Lieber Alviano,
"Jesu Hochzeit" ist ein eigenartiger Fall. So übel ist der Text nämlich nicht. Sprachlich bewegt er sich auf mehreren Ebenen: Simple Verse für die von bigotten Kreisen vereinnahmten Figuren, formalistische Satzgefüge für alles, was zur Amtskirche führt, Hochlyrik für Jesus und die Tödin.
Auch inhaltlich ist die Sache nicht uninteressant, wenn man ein kritisches Mysterienspiel akzeptieren kann. Die Tödin verführt Jesus zum Tod - Höhepunkt in der Zeile: "Der du mit den Füßen auf dem Regenbogen stehst: Mach Hochzeit mit der Nacht." Maria Magdalena wird in einer Weise aufgewertet, die vieles von diversen neueren Reißer-Romanen vorwegnimmt.
Das Problem ist nur: Einem konnte es nicht komponieren. Bei ihm klingen alle Ebenen gleich dünn und ausgeblutet und ergehen sich in Pseudo-Kantilenen, die nicht ins Ohr gehen, aber auch nicht neuartig sind.
Auch "Kabale und Liebe", der ersten Garde der Wiener-Staatsopern-Ensemblekräfte auf die Stimmbänder geschrieben, hat diesen Nachteil. Es gibt fabelhafte Momente, insgesamt aber ist das Stück ziemlich mühsam.
Ganz ehrlich: Ich halte auch die "alte Dame" für schwach: Dürrenmatt hat das Stück glänzend gekürzt und die Längen der Theaterversion ebenso eliminiert wie deren Holzhammer-Symbolik. Und dann macht Einem zu diesem wirklich bösen Stück eine so sanfte und schöne und leckere Musik, daß man an einen neuen Richard Strauss denkt. Aber es ist nicht der "Elektra"-Strauss, sondern der von "Arabella". Hört man das Werk zum ersten Mal, ist man ziemlich angenehm überrascht. Hört man es zum zweiten oder dritten Mal, merkt man, welche Längen diese Oper durch diese ewige scheinmelodische Deklamation hat.
Für mich bleiben bei Einem der "Danton", der wirklich eine tolle Bühnenwirkung entfaltet, und der "Prozeß", der natürlich wesentlich handfester ist als Kafkas Roman, aber durch die Repetition rhythmischer Floskeln und die monoton trommelnden Singstimmen eine mitunter bohrende Intensität erreicht. Überleben sollten beide, überleben wird allerdings weder der "Danton" noch der "Prozeß".
Erstaunlich finde ich, wie derzeit Henze am Wachsen ist. Die "Bassariden" waren praktisch tot. Jetzt tauchen sie hie und da wieder auf. Das Zeug zum Überleben hätten sie. Übrigens könnte auch "Il re cervo" oder sogar seine größere Erstfassung "König Hirsch" überleben, wäre nur der Part des Tartaglia nicht so wahnsinnig schwer und lang.
Weniger Chancen hat meiner Meinung nach der "junge Lord": Ähnlich wie bei Einem ist das Libretto fabelhaft, aber die Oper hat große Längen, am schlimmsten im zweiten Bild des ersten Aktes und im zweiten des zweiten Aktes.