Carlos Kleiber - sein Vermächtnis

  • Habt Ihr Euch schon die Probe in Stuttgart (oder Baden Baden) aus dem Jahr 1970 angesehen? Ist das nicht hinreißend? Ich kannte das Material bisher nicht.


    Viele Grüße, Christian

  • Wer titanenhafte Erdenschwere sucht, ist hier definitiv fehlt am Platz.

    Das mag so sein oder auch nicht (ich kenne die fragliche Aufnahme nicht), aber es sagt in jedem Fall überhaupt nichts über die Qualität einer Aufnahme aus sondern nur über die nicht erfüllten Erwartungen eines Hörers. Ich beobachte das an vielen Stellen, in diesem Forum und außerhalb, dass Bewertungen nicht aufgrund dessen erfolgen, was man hört, sondern was man gerne hören (oder sehen ;)) würde. Solche Urteile gehen prinzipiell und im Wortsinn an der Sache vorbei.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Stets aufs Neue beeindruckt bin ich von diesem Video:



    Auch ohne Ton weiß man jederzeit, was passiert und wo man sich befindet. Ich empfand Carlos Kleibers Stil des Dirigierens immer unglaublich elegant. Es ist ein Genuss, ihm zuzuschauen.


    Was die Proben und seine Sprachbilder angeht, bin ich versucht, diese auch gut oder interessant zu finden. Ich erinnere mich aber an ein filmisches Kleiber-Portrait (müsste gucken, welches es war), bei dem auch auf seine speziellen Proben eingegangen wurden, die bei den beteiligten Musikern wohl nicht einhellig auf Gegenliebe stießen. Manche fühlten sich bei seiner Jagd nach Originalität wohl etwas veralbert.


    Carlos Kleibers Repertoire war endlich sehr beschränkt, und ich verknappe es quasi noch mehr, denn ich höre davon mit gewisser Regelmäßigkeit eigentlich nur den "Tristan".

    Generell war Kleiber mir vermutlich zu sehr "drüber", und schien mir bei allem, was man hörte, ein getriebener, und mit wachsendem Alter zutiefst unglücklicher Mensch gewesen zu sein. Deshalb blicke ich vor allem mit Bedauern auf ihn.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Ich beobachte das an vielen Stellen, in diesem Forum und außerhalb, dass Bewertungen nicht aufgrund dessen erfolgen, was man hört, sondern was man gerne hören (oder sehen ;) ) würde.

    Darüber kann man verschiedener Meinung sein

    Es ist eine Frage des persönlichen STANDPUNKTS (weshalb eine Kritik auch nie neutral sein kann)

    Persönlich vertrete ich die Meinung, daß Aufführungen, bzw. Aufnahmen FÜR DAS PUBLIKUM

    gemacht werden, bzw. gemacht werden sollten

    und NICHT für die "Verwirklichung des Interpreten"

    ÄHnliches gilt auch für Komponisten -

    aber die waren sowieso recht schnell weg aus der Musikszene, wenn die den - oft zeitgeschmackbedingten - Anforderungen nicht genügten.

    Letzteres gilt - mit umgekehrten Vorzeichen auch für das 20. und 21. Jahrhundert

    wo mit geradezu masochistischer Freude Unangenehme, sperrige und hässliche Musik hervorgeholt und forciert wird

    Dazu muß man sagen, daß die geradezu eine kongeniale Ergänzung zu sonstigen "Zeiterscheinungen" darstellt

    (Bauwerke. Malerei, Kleidung und Ernährung, wo man sogar das englische Wort "Food" so trefflich einsetzt, wo bezeichnenderweise kein Unterschied zwischen Tiernahrung und der menschlichen gemacht wird.)


    In Hinblick auf diese Zeiterscheinungen halte ich SUBJEKTIVE Rezensionen für durchaus legitim

    Der persönliche Standpunkt sollte indes dokumentiert werden.

    Persönlich mache ich das indirekt seit Jahren mit den Floskel "mfg aus Wien"

    Sie sollte (schon vor 50 Jahren !!) anzeigen, daß MEIN Geschmack sich nicht mit dem verträgt, was man in

    Resensionen aus Deutschland so oft findet ("entstaubt","Struktur freigelegt", Mut zum Sperrigen")..etc


    Letzteres würde ich natürlich Carlos Kleiber nicht nachsagen - lediglich, daß er - hier durchaus zu vergleichen mit Celibidache - daran gearbeitet hat - sich durch "Verweigerung"

    in den Vordergrund zu spielen.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Persönlich vertrete ich die Meinung, daß Aufführungen, bzw. Aufnahmen FÜR DAS PUBLIKUM

    gemacht werden, bzw. gemacht werden sollten

    Dann stellt sich nur noch die Frage, wer denn "DAS PUBLIKUM" eigentlich ist. Du wirst ja, um im Kleiber-Beispiel zu bleiben, sicherlich nicht ernsthaft behaupten, dass alle Zuhörer einen "titanenhaft erdenschweren" Beethoven hören wollen. Da also die Wünsche "des" Publikums weit auseinandergehen, befürchte ich, dass es auch weiterhin dabei bleiben wird, dass Musiker die Musik so machen, wie sie es selbst für richtig halten. Die Welt ist ja so schlecht!


