieht, lässt vollends seine Schlüsselfunktion für die musikalische Aussage des Liedes deutlich werden. Auf den ersten beiden Versen, den Worten „Herze, das sehnende, Auge, das tränende“ also, liegt die Liedmusik der ersten Strophe, einschließlich der nachfolgenden eintaktigen und in einem fermatierten Fis-Dur-Akkord endenden Pause für die melodische Linie.

    Mit den Worten „Sehnsucht, nie endende, Heimwärts sich wendende“ nimmt diese nun aber eine neue Gestalt an. Von Bedeutung ist dabei freilich, dass Schubert auch hier – und das gilt ja für das ganze Lied – die die Versenden beschließenden Partizip-Präsens-Konstrukte mit der in einer kleinen Dehnung endenden Grundfigur belegt. Zweimal beschreibt die melodische Linie auf diesen beiden Versen die gleiche, auf einem hohen „E“ ansetzende Sekundfallbewegung, die auf den Worten „endende“ und „wendende“ mit einem Sekundsprung noch einmal neu ansetzt und beide Male in h-Moll harmonisiert ist.

    Bei den Worten „Busen, der wallende, Klage, verhallende“ kehrt sich diese Falltendenz der Melodik in eine aufwärtsgerichtete um, wobei die melodische Grundfigur auf „wallende“ nun aber aus einer Kombination aus Sekundsprung und –fall in hoher besteht und wieder mit der expressiven harmonischen Rückung von h-Moll nach B-Dur verbunden ist. Bei dem präsentischen Partizip „verhallende“ besteht die Figur dann aber aus einer auf einem hohen „F“ ansetzenden Kombination aus Terz- und Quartfall, die in d-Moll harmonisiert ist. Bei den beiden letzten Versen der Strophe setzt die melodische Linie ihre Neigung, sich in aufwärts gerichteten Sekundschritten auf oberer tonaler Mittellage zu entfalten, weiter fort, wobei nun die melodische Grundfigur auf „blinkender“ und „sinkender“ beide Male aus einem doppelten Sekundfall besteht.

    Aber auch hier geht es Schubert um das musikalische Erfassen der Semantik der lyrischen Aussage, und so bettet er denn die Fallbewegung auf „blinkender“ in verminderte E-Harmonik, die auf „sinkender“, eine Sekunde höher ansetzend, aber in ein A-Dur, das nach D-Dur rückt. Wieder wird der letzte Vers wiederholt, und da er in seiner lyrischen Aussage von dem Wort „hoffungslos“ geprägt ist, kann diese Wiederholung nur in Gestalt einer Liedmusik erfolgen, die klanglich zum Ausdruck bringt, was dieses lyrische Bild zu sagen hat. Auf geradezu triste Weise fällt die melodische Linie, auf einem “Cis“ in Mittellage ansetzend und in dieser Tonart anfänglich harmonisiert, in die Tiefe. Über das große Intervall einer None, das heißt auf einem tiefen „H“ endend, geschieht das, wobei es dadurch so tief anrührend wird, dass die Fallbewegung auf der ersten Silbe von „sinkender“ in einer langen, wieder zweieinhalb Takte übergreifenden Dehnung innehält, bevor sie sich in einem doppelten Terzfall weiter fortsetzt. Und das alles, dem Bild entsprechend, in Moll-Harmonisierung (fis- und h-Moll).

    Was sich in der dritten Strophe, nach dem neuerlichen Erklingen des Vorspiels, ereignet, empfindet man beinahe wie ein Wunder. Nach dem Versinken der melodischen Linie in der Tiefe eines tristen h-Molls und dem Verharren in einer langen Fermate dort, wie es sich am Ende der zweiten Strophe ereignet hat, erklingt sie nun wieder in Gestalt genau der Bewegungen, die sie auf den ersten vier Versen der vorangehenden Strophe beschrieb. Die ist nun aber nicht in h-Moll-Harmonik gebettet, sondern in ein fast leuchtend anmutendes H-Dur, das Rückungen nach F-Dur vollzieht. Und sie wird vom Klavier nun auch nicht mit schweren siebenstimmigen Akkorden begleitet, sondern mit leichtfüßigen arpeggienhaften Figuren, - im Diskant mit Viererfiguren aus fallenden Sechzehnteln, im Bass mit aufsteigend angelegten Achtel-Triolen. Und wie wirkt in all dem wie neu geboren.

