Carl Loewe. Seine Balladen, vorgestellt und betrachtet im Vergleich mit Vertonungen des Textes durch andere Komponisten

  • „Archibald Douglas“ (III)

    Über fünf Strophen erstreckt sich die Ansprache des Douglas an König Jakob, dem „das Blut in die Wange geschossen“ war, was Loewe mit einer melodischen Linie zum Ausdruck bringt, die nach einer siebenmaligen, in c-Moll gebetteten Repetition einen Sprung über eine Quinte vollzieht, um, nun in D-Dur harmonisiert, auf der tonalen Ebene eines „D“ in hoher Lage forte erneut in eine Repetition überzugehen. „Andante, con molta devozione“ lautet die Vortragsanweisung für die Melodik auf den Worten des Douglas, der diese allerdings forte vorbringt. Mit den Worten „Denk' nicht an den alten Douglasneid,/ Der trotzig dich bekriegt“ tritt die Anweisung „Moderato, flebile“ an ihre Stelle, und das Klavier begleitet „legato, piano dolce“. „Mit Hingebung“ sollen die Melodik auf den Worten „Und denk' an alles, was einstens war“ vorgetragen werden, und die dreifache Ritardando-Tonrepetition, die lange Dehnung in mittlerer Lage und der nachfolgende, zweimal mit einem Vorschlag versehene und in eine Dehnung mündende Sekundanstieg auf der Wiederholung der Schlussworte „daß ich ein Douglas bin“ ist mit der Anweisung „tremando la voce“ versehen.

    Demut, Hingabe, Bitte, zugleich aber auch Bestimmtheit im Vorbringen des Anliegens liest Loewe aus den Worten des Douglas, und das kommt auf überzeugende Weise in der auf ihnen liegenden Melodik, deren Harmonisierung und dem zugehörigen Klaviersatz zum Ausdruck. Das kann natürlich nicht im einzelnen hier aufgezeigt werden, es sollte genügen, die kompositorischen Mittel zu benennen, die Loewe dazu einsetzt.
    Das ist zunächst einmal ein Klaviersatz, der aus der anfänglichen, jeden deklamatorischen Schritt akzentuierenden akkordischen Gestalt in der neunten Strophe im Diskant in ein fließendes Auf und Ab von bitonaten und Einzelachteln übergeht und darin dem hohen affektiven Gehalt der Melodik reflektiert.
    Das ist die Harmonik, die zwar durchgehend im Bereich von Rückungen von der Tonika G-Dur zu den beiden Dominanten verbleibt, immer wieder aber dort in das Tongeschlecht Moll übergeht, wo die affektive Dimension des Balladentextes besonders manifest wird.
    Aber vor allem ist es die Struktur der Melodik, die die hohe Eindrücklichkeit der Liedmusik bewirkt.

    Das von Loewe dazu eingesetzte Mittel ist die permanente Wiederholung der immer gleichen melodischen Figur, die auf den Worten „Denk' nicht an den alten Douglasneid, /
    Der trotzig dich bekriegt“ erstmals erklingt. Eingeleitet mit einem auf der tonalen Ebene eines „D“ in hoher Lage ansetzenden dreischrittigen Sekundfall, der auf den Worten „an den alten“ in mittlerer Lage in triolischer Gestalt wiederkehrt, auf dem Wort „Douglasneid“ in tiefer Lage aufs Neue, um schließlich mit einem ausdrucksstarken Sextsprung bei den Worten „der trotzig dich bekriegt“ in einen neuerlichen, nun aber gewichtigen, weil im Wert von Staccato-Viertelnoten dreischrittigen Sekundfall übergeht, der in einem in eine Dehnung mündenden Sekundanstieg endet.
    Die zweite, in Variationen immer wiederkehrende Figur ist ein Auf und Ab in Gestalt von deklamatorischen Achtelschritten in mittlerer Lage, wie sie erstmals bei den Worten „und Pfeile dir zugeschnitzt“ erklingt. Dominant aber ist die Fallbewegung der melodischen Linie, sich verdichtend im triolischen Sekundfall. Er erklingt sage und schreibe neunzehn Mal auf unterschiedlichen tonalen Ebenen und bringt darin affektive Grundhaltung des Douglas zum Ausdruck. Der Nachdruck, in dem er seine Bitte äußert, schlägt sich darin nieder, dass auf allen Versen, die mit dem Wort „denk“ eingeleitet sind, die gleiche melodische Figur liegt.

    Einen ganz anderen Ton lässt Loewe den König Jacob anschlagen. „Forte, mit unterdrücktem Zorn, abgestossen“ lautet die Vortragsanweisung. Auf den Worten „"Ich seh' dich nicht, Graf Archibald,/ Ich hör' deine Stimme nicht“ entfaltet sich die melodische Linie ausschließlich in deklamatorischen Repetitionen, die sich von der tonalen Ebene eines „Es“ in tiefer Lage um eine kleine Sekunde zu der eines „D“ absenkt, um sich danach wieder zur Es-Ebene zu erheben. Das Klavier begleitet und akzentuiert das mit lang gehaltenen Akkorden, denen ein Viertelakkord vorausgeht.

    Die Harmonik beschreibt eine vielsagende, die komplexen seelischen Regungen des Königs zum Ausdruck bringende Folge von Rückungen: Von Es-Dur über c-Moll, D-Dur, erneut nach Es-Dur und c-Moll bis zu D-Dur am Ende. Und dann ereignet sich noch etwas Erstaunliches. Bei den Worten „Mir ist, als ob ein Rauschen im Wald / Von alten Zeiten spricht“ lässt die melodische Linie von dem starren Verharren in Repetitionen ab und es tritt tatsächlich die triolische Achtel-Sekundanstiegs-Figur in sie, in der sich der Douglas zuvor auf so zahlreiche Weise melodisch ausdrückte. Und das geschieht bei den Worten „Mir klingt das Rauschen süß und traut“ bei „süß“ gleich noch einmal, im Klavierdiskant erklingt die triolische Figur in ihrer Fallversion sogar drei Mal. Loewe deutet hier mit seinen musikalischen Mitteln an, dass die Erinnerungen an die vergangenen, mit dem Douglas gemeinsam verbrachten vergangenen Zeiten das harte, zornige Gemüt des Königs zu erweichen beginnen.

    Aber der Zorn kehrt zurück und verdrängt sie. Die Melodik verfällt bei den Worten „Er ist ein Douglas doch!“ erneut in den repetitiven deklamatorischen Gestus, und bei der Wiederholung dieser Worte drückt sich der Zorn in einem sprunghaften, durch einen gedehnten verminderten Sekundfall bei „Douglas“ emotional aufgeladenen Auf und Ab über große Intervalle in tiefer Lage aus. Ein G-Dur-Tremolo im Bass im Einklang mit einem lang gehaltenen Staccato in tiefer Diskantlage unterstreicht diesen Zorn-Ausbruch im zweitaktigen Zwischenspiel. Und er setzt sich ja fort. In der mit den gleichen Worten „Ich seh dich nicht…“ eingeleiteten fünfzehnten Strophe beschreibt die melodische Linie eine strukturell gleiche Bewegung, steigert aber ihre Expressivität bei den Schlussworten „wär´ ein verlorner Mann“ dergestalt, dass sie aus ihren Repetitionen bei den Silben „-lorner“ aus einem fermatierten „B“ in mittlerer Lage in einen vom Klavier mit einem langgehaltenen arpeggierten Es-Dur-Akkord begleiteten Sturz hinab zur Ebene eines „Cis“ in tiefer Lage übergeht, aus der sie sich bei „Mann“ mit einem Sekundschritt wieder erhebt. Und wieder folgt dem ein Nach- und Zwischenspiel: Staccato-Triolen auf der Ebene eines tiefen „D“ im Diskant und triolische Staccato-Oktavsprünge im Bass.

  • „Archibald Douglas“ (IV)

    In den Strophen sechzehn und siebzehn geht die Balladensprache wieder in den narrativen Gestus über, und Loewes Balladenmusik entfaltet sich in Melodik und Klaviersatz in alten Figuren. Neue kommen erst wieder auf, wenn der Douglas in seiner neuerlichen Ansprache an den König emotional hoch aufgeladene Bitten vorbringt. Bei den Worten „Nur laß mich atmen wieder aufs neu' / Die Luft im Vaterland“ geht die Melodik zur Entfaltung in langen, immer wieder in Rückungen von Dur nach Moll (Es-Dur, c-Moll) harmonisierten und damit die emotionale Dimension reflektierenden Dehnungen über. Repräsentativ dafür ist die lange Dehnung auf der tonalen Ebene eines „Es“ in hoher Lage bei dem Wort „Luft“, der eine sie akzentuierende Viertelpause nachfolgt, bevor die melodische Linie in eine extreme, mehr als zwei Takte einnehmende Dehnung in Gestalt eines langsamen Sekundanstiegs zu einer die Taktgrenze überschreitenden Dehnung auf der Ebene eines „G“ in unterer Mittelage bei der Silbe „-land“ übergeht. Und Loewe setzt hier sogar das Mittel der Wiederholung der Worte „die Luft im Vaterland ein, nochmals mit einer langen Dehnung im Wert von einer ganzen und einer halben Note auf dem Wort „Vaterland“, nun aber in eine harmonische Rückung von Es-Dur nach B-Dur gebettet und am Ende mit einem arpeggierten fermatierten B-Dur-Akkord begleitet.

    Der für die poetische Aussage der Ballade konstitutive Faktor „Heimat- und Vaterlandsliebe“ wird in seinen affektiven Dimensionen von Loewe weitaus stärker liedmusikalisch hervorgehoben und akzentuiert, als dies in Fontanes Text der Fall ist. Das ist ganz typisch und repräsentativ für die seinen Balladen zugrundeliegende und sie hervorbringende kompositorische Intention, die ganz wesentlich darauf ausgerichtet ist, die emotionale Ebene des poetischen Textes zu erfassen und auf expressive Weise in die Balladenmusik einzubringen. Das wird noch einmal auf höchst eindrückliche, ja geradezu anrührende Weise beim Umschlag der Haltung von König Jakob deutlich, der sich in der einundzwanzigsten Strophe ereignet. Bei den Worten „Hell leuchtete sein Gesicht“ geht die melodische Linie sforzato zu partiell triolischen Repetitionen auf der tonalen Ebene eines „H“ in mittlerer Lage über, die vom Klavier synchron mit achtstimmigen Akkorden begleitet werden. Auf der zweiten Silbe von „Gesicht“ beschreibt sie einen verminderten Sekundanstieg zur Ebene eines „B“, der in eine Lange Dehnung übergeht, zu der das Klavier einen ebenfalls lang gehaltenen, wiederum achtstimmigen B-Dur-Akkord erklingen lässt.

    Einen ganzen Takt lang folgen diese achtstimmigen Akkordrepetitionen nach, nun aber im Fortissimo, in hoher Oktavlage und harmonisch in H7-Gestalt. Zusammen mit dem nachfolgenden B-Dur-Akkord bilden sie in ihrer Abfolge die gerade erklungene melodische Linie noch einmal ab und verleihen ihr damit großes Gewicht. Bei den Worten „Aber fallen ließ er nicht“ bringt Loewe - auch das eines seiner wesentlichen musikalischen Ausdrucksmitte - wieder Dramatik zum Einsatz. Auf „aber“ liegt eine Tonrepetition, die das Klavier mit einer fortissimo in Diskant und Bass nach oben schießenden Zweiunddreißigstel-Kette begleitet. Auf „fallen“ folgt eine weitere Tonrepetition nach, nun aber einen Halbton höher angesiedelt. Das Klavier lässt dazu lang gehaltene Oktaven in Diskant und Bass erklingen. Ein Diminuendo kommt in die Musik, eine ganztaktige Pause tritt in die Melodik, und dann erst erklingen die erlösenden Worte „ließ er es nicht“, dies in Gestalt einer triolischen Tonrepetition auf der Ebene eines „H“, der ein Sturz über das große Intervall einer verminderten Oktave hinab zur Ebene eines „B“ in tiefer Lage nachfolgt.

    Die Subtilität, in der Loewes Melodik nicht nur in dieser, sondern in der Regel in allen seinen Balladen angelegt ist, zeigt sich noch einmal bei den Schlussworten „Da wollen wir fischen und jagen froh, / Als wie in alter Zeit." Sechs Mal beschreibt die sie aufgreifende Melodik auf fallender Line die triolische Achtel-Sekundfallfigur, die der Douglas in seiner langen, die gemeinsame Vergangenheit beschwörenden Ansprache an den König fünfzehn Mal zum Einsatz brachte, und sie werden im Klavierdiskant sogar mitvollzogen, - subtiler, aber doch auch deutlicher musikalischer Ausdruck der Tatsache, dass König Jakob in dieser Gemeinsamkeit mit dem Douglas zurückgefunden hat.

    Und Loewe muss das natürlich bekräftigen. Das geschieht in einer Wiederholung der Worte „als wie in alter Zeit“, aber einer, die auf keinen Fall auch die Melodik beinhaltet. Er würde sich damit ja der Möglichkeit begeben, die affektive Dimension dieser Worte nicht hinreichend und mit der gebotenen Expressivität zum Ausdruck zu bringen. Also legt er auf die so wichtigen Worte „wie in alter Zeit“ eine neue, sich von der ersten deutlich abhebende melodische Linie. Während diese beim ersten Mal eine zweimalige, im Intervall sich um eine Sekunde vergrößernde Fallbewegung beschreibt, die bei „Zeit“ mit einem ausdrucksstarken und einer Rückung von D-Dur zur Tonika G-Gur einhergehenden Oktavsprung zu einer langen, den Takt überschreitenden Dehnung übergeht, beschreibt sie im zweiten Fall eine dreimalige Tonrepetition auf der Ebene eines „D“ in hoher Lage, der ein lang gedehnter, auf dieser Ebene ansetzender, in deklamatorischen Schritten im Wert von halben Noten ausgeführter und sich über drei Takte erstreckender Legato-Fall in Sekundschritten nachfolgt, der in den Grundton „G“ in unterer Mittellage endet.

    Das sechstaktige Nachspiel will ebenfalls, wie diese melodisch variierte Wiederholung von Text, als nachträgliches, die große Bedeutung dieses Balladen-Ereignisses zum Ausdruck bringendes Ereignis verstanden werden: Steigend und fallend angelegte Achtelfiguren steigen fortissimo in sehr hohe Diskantlage auf, im Oktavbereich folgen dem G-Dur Akkorde mit einem eingelagerten d-Moll nach, und zum Schluss erklingt, eingeleitet mit dem Dominantseptakkord in D-Dur, ein fermatierter und arpeggierter G-Dur-Akkord.