    Hast Du diese wiederkehrenden Früher-war-alles-besser-Wutreden eigentlich irgendwo abgespeichert, von wo Du sie dann bei Bedarf schnell kopieren kannst, oder musst Du sie tatsächlich jedesmal neu schreiben? Aber egal, ich verstehe schon, was Du meinst: Komponisten, die sich nicht am Zeitgeschmack orientieren, geraten in Vergessenheit. Es gab da zum Beispiel mal einen Komponisten namens Beethoven, der von seinen ersten Opera an geradezu skandalös gegen den Zeitgeschmack angeschrieben hat, und den folgerichtig heutzutage ken Mensch mehr kennt. Dabei gab es genügend warnende Stimmen profunder Rezensenten-Geister ("Beethovens Werke sind oft bizarr und fast schon grotesk.", "Alles etwas gedrängter und weniger zerstückt, ist ein frommer Wunsch" usw.), aber er wollte nicht hören (Entschuldigung für diesen geschmacklosen Ausdruck). Die Welt war ja schon damals sooo schlecht!

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Du wirst ja, um im Kleiber-Beispiel zu bleiben, sicherlich nicht ernsthaft behaupten, dass alle Zuhörer einen "titanenhaft erdenschweren" Beethoven hören wollen

    Das Beispiel kam nicht von mir - Aber prinzipiell war der Titaneschwere Beethoven tatsächlich das non plus Ultra - darüber könnten wir bei Bedarf in Beethoven Spezialthreads diskutieren. Aber generell ist es ja so, daß viele der heutigen Interpreten gar nicht mehr interessier was das Publikum hören will und was nicht.

    Beethovens Werke sind oft bizarr und fast schon grotesk.

    Ich weiß natürlich nicht, wie man das damals gespielt hat - aber wennn man dem Zeitzeugen Joseph Haydn Glauben schenken darf - dürfte schon ein Körnchen wahrheit enthalten sein:

    Aus einem Gespräch zwischen Haydn und Beethoven, wo Beethoven Haydn um seine Meinung fragt, und dieser erst auf die Zusage hinaus, er dürfe "offen" reden sagt:

    "Gut dann, weil Sie es wollen fahre ich fort, und sage, daß meiner Meinung nach immer etwas - um nicht zu sagen - Verschrobenes - doch Ungewöhnliches in ihren Werken sein wird. man wird viele schöne Dinge darin finden- bewunderungswürdige Stellen , aber hier und da etwas Sonderbares, Dunkles, weil sie selbst ein wenig finster und sonderbar sind, und der Styl eine Musikers ist immer der Mensch selbst. Sehen Sie MEINE Compositionen an: Sie werden immer etwas joviales darin finden, weil ich es selbst bin..."


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Aber generell ist es ja so, daß viele der heutigen Interpreten gar nicht mehr interessier was das Publikum hören will und was nicht.

    Woher willst Du das wissen? Wahrscheinlich ist etwas anderes: Dass Musiker, egal ob Komponisten oder Interpreten, die Musik machen, die sie selbst gerne hören wollen. Oder andersrum gesagt: Es ist unwahrscheinlich, dass ein Musiker andere mit einer Musik erreichen kann, von der er selbst nicht überzeugt ist. Witold Lutoslawski hat vor vielen Jahren (in einer Broschüre der Jeunesse Musicale) genau das als Ratschlag an junge Komponisten gegeben: Sie sollen die Musik aufschreiben, die sie selbst gerne hören möchten.


    Ich weiß natürlich nicht, wie man das damals gespielt hat - aber wennn man dem Zeitzeugen Joseph Haydn Glauben schenken darf - dürfte schon ein Körnchen wahrheit enthalten sein:

    Aus einem Gespräch zwischen Haydn und Beethoven, wo Beethoven Haydn um seine Meinung fragt, und dieser erst auf die Zusage hinaus, er dürfe "offen" reden sagt:

    "Gut dann, weil Sie es wollen fahre ich fort, und sage, daß meiner Meinung nach immer etwas - um nicht zu sagen - Verschrobenes - doch Ungewöhnliches in ihren Werken sein wird. man wird viele schöne Dinge darin finden- bewunderungswürdige Stellen , aber hier und da etwas Sonderbares, Dunkles, weil sie selbst ein wenig finster und sonderbar sind, und der Styl eine Musikers ist immer der Mensch selbst. Sehen Sie MEINE Compositionen an: Sie werden immer etwas joviales darin finden, weil ich es selbst bin..."

    Natürlich ist da mehr als ein Körnchen Wahrheit enthalten, deshalb habe ich das Beispiel ja gewählt. Es zeigt also, dass Komponisten auch dann mit jahrhundertelangem Ruhm belohnt werden können, wenn sie gegen den Zeitgeschmack geschrieben haben. Du hattest ja behauptet, sie wären dann "sowieso recht schnell weg aus der Musikszene". Das stimmt, wie man am Beispiel Beethoven sehen kann, nicht.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)