Hoffnung gießt in Sturmnacht Morgenröte!
Allein der Rätsel-Szene wegen gehe ich gerne in die Turandot. Das erste der Rätsel hat es mir besonders angetan. Die Zwiespältigkeit der Hoffnung, die einem Alptraum gleich nachts über die Menschen kommt, aber mit jedem Morgenrot verblaßt, und die Verschränkung der ersten Frage mit der Situation, in der Calaf steht, ist wirklich packend! Knackt er dieses, sind zweites und drittes Rätsel ein Klacks. Und so fiebere ich jedesmal mit.
Philipp Stölzls Sicht darauf halte ich für schlüssig: Der Prätendent, der die Inspiration zur Lösung der Fragen nicht von der Prinzessin, sondern der übergroßen Gliederpuppe bekommt, die die Bühne beherrscht; die synchrone Verwandlung von Puppe und Prinzessin mit jeder gelösten Aufgabe - diese wird als Wesen ohne Sexualität offenbar, jene mutiert zum sechshändigen Monster mit Totenschädel - und letztendlich der Bezug zur Ausgangsfrage - was kann Calaf überhaupt hoffen?
Riccardo Massi sang den Prinzen. Das war kraftvoll, mühelos und differenziert und trug ihm viel Beifall und Bravos ein. Jaka Mihelač, Andrés Moreno Garcia und Siyabonga Maqungo - Ping, Pang und Pong - sind die Lieblinge des Publikums: Fein gesungen und gespielt, besonders, wie sie auf dem Schädelberg, der wie ein riesiger Haufen goldgelbes Popcorn aussieht, rumkraxeln. Man darf sich in ihnen nicht täuschen. Es sind keine lustigen Figuren in diesem Stück. Mihelač gibt Ping durchaus hintergründig als Strippenzieher, der genau darauf schaut, daß die Ordnung hält, wie immer auch das Schicksal der Chefin sich gestaltet. Und der Blick, mit dem Pong der Prinzessin das Gift reicht: "Das Spiel ist aus, du hast überreizt!", ist erbarmungslos.
Liudmyla Monastyrska hatte ich an der Deutschen Oper schon als kalte Tosca gesehen. Als Turandot gefiel sie mir viel besser. Wie eine Steinplatte liegt ihre wuchtige Stimme auf der Rätselszene und hält alle nieder. Ihr schönes Piano, wenn sie ihren Vater um Rettung vor dem siegreichen Fremden anfleht, rührt den Sieger. Von ihrer Mimik sieht man auch in der ersten Reihe nichts, denn sie ist durchgehend maskiert.
Warum aber diese Kunigunde Wetter vom Strahls Blick von Käthchen, Liù, abziehen kann, blieb auch am letzten Mittwoch in der Staatsoper eigentlich unerklärlich. Elena Stikhina - ich hörte sie in der letzten Spielzeit als bewegende Cio-Cio-San an der Deutschen Oper - setzt mit ihrem jugendlich-dramatischen Sopran deutliche Akzente und läßt ihre Liù zu einer wirklich dramatischen Gestalt werden.
René Pape sang Timur stimmschön, aber chargierte heftig.
Großartig, wie präzise und stark der Chor unter Dirigentin Keri-Lynn Wilson klang!
Ende Oktober singt Brian Jagde den Calaf an der Staatsoper. Da werde ich nochmal hingehen!