  • „Der Zauberlehrling“, op. 20, Nr. 2

    Hat der alte Hexenmeister
    Sich doch einmal wegbegeben!
    Und nun sollen seine Geister
    Auch nach meinem Willen leben.
    Seine Wort' und Werke
    Merkt' ich, und den Brauch,
    Und mit Geistesstärke
    Tu' ich Wunder auch.
    Walle! walle
    Manche Strecke,
    Daß, zum Zwecke,
    Wasser fließe,
    Und mit reichem vollem Schwalle
    Zu dem Bade sich ergieße.
    Und nun komm, du alter Besen!
    Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
    Bist schon lange Knecht gewesen;
    Nun erfülle meinen Willen!
    Auf zwei Beinen stehe,
    Oben sei ein Kopf,
    Eile nun und gehe
    Mit dem Wassertopf!
    Walle! walle
    Manche Strecke,
    Daß, zum Zwecke,
    Wasser fließe,
    Und mit reichem vollem Schwalle
    Zu dem Bade sich ergieße.

    Seht, er läuft zum Ufer nieder;
    Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
    Und mit Blitzesschnelle wieder
    Ist er hier mit raschem Gusse.
    Schon zum zweitenmale!
    Wie das Becken schwillt!
    Wie sich jede Schale
    Voll mit Wasser füllt!
    Stehe! stehe!
    Denn wir haben
    Deiner Gaben
    Vollgemessen! --
    Ach! ich merk' es! Wehe! wehe!
    Hab' ich doch das Wort vergessen!

    Ach das Wort, worauf am Ende
    Er das wird, was er gewesen.
    Ach! er läuft und bringt behende!
    Wärst du doch der alte Besen!
    Immer neue Güsse
    Bringt er schnell herein.
    Ach! und hundert Flüsse
    Stürzen auf mich ein.
    Nein, nicht länger
    Kann ich's lassen,
    Will ihn fassen.
    Das ist Tücke!
    Ach! nun wird mir immer bänger!
    Welche Miene! welche Blicke!

    O, du Ausgeburt der Hölle!
    Soll das ganze Haus ersaufen?
    Seh' ich über jede Schwelle
    Doch schon Wasserströme laufen,
    Ein verruchter Besen
    Der nicht hören will.
    Stock, der du gewesen,
    Steh doch wieder still!
    Willst's am Ende
    Gar nicht lassen?
    Will dich fassen,
    Will dich halten,
    Will das alte Holz behende
    Mit dem scharfen Beile spalten.
    Seht, da kommt er schleppend wieder!
    Wie ich mich nun auf dich werfe,
    Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
    Krachend trifft die glatte Schärfe.
    Wahrlich! brav getroffen!
    Seht, er ist entzwei!
    Und nun kann ich hoffen,

    Und ich atme frei!
    Wehe! Wehe!
    Beide Theile
    Stehn in Eile
    Schon als Knechte
    Völlig fertig in die Höhe!
    Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!
    Und sie laufen! Naß und nässer
    Wird's im Saal und auf den Stufen.
    Welch entsetzliches Gewässer!
    Herr und Meister! hör mich rufen! --
    Ach, da kommt der Meister!
    Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister,
    Werd' ich nun nicht los.

    "In die Ecke,
    Besen, Besen!
    Seid's gewesen.
    Denn als Geister
    Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
    Erst hervor der alte Meister."

    (J. W. Goethe)


    Goethes Ballade entstand in seinem sog. „Balladenjahr“ 1797. Sie ist in ihrer Prosodie durchaus kunstvoll angelegt: Sieben Hauptstrophen zu je acht Versen und sieben, gleichsam als variierter Refrain eingeschobene Strophen zu sechs Versen, mit denen wörtliche Rede in den narrativen Gestus der Balladensprache hereinbricht und damit die Dramatik des Geschehens durch eine individual-menschliche Konkretion potenziert. Kunstvoll angelegt ist sie auch in ihrer Sprachlichkeit. Die beiden Beschwörungsstrophen entfalten mit ihrem durch die klingende Kadenz fließenden Trochäus, ihrem Übergang vom Paarreim in den Kreuzreim, der Dominanz der Vokale a und e und sonorer Konsonanten auf eindrückliche Weise klangliche Magie. Darauf hinzuweisen wird sich bei der Frage, wie Loewe sie in Balladenmusik umgesetzt hat, als wichtig erweisen.

    Nicht einzugehen ist hier auf die Frage, durch welche literarischen Quellen Goethe zu dieser Ballade inspiriert wurde, wohl aber, jedenfalls ganz kurz, auf die ihrer Interpretation. Nicht zuzustimmen vermag ich einer These, die Christoph Wingertszahn in einem Vortrag anlässlich des 200. Geburtstages von Loewe vertrat, wenn er meint:
    „Eigentlich ist der Zauberlehrling gegen die Lehre vom romantischen „Zauberwort“ gemünzt, die für sich beanspruchte, das eigentliche Wesen der Welt hinter den Erscheinungen zu fassen…“.

    In dieser Ballade geht es aber nicht um das Wesen der Welt hinter den Erscheinungen, sondern um die Beherrschung von Natur und Welt durch den sich allmächtig fühlenden Menschen und die damit aufgeworfene Frage, ob er möglicherweise von den Folgen einer solchen Haltung überfordert, ja sogar überwältig werden könnte. Gut fünfzig Jahre später vertraten Marx und Engels die Auffassung, dass die „moderne bürgerliche Gesellschaft (…), die wie durch Zauberei so mächtige Produktions- und Austauschmittel hervorgebracht hat“, „einem Zauberer“ gleiche, „der die höllischen Mächte, die er heraufbeschworen hat, nicht mehr beherrschen“ könne.
    Goethe war hellsichtig, die künftige Entwicklung der europäischen Menschheit betreffend. Nicht nur in dieser Ballade ist das dokumentiert.

    Aber nun zu Loewe. Er komponierte diese musikalische Ballade 1832, sie entstand also in der Zeit, in der das Magisch-Unheimliche der Geisterwelt, an deren Existenz er ja doch wohl glaubte, in seinem dem Menschen gefährlich werdenden Potential in seinen Kompositionen eine Abschwächung erfahren hat. In dieser ist es ja nur noch unterschwellig manifest, erfährt vielmehr, was aufzuzeigen sein wird, eine mit den Elementen Komik und Groteske versehene Wendung ins Pädagogische.
    Die der Goethe-Ballade gleichsam als Subtext innewohnende Moral wird, so meine These, in Loewes Vertonung zum Haupttext, dabei allerdings auch auf die Ebene der Komik gehoben, so dass die Moral auf höchst vergnügliche Weise rezipierbar wird.


  • „Der Zauberlehrling“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    „Vivacissimo“ soll die Balladenmusik vorgetragen werden. Sie entfaltet sich durchweg auf der Grundlage eines Viervierteltakts. Mit der Wahl eines ins Extrem getriebenen Vivaces will Loewe ganz offensichtlich die unaufhaltsame Überwältigung eines Menschen durch die von ihm herbeigerufene Geisterwelt musikalisch erlebbar werden lassen. Das C-Dur, in dem die sie in der ersten Strophe einsetzt, stellt keineswegs die Grundtonart der Ballade dar. Ihre Besonderheit, was die Harmonik anbelangt, besteht darin, dass ihre Musik sich im Spannungsfeld zweier Tonarten entfaltet. Das C-Dur ist der Lebenswelt des Zauberlehrlings zugeordnet, es liegt also als Grundtonart allen Hauptstrophen zugrunde. Als der Geisterwelt zugehörige Harmonik hat Loewe eine im Quintenzirkel davon weitab liegende Tonart gewählt, das Des-Dur nämlich. Es prägt als Grundtonart alle Refrain-Strophen und macht damit sinnfällig, dass die Welt der Geister eine von der menschlichen Lebensweltfundamental wesensverschiedene ist, so dass ihr Einbruch in diese katastrophale Folgen haben kann, - was das Balladengeschehen ja unter Beweis stellt.

    In fast schon den Atem raubender Rasanz entfaltet sich die Melodik auf den Worten der ersten Strophe. Dies nicht nur, wegen Loewes Vortragsanweisung, vielmehr auch infolge ihrer Struktur. Sie steigt, in C-Dur mit Rückung zur Dominante harmonisiert, bei den Worten „Hat der alte Hexenmeister / Sich doch einmal wegbegeben“ in Gestalt dreier, in der tonalen Ebene jeweils um eine Terz angehobenen Anläufe in rhythmisierten deklamatorischen Sekundschritten im Wert eines punktierten Achtels und eines Sechzehntels von der Ebene eines „C“ in tiefer Lage bis zu der eines „D“ in hoher an, über das große Intervall einer None also, um am Ende, bei „begeben“ einen dreischrittigen Sekundfall zu vollziehen.
    Diese die Ballade einleitende und den Geist und die Grundhaltung des Protagonisten zum Ausdruck bringende Melodik ist deshalb so ausdrucksstark, weil sie in all ihren Schritten vom Klavier in Diskant und Bass in Achteln und Sechzehnteln synchron mitvollzogen wird. Das ist die so überaus eindrückliche Art, wie Loewe in einer nur kurzen Phrase eine Person musikalisch zu charakterisieren vermag.

    Diesen deklamatorischen Gestus der Entfaltung in immer neuen Sekundschritt-Anläufen behält die melodische Linie auch bei den nächsten Versen bei, allerdings nun sich dabei zunächst aus mittlerer in untere Lage absenkend und dabei vorübergehend in d-Moll harmonisiert. Bei „Seine Wort' und Werke / Merkt' ich, und den Brauch“ kehrt sie aber wieder, darin die Aussage der beiden Schlussverse reflektierend, zum Anstiegs-Gestus der Anfangsverse zurück, und geht bei den Worten „Und mit Geistesstärke“, aus dem d-Moll ausbrechend, in eine Sforzato-Dehnung auf der Ebene eines „C“ in hoher Lage über. Eigenartig und vielsagend ist dann allerdings der Sextfall, den sie auf den beiden letzten Silben von „Geistesstärke“ beschreibt, und die Abwärtsbewegung in Sechzehntelschritten, die auf den Worten „tu ich“ nachfolgt.

    Diesen deklamatorischen Gestus der Entfaltung in immer neuen Sekundschritt-Anläufen behält die melodische Linie, darin immerzu vom Klavier synchron in Diskant und Bass begleitet, auch bei den nächsten Versen bei, allerdings nun sich dabei zunächst aus mittlerer in untere Lage absenkend und dabei vorübergehend in d-Moll harmonisiert. Bei „Seine Wort' und Werke / Merkt' ich, und den Brauch“ kehrt sie aber wieder, darin die Aussage der beiden Schlussverse reflektierend, zum Anstiegs-Gestus der Anfangsverse zurück und geht bei den Worten „Und mit Geistesstärke“, aus dem d-Moll ausbrechend, in eine Sforzato-Dehnung auf der Ebene eines „C“ in hoher Lage über.
    Vielsagend ist dann der Sextfall, den sie auf den beiden letzten Silben von „Geistesstärke“ beschreibt, die Abwärtsbewegung in Sechzehntelschritten, die auf den Worten „tu ich“ nachfolgt und die sprunghafte Aufwärtsbewegung zur Ebene eines „C“ in oberer Mittellage auf den Worten „Wunder auch“, die in einen regelrechten Triller daselbst mündet. Das ist, man kann es nicht anders verstehen, Ausdruck jugendlich-forscher und ganz und gar unbekümmerter Unternehmungslust.

  • „Der Zauberlehrling“ (II)

    Unmittelbar darauf ereignet sich ein starker und darin fast schon gewaltsam wirkender Wandel im klanglichen Charakter der Liedmusik. Das C-Dur schlägt in ein Des-Dur um, an die Stelle des Pianos tritt ein Forte, und im Klavierdiskant erklingt ein kontinuierliches Auf und Ab von Sechzehnteln, das sich im weiteren Verlauf im Intervall von der Sekunde bis zur Oktave ausweitet und im Bass von fallenden Oktaven, später Terzen begleitet wird. Der Ruf „Walle!“ wird, und dies forte, zwei Mal, von einer Viertelpause unterbrochen, auf einem lang gedehnten Fall eines „Des“ in hoher Lage über eine ganze Oktave in die Tiefe deklamiert. Und wieder folgt eine Viertelpause nach, bevor die die melodische Linie ihre Entfaltung auf den Worten der nachfolgenden Verse der Refrain-Strophe beginnt. Das ist bemerkenswert, denn die Melodik reflektiert darin nicht die Anlage des Textes. Nur das erste „walle“ ist darin durch ein Ausrufezeichen syntaktisch exponiert. Das zweite „walle“ ist syntaktisch als Verb an die nachfolgenden Worte „manche Strecke“ gebunden und leitet damit eine Syntax ein, die, sich in gleichförmiger Trochäen-Rhythmik entfaltend, über alle Verse der Strophe erstreckt.

    Und auch dieses, den rhythmisch gleichförmigen, magische Wirkung entfaltenden Fluss der lyrischen Sprache, reflektiert Loewes Melodik nicht. Auf den Worten „Manche Strecke, / Daß, zum Zwecke, / Wasser fließe“ beschreibt sie zunächst deklamatorisch gewichtige, weil im Wert von Viertelnoten erfolgende Fallbewegungen über eine Sekunde und eine Quarte, die bei „Wasser fließe“ in eine durch Dehnung erfolgende Rhythmisierung übergehen. Bei den Worten „Und mit reichem vollem Schwalle / Zu dem Bade sich ergieße“ erfolgen diese Fallbewegungen aber im Wert von punktierten Achteln und Sechzehnteln, womit die Melodik auf markante Weise ihren anfänglich gewichtigen deklamatorischen Gestus wandelt, sich in deutlich höherem, vom Klaviersatz mit seiner nun auch den Bass erfassenden Auf und Ab-Struktur unterstützten Tempo entfaltet und bei „ergieße“ in einem gedehnten Oktavfall endet.

    Die Melodik, ja eigentlich die gesamte Balladenmusik, entspricht also in keiner Weise den auf magische Wirkung angelegten Prosodie der ersten und zweiten Refrain-Strophe. Und natürlich stellt sich da die Frage, warum das so ist. Angesichts der Tatsache, dass für Loewe die eiserne Regel der absoluten „Texttreue“ als „erste Bedingung der Ballade“ gilt, bietet sich im Grunde nur eine Erklärung an:
    In dieser Melodik manifestiert sich die Unfähigkeit des Zauberlehrlings, die magische Zauberformel sachgemäß zu handhaben und einzusetzen. Statt zu beschwören, schreit er in Gestalt dieses zweimaligen gedehnten Oktavfalls den Besen an und lässt anschließend einen Wortschwall auf ihn niedergehen.
    Es erweist sich also wieder einmal: Viel kompositorische Reflexion steckt in der Balladenmusik Loewes.