    Erst mit den Worten „Die mir mit Schmerze, ach! / Dies treue Herze brach“ tritt die Grundtonart h-Moll wieder in die Liedmusik ein. Die von dem Klageruf „ach!“ und dem Bild vom gebrochenen Herzen beherrschte lyrische Aussage macht es unumgänglich. Und die Melodik greift das in der Weise auf, dass sie, von einer bemerkenswert langen, nämlich eintaktigen Pause unterbrochen, zweimal die gleiche, in h-Moll harmonisierte Bewegung beschreibt: Einen in ruhigen Schritten (Viertelnoten) erfolgenden Sekundanstieg in oberer Mittellage, der bei den Worten „Schmerze, ach“, bzw. „Herze brach“ in eine schmerzlich anmutende Kombination aus gedehntem Sekundsprung und nachfolgendem Sekundfall übergeht.

  • „In der Ferne“ (III)

    Wozu Schubert das Prinzip der Wiederholung einsetzt und was er damit zu erreichen vermag, das lässt die vierte Liedstrophe auf beeindruckende Weise vernehmen und erkennen. Er nimmt sich den Text der dritten Gedichtstrophe noch einmal vor, um Dimensionen der lyrischen Aussagen und Bilder zu erschließen, die die Liedmusik der vorangehenden dritten Strophe noch nicht erfasst hat. Das Klavier begleitet dabei weiterhin mit den arpeggienhaften Figuren, diese nehmen aber im Diskant eine neue Gestalt an, insofern sie nun ebenfalls triolisch angelegt sind, dies aber, im Unterschied zu jenen im Bass, in fallender Linie. Die Melodik behält zwar ihren Grundgestus und die Gewohnheit bei, bei den Versenden ihre Grundfigur aus punktiertem Viertel, Achtel und Viertel zu beschreiben, ansonsten aber nimmt sie eine neue, zur vorangehenden manchmal sogar kontrastive Gestalt an, darin gleichsam auf das zerrissene innere Wesen des lyrischen Ichs zu verweisen.

    Und dazu gehört auch, dass die Harmonik hier nun stärker zwischen den beiden Tongeschlechtern hin und her rückt und noch schroffer in weitab gelegene Regionen des Quintenzirkels ausgreift. Und schließlich weist auch die Dynamik größere Schwankungen auf, steigert sich vom anfänglich Piano in Gestalt mehrfacher Crescendi und Descrescendi bis hin zum Fortissimo in der Melodik auf der Wiederholung des letzten Verses. Es ist ganz offensichtlich:
    Schubert hat Rellstabs „Fliehenden, in die Welt hinaus Ziehenden“ als ein seelisch hoch komplexes, von tiefem Leid und Schmerz innerlich erschüttertes lyrisches Ich wahrgenommen, - eine Winterreise-Wanderer-Existenz.

    Und so beschreibt denn nun die melodische Linie bei den Worten „Lüfte, Ihr säuselnden, Wellen sanft kräuselnden“ zwei Mal, dabei aber von einer ganztaktigen Pause unterbrochen, eine bogenförmig angelegte Bewegung in oberer Mittellage, die, auch weil die Harmonik eine Rückung von H-Dur nach Fis-Dur vollzieht, die Anmutung von klanglicher Lieblichkeit aufweist, zugleich aber auch einen Anflug von Wehmut. Und woher dieser kommt, lässt die Melodik auf den nachfolgenden Worten „Sonnenstrahl, eilender, nirgend verweilender“ erkennen. Wieder ereignet sich ein in H-Dur harmonisierter melodischer Anstieg, nun aber geht der nachfolgende Fall bei „verweilender“ in eine lange Dehnung über, der nach einem kurzen Sekundanstieg ein weiter Abstieg in Gestalt eines Terzfalls nachfolgt. Und die Harmonik ist nun nicht mehr im Tongeschlecht Dur verblieben, sondern hat schon beidem Wort „eilender“ eine Rückung nach cis-Moll vollzogen.
    Das lyrische Ich hat in diesem Bild die Erfahrung der Vergänglichkeit gemacht, und die hat es so tief getroffen, dass Schubert die Harmonik auf dem Wort „verweilender“ erst von H-Dur nach Fis-Dur rückt lässt, dann aber bei der Tonrepetition am Ende dieser Melodiezeile, also auf den beiden letzten Silben diese Rückung, wie eigentlich zu erwarten, wieder rückgängig macht und ein gänzlich unerwartetes und deshalb schroff wirkendes Dis-Dur erklingen lässt.

