Die Bachkantate (189): BWV192: Nun danket alle Gott

  • BWV 192: Nun danket alle Gott

    Choralkantate (Leipzig, 1730)


    3 Sätze, Aufführungsdauer: ca. 12 Minuten


    Lesungen:

    Unbekannt


    Textdichter:

    / (Choral von Martin Rinckart)


    Besetzung:

    Soli: Sopran, Bass; Chor: SATB; Flöte I/II, Oboe I/II, Violine I/II, Viola, Continuo


    1. Chor SATB

    Nun danket alle Gott

    Mit Herzen, Mund und Händen,

    Der große Dinge tut

    An uns und allen Enden,

    Der uns von Mutterleib

    Und Kindesbeinen an

    Unzählig viel zugut

    Und noch jetzund getan.


    2. Aria (Duetto) Sopran & Bass

    Der ewig reiche Gott

    Woll uns bei unserm Leben

    Ein immer fröhlich Herz

    Und edlen Frieden geben

    Und uns in seiner Gnad

    Erhalten fort und fort

    Und uns aus aller Not

    Erlösen hier und dort.


    3. Choral SATB

    Lob, Ehr und Preis sei Gott,

    Dem Vater und dem Sohne

    Und dem, der beiden gleich

    Im hohen Himmelsthrone,

    Dem dreieinigen Gott,

    Als der ursprünglich war

    Und ist und bleiben wird

    Jetzund und immerdar.



    Diese kurze Choralkantate ist unvollständig erhalten. Es fehlen die Originalpartitur und die Tenorstimme. Dennoch lässt sie sich ziemlich sicher auf das Jahr 1730 datieren, da die selben Schreiber das Stimmenmaterial hergestellt haben wie bei der zu jener Zeit entstandenen Kantate BWV 51. Auch stilistisch gehört sie eindeutig in das späte Kantatenschaffen Bachs.

    Der genaue Anlass ist mit der Originalpartitur verloren gegangen. Denkbar wären am ehesten feierliche Anlässe wie eine Trauung oder etwa das Reformationsfest 1730.

    Textlich besteht das Werk aus den unveränderten drei Strophen des Chorals „Nun danket alle Gott“ von Martin Rinckart, welches sich auch in heutigen Gesangbüchern großer Beliebtheit erfreut. Der äußeren Knappheit des Werkes steht die verhältnismäßig große Besetzung mit Chor und reichen Holzbläsern und damit ein gewisser Aufführungsaufwand entgegen.


    Der Eingangschor Nr. 1 gehört zu den großartigen Chorsätzen Bachs. Er gehört zur von Bach bevorzugten Form des zeilenweisen Choreinbaus in ein selbstständiges Ritornell. Dieses Ritornell ist bis auf geringe Ähnlichkeiten völlig unabhängig vom Cantus firmus. Dieser liegt wie üblich im Sopran, während die anderen Stimmen imitieren und Einwürfe beisteuern. Das Motiv ist im doppelten Kontrapunkt angelegt, was zu einem äußerst dichten Klangteppich im gesamten Satz führt. Mit einem letzten Ausruf „Nun danket alle Gott“ endet der mitreißende Satz festlich.


    Es folgt das Duett Nr. 2 von Sopran und Bass, welchem die zweite Choralstrophe zu Grunde liegt. Das erneut eigenständige Ritornell ist von festlicher Frische mit klaren Perioden, was der Musik einen tänzerischen Zug verleiht. Das Gesangsthema der Solisten orientiert sich erneut an der Choralmelodie. Verändert wird lediglich der zweite Ton, welcher aus textlichen Gründen von einer Viertel auf eine halbe Note gedehnt wird. Mit diesem Halteton wird das Wort „ewig“ untermalt.


    Der tänzerische Charakter bleibt im abschließenden Choral Nr. 3 erhalten. Formal gehört dieser Satz im Grunde zu den freien Choral-Chorsätzen, so wie der Eingangssatz des Werkes. Als direkte Choralvertonung kann er aber auch zu den in ein freies Ritornell eingebauten Choralsätzen gerechnet werden, deren bekanntestes Beispiel „Jesus bleibet meine Freude“ aus BWV 147 ist. Die Musik nimmt die Form einer Gigue an, wie sie zum Abschluss einer Suite üblich wäre. Man muss gut hinhören um zu erfassen, dass in der rhythmischen Melodie dieses Tanzes bereits der originale Cantus firmus enthalten ist. Der Sopran übernimmt anschließend die Liedweise in langen Notenwerten, während die anderen Stimmen in freier Polyphonie zusammen mit der tanzenden Instrumentalstimme begleiten. Ein äußerst festlicher Abschluss dieser kurzen, aber prächtigen Kantate.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Nun danket alle Tristan2511 !