    Bei den folgenden Haupt- und Refrain-Strophen setzt Loewe bis hin zur vierten Hauptstrophe einschließlich das Prinzip der Wiederholung ein, dies sowohl in der Melodik, wie auch im Klaviersatz. Auf diese Weise erfährt die Hektik des Geschehens starken Ausdruck, und bei dem Ausruf „Stehe, stehe“ ist der gedehnte Oktavfall in Des-Dur ja nun wirklich angebracht, ebenso der hektische Anstieg der Melodik in Gestalt rhythmisierter Sekundschritte bei den Worten „Ach! ich merk' es! Wehe! wehe! / Hab' ich doch das Wort vergessen.“ Anders ist das bei den Worten „Nein, nicht länger / Kann ich's lassen, / Will ihn fassen. / Das ist Tücke!“. Hier brechen innere Not und Verzweiflung aus dem Zauberlehrling heraus, und Loewe greift dies natürlich auf, indem er die Melodik nicht noch einmal den gedehnten Oktavfall beschreiben und die - nun allerdings erneut eine Wiederholung darstellenden - Fallschritte der melodischen Linie über eine Sekund und eine Quart nun staccato vortragen lässt.

  • „Der Zauberlehrling“ (III)

    Je weiter das Balladengeschehen voranschreitet, desto stärker lässt Loewe, weil die Dramatik des Geschehens das erfordert, vom Prinzip der Wiederholung ab und bringt im Bereich von Melodik und Klaviersatz die Variation zum Einsatz. So entfaltet sich die melodische Linie in ihren Staccato-Gestus anfänglich auf den Worten „Willst's am Ende / Gar nicht lassen?“ genauso wie auf den beiden ersten Versen der vierten Refrain-Strophe. Aber schon bei „nicht lassen“ beschreibt sie nun, abweichend von dort, einen Sekundanstieg, und bei den Worten der nachfolgenden Verse nimmt sie eine ganz neue Gestalt an. Der Zauberlehrling geht zur Gegenwehr über und Goethe lässt ihn dabei sich dementsprechend stoßweise artikulieren. Auf den Worten „Will dich fassen, / Will dich halten“ beschreibt die melodische Linie deshalb „tenuto“ ein deklamatorisch gewichtiges, weil im Wert von punktierten Vierteln und Achteln erfolgendes Auf und, bei „ Will das alte Holz behende / Mit dem scharfen Beile spalten wird daraus dann aber ein lebhafter Staccato-Anstieg in Achtel-Sechzehntel-Sekundschritten. Bei „krachend trifft die glatte Schärfe“ vollzieht sie einen rhythmisierten Sekundanstieg mit nachfolgendem Fall, der vom Klavier mit einem arpeggierten Sforzato-G-Dur-Akkord im Bass und fallend angelegten Sechzehntel-Quartolen im Diskant begleitet wird.

    Bei den Worten „Welch entsetzliches Gewässer!“ ist der Höhepunkt des dramatischen Geschehens erreicht, und nachdem die Melodik bei den Worten „Und sie laufen! Naß und nässer / Wird's im Saal und auf den Stufen“ in Wiederholung wieder den üblichen stufenweisen Sekundanstieg vollzogen hat, entfaltet sie sich nun, die sprachliche Gestalt des Ausrufs reflektierend, in neuer Gestalt: Einer langen, in C-Dur harmonisierten und forte vorgetragenen Dehnung auf „welch“, einem verminderten Sekundanstieg mit nachfolgender, wiederum partiell gedehnter Repetition auf „entsetzliches“ und einer gewichtigen, fortissimo vorzutragenden deklamatorischen Repetition auf der zweiten und dritten Silbe von „Gewässer“.

    Eine halbtaktige Pause folgt diesem von Loewe in expressive Musik umgesetzten Schrei des Zauberlehrlings nach. Und strukturell genauso und ebenfalls mit der Anweisung „fortissimo“ versehen, nur auf einer Sekunde höheren tonalen Ebene angelegt und in F-Dur harmonisiert ist auch die Melodik auf den Worten „Herr und Meister! hör mich rufen!“. Der Klaviersatz ist in seiner Expressivität gesteigert dadurch, dass sich das Auf und Ab von Sechzehnteln in Diskant und Bass nun in Gestalt von zweistimmigen Akkorden und Einzel-Sechzehnteln ereignet. Die Melodik auf den Worten „Die ich rief, die Geister“ stellt wieder eine Wiederholung dar, bei der Melodik auf den Worten „Die ich rief, die Geister werd' ich nun nicht los“ handelt es sich dann wieder um eine Variante.

    Bemerkenswert ist, dass Loewe den Fortissimo-Auftritt des Meisters ohne längere Pause oder gar ein kurzes Zwischenspiel auf das Ende der Melodik der letzten Hauptstrophe folgen und die Melodik sogar auf derselben tonalen Ebene, einem „C“ in oberer Mittelage einsetzen lässt. Nur eine Achtelpause liegt dazwischen, in der zwei Sechzehntel-Ketten in Diskant und Bass aufeinander zulaufen.
    Das lässt das für seine Balladenkomposition typische Denken von den situativen Gegebenheiten des Geschehens erkennen. Dieser Auftritt platzt, so wie es von Goethe in seiner Ballade sprachlich unvorbereitet erfolgt, mitten in das dramatische Geschehen hinein, und er erfordert für Loewe nicht nur von seiner sprachlichen Gestalt her, sondern auch von der imaginierten Art und Weise desselben, die Haltung und Gestik des Meisters bestreffend, eine von der vorangehenden markant abweichende und keinerlei Wiederholungs-Elemente mehr aufweisende Balladenmusik.

    Zwar setzt die Melodik auf den Worten „In die Ecke, Besen“ auf der gleichen tonalen Ebene ein, auf der die Anstiegsbewegung der melodischen Linie auf den letzten Worten des Zauberlehrlings endet, aber schon bei den Worten „Ecke, Besen“ beschreibt sie, einhergehend mit einer Rückung der Harmonik vom vorangehenden C-Dur nach Des-Dur, eine vierschrittige, anfänglich gedehnte Tonrepetition auf einer um eine verminderte Sekunde angehobenen tonalen Ebene. Und das Klavier begleitet das nun, abweichend von seinem bislang praktizierten Gestus, mit vierstimmigen synchronen Akkordrepetitionen.

    Das ist der Bruch, der sich mit dem Auftritt des Meisters in der Balladenmusik ereignet. Das zweite „Besen“ wird, nach einer halbtaktigen Pause, auf der tonalen Ebene eines „Des“ in tiefer Lage deklamiert und vom Klavier synchron mit einem sechsstimmigen Achtel-Akkord akzentuiert. Das verleiht dieser Anrede das hohe Gewicht eines Befehls, aber darüber hinaus ist daran noch etwas bemerkenswert: Die Melodik beschreibt hier den gleichen Oktavfall von einem hohen zu einem tiefen „Des“ wie auf den Worten „Walle, walle“ des Zauberlehrlings.
    Loewe macht auf diese Weise mit seinem musikalischen Mitteln den Unterschied zwischen den Beiden sinnfällig. Die Worte des Meisters erfüllen, anders als die des Lehrlings, infolge des ihnen innewohnenden magischen Potentials ihre Funktion als Zauberspruch.

  • „Der Zauberlehrling“ (IV)

    Loewes kompositorisches Denken von der Szene her zeigt sich auch darin, dass er die Worte „seid´s gewesen“ aus der bei Goethe durch ihre Einbindung in das trochäische Metrum bedingten Unmittelbarkeit der Nachfolge löst und erst nach einer eintaktigen Pause deklamieren lässt, dies in Gestalt eines ebenso gewichtigen, weil auf der Ebene des tiefen „Des“ ansetzenden Quartsprungs einer zweischrittigen Tonrepetition, die wieder vom Klavier mit fünf- und sechsstimmigen Akkorden begleitet wird und mit einer harmonischen Rückung von der Subdominante zur Tonika Des-Dur einhergeht.

    Bei drei Schlussversen verlässt die Balladensprache die Sphäre der magischen Beschwörung und geht zum Gestus sich erklärender wörtlicher Rede über. Auch das setzt Loewe in adäquate Melodik um. Sie beschreibt bei den Worten „Denn als Geister / Ruft euch nur, zu seinem Zwecke / Erst hervor“ einen in silbengetreuer Deklamation erfolgenden kontinuierlichen Anstieg über kleine Sekundschritten in Gestalt von vierschrittigen Tonrepetitionen, wobei die Harmonik ebenfalls einen Anstieg von Des-Dur über As-, F-, B-, nach G-Dur vollzieht. Das Klavier begleitet das mit lang gehaltenen fünfstimmigen Akkorden.

    Bei „hervor“ beschreibt die melodische Linie dann aber, verbunden mit einer harmonischen Rückung nach C-Dur, einen in eine kleine Dehnung mündenden Sekundanstieg zur Ebene eines „C“ in hoher Lage, - eine Aufgipfelung, die in ihrem kurzen Innehalten den Schlussworten „der alte Meister“ das ihnen gebührende Gewicht verleiht. Denn diese werden nun auf einer melodischen Linie deklamiert, die nach einem sprunghaften Auf und Ab in tiefer Lage mit einem Quartsprung zu einem lang gedehnten, weil im Wert einer ganzen und einer halben Note erklingenden und auf der Ebene des Grundtons „C“ in tiefer Lage endenden Quintfall auf den beiden Silben des Wortes „Meister“ übergeht.
    Das Klavier trägt dazu einen ebenfalls lang gehaltenen arpeggierten C-Dur-Akkord bei, und die Ballade ist an ihrem Ende angelangt.

  • „Tom der Reimer“, op. 135

    Der Reimer Thomas lag am Bach,
    Am Kieselbach bei Huntley Schloß.
    Da sah er eine blonde Frau,
    Die saß auf einem weißen Roß.

    Sie saß auf einem weißen Roß,
    Die Mähne war geflochten fein,
    Und hell an jeder Flechte hing
    Ein silberblankes Glöckelein.

    Und Tom der Reimer zog den Hut
    Und fiel auf's Knie, er grüßt und spricht:
    ,,Du bist die Himmelskönigin!
    Du bist von dieser Erde nicht!``

    Die blonde Frau hält an ihr Roß:
    ,,Ich will dir sagen, wer ich bin;
    Ich bin die Himmelsjungfrau nicht,
    Ich bin die Elfenkönigin!

    ,,Nimm deine Harf und spiel und sing
    Und laß dein bestes Lied erschalln!
    Doch wenn du meine Lippe küßt,
    Bist du mir sieben Jahr verfalln!``

    ,,Wohl! sieben Jahr, o Königin,
    Zu dienen dir, es schreckt mich kaum!``
    Er küßte sie, sie küßte ihn,
    Ein Vogel sang im Eschenbaum.

    ,,Nun bist du mein, nun zieh mit mir,
    Nun bist du mein auf sieben Jahr.``
    Sie ritten durch den grünen Wald,
    Wie glücklich da der Reimer war!

    Sie ritten durch den grünen Wald
    Bei Vogelsang und Sonnenschein,
    Und wenn sie leicht am Zügel zog,
    So klangen hell die Glöckelein.

    (Theodor Fontane)

    Man ist ein wenig verwundert, unter einem solchen Balladentext, der in seiner lyrisch aufgehübschten Sprachlichkeit in eminent arglosen Bildern geradezu schwelgt, den Namen Theodor Fontane zu finden. Ein wenig legt sich die Verwunderung, wenn man um die Genese dieses Textes und den Kommentar Fontanes dazu weiß. Es handelt sich um eine von ihm vorgenommene Übertragung eines schottischen Volkslieds ins Deutsche, und in seiner Schrift „Bilder und Briefe aus Schottland“ nennt er sie „zierliche Verschen“ und meint in ironischem Ton, zu dieser Zeit, also Ende der 1850er Jahre, sei „ein mehrjähriges Engagement von Seiten der Feenkönigin“ nicht mehr gut denkbar, wo doch der „Bereich aller Feen und Geister“ eingetauscht worden sei gegen die „Quittung bürgerlicher Pflichterfüllung“.

    Vielleicht ergibt sich ja eine Erklärung für das Zustandekommen dieses ja nun völlig aus dem Rahmen von Fontanes Balladenwerk herausfallenden Textes daraus, dass es in dem narrativen, aber weitgehend dialogisch sich entfaltenden Geschehen um einen „Sänger“ geht, einen Poeten, dem durch die Begegnung mit der „Elfenkönigin“, die er als frommer Christ prompt zur „Himmelskönigin“ macht, das Glück zuteil wird, ein Leben großer Liebe in einer paradiesischen Welt zu erfahren.

    Für den Verfasser großer hochdramatischer Balladen wäre das dann eine imaginative Augenblicksflucht eines Poeten aus der realen Welt „bürgerlicher Pflichterfüllung“ in einen Gegenentwurf zu derselben, - eine Flucht, der der in seinem schriftstellerischen Schaffen ganz und gar in unmittelbarem Realitätsbezug stehende Autor Fontane allerdings nur in selbstironischer Distanz gegenüberstehen kann.

    Die Vertonung dieses Textes durch Loewe lässt freilich erkennen: Dieser ist als Komponist von dieser Haltung Fontanes zu seinem eigenen kleinen Werk weit entfernt. Er nimmt diesen Text wörtlich, die Musik darauf weist keinerlei, die Idyllik der Metaphorik kritisch reflektierenden inneren Bruch auf. Aber erstens wäre das von Loewes Grundhaltung als Mensch und Komponist her in keiner Weise zu erwarten, zum andern ist dieses Wörtlich-Nehmen ja auch sachgerecht, weist doch auch Fontanes Text keine Spur jener Distanzierung von der poetischen Aussage auf, wie sie sich in der nachträglichen Qualifizierung als „zierliche Verschen“ niederschlug.


  • Kurzer Einschub


    Lieber Helmut,


    natürlich habe ich diese Nahtstelle Deiner Betrachtungen aufmerksam beobachtet; der »Zauberlehrling« endet und »Tom der Reimer« beginnt.
    Vor mir liegt das Programm der Schwetzinger Festspiele 2014 - Liederabend Christoph Prégardien / Michael Gees.
    Hier stellte Michael Gees - zwischen Franz Lachners Meerjungfrau« und Franz Liszts »Die Loreley« - seine Komposition von »Der Zauberlehrling vor.
    Im Programmheft heißt es zu Gees´ Komposition:
    ›Demgemäß besitzt die von Michael Gees komponierte Interpretation des Zauberlehrlings hohe Aktualität.‹
    Mit der Aktualität ist hier eine Verbindung zu technischen Errungenschaften des Menschen hergestellt ...

  • Mit der Aktualität ist hier eine Verbindung zu technischen Errungenschaften des Menschen hergestellt ...

    Danke für den Hinweis, lieber hart!

