Lohengrin Premiere Leipzig 26.03.22

  • Nachdem die Versuche KWs Inszenierung in Barcelona im Rahmen der heute üblichen Mehrfachverwertung der Erzeugnisse "berühmter" Regisseure für Leipzig zu adaptieren scheiterten, inzeniert jetzt Patrick Bialdyga, der schon länger am Haus arbeitet, mir aber als Regisseur bislang nicht aufgefallen ist. Einige Äußerungen auf dem FB Kanal der Oper schienen mir recht schlüssig, eine visuelle Kostprobe ist jetzt auf dem YT Kanal der Oper verfügbar.

    https://www.youtube.com/watch?v=yTmc3jtcofY


    Die Titelrolle singt KFV. Ich bin, was man ja in meinen älteren Rezensionen nachlesen kann, kein großer Freund dieses Sängers im Wagnerfach, mache aber bei Lohengrin eine Ausnahme. Mal sehen, in welcher Verfassung er sich heute Abend präsentiert.

    Meine Eindrücke von der Premiere werde ich gelegentlich an dieser Stelle schildern.


    Mit Lohengrin sind dann die 13 Werke des Meisters komplett im Repertoire, größtenteils als relativ neue Inszenierungen szenisch von sehr unterschiedlicher musikalisch aber in der Regel von ausgezeichneter Qualität.

    Höhepunkt wird dann im Juni/Juli 22 "Wagner 22" sein. Bei dem Festival - gleichzeitig auch Höhe- und Endpunkt des Wirkens des um Leipzig sehr verdienten GMD-Intendanten Ulf Schirmer - werden mit umfangreichem Rahmenprogramm alle 13 Werke in der Reihenfolge ihres Enstehens (Ausnahme Ring) aufgeführt.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Lieber Misha, ich bin gespannt auf Deinen Bericht. Frau Scherer habe ich jüngst in Berlin als Ariadne gehört. Was Du zu ihrer Elsa schreiben wirst, interessiert mich. Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Hier nun mein (altersmilder) Bericht; Fehler bitte der Spracherkennung anlasten ;-) :



    Das Haus war für eine Wagner Premiere überraschend leer fand ich, bis mir dann einfiel, dass ja noch eine Kapazitätsbegrenzung für die nächsten Tage gilt. Ansonsten wieder mal eine „normale“ Premiere sogar mit Gastronomie in der Pause, was schon seit Ewigkeiten nicht mehr der Fall war.



    Um es kurz zu machen: Musikalisch ist meines Erachtens zumindest in der Besetzung der von mir besuchten Premiere das Ganze ein Erlebnis.



    Fand ich zu Beginn das Vorspiel auch noch reichlich flott und „unsinnlich“, steigerte sich doch insgesamt das Gewandhausorchester unter der sicheren Leitung des künftigen Chefs Christoph Gedschold zur Bestform. Irgendwelche Patzer habe ich auch in den heiklen Passagen nicht gehört, und auch die von mir recht ungeliebte Ouvertüre zum dritten Akt gerät nicht als das lärmend dröhnende Orchestestück, als das sie oft dargeboten wird. Wie schon eingangs erwähnt sind die Tempi eher zügig (was man auch an der relativ kurzen Aufführungsdauer merkte).



    Frau Scherer als Elsa hat einen wohlklingenden höhensicheren Sopran , ist allerdings vom Timbre her nicht unbedingt die beseelte Jungfer sondern eher eine von Ängsten getriebene Hysterikerin (ohne jemals "schrill" zu klingen!). Sie hatte zu keinem Zeitpunkt Probleme sich (sehr wortdeutlich) gegenüber dem Orchester durchzusetzen.