    Klage und Seelenschmerz bringt die auf den beiden Versen „Die mir mit Schmerze, ach! / Dies treue Herze brach“ sich wiederholende melodische Linie zum Ausdruck, und zwar weil sie nach einem in cis-Moll harmonisierten Sekundanstieg in einen gedehnten Sekundfall mit Tonrepetition übergeht, bei dem die Harmonik nach gis-Moll rückt. Bei den Worten „Grüßt von dem Fliehenden“ beschreibt sie zwar, weil sie ja einen Auftrag zum Ausdruck bringen, zunächst einen etwas energischeren, weil über eine Sekunde und eine Quarte erfolgenden Anstieg in hohe Lage und verharrt dort zunächst nach einem Sekundfall in einer Tonrepetition. Auch er ist aber im Tongeschlecht Moll harmonisiert (gis-Moll, cis-Moll), und so geht denn die melodische Linie, weil sich mit dem Vers „Welt hinaus Ziehenden“ wieder die seelische Grundbefindlichkeit des lyrischen Ichs zu Wort meldet, in genau die gleiche, von einer langen Dehnung in ihrer Mitte geprägte Fallbewegung über wie schon zuvor auf den Worten „Nirgend verweilender“.

    Mit einem bemerkenswerten Unterschied in ihrer Harmonisierung aber. Auch dieses Mal folgt am Ende auf das Fis-Dur nicht die Rückkehr zu dem als Tonika fungierenden H-Dur. Aber es ereignet sich nicht die klanglich schroff wirkende Rückung nach Dis-Dur, vielmehr verbleibt die melodische Linie auf den beiden letzten Silben von „Ziehenden“ nun nicht in einer Tonrepetition, sondern beschreibt einen in eine Dehnung mündenden Sekundsprung, bei dem die Harmonik die – wiederum ungewöhnliche – Rückung von Fis-Dur nach G-Dur vollzieht.

    Das mutet zunächst an, als trete ein Anflug von schmerzfreier Klarheit in die Liedmusik. Das erweist sich aber alsbald als eine Schimäre. Bei der Wiederholung dieses letzten Verses bricht die Liedmusik ins Fortissimo aus, die Harmonik fällt von dem G-Dur zunächst nach C-Dur ab, dies aber nur, um bei der langen, mit einem raschen vierfachen Achtel-Sekundanstieg eingeleiteten und wieder zweieinhalb Takte einnehmen Dehnung in hoher Fis-Lage auf dem Wort „Ziehenden“ in ein h-Moll zu verfallen, das zwar noch einmal eine kurze Rückung nach Fis-Dur beschreibt, aber dann den das Lied beschließenden und in eine Dehnung mündenden doppelten Terzfall auf den beiden letzten Silben klanglich ganz und gar beherrscht und seine dominante Rolle in dieser Liedmusik an deren Ende noch einmal mit einem fermatierten sechsstimmigen Akkord bekundet.

  • Notiz

    Mit der Musik dieses Liedes erregte Schubert beim Kritiker der Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ (AmZ, 40, 7. Oktober 1829) Anstoß.
    Vor allem eine solche harmonische Rückung wie die von h-Moll nach B-Dur bei den Worten „Mutterhaus hassender“ fand er unmöglich. Aber nicht nur das, Er sprach bei diesem Lied von einem „Ohren zerreißenden Fortschritt“, von „trotzig hingestellten Harmonien-Zerrbildern“ und einem allgemeinen „Zustand der Anarchie“ und meinte, dass Schubert von dem hier vorliegenden „Paroxysmus“ ganz sicher geheilt worden wäre, wenn er nur länger gelebt hätte.
    Wo käme man den hin, warnte er am Schluss seiner Kritik, wenn jeder „täte, „was ihm im Rausche beliebte“.

    Das ist ein schöner Beleg für die spezifische, die zeitgenössische Liedkomposition transzendierende und weit in die Zukunft weisende Qualität von Schuberts Liedsprache der Reifezeit. Kritiker, die sich am damals gängigen liedkompositorischen Konzept der Berliner Schule orientierten, konnten das Neue an ihr, ihre Bedingtheit durch die lyrische Sprache, die Tatsache, dass in ihr diese selbst erklingt, dass in ihr Sprache zu Musik wird, einfach nicht erkennen und infolgedessen auch nicht akzeptieren.

    Das „Mutterhaus“ zu „hassen“ ist eine Ungeheuerlichkeit. Sprachlich kommt das bei Rellstab u. a. darin zum Ausdruck, dass auf den dunklen Vokal „u“ und den Diphthong „au“ das in Kontrast dazu tretende helle „a“ mitsamt dem klanglich scharfen Doppel-S folgt. Schubert musste hier aus seiner Sicht zu einer harmonischen Rückung greifen, die damals nicht erlaubt war, eine kompositorische Ungeheuerlichkeit darstellte, um das, was die lyrische Sprache hier sagt, und wie sie es sagt, in der aus seiner Sicht gebotenen Weise liedmusikalisch zu erfassen.