    Einige der Goethe-Vertonungen von Michael Gees kenne ich zwar und finde sie gelungen und hörenswert. Regelrecht gefesselt hat mich mal die von Goethes Gedicht "Gegenwart" ("Alles kündet ich an! / Erscheinet die herrliche Sonne ..."). Die vom "Zauberlehrling" war mir bis eben unbekannt. Aber du hast mich neugierig gemacht, und nach einigem Recherchieren habe ich sie gefunden und bin beeindruckt. Hier in dieser Aufnahme ist sie ab Zeitmarke 35 zu hören:



    Seine kompositorische Interpretation ist in Goethes Text ja angelegt, und ich hatte in meiner Besprechung derselben darauf hingewiesen (Beitrag 93). Ich weiß nicht, ob du es gelesen hast, deshalb zitiere ich mich nochmal:

    "In dieser Ballade geht es aber nicht um das Wesen der Welt hinter den Erscheinungen, sondern um die Beherrschung von Natur und Welt durch den sich allmächtig fühlenden Menschen und die damit aufgeworfene Frage, ob er möglicherweise von den Folgen einer solchen Haltung überfordert, ja sogar überwältig werden könnte. Gut fünfzig Jahre später vertraten Marx und Engels die Auffassung, dass die „moderne bürgerliche Gesellschaft (…), die wie durch Zauberei so mächtige Produktions- und Austauschmittel hervorgebracht hat“, „einem Zauberer“ gleiche, „der die höllischen Mächte, die er heraufbeschworen hat, nicht mehr beherrschen“ könne.
    Goethe war hellsichtig, die künftige Entwicklung der europäischen Menschheit betreffend. Nicht nur in dieser Ballade ist das dokumentiert."

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  • „Tom der Reimer“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Loewes Ballade wurde 1867 komponiert. Dieser Sachverhalt ist von Bedeutung, wenn man sie im Kontext seiner lebenslangen kompositorischen Auseinandersetzung mit der von ihm selbst als existent geglaubten und als „Riss“ in der existenziellen Lebenswelt erfahrenen jenseitigen Sphäre der Geister stehend betrachtet und versteht. Darin hat er seit den sechziger Jahren ein Stadium erreicht, in dem diese Geister für ihn ihre Bedrohlichkeit ganz und gar verloren haben, was zur Folge hat, dass die Balladenmusik in ihrer Grundstruktur einen tiefgreifenden Wandel erfahren hat: Weg von der dramatischen, mit stark rhetorisch-deklamatorischer Melodik einhergehenden Narrativität hin zu einer primär lyrisch-melodisch ausgerichteten Gesanglichkeit.
    Der schon einmal erwähnte Christof Wingertszahn sieht das in seinem (anlässlich des 200sten Geburtstags von Loewe gehaltenen) Vortrag über „Loewes unheimliche Balladen“ durchaus kritisch, wenn er feststellt: „All dies“ - er meint die aus der inneren Emanzipation Loewes von seiner unheimlichen Geisterwelt hervorgehende „melodische Seligkeit“ - „ist erkauft mit dem Verzicht auf die musikalisch genialen Sprünge und Würfe in Loewes Vertonung des Oluf“.

    Man kann das aber auch anders sehen, - so wie Loewes erster Biograph Bulthaupt (1898). Dieser meint zu Loewes „melodischer Seligkeit“, wie sie sich in „Tom der Reimer“ manifestiert:
    „Es sind keine melodischen Brocken, keine bloßen >Motive< und >Themata< - es sind musikalische Organismen, wohl nur kleine, aber wohl ausgewachsene und ausgeglichene, sofort als Ganzes gezeugte, nicht, wenn der naturwissenschaftliche Vergleich gestattet ist, durch Zellenfortpflanzung, durch das Aneinanderreihen gleichartiger Keime und Glieder gebildete…“.

    Ich denke, dass Bulthaupt mit dieser Charakterisierung von Loewes Melodik als „musikalischer Organismus“ deren Wesen durchaus treffend erfasst hat: Ihre in den die Wortgebundenheit reflektierenden, aber in gebundener Weise aufeinanderfolgenden deklamatorischen Schritten sich konstituierende innere Geschlossenheit.
    Das ist die andere Seite der die Größe seiner Balladenkomposition ausmachenden und bewirkenden musikalischen Rhetorik: Neben der das narrative Geschehen in den einzelnen Sinnelementen erfassenden von Handlung und wörtlicher Rede erfassenden Melodik jene, die den Geist und die affektiven Dimensionen von poetischem Text sinnlich erfahrbar zu lassen vermag. Solches ereignet sich „Tom der Reimer“, und auf gleichsam potenzierte Weise in „Der Nöck“.

    Das dreizehntaktige Vorspiel, in der Grundtonart B-Dur sich entfaltend und auf der Grundlage eines „Allegretto suave“ „piano e leggiero“ vorzutragen, mutet wie eine Eröffnung und Hinführung zum Wesen dieser auf so eminente Weise von lyrischem Geist geprägten Balladenmusik an. Quartolische Sechzehntelfiguren entfalten sich dergestalt, dass sie nach einem wie ein Anlauf anmutenden Wechselspiel zwischen Diskant und Bass eine weitgreifend phrasierte, im Auf und Ab wogend angelegte melodische Linie beschreiben, die am Ende aus tiefer Basslage in einen Aufstieg in die Oktavlage des Diskants übergeht.
    Man kann dieses Vorspiel als musikalische Evokation des „Kieselbachs“ auffassen und verstehen und damit funktional als Eröffnung der Szenerie, wie sie die beiden ersten Verse der Ballade entwerfen. Nach einer Bass und Diskant übergreifenden rhythmisierten Oktavfolge setzt danach in Takt 14 auftaktig die melodische Linie der Singstimme ein.

    Die Melodik dieser Ballade zeichnet sich durch eine in ihrer lieblich anmutenden Lyrizität überaus eingängige Klanglichkeit aus. Der Blick auf ihre kompositorische Anlage, wie sie sich in den Noten darstellt, lässt das zu einem erstaunlichen Sachverhalt werden. Sie ist nämlich durchgängig nicht in versübergreifend weitgespannter Weise phrasiert, sondern bis auf wenige Ausnahmen in den Versen entsprechenden Zeilen untergliedert, ja sogar vereinzelt innerhalb eines Verses noch weiter strukturell differenziert und durch Verswiederholungen in der Komplexität gesteigert. Gleichwohl empfindet man das als Hörer nicht so, vielmehr stellt sich der Eindruck einer gleichsam organischen und auf gebundene Weise sich ereignenden Entfaltung der melodischen Linie ein.

    Wie ist dieser Sachverhalt zu erklären?
    Zunächst einmal reflektiert die Melodik in dieser strukturellen Binnengliederung den Balladentext in seiner aus narrativen und dialogischen Passagen bestehenden Anlage. Die Verse verkörpern fast ausnahmslos semantische Singularitäten, und dort, wo das syntaktisch nicht der Fall ist, wie bei den Worten „Und hell an jeder Flechte hing / Ein silberblankes Glöckelein“ beschreibt die melodische Linie prompt eine Bewegung ohne eingelagerte Pause und bildet eine in sich geschlossene Zeile. Der vorangehende Vers „Die Mähne war geflochten fein“ stellt hingegen eine syntaktisch und semantisch in sich geschlossene Einheit dar, und so hat Loewe sie in Gestalt einer von einer Achtel- und einer Viertelpause eingehegten Melodiezeile in Musik gesetzt.

  • „Tom der Reimer“ (II)

    Wie aber kommt nun der Eindruck einer sozusagen die Pause transzendierenden Entfaltung der Melodik zustande?
    Schon die auf dem Eingangsverspaar gibt diesbezüglich Aufschluss. Bei den Worten „Der Reimer Thomas lag am Bach“ geht die melodische Linie, in B-Dur harmonisiert, aus einer fünfmaligen deklamatorischen Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „F“ in unterer Mittellage in einen dreischrittigen Sekundanstieg zu einer Dehnung auf der Ebene eines „B“ über, wobei die Harmonik eine Rückung nach g-Moll vollzieht. In dieser Struktur reflektiert sie die Einleitungs- und Eröffnungsfunktion, die dem ersten Vers eigen ist. Nach einer Viertelpause setzt sie nun aber genau auf dieser tonalen Ebene an, auf der die das Wort „Bach“ hervorhebende Dehnung angesiedelt ist und überspielt damit die Viertelpause, die man ohnehin nur als Niederschlag der Tatsache empfindet, dass die Worte „Am Kieselbach bei Huntley Schloß“ eine eigenständige syntaktisch-semantische Einheit darstellen. Deren semantischen Gehalt, die Statik des Bildes vom „Liegen am Bach“ reflektiert die melodische Linie darin, dass sie, nun in Es-Dur harmonisiert, in einem Auf und Ab in Sekundschritten auf dieser tonalen Ebene verharrt, bevor sie, um die Lokalität hervorzukehren, bei „Huntley Schloß“ einen Terzsprung beschreibt, die über einen Sekundfall wieder in eine Dehnung bei „Schloß“ mündet, wobei die Harmonik eine akzentuierende Rückung von der Subdominante zur Dominante F-Dur vollzieht.

    Diese Bewegung der melodischen Linie auf den Worten des ersten Verspaares empfindet man, weil sie vorwiegend in gebundenen Sekundschritten erfolgt und darin die narrative Funktion und die Semantik des Balladentextes reflektiert, gleichsam als organisch, und darin gründet ihre spezifische, für diese Ballade typische und sie darin durchweg von Anfang bis Ende prägende hohe Eindrücklichkeit.
    Das dem zugrundliegende und für Loewes Balladenmusik charakteristische kompositorisch-szenische Denken zeigt sich schon hier in der ersten Strophe darin, dass er die Melodik ihre Bewegungen bei den beiden folgenden Versen nach einer weiteren Viertelpause nicht einfach fortsetzen, vielmehr ein viertaktiges Zwischenspiel folgen lässt, in dem die quartolischen Sechzehntelfiguren des Vorspiels im Diskant eine weit gespannte Legato-Bogenbewegung beschreiben, die in einen eindrucksvollen, weil mit Sechzehntel-Vorschlag versehenen Anstieg von Vierteln aus tiefer in hohe Diskantlage übergeht. Das mutet an, als würde der „Reimer“ in seinem Singen innehalten und gespannt auf das schauen, was da auf ihn zukommt.

    Die Balladenmusik reflektiert darin das die Situation eröffnende Wort „da“, mit dem der dritte Vers eingeleitet wird, - wieder ein Niederschlag des für Loewe so typischen szenisch-situativen Denkens bei der Umsetzung von Balladentext in Musik. Auf den Worten „Da sah er eine blonde Frau“ lässt er deshalb die melodische Linie eine auf einem hohen „D“ ansetzende Fallbewegung beschreiben, die erst einmal zögerlich erfolgt, weil sie bei „eine“ in einen Wiederanstieg in Sekundschritten übergeht, bevor sie bei „Frau“ dann einen regelrechten Sturz hinab zu tonalen Ebene eines „C“ in tiefer Lage vollzieht, wobei die Harmonik eine Rückung von der Tonika B-Dur nach c-Moll beschreibt.
    Das lyrische Bild erfährt durch diesen melodischen Fall und die Dehnung zwar eine Akzentuierung, es verbleibt dabei aber dadurch und auch durch die Moll-Harmonisierung zunächst noch im Vagen. Das aber erfährt durch die Worte „Die saß auf einem weißen Roß“ eine Auflösung, und so beschreibt die melodische Linie, dieses Mal nach nur einer Achtelpause, nach einem neuerlichen Fall in Sekundschritten nun bei den Worten „weißen Roß“ eine ausdrucksstarke, weil in Legato-Terzschritten erfolgende, sich über das Intervall einer Septe erstreckende und vom Klavier im Diskant in Achteln mittvollzogene Anstiegsbewegung, die mit einem Sekundfall zu einer Dehnung bei dem Wort „Roß“ übergeht.

    Auf die beiden nachfolgenden Verse (Sie saß auf einem weißen Roß, / Die Mähne war geflochten fein“) legt Loewe, weil sich das lyrische Bild darin fortsetzt, noch einmal die gleiche Melodik. Sogar die Worte „Und hell an jeder Flechte hing“ bindet er melodisch noch in dieses Bild ein, denn die melodische Linie beschreibt noch einmal eine strukturell ähnliche Fallbewegung. Der Klaviersatz nimmt nun aber eine andere Gestalt an: Loewe setzt die von ihm so sehr geschätzte und in seiner Balladenmusik in immer wieder neuer Gestalt eingesetzte Tonmalerei ein. Das Klavier begleitet die melodische Linie im hohen Diskant synchron mit Vierteln, die mit einem Sechzehntel-Vorschlag versehen sind. Und das ist auch bei den Worten „Ein silberblankes Glöckelein“ der Fall, auf denen die melodische Linie erneut eine Fallbewegung beschreibt, die nun aber eine Sekunde höher ansetzt und am Ende bei „Glöckelein“ in ein tonmalerisches Auf und Ab auf der Ebene des Grundtons „B“ in mittlerer Lage übergeht, in das ein einen Sextsprung vollziehendes Sechzehntel eingelagert ist.

    Die Harmonik beschreibt hier in Kadenzmanier eine Rückung von der Dominante F-Dur zur Tonika B-Dur. Und weil diesem lyrischen Bild aus der Sicht Loewes eine im Rahmen des Balladengeschehens zentrale Rolle und Funktion zukommt, lässt er die Melodik auf dem letzten Vers der zweiten Strophe in identischer Weise noch einmal erklingen, nun aber versehen mit einem tonmalerisch potenzierten Klaviersatz: Die Glöcklein-Sprungfiguren folgen der melodischen Linie nun in der Diskant-Oktavlage, und wie im ersten Fall eingebettet in einen akkordisch angelegten Klavierbass.

  • „Tom der Reimer“ (III)

    Das kompositorisch szenische Denken Loewes zeigt sich aufs Neue darin, dass er auf die Worte „Und Tom der Reimer zog den Hut“ die gleiche Melodik legt wie auf den Eingangsvers. Er befindet sich ja noch in der gleichen Situation des Sitzens am Bach wie dort. Erst mit den Worten „Und fiel auf's Knie, er grüßt und spricht“ ändert sich das. Sie geben ein narrativ bedeutsames Geschehen wieder, und deshalb untergliedert Loewe die Melodik hier durch eine Achtelpause. Auf den Worten „und fiel aufs Knie“ beschreibt die melodische Linie einen auf der tonalen Ebene eines tiefen „D“ ansetzenden und in g-Moll harmonisierten dreischrittigen Sekundanstieg, der in eine Dehnung mündet, bei der die Harmonik eine Rückung nach c-Moll vollzieht. Die nachfolgende Achtelpause verleiht dieser Geste das ihr gebührende Gewicht. Bei „er grüßt und spricht“ kehrt die melodische Linie nach einem anfänglichen, in tiefer „C“-Lage ansetzenden Quartsprung mit Dehnung auf „grüßt“ in einer Fallbewegung wieder zur Ausgangsebene des „D“ in tiefer Lage zurück.

    Darin reflektiert sie das Ende des in sprachlich-narrativer Weise dargestellten Geschehens, und die nun zu erwartende wörtliche Rede lässt Loewe etwa nach einer kurzen Achtelpause melodisch nicht einfach so einsetzen, er lässt ihr, und das ist ganz typisch für seine die Bedeutsamkeit und Dramatik des Geschehens hervorhebende Balladenmusik, eine sich über fast zwei Takte sich erstreckende Folge von rhythmisierten, weil aus punktierten Achteln und Sechzehnteln gebildeten und in g-Moll harmonisierten bitonalen Akkorden folgen, die, weil sie sich im Intervall von der Septe zur Quarte verengen, einen Anstieg beschreiben, beim Hörer eine Erwartungshaltung aufbauen.