    Werde morgen , wenn es zeitlich geht, diese Kantate von Rilling anhören, wenn die mir nicht gefällt muss ich wohl über Gardiner SDG nachdenken.......


    71Lu9+D7rRL._SL1088_.jpg


    51xIvMTO7ZL.jpg

  • Nun danket alle Tristan2511 !


    Werde morgen , wenn es zeitlich geht, diese Kantate von Rilling anhören, wenn die mir nicht gefällt muss ich wohl über Gardiner SDG nachdenken.......

    ^^ Natürlich nur leicht übertrieben.


    Übrigens gefällt mir bei dieser Kantate auch Leusink mal wieder ganz gut.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Die Rilling Aufnahme habe ich heute gehört, das ist schon gut. Denke da muss ich nicht noch Gardiner bestellen. Die Leusink CD habe ich nirgendwo gefunden, nur als GA.

  • Die Leusink CD habe ich nirgendwo gefunden, nur als GA.

    Hallo kalli, ich glaube du musst dir eine Lupe anschaffen, die 5CDs kosten een Appel un een Ei! :jubel:


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Ja, ich hatte sie nicht gefunden, aber jetzt ! :jubel: Bestellt, ob mir der Holland Boys Choir zusagen wird ? Und da ich Leusink nicht kenne - wird interessant. Bin aber ab Donnerstag für 5 Tage in England u.a. beim Goodwood Revival ( alte Autos + Motorräder und skurrile Menschen anschauen, naja ich bin dort auch "kostümiert" ) Siehe Avatar......

  • Gibt es auch mit den Arleen Augér, Theo Adam und den Thomanern unter Rotzsch:



    Bei Medimops fast geschenkt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Und wer es wirklich "HIP" will, kommt an Harnoncourt nicht vorbei:



    Historische Instrumente, Knabenchor und Knabensopran. Das gibt es sonst nirgends.


    Ich verstehe ohnehin nicht, wieso die heutigen und hier so häufig als besonders authentisch beworbenen sog. HIP-Interpretationen (Gardiner, Herreweghe, Koopman usw. usf.) als solche durchgehen. Mulier taceat in ecclesia. :stumm:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Naja,


    die genannten Herren sind im Vergleich mit Richter oder Karajan schon HIP.

    Im Vergleich dazu, nun gut. Allerdings haben Richter und Karajan nicht propagiert, sie würden hier HIP machen, anders als die von mir aufgeführten Herren.


    Mein Punkt ist aber eigentlich folgender:


    Einerseits wird etwa in den alten Aufnahmen des damaligen Thomaskantors Günther Ramin bemängelt, dass dieser ein modernes (und aus heutiger Sicht wohl wirklich zu stark besetztes) Orchester einsetzt. Dafür sind der Knabenchor (eben die Thomaner) und die in vielen Fällen eingesetzten Knabensolisten (ob nun Sopran oder Alt) historisch so, wie das zu Bachs Zeiten gehandhabt wurde.


    Andererseits aber setzen praktisch alle heutigen HIP-Interpreten bei den Bach-Kantaten keine Knabensolisten und nur in den seltensten Fällen Knabenchöre ein, was historisch betrachtet schlichtweg falsch ist. Hauptsache, es wird auf historisch korrekten Instrumenten gespielt, als ob es das alleine wäre. Das ist aber doch inkonsequent. Und trotzdem gilt dies dann als "Originalklang" und an Authentizität beispiellos.


    Insofern war Harnoncourts Ansatz in seinen frühen Einspielungen (später kam er auch davon ab) der wirklich konsequenteste: Instrumental, aber eben auch vokal so nahe es geht an der Bachzeit.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Insofern war Harnoncourts Ansatz in seinen frühen Einspielungen (später kam er auch davon ab) der wirklich konsequenteste: Instrumental, aber eben auch vokal so nahe es geht an der Bachzeit.

    Harnoncourt war gewiss der konsequenteste. Leider werden die historischen Instrumente teilweise bei manchen Einspielungen noch nicht auf einem Niveau beherrscht, wie das heute Standard ist. Von daher finde ich Herreweghe, Gardiner oder Veldhoven musikalisch meistens noch schöner als Harnoncourt, wenn gleich dieser wahrscheinlich am "hipsten" war. Ich denke, dass die genannten auch ohne Knabensopräne in das weitergefasste Thema HIP zu zählen sind, weil Instrumente, die weiteren Besetzungsfragen (Alt, Orchester- und Chorgröße), Tempi und eine der barocken Ästhetik entsprechende 'Spielfreude' ja passen. Von daher freue ich mich eher, dass der Markt heute so viele großartige Alternativen bietet, die alle auf sehr hohem Niveau agieren.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Stimmt natürlich.