  • Lied 7: „Abschied“

    Ade! du muntre, du fröhliche Stadt, Ade!
    Schon scharret mein Rösslein mit lustigem Fuß,
    Jetzt nimm meinen letzten, den scheidenden Gruß,
    Du hast mich wohl niemals noch traurig gesehn,
    So kann es auch jetzt nicht beim Abschied geschehn.
    Ade! du muntre, du fröhliche Stadt, Ade!

    Ade! ihr Bäume, ihr Gärten so grün, Ade!
    Nun reit' ich am silbernen Strome entlang,
    Weit schallend ertönet mein Abschiedsgesang;
    Nie habt ihr ein trauriges Lied gehört,
    So wird euch auch keines beim Scheiden beschert.
    Ade! ihr Bäume, Ihr Gärten so grün, Ade!

    Ade! ihr freundlichen Mägdlein dort, Ade!
    Was schaut ihr aus blumenumduftetem Haus
    Mit schelmischen, lockenden Blicken heraus?
    Wie sonst, so grüß' ich und schaue mich um,
    Doch nimmer wend' ich mein Rösslein um.
    Ade! ihr freundlichen Mägdlein dort, Ade!

    Ade! liebe Sonne, so gehst du zur Ruh, Ade!
    Nun schimmert der blinkenden Sterne Gold,
    Wie bin ich euch Sternlein am Himmel so hold;
    Durchziehn wir die Welt auch weit und breit,
    Ihr gebt überall uns das treue Geleit,
    Ade! liebe Sonne, so gehst du zur Ruh, Ade!

    Ade! du schimmerndes Fensterlein hell, Ade!
    Du glänzest so traulich mit dämmerndem Schein,
    Und ladest so freundlich ins Hüttchen uns ein.
    Vorüber, ach, ritt ich so manches Mal,
    Und wär' es denn heute zum letzten Mal,
    Ade! du schimmerndes Fensterlein hell, Ade!

    Ade! ihr Sterne, verhüllet euch grau! Ade!
    Des Fensterleins trübes, verschimmerndes Licht
    Ersetzt ihr unzähligen Sterne mir nicht;
    Darf ich hier nicht weilen, muß hier vorbei,
    Was hilft es, folgt ihr mir noch so treu,
    Ade! ihr Sterne, verhüllet euch grau! Ade!

    (Ludwig Rellstab)

    Abschied ist das Thema dieses Gedichts, und das wird eindringlich ins Bewusstsein gerufen dadurch, dass alle Verse mit dem Ruf „Ade!“ eingeleitet und auch beendet werden Schubert verstärkt diesen lyrisch-sprachlichen Effekt noch dadurch, dass er alle Liedstrophen durch Wiederholung des ersten Verses beschließt.
    Strophe für Strophe nimmt das lyrische Ich in frohgemutem Ton Abschied von seiner bisherigen Lebenswelt und lässt dabei einfließen, wie es sie erfahren hat und was ihm daran bedeutsam war: Von der Stadt, die ihm eine muntre und fröhliche war, von den Bäumen und Gärten darin und darum, und von den „freundlichen Mäglein“ und ihren schelmischen und lockenden Blicken.
    Aber es kommt auch ein nachdenklicher Ton in diesen Abschied. Das Abschiednehmen von der zur Ruhe gehenden Sonne wird tröstlich durch die „Sternlein am Himmel, die dem Wanderer überall „treues Geleit“ zu geben vermögen. Aber sie vermögen des „Fernsterleins trübes, gerade verschimmerndes Licht“ nicht zu ersetzen, des Schimmers also, der von dem menschlichen, im Zimmer angesiedelten Leben kommt, von dem gerade Abschied genommen werden muss. Und so wird den Sternlein, die nun auf einmal ihr Diminutiv verlieren und zu fernen „Sternen“ werden, zugerufen: „Verhüllet euch grau!“

    Fast möchte man vermuten, dass es dieser erste Vers der letzten Strophe war, der Schubert dazu animierte, seine als Strophenlied konzipierte Liedmusik so zu gestalten, dass, abweichend vom Rellstab-Gedicht, alle Liedstrophen in einer Wiederholung des ersten Verses enden. Denn in der letzten Strophe leitet dieser erste Vers jene lyrischen Aussagen ein, die das Gedicht in die tieferen seelischen Dimensionen des „Abschieds“ führen. Es ist die Erfahrung der Vergänglichkeit, sich verdichtend in der Aussage: „Darf ich hier nicht weilen, muß hier vorbei“.