    Nun, mit dem erstmaligen Eintritt wörtlicher Rede in den Balladentext, geht die Melodik in eine vom bislang vorherrschenden deklamatorischen Gestus sich deutlich abhebende neue Gestalt über. Die für ihre in dieser Ballade so konstitutive Gebundenheit in der Entfaltung bleibt dabei zwar gewahrt, ihr Ambitus ist allerdings ausgeweitet, sie ist mit melismatischen Elementen angereichert und nun nicht in B-Dur, sondern in D-Dur harmonisiert. In dieser ihrer Struktur vermag sie auf überzeugende Weise die tief reichende innere Bewegtheit zum Ausdruck zu bringen, wie sie sich beim „Reimer“ in der Begegnung mit dieser Feengestalt einstellt.

    Bei den Worten „Du bist die Himmelskönigin!“ setzt die melodische Linie mit einer Tonrepetition ein, die auf „bist“ eine dieses Wort akzentuierende Dehnung aufweist, die vom Klavier mit einem arpeggierten und lange gehaltenen D-Dur-Akkord verstärkt wird. Danach geht sie in einen Sextfall über, dies aber nur, um mit einem sich anschließenden Quartsprung mit nachfolgendem Fall bis hinunter zu einer Dehnung auf einem tiefen „D“ das Wort „Himmelskönigin“ mit einem starken Akzent zu versehen. Wie emotional aufgeladen Loewe diese melodische Fallbewegung verstanden wissen will, das bringt er dadurch zum Ausdruck, dass die A-Dur-Harmonik bei dieser Dehnung auf der letzten Silbe von „Himmelskönigin“ eine Rückung von gis-Moll nach h-Moll beschreibt.

    Das Wort „Himmelskönigin“ lässt sinnfällig werden, dass sich hier für den „Reimer Thomas“ ein Akt der Begegnung mit der Transzendenz ereignet, und die nachfolgenden Worte „Du bist von dieser Erde nicht!“ bestätigen dies ja. Sie gehen, so wie Loewe sie auffasst und dementsprechend die melodische Linie angelegt hat, aus einer tiefinneren Verzücktheit und Entrückung hervor. Sie setzt in ihrem anfänglichen, wieder eine Dehnung auf „bist“ aufweisenden Sekundfall wieder auf der tonalen Ebene eines „D“ in hoher Lage ein, bei dem Wort „dieser“ geht sie in eine gedehnte Tonrepetition auf der Ebene eines „A“ in mittlerer Lage über, die mit einem melismatischen Achtelvorschlag versehen ist, und auf dem Wort „Erde“ beschreibt sie einen Quartfall, der auf dessen zweiter Silbe in einen wiederum melismatisch anmutenden triolischen Staccato-Anstieg übergeht, dem über einen Sekundfall eine lange Dehnung auf der tonalen Ebene eines „Fis“ bei dem Wort „nicht“ nachfolgt.

    Das ist eine ausdrucksstarke Melodik, die vernehmen lässt, für wie bedeutsam Loewe dieses Ereignis der Begegnung mit der Transzendenz hält, obgleich es sich ja doch bei Fontane nur um eine imaginative handelt. Er lässt deshalb diese melodische Fallbewegung nicht nur im eineinhalbtaktigen Nachspiel noch einmal erklingen, er geht noch weiter, indem er die Worte „Du bist von dieser Erde nicht!“ noch einmal deklamieren lässt. Dies auf einer variierten und mit der Anweisung „più Adagio“ versehenen melodischen Linie. Nun ist der Sekundfall am Anfang ein triolischer, also das Wort „bist“ nicht mehr mit einer Dehnung versehen, auch der Achtelvorschlag bei der Tonrepetition auf „dieser“ ereignet sich nicht mehr. Dafür setzt aber die Aufstiegsbewegung auf dem Wort „Erde“ nun nicht in triolischer Manier auf tiefer „E“-Lage an, vielmehr ereignet sich auf der tonalen Ebene der Tonrepetition von „dieser“ ein anfänglich verminderter Sekundanstieg, der in einen lang gedehnten Sekundfall übergeht und das Wort „Erde“ mit einem starken Akzent versieht. Auch das Wort „nicht“ erfährt nun eine solche Akzentuierung in Gestalt eines lang gedehnten, mit einer harmonischen Rückung von der Dominante zur Tonika D-Dur einhergehenden Sekundfalls von der tonalen Ebene eines „G“ zu der eines „Fis“, der Quinte zum Grundton also. Eine Fermate ruht darauf. Die so verzückte Ansprache des „Reimers“ ist erst einmal zu Ende.

  • „Tom der Reimer“ (IV)

    Die Melodik auf den Worten „,Ich will dir sagen, wer ich bin“ lässt - wieder einmal - vernehmen und erkennen, wie treffend Loewe eine Gesprächssituation in ihrer spezifischen Eigenart musikalisch zu konkretisieren vermag. Die Elfengestalt hat etwas Außergewöhnliches mitzuteilen, und deshalb geht die melodische Linie, nachdem sie zunächst eine Figur aus Sekundanstieg und Oktavfall beschrieben hat, die Loewe schon mehrfach in dieser Ballade verwendete, bei dem Wort „ich“ in einen ungewöhnlichen, mit einem „Cis-Dur-Akkord eingeleiteten triolischen Sekundanstieg über, hält bei „bin“ auf einem „Fis“ in mittlerer Lage inne, das Klavier lässt anschließend in der Zweiviertelpause im Diskant einen rhythmisierten repetitiven Anstieg von einem „Fis“ zu einem „A“ erklingen, und auf eben diesem „A“ setzt die melodische Linie dann auftaktig in Wiederholung noch einmal mit den Worten „ich bin“ ein und fügt hinzu: „ die Himmelsjungfrau nicht“. Das geschieht auf einer „ritenuto / dim.“ vorzutragenden melodischen Linie, die nach einem auf und Ab in hoher Lage einen Septfall mit Dehnung auf „nicht“ beschreibt, wobei die Harmonik eine Rückung von D-Dur nach e-Moll vollzieht.

    Diese melodische Bewegung mutet in ihrer Struktur und ihrer Harmonisierung noch nicht ungewöhnlich an, ganz anders ist das aber bei der auf den Worten „Ich bin die Elfenkönigin!“. Nach einer dreimaligen, partiell gedehnten Tonrepetition geht sie von dieser tonalen Ebene eines „E“ in tiefer Lage, einhergehend mit einer harmonischen Rückung von e-Moll nach C-Dur, in einen Anstieg erst über eine Terz, dann über eine Quarte in einen Sextfall über, der triolisch rhythmisiert ist. Auf „-gin“, der Endsilbe des Wortes, ereignet sich dann Überraschendes: Bei der über einen melodischen Sekundanstieg erfolgenden langen Dehnung auf dieser Silbe geht das Metrum zu zwölf Achteln über, die Harmonik rückt nach F-Dur und das Klavier lässt im Diskant lebhaft beschwingte, sich langsam in die Tiefe absenkende triolische Legato-Figuren aus einem Sechzehntel-Anstieg und einem Viertel-Fall erklingen, die im Bass mit Dreierfiguren aus repetierenden Terzen begleitet werden, die sich nachfolgende zu dreistimmigen Akkorden erweitern. „Allegretto lusingando“ lautet die Vortragsanweisung für diesen unerwarteten Einbruch tänzerisch-beschwingter Musik in eine bislang wesenhaft ruhig sich entfaltende und in beseelter Entzückung verweilende Melodik.

    Es ist der Auftakt zu den die fünfte Strophe einnehmenden Worten der „Elfenkönigin, die Loewe in eine Melodik umsetzt, die auf geradezu berückende Weise diesen Geist der Beschwingtheit atmet, wie ihn das zweitaktige Vorspiel evoziert, und die infolgedessen durchweg mit eben dessen Klaviersatz begleitet wird. Sie bedarf keiner analytischen Betrachtung, wohl aber - und dies nun nur noch kurz - die Reaktion des „Reimers“ darauf. Sie ist von Loewe in ihrer Melodik vielsagend angelegt. Angesichts der im Grunde ja doch eine Drohung beinhaltenden Worte „Bist du mir sieben Jahr verfalln!“ mutet sie bemerkenswert lakonisch an, - in dem zunächst repetitiven, dann in einem Auf und Ab- Verharren der melodischen Linie und ihrem expressiven Übergang in eine den ganzen Takt einnehmenden Dehnung auf dem Wort „kaum“. In dieser Gestalt reflektiert sie den semantischen und den affektiven Gehalt der Worte „es schreckt mich kaum“.

    Mit den Worten „Er küßte sie, sie küßte ihn“ schwingt sich die Balladenmusik zu einem geradezu verzückt rauschhaften Ausleben des auf ihnen liegenden melodischen Motivs auf, wobei Loewe reichlich Wiederholungen einsetzt und, das lyrische Bild vom „Vogel im Eschenbaum“ berücksichtigend, ebenso reichlich tonmalerisch-melismatische Effekte erklingen lässt. Die Melodik der Ballade erreicht hier in der Gebundenheit ihrer deklamatorischen Entfaltung und in Einheit mit einem aus schweifenden Achtelfiguren bestehenden Klaviersatz den Höhepunkt ihrer so berückenden Schönheit.

  • „Tom der Reimer“ (V)

    Die Worte „Sie ritten durch den grünen Wald“ leiten die Rückkehr des Balladentextes zum narrativen Gestus seines Anfangs ein. Und wie nicht anders zu erwarten, ist das auch in Loewes Musik der Fall. Die gerade noch so wie ungebunden schweifende Melodik kehrt zu wortgebunden deklamatorisch-rhetorischem Gestus in vorwiegend repetitiver Entfaltung zurück. Das geschieht natürlich nicht unvermittelt, denn Loewe, der die letzten beiden Verse der siebten und die ersten beiden der achten Strophe zur Grundlage dieser so faszinierenden melodischen Schwelgerei gemacht hat, lässt diese erst einmal in einem viertaktigen Nachspiel mit zwei Schlussakkorden und einer fermatierten Pause ausklingen. Gleichwohl bleibt der musikalisch-klangliche Kontrast, wie ihn die Balladenmusik auf den nun eine eigene Einheit bildenden Schlussversen der zweitletzten und den Anfangsversen der letzten Strophe mit sich bringt, bestehen. Aber er macht ja, und ist von Loewe ganz bewusst funktional so eingesetzt, den Reiz und die Größe dieser Ballade aus.

    Aber mit den beiden letzten Versen stellt Fontanes Balladentext ja noch einmal einen Bezug zur zauberischen Erscheinung der „Elfenkönigin“ her, und die darin eine so wichtige Rolle spielenden „Glöckelein“ nimmt Loewe - völlig zu Recht - zum Anlass, sich seine Balladenmusik in ihrer Melodik von der deklamatorisch-repetitiven Wortgebundenheit lösen zu lassen und zu einer Art Nach- und Ausklang der schwärmerischen und tonmalerisch begleiteten sprunghaften Entfaltung überzugehen, wobei hinsichtlich der spezifischen Eigenart von Loewes Melodik bemerkenswert ist, dass ihm das gerade über eine exakt silbengetreue Deklamation gelingt.

    Dass er dabei den letzten Vers noch einmal deklamieren lässt, empfindet man nicht nur angebracht, sondern sogar geboten. Können sich dabei doch die Glöcklein-Klang suggerierenden Legato-Sprungfiguren in den Oktavbereich des Diskants hinaufsteigern und die Melodik die Möglichkeit erhalten, pianissimo in Gestalt eines sehr langen, über drei Takte erstreckenden Falls über ganze Oktave hinab zu tonalen Ebene des Grundtons „B“ in tiefer Lage beseligt auszuklingen.

  • „Heinrich der Vogler“, op. 56, Nr. 1

    Herr Heinrich saß am Vogelherd,
    Recht froh und wohlgemut;
    Aus tausend Perlen blinkt und blitzt
    Der Morgenröte Glut.

    In Wies und Feld, in Wald und Au,
    Horch, welch ein süßer Schall!
    Der Lerche Sang, der Wachtel Schlag,
    Die süße Nachtigall!

    Herr Heinrich schaut so fröhlich drein:
    Wie schön ist heut die Welt!
    Was gilt's, heut gibt's 'nen guten Fang!
    Er schaut zum Himmelszelt.

    Er lauscht und streicht sich von der Stirn
    Das blondgelockte Haar...
    Ei doch! was sprengt denn dort heran
    Für eine Reiterschar?

    Der Staub wallt auf, der Hufschlag dröhnt,
    Es naht der Waffen Klang;
    Daß Gott! die Herrn verderben mir
    Den ganzen Vogelfang!

    Ei nun! was gibt's? Es hält der Troß
    Vorm Herzog plötzlich an,
    Herr Heinrich tritt hervor und spricht:
    Wen sucht ihr Herrn? Sagt an!

    Da schwenken sie die Fähnlein bunt
    Und jauchzen: Unsern Herrn!
    Hoch lebe Kaiser Heinrich, hoch!
    Des Sachsenlandes Stern!

    Sich neigend knien sie vor ihm hin
    Und huldigen ihm still,
    Und rufen, als er staunend fragt:
    's ist deutschen Reiches Will!

    Da blickt Herr Heinrich tief bewegt
    Hinauf zum Himmelszelt:
    Du gabst mir einen guten Fang!
    Herr Gott, wie dir's gefällt!

    (Johann Nepomuk Vogl)

    Bei dem Verfasser dieser Ballade, Johann Nepomuk Vogl (1802 - 1866), handelt es sich um einen österreichischen Schriftsteller und Publizisten, über dessen Leben wenig bekannt ist. Er verfasste außer Lyrik und Balladen auch Novellen und Dramen, überdies diverse Essays.
    Hier, in dieser Ballade hat er die im zwölften Jahrhundert aufgekommene Legende von der Einsetzung des den Vogelfang liebenden Sachsenherzogs Heinrich in das Königs-Amt aufgegriffen. Dem liegt die von der ottonischen Geschichtsschreibung vertretene und propagierte Designation Heinrichs I. durch seinen Vorgänger Konrad I. zugrunde. Diese ist als historisches Faktum geschichtswissenschaftlich nicht erwiesen, angesichts der der Inthronisation vorausgehenden und länger andauernden Machtkämpfe eher unwahrscheinlich.

    Loewes Vertonung dieses Textes gehört zur großen Gruppe seiner „Balladen und Gesänge nationalen Gepräges“, wozu auch 19 „Hohenzollern-Balladen“ und fünf „Napoleon-Balladen“ und dreißig spanische und orientalische Balladen gehören. Dies sind allesamt zu Recht vergessen, sie haben uns heute nichts mehr zu sagen. Das gilt sogar für eine solche Komposition wie „Fridericus Rex“, die sich einst großer Beliebtheit erfreute. Aber das, was diese Beliebtheit begründete, zeigt zugleich, warum sie diese verlor.
    Nur ein Faktor könnte sie heutzutage auch noch hörenswert machen: Der für Loewe so typische Ton der volkstümlichen Eingängigkeit der Melodik. Die übrigen vermögen das nicht, schließen es sogar aus: Die Anklänge an bekannte Melodien (wie etwa den „Hohenfriedberger“), die Popularität Friedrichs des Großen, wie es sie in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gab, und die Idealisierung dieser historischen Gestalt, wie sie sich in der Ballade ereignet.