    Man liest ja aber auch, dass es schwierig mit den Knaben ist weil sie immer früher in den Stimmbruch kommen. Und ich schätze Knabenchöre auch z.B. beim Durufle Requiem. Aber als Solisten nicht sehr....


    Ansonsten stimme ich Tristan2511 voll und ganz zu. Die ersten HIP Aufnahmen von Mozart/Harnoncourt haben mir nicht gefallen.

  • Harnoncourt war gewiss der konsequenteste. Leider werden die historischen Instrumente teilweise bei manchen Einspielungen noch nicht auf einem Niveau beherrscht, wie das heute Standard ist. Von daher finde ich Herreweghe, Gardiner oder Veldhoven musikalisch meistens noch schöner als Harnoncourt, wenn gleich dieser wahrscheinlich am "hipsten" war. Ich denke, dass die genannten auch ohne Knabensopräne in das weitergefasste Thema HIP zu zählen sind, weil Instrumente, die weiteren Besetzungsfragen (Alt, Orchester- und Chorgröße), Tempi und eine der barocken Ästhetik entsprechende 'Spielfreude' ja passen. Von daher freue ich mich eher, dass der Markt heute so viele großartige Alternativen bietet, die alle auf sehr hohem Niveau agieren.

    Da will ich gar nicht widersprechen. Und gewiss haben die aufgeführten Interpretationen ihre Daseinsberechtigung und sind auch teils eine echte Bereicherung. Das Label "Originalklang" bzw. "HIP" wie eine Monstranz vor sich zu tragen, ist allerdings für meine Begriffe insofern schon mitunter problematisch. Ich will auch nicht behaupten, dass Harnoncourts frühe Versuche da immer das Nonplusultra darstellen. Wie Du zurecht erwähnst, steckte da manches noch in den Kinderschuhen. Und gewisse gesangliche Defizite bei Knabensolisten (und teils auch bei Knabenchören) kann man schwerlich leugnen (auch wenn es mustergültige Beispiele gibt). Vielleicht ist dieser "originale Klang" genau wie zu Zeiten von Bach auch gar nicht so anstrebenswert, wie man lange meinte. Gibt es nicht etliche Berichte von seinerzeitigen Unzulänglichkeiten sowohl der Sänger als auch der Orchester? Was wir heute zu Gehör bekommen, dürfte in dieser Perfektion und oft rasanten Geschwindigkeit damals selten so geklungen haben. Ein Weiteres ist, so glaube ich, heutzutage aber auch die zunehmende Problematik, eine rein männliche Vokalbesetzung noch rechtfertigen zu können. Und dazu muss man noch nicht einmal die Extreme anführen, wie den Versuch, sogar die Jahrhunderte alte Tradition des Thomanerchors zu unterminieren.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • " Gibt es nicht etliche Berichte von seinerzeitigen Unzulänglichkeiten sowohl der Sänger als auch der Orchester? "


    Das wird wohl so sein, da kann man sich schon fragen ob das so wohlklingend war. Leider sind ja gerade alle Zeitreise Maschinen defekt. :) Denn zu einem Bachkonzert wäre ich eingestiegen. Ich glaube fast Bach wäre begeistert über die heutige Qualität. Aber das gilt sicher auch für Mozart..........

  • Vielleicht ist dieser "originale Klang" genau wie zu Zeiten von Bach auch gar nicht so anstrebenswert, wie man lange meinte. Gibt es nicht etliche Berichte von seinerzeitigen Unzulänglichkeiten sowohl der Sänger als auch der Orchester? Was wir heute zu Gehör bekommen, dürfte in dieser Perfektion und oft rasanten Geschwindigkeit damals selten so geklungen haben.Aber

    Das frage ich mich eh sehr oft: Wie hats wohl damals in Leipzig geklungen. Was würde ich dafür geben, das zu wissen.

    Ziemlich sicher war qualitativ alles dabei und ziemlich sicher war das Durchschnittsniveau unter dem der heutigen GA.

    Auf der einen Seite gibt es Arien mit sehr virtuosen Obligatstimmen bzw. Gesangssoli, von denen wir in verschiedenen Fällen wissen (und in anderen ahnen), dass Bach konkrete Virtuosen vor Augen hatte, auf die er zurückgreifen konnte, wenn auch gelegentlich nur einmalig. Auf der anderen Seite eben auch die musikalische Zurückhaltung um Amateure nicht zu überfordern, wie in BWV 150.

    Es finden sich verschiedene Kritiken aller Coloeur in diversen Chroniken und Briefen. Von umjubelten Solisten bis hin zu "darf doch recht eigentlich bezweifelt werden ob der Filius Advocati das Oboen Blasen überhaupt erlernet hat."

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)