    Es ist vielsagend, dass Schubert fünf Strophen lang seine Liedmusik sich in der schematischen A-B-Regelmäßigkeit entfalten lässt, wobei die B-Strophen im Gestus ihrer Melodik und dem sie prägenden Geist den A-Strophen verwandt wirken, die letzte Strophe davon aber deutlich abweicht. Dies nicht nur in der Gestalt der melodischen Linie, sondern auch in deren Harmonisierung. Nach dem die A-Strophen klanglich prägenden Es-Dur, und dem die B-Strophen beherrschenden As-Dur sinkt die Harmonik nun in die Tiefe eines Ces-Dur mit Rückung nach Fes-Dur.


  • Dieses Mal musste ich bei der Frage, zu welcher Aufnahme des Liedes ich einen Link herstellen sollte, gar nicht lange Probe-Hören und überlegen. Es kam nur Dietrich Fischer-Dieskau infrage.

    Und das einen banalen, weil ganz und gar subjektiven Grund: Wenn ich diese Verse Rellstabs lese, höre ich Schuberts Musik gesungen von Fischer-Dieskau, sehe ihn vor mir stehen, hochkonzentriert wie immer, aber doch beschwingt anmutend, mit einem leicht schelmischen Lächeln im Gesicht. Er liebte es, bei seien Auftritten dieses Lied als letzte Zugabe, als Abschied von seinem Publikum vorzutragen. Dadurch habe ich es so häufig von ihm interpretiert gehört wie kein anderes.

    Und es hat sich mir tief eingeprägt.

  • „Abschied“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Die Liedmusik weist also eine strophische Binnengliederung nach dem Schema A-B-A-B-A-C auf. Sie soll „Mässig geschwind“ vorgetragen werden, was durchaus bemerkenswert ist, suggeriert doch der Klaviersatz eher ein rascheres Tempo. Aber Schubert liest aus diesen Rellstab-Versen ein bewusstes, von vielerlei Emotionen begleitetes Abschied-Nehmen heraus, und so legt er denn auch seine Melodik an. Die entfaltet sich zwar – vor allem in den A-Strophen – in einem munteren Auf und Ab, aber schon in den B-Strophen tritt eine stärker gebundene Entfaltung in die Melodik, und dieser Gestus setzt sich dann in der letzten Strophe voll und ganz durch, darin allerdings große tonale Räume in Anspruch nehmend.

    In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die Melodik in durch Pausen voneinander abgehobene, mit den Versen identische Zeilen untergliedert ist, der fünfte Vers wiederholt wird – in der sechsten sogar zusammen mit dem vierten – und durch die dem „Ade“ innewohnende Dehnung ein markanter Ruhepunkt in ihre Entfaltung tritt. Durch die mit der Wiederholung des ersten Verses gewonnene, das von Rellstab vorgegebene Maß deutlich überschreitende Vielzahl der „Ades“ hat Schubert die Möglichkeit gewonnen, diesen Abschiedsruf zu einer Art Knotenpunkt für das Zum-Ausdruck-Bringen all der Emotionen werden zu lassen, die sich für das lyrische Ich, so wie er es sich vorstellt, mit dem Abschied verbinden. Und er nutzt das auf höchst subtile Weise.

    Schon das achttaktige Vorspiel - das im Folgenden immer wieder in partiell variierter Gestalt als Zwischenspiel und schließlich auch in vielsagender Variation als Nachspiel fungiert – lässt vernehmen, dass dieser Abschied für Schubert nicht so vordergründig glatt verlaufen wird, wie es der Vers „Weit schallend ertönet mein Abschiedsgesang“ nahezulegen scheint. Selbst wenn man die für den ganzen Klaviersatz geltende Struktur dieses Vorspiels, das Zusammenspiel von einem staccato angeschlagenen Auf und Ab von Einzeltönen und zumeist bitonalen Achtel-Akkorden im Diskant mit von Achtelpausen unterbrochenen Sprungbewegungen von Achteln im Bass, als klangliche Imagination des Rösslein-Getrappels deutet, so ist doch vielsagend, dass es sich einleitend, und auch in den Zwischenspielen, nicht gleichförmig entfaltet.

    Im dritten Takt des Vorspiels bäumt sich die Diskant-Figur, eingeleitet mit einer fallend angelegten Folge von dreistimmigen Achtelakkorden und sich aus der Zwei- zur Dreistimmigkeit erweiternd, mit einem Sprung in obere Lage auf und senkt sich danach über einen ganzen Takt hin wieder zur Anfangslage ab. Und das wiederholt sich in ähnlicher Gestalt danach gleich noch einmal.
    Das als „Aufbocken“ des Pferdes zu interpretieren, wie Walther Dürr das tut, erscheint mir ein wenig weit hergeholt. Mir scheint eher, dass Schubert schon hier im Vorspiel andeuten möchte, dass es den glatt verlaufenden Abschied für ihn nicht gibt, dass sich in ihm immer wieder einmal kleine Verzögerungen in Gestalt eines Blicks zurück gibt.
    Er denkt eben liedkompositorisch von Rellstabs letzter Strophe her.

