Cavalleria Rusticana, 21.4.2024, La Scala

  • Moralismo vs. Verismo


    Die Cavalleria zähle ich zu meinen Favoriten. Besonders gerne höre ich die Karajan-Einspielung mit Fiorenza Cossotto. Nach Mailand waren wir Opernfreunde aber gereist, um Elīna Garanča und Brian Jagde als Santuzza und Turridu zu erleben. Ihnen gesellten sich Roman Burdenko als Alfio und Francesca Di Sauro als Lola zu. Elena Zilio saß als Mamma Lucia auf der Bühne.

    Die Inszenierung von Mario Martone läuft seit 2011 an der Scala. Wenn ich richtig gesehen habe, war der Regisseur anwesend und saß direkt vor mir.


    Während Jagde das "O Lola c'hai di latti la cammisa" hinter dem dicken Scala-Vorhang singen muß, stellt Martone im Vorspiel ein Bordell auf die Bühne, in dem sich Alfio offenbar betätigt und nach Vollzug rasieren läßt. Das fand ich nicht überzeugend. Die vier Protagonisten in der Cavalleria werden von ihren Dämonen getrieben. Sie tun, wie sie müssen und haben keine Wahl. Verismo ist nicht Moralismo. Targioni-Tozzetti u. Menasci urteilen nicht und Mascagni schon gar nicht.

    Sizilianische Atmosphäre - wie etwa im Strehler/Falck-Film - sucht man in der Scala vergeblich. Der große Bühnenraum ist Kirche und Vorplatz gleichzeitig. Der Chor dreht die Stühle einfach um, wenn er gebraucht wird. Wenn wir den Grundgedanken der Inszenierung richtig verstanden haben, findet alles vor Gott und der Welt statt, und Gott und die Welt wissen auch darum. Denn auch das abgewandte Volk hört, was in seinem Rücken passiert.

    Fr. Garanča singt eine überzeugende Santuzza, dominant, aber leidend. Hier ist sie von Anfang an ohne jede Hoffnung, ihren Geliebten zurückzugewinnen. Ihr "A te la mala Pasqua, spergiuro!" schleudert sie wie eine ägyptische Rachegöttin heraus, knieend, aschfahl, nur das Weiße ihrer Augäpfel zeigend, scheinbar schon im Jenseits, wie Turridu zwanzig Minuten später. Schauerlich!

    Jagde gibt einen distanzierten, kalten Turridu, der dem Tod nicht nur ins Auge sieht, sondern ihn geradezu erwartet. Auch er absolut pessimistisch. Das Paar kämpft nichts mehr aus, die wickeln nur ihre Beziehung ab. Gnadenlos und großartig!

    Lola hat in dieser Inszenierung nicht viel Raum, da sie im Vorspiel nicht zu sehen ist. Ihr bleibt der Gang über die Bühne, Santuzza und Turridu entgegen. Es ist ja immer interessant, mit welcher Körpersprache Santuzza dort von ihr distanziert wird. Adriana Martino zeigt im o.g. Film auf unnachahmliche Weise die Geste des Kehle-Aufschlitzens. Das ist Sizilianitá! Fr. Di Sauro deutet mit einer Bewegung ihrer Beine im Sitzen beim "Io ringrazio il Signore e bacio in terra!" kurz eine Schwangerschaft an, was genau bei dieser Zeile ein starker Regieeinfall ist, denn das muß die Nebenbuhlerin bis aufs Blut reizen.

    Hr. Burdenko ist etatmäßiger Scarpia an der Deutschen Oper Berlin, hier der Fuhrmann und Bordellgänger. Sein Auftritt mit "Il cavallo scalpita" fand ich etwas lasch. Er steigerte sich dann aber im Duett mit Santuzza und hat mich bei der Verbredung zum Duell mit Turridu überzeugt.


    Giampaolo Bisanti dirigierte. Ganz einig waren wir uns am Ende nicht. Die Freunde waren sehr angetan, ich hätte mir an ein paar Stellen gewünscht, daß das Orchester wie ein Instrument klingt. Mascagni muß Wagner gekannt und den Lohengrin bewundert haben. So höre ich es jedenfalls im Vorspiel.


    In der Scala wird anders applaudiert, als in Berlin. Viel Zwischenapplaus nach und in Szenen, aber dafür recht wenig am Schluß.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Lieber Hans,

    danke für einen ausführlichen Bericht! Wir hatten auch vor nach Mailand zu reisen um diese Inszenierung zu sehen, hat leider aus termintechnichen Gründen nicht geklappt. Und obwohl ich La Scala TV abonniere, hatte ich noch nicht die chance diese Aufführung mir anzuschauen. Wie fandest Du Pagliacci? Wenn ich mich nicht irre, soll die Inszenierung von Fellinis „La Strada“ inspiriert sein. Mario Martone ist ja auch in der ersten Linie ein Filmregisseur. Es ist deswegen nicht überraschend, dass er diese zwei Welten verbindet…

  • Bei der auf La Scala TV zur Verfügung stehenden Aufnahme wird Santuzza von der spanischen Sopranistin Saioa Hernández gesungen, die in Mailand schon seit 2018 dem Publikum bekannt ist. In der ersten Szene fande ich, dass sie ein wenig eng klingt, doch dass ändert sich schon bald. Ihre kraftvolle, kühle Stimme lässt Santuzza zwar verletzt, jedoch verschlossen wirken und das zurückhaltende Schauspiel der Sängerin vollendet diesen Eindruck. Es war für mich fast ungewöhnlich, und trotzdem alles in Einem recht beeindruckend! Hernández liefert eine sehr überzeugende Santuzza und bekam verdient einen großen Applaus.

    Ich muss zugeben, dass ich während der ganzen Vorstellung diese, für mich neue Sängerin, mit Elina Garanča, die eigentlich an dem Abend auftreten sollte, jedoch wegen einer Erkrankung abgesagt hatte, verglichen habe. Ich habe Garanča in dieser Rolle früher gehört und auch nach diesem Abend, trotz der großen Begeisterung für die spanische Sopranistin, bleibt Elina Garanča mein absoluter Favorit in dieser Rolle.