    Die einzigen Balladen aus dieser so ungewöhnlich großen Gruppe von Loewe-Kompositionen, die sich bis heute gehalten haben, sind - nach meiner Kenntnis - „Heinrich der Vogler“ und „Prinz Eugen, der edle Ritter“, op. 92 (komponiert 1844). Der für beide Fälle geltende Grund ist: Das zugrundeliegende historische Ereignis, bzw. die historische Figur sind nicht konstitutiv für die kompositorische Struktur und die Aussage der Balladenmusik. Sie fungieren nur sozusagen als Auslöser für eine Balladenmusik, die sich, wie im Fall von „Prinz Eugen“, von einer volkstümlich-narrativen, eine historische Situation evozierenden Melodik in eine beeindruckend-konzertante Expressivität steigert.
    Was es bei „Heinrich der Vogler“ ist, das die Fesseln relativer historischer Relevanz transzendiert und die gleichsam überzeitliche Gültigkeit der musikalischen Aussage bedingt, das ist nachfolgend nun in der Betrachtung dieser Ballade in der Konzentration auf die diesbezüglich relevanten Aspekte aufzuzeigen.


  • „Heinrich der Vogler“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Die Ballade wurde im April 1836 komponiert und ist „Dem Freunde, Assessor Justus Güntz in Dresden gewidmet.“ „Andante comodo“ soll sie vorgetragen werden, E-Dur ist als Grundtonart vorgegeben. Ohne Vorspiel setzt die Melodik ein. Schon in den ersten Schritten ihrer Entfaltung weist sie die Anmutung volksliedhafter Anmut und Schlichtheit auf, die überdies immer wieder einen Anflug von klanglicher Lieblichkeit erfährt, damit den Charakter dieser Ballade prägt und ihre Beliebtheit erklärlich macht. Sie ist so eingängig, dass man sie nach nur zweimaligem Hören in ihren wesentlichen Passagen nachzusingen vermag.

    Schon die melodische Linie auf dem ersten Verspaar lässt den für die ganze Ballade typischen Gestus der deklamatorischen Entfaltung sinnfällig werden. Auf den Worten „Herr Heinrich sitzt am Vogelherd“ geht die melodische Linie, in E-Dur harmonisiert, mit einem auftaktigen Sechzehntel-Sekundanstieg in eine dreimalig-gleichförmige Tonrepetition über, senkt sich nach einem Sechzehntel-Sekundfall zu einer neuerlichen, nun viermaligen Repetition auf eine um eine Sekunde abgesenkten tonalen Ebene ab, um schließlich, nun in der Dominante H-Dur harmonisiert, bei den Worten „Recht froh und wohlgemut“ mit einem Sekundfall und einem Wiederanstieg in Sekundschritten einen die Zeile beschließenden Terzfall hin zum Grundton „E“ in tiefer Lage zu beschreiben. Das alles geschieht in wort- und silbengetreuer Deklamation und wird vom Klavier im Diskant in jedem Schritt mit Terzen, zweistimmigen Akkorden und Achteln begleitet.

    In dieser Schlichtheit der Melodik ist die ländliche Idyllik der mit den Eingangsversen skizzierten Situation auf treffende Weise eingefangen. Ihre Eingängigkeit intensiviert sich noch dadurch, dass Loewe, und das geschieht in dieser Ballade immer wieder, das kompositorische Mittel der Wiederholung einsetzt, so dass sie auf den Worten „Aus tausend Perlen blinkt und blitzt“ noch einmal erklingt, bei „Der Morgenröte Glut“ dann allerdings, um eine Überleitung zur Melodik der zweiten Strophe herzustellen, eine partiell repetitive und in einer Rückung von Fis-Dur nach H-Dur harmonisierte Anstiegsbewegung zu beschreibt. Hier beendet das Klavier das Klavier seinen Gestus des schlichten Mitvollzugs der Melodik im Diskant und lässt, eben aus Gründen des Sich-Öffnens für die Musik der zweiten Strophe, in Gestalt einer harmonischen Rückung zur Dominante und eines Endens der melodischen Aufstiegsbewegung auf deren Grundton „H“ in mittlerer Lage, einen zweimalige, aus tiefer bis in hohe Diskantlage sich erstreckende Sechzehntelkette erklingen.

    So ganz und gar auf deklamatorische Schlichtheit sich beschränkend ist die Melodik dieser Ballade also nicht. Und das zeigt sich bei der zweiten Strophe. Hier muss sie die Natur-Metaphorik reflektieren, und dazu lässt sie von ihrer ruhigen Entfaltung in deklamatorisch vorwiegend repetitiven Achtelschritten ab und geht zu lebhafter anmutender und in ihrem Auf und Ab einen größeren Ambitus in Anspruch nehmender Bewegung in Sechzehntelschritten über. In dieser Kleinschrittigkeit wurzelt die ihr hier eigene und die Idyllik der lyrischen Bilder reflektierende Anmutung von klanglichem Liebreiz. Bei den Worten „welch ein süßer Schall“ schwingt sie sich zum Beispiel in eben diesen Sechzehntel-Sekundschritten zur Ebene eines „E“ in hoher Lage auf, um anschließend in einen Fall in Terzen über eine ganze Oktave überzugehen, dem bei „Schall“ ein mit einer Rückung nach H-Dur nachfolgender und vom Klavier mit zwei arpeggierten H-Dur-Akkorden kommentierter Quintsprung zum Grundton „H“ in mittlerer Lage nachfolgt. Und in ähnlicher Weise lieblich klingt die mit einem Terzanstieg eingeleitete und sich wieder über eine Oktave erstreckende, in Sekundintervallen erfolgende Fallbewegung von Sechzehnteln auf den Worten „süße Nachtigall“.

    Auf wie eindrückliche Weise Loewe eine narrative Situation und das Verhalten eines Menschen darin musikalisch generieren kann, wird - wieder einmal - bei der vierten Strophe sinnfällig. Nachdem auf den Worten der dritten Strophe die Musik der ersten mit nur geringfügiger Variation noch einmal erklungen ist, ereignet sich mit dem ersten Vers der vierten Strophe ein markanter musikalischer Umschlag. Das Metrum geht von vier zu sechs Achteln über, aus dem „Andante comodo“ wird ein „Allegro“, und die Worte „er lauscht“ werden zwei Mal, von einer Dreiachtelpause unterbrochen auf einem verminderten Sekundanstieg von einem „Ais“ zu einem „H“ in tiefer Lage deklamiert. Das Klavier begleitet das mit einer lang gehaltenen Oktave im Bass und zwei Terzen im Diskant, die in der Pause gleichsam im Nachklang diesen verminderten Sekundanstieg noch einmal vollziehen.

    Auf diese Weise, mit dem sich wiederholenden einfachen verminderten melodischen Sekundschritt in tiefer Lage und der nachfolgenden, relativ langen Pause wird die Situation des Lauschens auf höchst eindrückliche Weise musikalisch generiert. Und das wiederholt sich in gleicher Weise noch einmal bei dem Ausruf „Ei doch“. Aber weil der „Vogler“ nun schon etwas bemerkt hat und sein Lauschen zu einem zielgerichteten Hören geworden ist, wird der verminderte Sekundschritt auf einer um eine Sekunde angehobenen tonalen Ebene deklamiert, und in nun nicht in H-Dur, sondern in einer Rückung von Cis-Dur nach fis-Moll harmonisiert, und der Aufschwung den die melodische nach dem Auf und Ab in tiefer Lage auf den Worten „und streicht sich von der Stirn“ bei „das blond gelockte Haar“ vollzogen hat, wird nun bei den Worten „für eine Reiterschar“ zu einem, der weiter nach oben ausgreift und bei „Reiterschar“ in einen Oktavfall mit Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „Cis“ in tiefer Lage mündet, wobei das Klavier im Diskant einen ausdrucksstarken Anstieg von Cis-Dur-Akkorden erklingen lässt, der im Bass mit einem gegenläufigen Fall von Oktaven kontrastiert wird. Das weckt Erwartung, - die Erwartung, die sich beim „Vogler“ in diesem situativen Augenblick einstellt.

  • „Heinrich der Vogler“ (II)

    Und wieder geht die Melodik, eben weil der Balladentext „Der Staub wallt auf, der Hufschlag dröhnt, / Es naht der Waffen Klang“ kurz in den narrativen Gestus der ersten Strophe verfällt, in den deklamatorisch-repetitiven Gestus über, in dem sie sich dort entfaltet hat. Nun allerdings im Forte. Aber das ist ja beim zweiten Verspaar der fünften Strophe schon wieder vorbei. Der „Vogler“ bricht in den monologischen Klageruf aus „Daß Gott! die Herrn verderben mir / Den ganzen Vogelfang!“ und Loewes Melodik fängt das in angemessener Weise dergestalt ein, dass sie, in Rückungen von cis-Moll nach Gis-Dur harmonisiert, auf der tonalen Ebene in immer gleicher Weise ansetzend, Sprungbewegungen beschreibt, die sich im Intervall bis zur Sexte steigern und dann zu einem wie resignativ wirkenden, weil in einem in cis-Moll gebeteten verminderten Sekundschritt in tiefer Lage endenden Fall über das große Intervall einer Duodezime übergeht. Das Klavier begleitet hier mit punktierten Viertelakkorden im Diskant und die innere Erregung des „Voglers“ zum Ausdruck bringenden Staccato-Achtelsprungfiguren im Bass.

    Die Worte „Herr Heinrich tritt hervor und spricht: / Wen sucht ihr Herrn? Sagt an!“ leiten zum historisch bedeutsamen Geschehenskern der Ballade über, und deshalb legt Loewe auf sie, obwohl es sich doch bei den beiden Versen um eine Kombination aus narrativem Text und wörtlicher Rede handelt, auf sie nur eine melodische Linie. Sie beschreibt einen mit einem Crescendo versehenen, vom Klavier in Gestalt von drei und zweistimmigen Akkorden mitvollzogenen und in Rückungen von E- nach H-Dur harmonisierten kontinuierlichen Anstieg über eine ganze Oktave und baut auf diese Weise die Spannung auf, die das in der siebten und achten Strophe sich entfaltende Geschehen zum Höhepunkt der Ballade werden lässt. Entsprechend expressiv tritt nun auch die Musik auf: Forte und mit einem Diskant und Bass übergreifenden akkordischen Klaviersatz, der sich nicht auf die deklamatorisch synchrone Begleitung der Singstimme beschränkt, sondern aus einer Folge als Dreiergruppen angelegten vielstimmigen Achtelakkorden besteht, die eine eigenständige große Klangfülle entfalten.

    Bei den Worten „Da schwenken sie die Fähnlein bunt“ beschreibt die Melodik zunächst eine repetitive Abwärtsbewegung aus hoher in mittlere Lage, aber schon bei „Und jauchzen: Unsern Herrn!“ schwingt sie sich zu einer weit nach oben ausgreifenden und in einen gedehnten Terzfall mündenen Bogenbewegung auf, die den Worten „unsern Herrn“ die angemessene Expressivität verleiht. Und bei dem sich anschließenden Ausruf „Hoch lebe Kaiser Heinrich, hoch! des Sachsenlandes Stern!“ legt Loewe eine Melodik, die in ihrem Auf und Ab über große Intervalle und ihrer zweimaligen Aufgipfelung auf Ebene des Grundtons „E“ in hoher Lage deklamatorisch überaus gewichtig anmutet. Dies deshalb, weil auf jeder Silbe ein gewichtiger melodischer Schritt im Wert von einer halben und einer Achtelnote im Wechsel liegt und die Dynamik dabei auf der Grundlage eines Forte in ein Crescendo übergeht. Die Harmonik pendelt permanent zwischen der Tonika E-Dur und der Dominante hin und her.

    Wie durchaus tiefsinnig Loewe die Melodik den poetischen Text in seinem semantischen Gehalt reflektieren lässt, zeigt sich bei den nachfolgenden Worten „Sich neigend knien sie vor ihm hin / Und huldigen ihm still“. „Knien“ und „still“ sind hier die die Metaphorik prägenden Schlüsselworte. Und so nimmt sich hier die Melodik nach dem expressiven Forte zwar nach einer Achtelpause, aber doch unvermittelt wirkend, ins Piano zurück und entfaltet sich in einer Figur, die exakt der entspricht, die auf den Worten des Eingangsverses „Herr Heinrich sitzt am Vogelherd“ liegt, nur dass sie nun auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene angesiedelt und in G-Dur mit Rückung nach D-Dur harmonisiert ist.
    Ich denke, dass Loewe mit dieser Wiederkehr der Eingangsmelodik die Identifikation der Huldigenden mit der Person des künftigen Herrschers zum Ausdruck bringen will.

    Bei den Worten „Und rufen, als er staunend fragt:/ 's ist deutschen Reiches Will!“ kehren sie aber wieder zu ihrem Jubelruf-Gestus zurück, und auch das lässt die Melodik vernehmen, indem sie nun wieder mit einem sich ins Forte steigernden Crescendo zur Entfaltung in dieser Kombination aus einem Auf und Ab über große Intervalle und deklamatorischen Tonrepetitionen zurückkehrt, mit der sie den semantischen und den affektiven Gehalt der Worte „„Hoch lebe Kaiser Heinrich, hoch! des Sachsenlandes Stern!“ wiedergegeben hat. Aber auch hier ereignet sich eine bedeutsame Akzentuierung der poetischen Aussage dadurch, dass die Harmonik nun nicht einfach im Bereich von E-Dur und H-Dur verbleibt, sondern eine Rückung von h-Moll nach Cis-Dur und von E-Dur über Fis-Dur nach H-Dur beschreibt. Es ist eine in ihrer Semantik und ihren affektiven Gehalt komplexe, eine historisch-politische Dimension beinhaltende Aussage, die hier getroffen wird, und Loewes Balladenmusik reflektiert das.

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  • „Heinrich der Vogler“ (III)

    Die letzte Balladenstrophe zeichnet vom „Vogler“ ein Bild menschlicher, in tiefer Gläubigkeit wurzelnder Größe, das mit der realen historischen Figur, dem als Herrscher agierenden König Heinrich I. nicht das Mindeste zu tun hat. Aber Legenden dürfen das, dazu sind sie da. Und Loewe bettet diese Verse in eine Musik, die die Bescheidenheit und Demut des „Voglers“ in der Reaktion auf seine gerade erfolgte Proklamation zum künftigen Herrscher auf eindrückliche Weise sinnfällig werden lässt.
    Das macht er in recht geschickter Weise dadurch, dass er auf die Worte „Da blickt Herr Heinrich tief bewegt / Hinauf zum Himmelszelt“ exakt die gleiche Melodik legt, in der die Ballade einsetzt. Will heißen: Heinrich der Vogler ist menschlich jetzt noch der Gleiche wie anfänglich am Vogelherd, er hat seine Grundhaltung nach diesem Proklamationsakt nicht geändert. Und die tiefe Gläubigkeit, die, wie die Legende das will, sein Wesen ausmacht, bringt Loewe mit einer Melodik zum Ausdruck, die in ihrer Anmutung von zugleich schlichter Gradlinigkeit und Innigkeit glaubwürdig wirkt.