    Die musikalische Aussage der Komposition konstituiert sich aus der der drei Strophentypen A, B und C. Man kann sie also fassen, indem man deren spezifische liedmusikalische Struktur in Augenschein nimmt. Das soll nun in der gebotenen Kürze geschehen. Die A-Strophe wird eingeleitet mit einem in Es-Dur harmonisierten und in den gedehnten Grundton in oberer Mittellage mündenden Quartsprung auf dem „Ade!“. Bemerkenswert ist, dass Schubert hier ausdrücklich die Vortragsanweisung „Pianissimo“ gibt. Sie gilt durchweg für die ganze Liedmusik, und die wenigen Crescendi und Decrescendi ändern nichts daran, dass Schubert diesen Abschieds-Gesang als stillen, wesenhaft introvertierten, und eben nicht als „laut schallenden“ verstanden wissen will.

    Aus dem anfänglichen Quartsprung-Ade wird am Ende der ersten Melodiezeile – und durch eine markante Dreiachtelpause davon abgesetzt – eines, das sich in mittlerer tonaler Lage ereignet, und dies in Gestalt eines Terzsprungs, der nun in eine lange, taktübergreifende Dehnung mündet. Aber hier wie dort begleitet das Klavier das „Ade“ mit einem Fall seiner Achtelfiguren im Diskant, darin deutlich machend, dass, bei aller Es-Dur-Harmonisierung, diesem „Ade“ ein Anflug von Wehmut innewohnt. Auf den dazwischen liegenden Worten „du muntre, du fröhliche Stadt“ liegt, ihren Ansprache-Gestus reflektierend, eine in Sekundschritten ansteigende, und am Ende in eine Dehnung in mittlerer Lage mündende melodische Linie, bei der die Harmonik eine Rückung von der Subdominante As-Dur zurück zur Tonika beschreibt.

  • „Abschied“ (II)

    Vom zweiten Vers der A-Strophe bis hin zu ihrem letzten bewegt sich die melodische Linie fast durchweg und mit einer nur zweitaktigen Abweichung davon im gleichen Gestus. Es ist eine Folge von Sprung- und Fallbewegungen aus je einem Viertel und zwei repetierenden Achteln, die ein permanentes Auf und Ab darstellen und die Anmutung eines Hüpfens aufweisen und als Ausdruck des frohgemuten Aufbruch-Geistes dieses lyrischen Ichs aufgefasst und verstanden werden können. In dieser Art ihrer Entfaltung korrespondiert die melodische Linie mit seinen ebenfalls hüpfenden Staccato-Figuren im Diskant und den springenden Achteln im Bass. Auch hier verfährt Schubert aber in kompositorisch subtiler Weise. Während die melodische Linie drei Verse lang Sprünge mit nachfolgender Tonrepetition über Intervalle von der Sexte bis zur Oktave beschreibt, geht sie vom zweitletzten Vers an („So kann es auch jetzt nicht beim Abschied geschehn“) zu Fallbewegungen im gleichen Gestus über, - Ausdruck wohl einer ganz leichten untergründigen Traurigkeit, die der lyrische Text ja geradezu ableugnet. Und bei den Worten „Jetzt nimm meinen letzten, den scheidenden Gruß“ weicht die melodische Linie sogar von diesem Gestus ab und beschreibt Fallbewegungen ohne Tonrepetitionen, wobei die Harmonik, die ansonsten Rückungen von der Tonika zur Dominante vollzieht, diese hier nun zur Subdominante As-Dur macht.

    Bei der die Strophe beschließenden Wiederholung des ersten Verses nutzt Schubert die Methode der Variation, um tief in die Seele des lyrischen Ichs zu leuchten. Auf dem „Ade!“ liegt nun zwar wieder ein Quartsprung mit nachfolgender Dehnung, aber er ereignet sich in mittlerer tonaler Lage und ist nicht in Es-Dur, sondern in f-Moll harmonisiert. Und das gilt auch für die nach einer Achtelpause einsetzende Melodik auf den Worten „du muntre, du fröhliche Stadt“. Darin greift Schubert zwar auf den Hüpf-Gestus aus Vierteln und repetierenden Achteln zurück, wie er die Melodik fast der ganzen A-Strophe prägt, aber er bettet ihn nun in das Tongeschlecht Moll und deutet damit an, dass es mit der vermeintlich ungebrochen-frohgemuten Aufbruchsstimmung nicht so weit her sein kann.
    Abschied ist für Schubert mit Leid verbunden, und das muss für ihn wohl auch bei diesem lyrischen Ich so sein, das in der ersten und der zweiten Strophe lauthals frohgemut auftritt. Und so muss es denn sein letztes „Ade!“ mit einem leichten Crescendo, aber durchaus noch im Bereich des Pianos verbleibend, mit einem melodischen Terzsprung in hoher Lage zum Ausdruck bringen, das in eine längere Dehnung mündet, als das bei allen vorangehenden „Ades“ der Fall war: Sich bis in den nächsten Takt erstreckend und wieder in Dur-Harmonik gebettet, - einer Rückung von der Dominante zur Tonika.