    Bei Klaus Florian Vogt, dessen knabenhaft androgynes Timbre für Lohengrin meines Erachtens rollendeckend ist, machten sich vielleicht ein oder zweimal leichte „Rauhheiten“ in der Stimme bemerkbar. Ansonsten kann er die Partie mühelos und differenziert gestalten und die Gralserzählung war makellos und kraftvoll gesungen. Er beherrscht aber eben auch die leisen Töne mit schönen piani. Auch bei ihm ist die Wortdeutlichkeit hervorzuheben. Ich bin bei Wagner bekanntlich kein KFV Freund, aber es macht große Freude ihm als Lohengrin zuzuhören. Ein absoluter "Leckerbissen".



    Ein Sonderlob gebührt dem Sänger des Heinrich, Günther Groissböck, der aus der (meiner Meinung nach undankbaren) Partie ein Maximum herausholte und einen wohlklingenden und voluminösen Bass hat.



    Matthias Hausmann sang den Heerrufer mit deutlicher, für meinen Geschmack etwas heller Stimme und gab der (in der Inszenierung aufgewerteten) Rolle das mögliche stimmliche Profil.



    Simon Neal als Telramund hatte natürlich mit der sehr eigenwilligen (dazu später) Inszenierung zu kämpfen, sang aber gleichfalls sehr deutlich, wenn auch teilweise meiner Meinung nach an den Grenzen seiner Möglichkeiten an den sehr expressive Stellen.



    Katrin Göring, bewährte Hauskraft, hatte teilweise mit dem Orchester zu kämpfen und ich fand sie mehr schrill als dämonisch. Für sie dürfte die Partie meines Erachtens grenzwertig sein. Eine großartige Sängerdarstellerin ist sie allemal.



    Die kleinen Kritikpunkte vorstehend sind aber wirklich Beckmesserei. Alle Protagonisten sangen auf sehr hohem Niveau.



    Ein extra Lob gebührt mal wieder dem Chor der Leipziger Oper, der ganz besonders unter der Inszenierung zu leiden hatte, aber mit gewohnter Präzision und wuchtiger Durchschlagskraft sang.



    Zur Inszenierung:



    Ich empfinde es immer als störend, wenn das Vorspiel „inszeniert“ wird. So auch hier. Während der Klänge des Vorspiels ist die Bühne bereits offen, man sieht eine verzweifelte, händeringende Elsa und im Hintergrund die Eheleute Telramund an einem langen Tisch. Meiner Meinung nach lenkt diese Pantomime, die auch keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringt, da sie nichts anderes inszeniert, als was man der Erzählung von Elsa ersten Akt entnehmen kann, nur von der Musik ab.



    Wie bereits in den Ausschnitten auf Facebook vom Regisseur zu hören, fast er das Ganze als Personendrama zwischen drei Personengruppen (König/Heerrufer, Ortrud/Telramund und Lohengrin/Elsa auf. Das mag ein interessanter Ansatz sein. Allerdings hat er meines Erachtens kein schlüssiges Gesamtkonzept daraus gemacht.



    Sehr positiv hervorzuheben ist die ausgefeilte Personenregie und die Arbeit mit den einzelnen Darstellern. Da wurde wirklich Theater gespielt und das ganze erschöpfte sich nicht in Standard Bühnengesten. Das Beziehungsgeflecht wurde szenisch klar, wenn auch manchmal etwas des Guten zu viel war.



    Nun hatt das Team allerdings einige “originelle“ Einfälle, die es offenbar so gut fand, dass es sie ohne Rücksicht auf die Schlüssigkeit unbedingt umseetzen musste.


    So wird aus dem Heerrufer eine Art sinisterer Staatssekretär oder Regierungssprecher, der in undurchsichtiger Weise im Hintergrund die Fäden zu ziehen scheint, und mit einer Pistole in der Hand herumfuchtelt zunächst Elsa, später dann Gottfried zu bedroht, um wohl am Ende Ortrud zu erschießen obschon er – auf ihr Geheiß – zunächst auf Gottfried gezielt hat. Meine Frau erinnerte er übrigens an Tschikatilo ;-) . Richtig klar wird aber mE seine Rolle eben nicht.