    Bei den Worten „Du gabst mir einen guten Fang“ beschreibt sie mit einem im Piano ansetzenden Crescendo einen in Rückung von E-Dur nach A-Dur harmonisierten Sekundanstieg zur Ebene eines „E“ in hoher Lage, geht dann aber bei den Worten „guter Fang“ mit einem Decrescendo in einen Fall in Sekundschritten über, bei dem die Harmonik eine kurze Rückung nach cis-Moll vollzieht, die die seelische Rührung zum Ausdruck bringt. Auf „Herr Gott“ liegt dann ein ausdrucksstarker melodischer Sextsprung, und nach einem kurzen Innehalten in Gestalt einer Sechzehntelpause beschreibt sie melodische Linie, nun eine Terz tiefer ansetzend, noch einmal diese Fallbewegung in Sechzehntel-Sekundschritten wie auf „guten Fang“, nur dass sie ihn nun weiter fortsetzt, um bei der zweiten Silbe von „gefällt“ auf dem Grundton „E“ in tiefer Lage enden zu können.

    All diese melodischen Bewegungen, so auch diese, werden, wie Loewe das handhabt, um ihnen Ausdrucksstärke zu verleihen, von Klavier im Diskant mittels drei- und zweistimmiger Akkorden mitvollzogen, im Bass sogar ebenfalls in Gestalt von Einzelachteln, am Ende sogar Oktaven. Die Harmonik vollzieht dabei die klassische Kadenzrückung von der Subdominante über die Dominante zur Tonika E-Dur. Nur noch eine viermalige E-Dur-Akkordrepetition und ein fermatierter fünfstimmiger E-Dur-Akkord folgen dem Ende der Melodik nach.
    Das große historische Ereignis, Gegenstand dieser Ballade, hat in Loewes Musik darauf ein in seiner Idyllik die textliche Grundlage überhöhendes, ihr darin aber durchaus entsprechendes Ende gefunden.

  • „Hochzeitlied“, op. 20, Nr. 1

    Wir singen und sagen vom Grafen so gern,
    Der hier in dem Schlosse gehauset,
    Da wo ihr den Enkel des seligen Herrn,
    Den heute vermählten, beschmauset.
    Nun hatte sich jener im heiligen Krieg
    Zu Ehren gestritten durch mannigen Sieg,
    Und als er zu Hause vom Rösselein stieg,
    Da fand er sein Schlösselein oben;
    Doch Diener und Habe zerstoben.

    Da bist du nun Gräflein, da bist du zu Haus,
    Das Heimische findest du schlimmer!
    Zum Fenster da ziehen die Winde hinaus,
    Sie kommen durch alle die Zimmer.
    Was wäre zu tun in der herbstlichen Nacht,
    So hab' ich doch manche noch schlimmer vollbracht,
    Der Morgen hat alles wohl besser gemacht.
    Drum rasch bei der mondlichen Helle,
    Ins Bett, in das Stroh, ins Gestelle!

    Und als er im willigen Schlummer so lag,
    Bewegt es sich unter dem Bette.
    Die Ratte, die raschle so lange sie mag,
    Ja wenn sie ein Bröselein hätte.
    Doch siehe, da stehet ein winziger Wicht,
    Ein Zwerglein, so zierlich, mit Ampelen-Licht,
    Mit Redner-Gebärden und Sprecher-Gewicht,
    Zum Fuß des ermüdeten Grafen,
    Der, schläft er nicht, möcht' er doch schlafen.

    Wir haben uns Feste hier oben erlaubt,
    Seitdem du die Zimmer verlassen;
    Und weil wir dich weit in der Ferne geglaubt,
    So dachten wir eben zu prassen.
    Und wenn du vergönnest und wenn dir nicht graut,
    So schmausen die Zwerge behaglich und laut
    Zu Ehren der reichen, der niedlichen Braut.
    Der Graf, im Behagen des Traumes,
    Bedienet euch immer des Raumes.

    Da kommen drei Reiter, sie reiten hervor,
    Die unter dem Bette gehalten;
    Dann folget ein singendes,klingendes Chor
    Possierlicher kleiner Gestalten.
    Und Wagen auf Wagen mit allem Gerät
    Daß einem so Hören als Sehen vergeht,
    Wie's nur in den Schlössern der Könige steht.
    Zuletzt auf vergoldetem Wagen
    Die Braut und die Gäste getragen.

    So rennet nun alles in vollem Galopp,
    Und kürt sich im Saale sein Plätzchen;
    Zum Drehen und Walzen und lustigen Hopp
    Erkieset sich jeder ein Schätzchen.
    Da pfeift es und geigt es und klinget und klirrt,
    Da ringelt's und schleift es und rauschet und wirrt,
    Da pispert's und knistert's und flistert's und schwirrt;
    Das Gräflein, es blicket hinüber,
    Es dünkt ihn als läg' er im Fieber.

    Nun dappelt's und rappelt's und klappert's im Saal
    Von Bänken und Stühlen und Tischen,
    Da will nun ein jeder am festlichen Mahl
    Sich neben dem Liebchen erfrischen.
    Sie tragen die Würste und Schinken so klein,
    Und Braten und Fisch und Geflügel herein;
    Es kreiset beständig der köstlichste Wein.
    Das toset und koset so lange,
    Verschwindet zuletzt mit Gesange.

    Und sollen wir singen, was weiter geschehn,
    So schweige das Toben und Tosen;
    Denn was er, so artig, im Kleinen gesehn,
    Erfuhr er, genoß er im Großen.
    Trompeten und klingender singender Schall,
    Und Wagen und Reiter und bräutlicher Schwall,
    Sie kommen und zeigen und neigen sich all',
    Unzählige, selige Leute,
    So ging es und geht es noch heute.

    (J. W. Goethe)

    Wer glaubt, nur ein Clemens Brentano sei in der Lage gewesen, mit der klanglichen Lautlichkeit der deutschen Sprache in Gestalt ihrer Vokale und Konsonanten sein poetisch geniales Spiel zu treiben, der irrt. Auch Goethe vermochte das, wie sich in dieser Ballade zeigt. Es ist allerdings, anders als das auf insistierend Weise ernsthafte Brentanos, ein scherzhaft amüsantes, aber doch darin zugleich ebenfalls ernsthaftes, weil es das sprachliche Element der Phonetik als poetisches Ausdrucksmittel nutzt.

    Der Reiz dieser Ballade liegt in der Kontrastierung eines eminent zierlichen, metaphorisch im Spannungsfeld zwischen gravitätischem Auftritt und verspielter Lebhaftigheit sich entfaltenden Zwergenwelt- Geschehens mit einem realweltlichen narrativen, monologisch-wörtliche Rede enthaltenden Rahmen, in dem sich am Ende eine indirekte Verkoppelung zwischen Real- und Zwergenwelt ereignet. Die Hochzeit der Zwerge erweist sich in all ihrem festlichen Prunk als Vorwegnahme der Zukunft dessen, der sie traumhaft erlebt hat. Und am Ende kommentiert das der mit einem Mal auftretende Autor Goethe, sich darin in augenzwinkernde Distanz zu dem gerade Erzählten begebend, mit den Worten „So ging es und geht es noch heute“.

    Diese Ballade muss in der Dualität ihrer narrativen Ebenen, der vielgestaltigen Plastizität des Geschehens darin und der hochgradigen lautlichen Verspieltheit, in der es sich sprachlich präsentiert, für Loewe eine Verlockung und Herausforderung zur Vertonung gewesen sein. Und er hat aus der poetisch-sprachlich so großen Ballade Goethes ein wahres Meisterwerk an musikalischer Komik geschaffen, das seinen phantastischen Elfen- und Geisterballaden ebenbürtig ist.

    Die Komposition entstand 1832 und wurde im gleichen Jahr auch publiziert. Der Musik liegt ein Viervierteltakt zugrunde, der später aber vorübergehend erst in einen Vierachtel- und dann in einen Zwölfsechzehnteltakt übergeht, um am Ende aber wieder zu den vier Vierteln zurückzukehren. Darin spiegelt sich die Vielgestaltigkeit des narrativen Geschehens und der Bilder, in denen es sich ausdrückt. Und so ist das auch mit der Grundtonart. Die Musik der Rahmenstrophen steht in E-Dur als Grundtonart, die des die Zwergenhochzeit beinhaltenden Mittelteils weist ein G-Dur, bzw. C-Dur als Grundtonart auf. Große, ein hohes Potential an Eindrücklichkeit entfaltende Vielgestaltigkeit weisen auch die Melodik und der Klaviersatz auf. Dies aufzuzeigen, wird Aufgabe der nachfolgenden analytischen Betrachtung sein.


  • „Hochzeitlied“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Die Melodik der beiden gleichsam als Rahmen fungierenden Eingangsstrophen entfaltet sich in einem permanenten Wechsel zwischen zwei strukturellen Grundfiguren: Der deklamatorischen Tonrepetition und der Kombination aus fallender und ansteigender Linie. Die erste wird eingesetzt, wenn es um die Feststellung von Sachverhalten geht, so wie das bei den ersten sechs Versen der ersten Strophe der Fall ist. Zwischen den einzelnen Ebenen der Repetition liegen dabei kurze Phasen eines Falls über eine Sekunde oder ein größeres Intervall, und die nächste Folge von Repetitionen wird mit einem sprunghaften Anstieg eingeleitet. Dabei erfolgt die Deklamation durchweg silbengetreu, so dass sich der Eindruck von konstatierender Frische einstellt.

    Aber da die Melodik die Semantik des poetischen Textes reflektiert, wird dieser melodische Gestus nicht auf ungebrochene Weise durchgehalten. Bei den Worten „Nun hatte sich jener im heiligen Krieg“ beschreibt die melodische Linie zwar wieder einen Fall in deklamatorischen Tonrepetitionen, das Klavier, das bislang vorwiegend mit akkordischen Figuren begleitete, lässt hier aber mit einem Mal im Diskant eine Folge von erst fallenden, dann wieder ansteigenden Achteln in hoher Lage erklingen, und die Harmonik, die zuvor Rückungen von E-Dur zur Dominante H-Dur vollzog, beschreibt nun eine komplexe Rückung von Cis-Dur über fis-Moll nach H- und E-Dur.
    Die Balladenmusik reflektiert in dieser kurzen Passage den Sachverhalt des „heiligen Krieges“ als bedeutsames Ereignis im Leben des Grafen. Und dieser Einbruch von Cis-Dur und fis-Moll in die Dominanten / Tonika-Harmonik setzt sich, wie auch der Klaviersatz, bei den Worten „Zu Ehren gestritten durch mannigen Sieg“ fort. Erst bei den narrativ-konstatierenden Worten „Und als er zu Hause vom Rösselein stieg“ kehrt die Melodik in ihrem repetitiven Gestus wieder zur ungebrochenen Dur-Harmonisierung in der Grundtonart und ihrer Dominante zurück.

    Vollends, das heißt unter Alblassen vom repetitiven Gestus geht Loewe zur zweiten Figur dort über, wo es um die Schilderung von Geschehnissen und situativen Gegebenheiten geht. Dies ist erstmals in ausgeprägter Form der Fall bei den Worten „Da fand er sein Schlösselein oben; / Doch Diener und Habe zerstoben“. Zwar beschreibt die melodische Linie nach einem einleitenden Sekundfall noch einmal einen repetitiven Anstieg von der tonalen Ebene eines „Fis“ in tiefer Lage zu der eines „Gis“, wobei sich in die Gis-Harmonisierung ein kurzes cis-Moll hineindrängt, das bevorstehende Unglück andeutend, aber dieses wird dann bei den Worten „Diener und Habe“ mit einem zweimaligen, in der tonalen Ebene sich um eine Terz absenkenden triolischen Terzfall wiedergegeben, den das Klavier in Diskant und Bass in Gestalt von Viertel-Triolen mitvollzieht, wobei die Harmonik eine Rückung von E-Dur nach a-Moll beschreibt. Auf der zweiten und dritten Silbe von „zerstoben“ liegt ein ausdrucksstarker, in seiner Dehnung die Taktgrenze überschreitender, in H-Dur gebetteter und forte vorzutragender melodischer Quintfall. Das Klavier kommentiert diesen betrüblichen Sachverhalt, indem es die melodische Linie auf den Worten des ersten Verses in akkordischer Gestalt noch einmal erklingen lässt.

    Aber damit erklingt sie nicht zum letzten Mal. Auf den Worten „Da bist du nun Gräflein, da bist du zu Haus, / Das Heimische findest du schlimmer!“ geschieht das erneut, und wieder, wie beim ersten Mal, vom Klavier im Diskant mit bitonalen Akkorden und Einzelachteln mitvollzogen. Etwas jedoch ist anders: Sie ist in Moll-Harmonik gebettet, statt E-Dur nun e-Moll mit Rückung nach a-Moll und zur Dur-Dominante H-Dur. Die Heimkunft ist eine „schlimme“, die Winde ziehen zum Fenster hinaus. Wenn sich der Graf mit den Worten „Was wäre zu tun in der herbstlichen Nacht“ in die Situation einfindet und überlegt, wie er mit ihr umgehen kann, greift Loewe die entsprechenden Worte wieder mit seiner zweiten melodischen Grundfigur auf.

  • „Hochzeitlied“ (II)

    Die melodische Linie geht, in h-Moll mit Rückung nach a-Moll harmonisiert, bei den Worten „So hab' ich doch manche noch schlimmer vollbracht“ zunächst zu einem Auf und Ab in mittlerer Lage über, die Hoffnung aber, dass der Morgen alles besser machen könnte, beflügelt sie zu einem sprunghaften Aufstieg zu einer Repetition auf der tonalen Ebene eines „E“ in hoher Lage, die mit einer Rückung nach H-Dur einhergeht. Und auf dieser Ebene verbleibt sie auch in repetitivem Gestus bei den Worten „rasch bei der mondlichen Helle“, um sich dann aber bei den Worten „Ins Bett, in das Stroh, ins Gestelle“, darin das Bild reflektierend, bis zur tonalen Ebene eines „A“ in tiefer Lage abzusenken. Aber sie bringen ja einen Entschluss zum Ausdruck, und so beschreibt die melodische Linie auf der zweiten Silbe von „Gestelle“ einen gedehnten Sekundanstieg zum Grundton „E“ in tiefer Lage. Er bleibt allerdings in e-Moll harmonisiert, die Situation ist nun einmal unerfreulich.