    Die B-Strophe hebt sich zwar in ihrer Melodik, deren Harmonisierung und auch im Klaviersatz von der A-Strophe klanglich ab, dies jedoch nicht in fundamentaler Weise, so dass man durchaus von einer liedmusikalischen Verwandtschaft sprechen kann. Die melodische Linie entfaltet sich nun in stärker gebundenen deklamatorischen Schritten, kehrt aber doch mehrfach wieder zu dem in der A-Strophe praktizierten Hüpf-Gestus zurück. Harmonisiert ist sie nun vorwiegend in As-Dur und ihren Dominanten, die Harmonik greift aber auch bis nach Des-Dur und ins andre Tongeschlecht (f-Moll) aus. Der Klaviersatz weist in Diskant und Bass zwar die gleichen Figuren auf, wie in der A-Strophe, jedoch sind die bitonalen Akkorde nun nicht durchgehend als Terzen angelegt, sondern weisen größere Intervalle (von der Quarte bis zur Septe) auf.

    Schon das nun als Zwischenspiel fungierende Vorspiel bereitet am Ende auf den Abstieg der Harmonik in den Bereich von As- und Des-Dur vor: Es setzt in der üblichen Weise in Es-Dur-Harmonik und Rückungen in die Dominante ein, am Ende aber schlägt das Es-Dur unvermittelt in ein Des-Dur um, und die über As-Dur erfolgende Rückkehr zum Es-Dur dient nur dominantischen Zwecken. Das einleitende „Ade!“ erklingt nun in Gestalt eines melodischen Sextsprungs, der in As-Dur gebettet ist. Das wirkt nun tatsächlich wie ein unbeschwerter Abschiedsruf. Und das gilt auch für das „Ade!“ am Ende der ersten Melodiezeile auf den Worten „ihr Bäume, ihr Gärten so grün“, die mit einem auftaktigen Quartsprung einsetzt und danach einen zweimaligen, in der tonalen Ebene sich absenkenden Fall in Sekundschritten beschreibt, der am Ende in einen Sekundsprung mit Dehnung mündet.
    Heiterkeit geht von dieser Melodik aus, und der nach einer Dreiachtelpause deklamierte „Ade“-Ruf setzt das fort, steigert es sogar noch mit dem in eine lange, wiederum taktübergreifende Dehnung mündenden Sekundsprung.

    Die Worte „Nun reit' ich am silbernen Strome entlang“ bewegen die melodische Linie dazu, wieder zum Auf und Ab-Hüpfgestus der A-Strophe überzugehen, diesen behält sie aber nicht in so reiner Form bei wie dort, sondern geht immer wieder zu Sprung- und Aufstiegsbewegungen über, die die Aussagen des lyrischen Ichs in ihrem semantischen Gehalt reflektieren: So ein geradezu rapider, nämlich über eine ganze Oktave erfolgender Aufstieg in Terz- und Quartschritten mit nachfolgendem Fall bei den Worten „ertönet mein Abschiedsgesang“, wobei die Harmonik eine Rückung von Des-Dur nach As-Dur beschreibt.

  • „Abschied“ (III)

    Bei den Worten „trauriges Lied gehört“ erfolgt ein neuerlicher Anstieg, der am Ende in ein Auf und Ab in Terzschritten übergeht, und bei dem Vers „So wird euch auch keines beim Scheiden beschert“ ereignet sich gar am Anfang ein Sextsprung, der die melodische Linie zu einem „As“ in hoher Lage führt. Schubert gibt dieser Aussage aber eine bemerkenswerte Deutung. Er lässt die melodische Linie in einen, von einem Zwischensprung kurz unterbrochenen und in immer größer werdenden Intervallen erfolgenden Fall bis hinunter zu einem tiefen „F“ übergehen, das heißt also über das Intervall einer Dezime. Und nicht nur das: Er bettet ihn in Moll-Harmonik, - ein f-Moll, das kurz nach C-Dur rückt.
    Man kann dies sehr wohl so verstehen, dass er diesem lyrischen Ich die Worte nicht ganz abnimmt, ahnend, dass da sehr wohl Traurigkeit im Spiel ist. Aber weil sich der scheidende Geselle eben so präsentiert, lässt er ihn die Worte wiederholen, nun zwar wieder über eine in zwei Anläufen über eine Dezime fallende melodische Linie, aber eine, die in tieferer Lage erfolgt und durchweg in Des-Dur mit Zwischenrückung nach As-Dur harmonisiert ist.