    Ebenso "originell" sicher auch der Einfall, dass Telramund blind ist. Das mag er im übertragenen Sinn sein. Nur funktioniert physische Blindheit samt Blindenstock eben mit Stück und Handlung einfach nicht und wird zB bei der Zweikampfszene völlig absurd.



    Ortrud, die ständig am Heerrrufer rumfummelt, als Person darzustellen, die auch ihre Sexualität als Machtinstrument einsetzt, halte ich für durchaus plausibel und für einen recht guten Einfall.



    Lohengrin wird gemeinhin als „Choroper“ angesehen. Der Chor spielt ja auch in der Tat eine wichtige Rolle in dem Stück. Ein großes Problem für den Regisseur ist es daher, den Chor während des Stücks auf der Bühne zu bewegen oder sonst etwas Plausibles mit ihm anzustellen. Wieland Wagner hat das in der berühmten „blauen Inszenierung“ nach meiner Erinnerung so gelöst, dass er den Chor quasi wie in einem Oratorium aufgestellt hat. Es gibt da sicher einige Möglichkeiten. Man kann es natürlich auch so machen, wie der Leipziger Regisseur: Der Chor findet szenisch überhaupt nicht statt. Zunächst habe ich gedacht, dass ich einen Platz zu weit außen habe, weil ich den Chor nicht gesehen habe. Dann stellte sich aber heraus, dass der Chor während der gesamten Aufführung in einer Kiste verborgen war, einem riesigen Klotz, der die große Leipziger Bühne quasi in zwei Hälften teilte. Gelegentlich konnte man, wenn die Kiste etwas transparenter wurde, die Sänger mit Campingstühlen, auf denen sie gelegentlich Platz nehmen konnten, hinter einer Art Gefängnisgitter erkennen. Irgendein Konzept vermochte ich dahinter nicht zu erkennen. Meiner Meinung nach ist dem Mann schlicht nichts eingefallen.



    Der (naturalistische) Schwan wird übrigens, nachdem einige Federn vom Himmel gefallen sind, von Lohengrin in einer Art großen transparenten Kugel vor sich hergetragen. Hört sich seltsam an, sieht aber ganz gut aus und ist allemal besser als die Lösungen, die den Schwan weginszenieren.



    Ansonsten ist die Bühne sehr karg. Der Regisseur fühlte sich während der Inszenierung nach eigener Aussage immer an „Der Himmel über Berlin“ erinnert (Lohengrins Wunsch nach menschlichem Glück), man könnte, wenn man die Szene sieht, auch meinen, man sieht ein Drama von Ibsen.

    Ansonsten: Einige Tische, Stühle und auf der anderen Seite der Bühne eine Art Podest.



    Im Ergebnis meine ich, dass es eine sehr gute Personregie, einige originelle, sogar einige gute Einfälle gab, aber kein überzeugendes Gesamtkonzept. Trotzdem halte ich die Inszenierung, wenn man sich nicht gerade einen märchenhaften Lohengrin wünscht (ich erinnere mich noch gern an die Herzog Inszenierung in Bayreuth,) sondern bereit ist, sich an einer szenischen Deutung mit Fokus auf der Psyche der Protagonisten auch mal zu „reiben“, durchaus für sehenswert. Dies hängt aber zum großen Teil auch damit zusammen, dass auf der Bühne ausgezeichnete Sängerdarsteller agieren.


    Gesamturteil: Musikalisch eine weite Reise wert; szenisch interessant.


    Das Leipziger Wagner Repertoire ist nun komplett und der Lohengrin gehört sicherlich musikalisch zu den Highlights und szenisch zu den interessanten Deutungen.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Danke für den Bericht. Meine Frau hat den Trailer auch gesehen und eine Entscheidung getroffen. Ich schließe mich an.

    Sie hat Nein gesagt.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ich bedanke mich für den ausführlichen Bericht vom Leipziger Lohengrin. Simon Neal und Günther Groissböck habe ich in den jeweiligen Partien in Berlin auch gesehen. Deinem Urteil zu Gr. kann ich mich nur anschließen.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*