    Das bringt auch das relativ lange, über acht Takte sich erstreckende Nachspiel zum Ausdruck, in dem im Diskant Achtel immer wieder in die Tiefe sinken, sich von dort zwar wieder erheben, aber nur, um gleich darauf, und dies in permanente harmonische Rückungen von a-Moll nach e-Moll gebettet, den dreischrittigen Sekundfall in die Tiefe erneut zu beschreiben. Und nicht nur die Akkorde am Ende vollziehen einen in Moll gebetteten Fall, auch die sich in Repetitionen auf der tonalen Ebene eines „E“ und eines „H“ in tiefer Lage entfaltende Melodik auf den Worten „Und als er im willigen Schlummer so lag“ ist e-Moll harmonisiert.

    Bei den Worten „Bewegt es sich unter dem Bette“ reflektiert die melodische Linie kurz die Semantik, indem sie einen Terzsprung vollzieht, um danach erst einen Sekund-, dann einen Terzfall zu beschreiben, aber danach ergeht sie sich wieder, darin gleichsam das In-sich-hinein-Murmeln des Grafen im Halbschlaf reflektierend, in den gleichen Repetitionen auf derselben tiefen „E“- und „H“-Lage, in der sie bei den Worten „Und als er im willigen Schlummer so lag“ einsetzte. Und bei den Worten „Ja wenn sie ein Bröselein hätte“ liegt wieder die gleiche Melodik wie auf „Bewegt es sich unter dem Bette“. Dieses Mal ereignet sich im Bass ein lebhafter Anstieg von Sechzehnteln über das große Intervall einer None, andeutend, dass in diese schlaftrunkene Situation Leben einfallen könnte.

    Das ist die von Loewe gerne und immer wieder eingesetzte kompositorische Verfahrensweise, die Aura einer narrativen Situation einzufangen: Er wiederholt mehrfach eine diese musikalisch repräsentierende melodische Figur. Die Textgrundlage wandelt sich dabei zwar, aber in ihrer Semantik ist sie der gleichen Situation zugehörig. Wandelt diese sich jedoch, tritt ein markanter und darin zumeist ausdrucksstarker Umschlag nicht nur in die Melodik, sondern in die ganze Balladenmusik. Das ist bei den mit dem kontrastiven „Doch“ eingeleiteten, und damit eben diesen Umschlag sprachlich herausfordernden Worten „Doch siehe, da stehet ein winziger Wicht“ der Fall. Das Metrum wandelt sich von vier Vierteln zu vier Achteln, das Klavier geht zu Staccato-Achtel- und Sechzehntel-Akkordfolgen über, und die Melodik, die sich gerade noch gemächlich in der Tiefe niederließ, beginnt, versehen mit der Anweisung „Un poco più vivace“, mit lebhafter Entfaltung.

    Dabei reflektiert die Melodik, wie bei Loewe nicht anders zu erwarten, bei aller Bevorzugung des repetitiven Gestus, sehr wohl die die Aussage des Textes, bzw. des lyrischen Bildes. So beschreibt sie bei „Ein Zwerglein, so zierlich, mit Ampelen-Licht“ eine über das große Intervall einer Septe sich erstreckende Bogenbewegung, das Bild „Mit Redner-Gebärden und Sprecher-Gewicht“ führt aber dazu, dass sie zum Auf und Ab-Gestus übergeht, und bei den Worten „Der, schläft er nicht, möcht' er doch schlafen“ beschreibt sie, das Schlafbedürfnis des Grafen reflektierend, einen zweimaligen, in der tonalen Ebene sich absenkenden und vom Klavier im Diskant partiell mitvollzogenen triolischen Terzfall, der bei „schlafen“ in einen auf einem tiefen „C“ endenden gedehnten Quintfall mündet.

  • „Hochzeitlied“ (III)


    Ein zweitaktiges Zwischenspiel setzt ein, in dem im Diskant, von Sechzehntel-Akkordrepetitionen im Bass begleitet, in der tonalen Ebene ansteigende Zweiunddreißigstel-Triolen erklingen, andeutend, dass nun der „winzige Wicht“ seine „Rednergebärden“ ins Werk setzen könnte. So kommt es ja nun auch, und es ist überaus vergnüglich und macht diese Ballade so hörenswert, wie Loewe das Winzige und Zierliche im Auftritt der Zwerge mit klanglich-musikalischen Mitteln zu evozieren vermag. Die Deklamation des entsprechenden Textes erfolgt durchweg in Achtel- und Sechzehntelschritten, wobei häufig Sechzehntel-Sekundanstiege oder -Fallbewegungen in die sich in Achteln entfaltende melodische Linie eingelagert sind. Bei den Worten „Und wenn du vergönnest und wenn dir nicht graut,/ So schmausen die Zwerge behaglich und laut“ folgt sogar vier Mal ein vierschrittiger Zweiunddreißigstel-Fall mit nachfolgendem Sekundanstieg aufeinander, wobei die Harmonik eine komplexe Rückung von A-Dur über d-Moll, G-Dur, C-Dur und A-Dur nach G-Dur vollzieht, die affektive Dimension dieser Zwergen-Äußerung reflektierend.

    Aber die deklamatorische Kleinschrittigkeit in der Melodik ist nur die eine Komponente, mittels derer die Suggestion von „winzig“ und „zierlich“ klanglich erzeugt wird. Die andere ist im Klavierdiskant angesiedelt. Während der Bass sich permanent in quartolischen Sechzehntel-Akkordrepetitionen ergeht, erklingt im hohen Diskant eine wellenartig angelegte, partiell staccato angeschlagene und überaus zierlich und spitzig anmutende Legato-Kette von Sechzehnteln und Zweiunddreißigsteln, die bei den Worten „zu Ehren der reichen und niedlichen Braut“ in extrem hohe Triller mündet, denen ein Sechzehntel-Sekundfall nachfolgt. Bei den Worten „Der Graf, im Behagen des Traumes, / Bedienet euch immer des Raumes“ kehren Melodik und Klaviersatz wieder zu dem deklamatorischen Gestus, bzw. der Struktur zurück, die Loewe der „Grafen“-Welt zugeordnet hat: Deklamatorische Tonrepetitionen münden in den vom Klavier im Diskant mitvollzogenen zweimaligen triolischen Terzfall mit lang gedehntem und auf dem tiefen „C“ endenden Quintfall wie schon zuvor bei den Worten „schläft er nicht, möchte er doch schlafen“.

    Das ist die Grundstruktur der Melodik und des Klaviersatzes, mit der Loewe das Wesen der Zwergenwelt und das Geschehen der Hochzeit, in der es sich manifestiert, musikalisch einfängt und zum Ausdruck bringt, und deshalb ist es nun nicht erforderlich sich in detaillierter analytischer Betrachtung auf die Balladenmusik der diese darstellenden Strophen fünf bis sieben einzulassen. Es dürfte genügt, das an den Stellen zu tun, wo Loewe weitere, vor allem tonmalerische kompositorische Mittel einsetzt, um dieses Geschehen in seiner spezifischen Eigenart musikalisch zu konkretisieren. Bei den Worten „Da kommen drei Reiter, sie reiten hervor, / Die unter dem Bette gehalten“ lässt er die melodische Linie in hüpfend-sprunghafter Weise sich entfalten, wobei das Klavier im Diskant diesen Bewegungen folgt, bei „Und Wagen auf Wagen mit allem Gerät“ beschreibt die melodische Linie eine über das große Intervall einer Septe sich erstreckende Fallbewegung in Sechzehntel- und Zweiunddreißigstelschritten, denen das Klavier nun mit Oktaven im Diskant folgt. Auf diese Weise wird der in lebhaft-kleinschrittigen Aktionen erfolgende Aufbau der Szene musikalisch sinnfällig.

    In starkem Kontrast dazu entfaltet sich die melodische Linie dann aber beim Auftritt der Braut. Auf den Worten „Zuletzt auf vergoldetem Wagen / Die Braut und die Gäste getragen“ lässt die melodische Linie von ihrer bis zu Zweiunddreißigsteln zugespitzten Kleinschrittigkeit ab und geht zu deklamatorischen Dehnungen über, die sich sogar auf Worten ereignen, die gar nicht dafür geeignet sind. So liegen melodische Dehnungen nicht nur auf der Silbe „-gold-“ und auf dem Wort „Wagen, sondern sogar auf der zweiten Silbe von „zuletzt“, auf „Braut“ und auf „Gäste“. Auf diese deklamatorisch geradezu übertriebene Weise hebt Loewe die Ruhe dieses bedeutsamen Geschehens auf markante Weise hervor. Auf das Schlusswort „getragen“ legt er einen mit einem Quartsprung eingeleiteten lang gedehnten und in einer Rückung von der Subdominante F-Dur zur Tonika C-Dur harmonisierten Quartfall. Bemerkenswert aber: Bei all der Ruhe, die die Melodik hier ausstrahlt, behält der Klaviersatz seine Anmutung von Lebhaftigkeit in Gestalt von bogenförmig sich entfaltenden Sechzehntelketten im Diskant und rhythmisierten Akkordfolgen im Bass bei.

    Es ist schließlich ein äußerst lebhaftes Zwergengewusel, das Goethe hier in großartig-plastischer Bildlichkeit skizziert, und Loewe vermag das auf vollkommen adäquate und darin beeindruckende Weise musikalisch wiederzugeben. Eingeleitet mit den Worten „So rennet nun alles in vollem Galopp, / Und kürt sich im Saale sein Plätzchen…“ steigert sich die Lebhaftigkeit des Geschehens in seinen Höhepunkt. Dementsprechend geht die Melodik zur Entfaltung in lebhafter, nur noch in deklamatorischen Schritten im Wert von Sechzehnteln erfolgenden Bewegung in großem Ambitus über, und im Klavierdiskant erklingt durchweg bis zum Ende der zweitletzten Strophe eine nicht abreißen wollende und bis höchste und tiefe Lag ausgreifende Folge von sextolischen Figuren aus Zweiunddreißigsteln, im Bass begleitet von triolischen Figuren aus bitionalen und Einzelsechzehnteln.

  • „Hochzeitlied“ (IV)

    Auf wie höchst gekonnte Weise tonmalerisch Loewe dabei vorgeht, zeigt sich bei den Worten „Da pfeift es und geigt es und klinget und klirrt, / Da ringelt's und schleift es und rauschet und wirrt, / Da pispert's und knistert's und flistert's und schwirrt“. Die mit sprachlich lautmalerischen Mitteln erfolgende Evokation eines situativen Geschehens greift Loewe dergestalt auf, dass er die Melodik, die gerade noch im Ambitus weit ausgreifende kleinschrittige Bewegungen vollzog, nun nur noch zur Entfaltung in sehr langen, auf unterschiedlicher, vom hohen „F“ bis zum tiefen „C“ sich erstreckender tonaler Ebene sich ereignenden deklamatorischen Tonrepetitionen übergehen lässt.

    Erst bei den Worten „Das toset und koset so lange, / Verschwindet zuletzt mit Gesange“ lässt die melodische Linie von der rasanten, in C-Dur und G-Dur harmonisierten Entfaltung in deklamatorischen Tonrepetitionen ab. Versehen mit der Anweisung „sempre più diminuendo“ beschreibt sie, weiterhin begleitet mit den Zweiunddreißigstel-Sextolen im Diskant, ein in Terzintervallen sich ereignendes Auf und Ab von Sechzehntel-Schritten, das sich von der tonalen Ebene eines „C“ oberer Mittelage bis zu der eines „H“ in tiefer absenkt und bei den Worten „mit Gesange“ in einen Fall von Einzelschritten bis zur der eines „G“ in abgrundtiefer Lage übergeht. Diese melodische Abwärtsbewegung setzt sich in den Zweiunddreißigsteln des Klaviersatzes zwei weitere Takte lang fort.

    Das „Verschwinden“ wird, weil melodische Linie gleichsam in der Tiefe erlischt, auf höchst eindrückliche Weise musikalisch sinnfällig gemacht. Diese Konkretisierung einer textlichen Aussage in der musikalischen Struktur ist eine von Loewe in seiner Balladenmusik immer wieder eingesetzte und diese in ihrer spezifischen Klanglichkeit maßgeblich prägende kompositorische Technik.

    Wie in der ersten Strophe präsentiert sich der Erzähler in der letzten wieder im Pluralis Majestatis „wir“ wieder und macht sie damit funktional zum Rahmen der Ballade. Loewe übernimmt diesen prosodischen Sachverhalt in der Weise, dass er hier die Melodik der Eingangsstrophe mitsamt ihrer Harmonisierung unverändert wiederkehren lässt. Weil es aber um die Schlussstrophe der Ballade geht und in ihr die poetische Aussage eine Potenzierung durch Anhebung auf die Ebene existenziell relevanter Allgemeingültigkeit erfährt, modifiziert er den Klaviersatz. Nun begleitet das Klavier die Melodik in all ihren deklamatorischen Schritten im Diskant synchron mit zwei- bis dreistimmigen Akkorden und Oktaven und verleiht ihr in ihrer musikalischen Aussage ein gesteigertes Gewicht.

  • Zum Schluss

    Das sollte wohl fürs Erste genügen. Das Balladenwerk Loewes wurde in den typischen thematischen Formen, in denen es vorliegt, anhand repräsentativer Beispiele vorgestellt und einer analytischen Betrachtung unterzogen. Dabei ging es darum, seine spezifische kompositorische Eigenart aufzuzeigen und damit seine musikhistorische Singularität nachzuweisen.
    Diese gründet, das sollte deutlich geworden sein, letzten Endes in seiner kompositorischen Grund-Intention, und diese wiederum würde ich auf die Formel bringen:
    Maximale Konkretion der semantischen und metaphorischen Dimensionen von Balladentext in musikalischer Struktur.

    Wenn Loewe postuliert, dass für ihn Objektivität „die erste Bedingung der Ballade“ ist und Musik der Literatur zu dienen habe in dem Sinne, dass sie „im wesentlichen Mittel der Verklärung, Erleichterung des poetischen Gedankens“ sei, so ist in diesen Worten sein kompositorisches Grund-Konzept auf den Punkt gebracht. Die literarische Ballade muss im Akt der Vertonung in all ihren poetisch-konstitutiven Elementen, den episch-narrativen, den rhetorisch-monologischen und den dialogischen erfasst und in adäquate Musik umgesetzt werden, so dass diese zu einer deskriptiv-schildernden, erzählenden, lyrischen, handelnden und rhetorischen wird, was zur Folge hat, dass die Melodik die Aussage des Balladentextes nicht nur in seinen semantischen, sondern auch in den affektiven Dimensionen erfasst und in diesem Zusammenhang tonmalerischen Mitteln, und damit ganz allgemein auch dem Klaviersatz, eine wichtige Funktion zukommt.

    In Loewes Balladenmusik ereignet sich, und darin gründet letzten Endes ihre musikhistorische Singularität, eine in ihrer hochgradigen klanglichen Sinnlichkeit unmittelbar ansprechende musikalische Konkretion von poetischer Balladensprache.
    Sie vermag deshalb dort, wo der poetische Text auf eine existenziell relevante Aussage ausgerichtet ist - und dieser Aspekt lag der Auswahl hier zugrunde -, auch heute noch zu einem anrührenden musikalischen Erlebnis zu werden.