    Und man ahnt ja schon, was sich dieses Mal melodisch und harmonisch in der Wiederholung des ersten Verses ereignen wird. Auf dem anfänglichen „Ade!“ liegt ein Terzsprung mit Dehnung in hoher Lage, und er ist in b-Moll harmonisiert. Die nach einer Achtelpause einsetzende melodische Linie auf den Worten „ihr Bäume, ihr Gärten so grün“ beschreibt nun einen auf dem Ton der Dehnung einsetzenden Quartfall und kehrt über einen Sekund- und einen Terzsprung wieder zu ihm zurück, um sich auf ihm Repetitionen hinzugeben. Da sie dabei das b-Moll mit nur einer kurzen Rückung nach F-Dur nicht wirklich verlassen hat, wirkt das, als wolle sie den Klageton, der dem „Ade!“ dieses Mal innewohnt, sogar bekräftigen. Das die Strophe beschließende „Ade!“ ist zwar nun wieder über ein auftaktig-dominantisches Es-Dur und ein As-Dur harmonisiert, aber es wird auf einem in eine wieder lange Dehnung mündenden Terzfall deklamiert, der Abschiedsstimmung zum Ausdruck bringt.

    Bleibt noch der Blick auf die letzte, die C-Strophe. Das auf sechs Takte verkürzte und der Sprung- und Fallbewegung der Figuren beraubte Vorspiel deutet mit dieser Gestalt und seiner Harmonik an, was diese das Lied beschließende Strophe musikalisch zu sagen haben wird. Die Harmonik stürzt von der anfänglichen Tonika Es-Dur über ein c-Moll zu einem tiefen Ces-Dur ab. Und was sich bereits in der reduktiven Wandlung des Vorspiels zum letzten Zwischenspiel ereignet, das setzt sich im die Singstimme nun begleitenden Klaviersatz fort: Er behält zwar in Diskant und Bass seine Grundstruktur, die bitonalen Akkorde in den Diskant-Figuren bestehen nun aber fast ausschließlich aus Quarten, Quinten und Septen, und die Achtel-Sprünge im Bass werden zu einem Doppel-Achtel in der Tiefe erweitert, um eben die tiefe Lage klanglich zu akzentuieren. Hinzukommt, dass der Klaviersatz nun in stärkere Interaktion mit der melodischen Linie tritt: Mal folgt er ihren Bewegungen mit seinen Figuren, mal lässt er diese aber auch eine gegenläufige Bewegung beschreiben, um dem, was das lyrische Ich melodisch zu sagen hat, starken Nachdruck zu verleihen. So bezeichnenderweise bei der Wiederholung der Worte „muss hier vorbei“ und „folgt ihr mir noch so treu“.

    Hier, in der letzten Strophe, hat die melodische Linie ganz und gar von ihrem frohgemuten Hüpf-Gestus abgelassen. Zwar gibt es auch hier noch Tonrepetitionen, die sind aber nicht Bestandteil eines deklamatorischen Auf und Abs, vielmehr haben sie nun eine die melodische Aussage akzentuierende Funktion, wie erstmals bei den Worten „Des Fensterleins trübes, verschimmerndes Licht“ vernehmlich wird. Das einleitende „Ade!“ wird nun – in Ces-Dur Harmonisierung - auf einem Terzsprung mit Dehnung auf einem hohen „Es“ deklamiert und weist die Anmutung von Endgültigkeit auf. Auf der tonalen Ebene des „Ces“, mit dem die melodische Linie hier einsetzt, fährt sie auch bei den Worten „ihr Sterne verhüllet auch grau“ fort. Und dort endet sie nach einer bogenförmig angelegten Anstiegs- und Fallbewegung über das Intervall einer Quarte, bei der die Harmonik eine Rückung nach Ges-Dur beschreibt, mit einem Sekundsprung bei dem Wort „grau“ auch wieder. Und man meint, dass dies die melodisch richtige Bewegung ist, angesichts des das lyrische Bild so stark dominierenden Wortes „grau“.

  • Banner Strizzi