Literatur von und über Hans Pfitzner

  • In diesem Thread möchte ich, wie schon der Titel sagt, Bücher von und über meinen Lieblingskomponisten Hans Pfitzner vorstellen. Dieser war bekanntlich nicht nur Komponist, Dirigent, Pianist und Regisseur, sondern auch kritischer und teilweise zynischer Musikschriftsteller. Viele seiner Schriften sind in ihrem Wert heute nur mehr historisch interessant - als Beispiel sei hier die Kampfschrift "Futuristengefahr" gegen Busonis "Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst" (erschienen 1906) angeführt - andere haben ihren Wert aber durchaus bis heute erhalten und zeigen Pfitzner als stets um die Musik besorgten Menschen.


    Die wichtigsten Schriften Pfitzners sind:
    Vom musikalischen Drama (1908-1915), München/Leipzig 1915
    Futuristengefahr, Leipzig/München 1917
    Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz, München 1920
    Werk und Wiedergabe, Augsburg 1929
    Meine Beziehungen zu Max Bruch, München 1938
    Über musikalische Inspiration, Berlin 1940
    Meine Liedertexte, 1941 (Manuskript)
    Eindrücke und Bilder meines Lebens, Hamburg-Bergedorf 1947


    Ich werde versuchen, falls das Interesse besteht, in loser Reihenfolge einige dieser Werke inhaltlich und auch interpretatorisch vorzustellen. Beginnen möchte ich aber mit einer, meiner Meinung nach sehr gelungen Biographie über Hans Pfitzner.



    Johann Peter Vogel: Hans Pfitzner - Leben - Werke - Dokumente
    Atlantis Musikbuch-Verlag, 1999
    356 Seiten, mit zahlreichen s/w-Bildern und Notenbeispielen



    J. P. Vogel hat das schwierige Unternehmen, eine möglichst objektive Biographie über Hans Pfitzner zu schreiben mit diesem Buch überzeugend vollbracht. Er versucht ihn weder ausschließlich als "nationalen Kämpfer, letzten Romantiker, weltenthobenen "Palestrina" und freundlichen Mitmenschen" noch als "Querulant, Misanthrop, Reaktionär und Nazi" darzustellen, sondern ausgehend von detailliertem Studium aller Quellen ein verständnisvolles, differenziertes und auch kritisches Porträt Pfitzners zu entwerfen. Den üblichen Teilen - Zeittafel, Biographie, Werkverzeichnis... - fügt er einen sehr persönlichen Teil zu den "Aspekten der Musik Pfitzners" hinzu und analysiert darin einige Lieder, Pfitzners "Volkston", seinen Opernstil und einige Motive und Themen des Komponisten.
    Auch eines der vielleicht bedeutendsten Schriftstücke Pfitzners zum Thema Inspiration und Einfallsästhetik - das dritte Kapitel aus "Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz" - ist leicht gekürzt im Buch enthalten.
    Der Darstellung von Pfitzners höchst komplizierter Persönlichkeit wird im biographischen Teil sehr viel Raum gegeben. Besonders treffend scheinen dabei folgende Aussagen:
    S. 33: "Ich bin ein böser Kerl, und in meinen Adern fließt nicht gerade Limonade" (Selbstbeschreibung Pfitzners in Schrott, Hans Pfitzner S. 13)
    "Im übrigen ist er zum sich wohl fühlen wohl nicht geboren: ein schwieriger, wunder, zwiespältiger Mensch, glaube ich, der bei aller Liebe zum erlösenden "Intellekt" von der bösen Willenswelt seines zweiten "Palestrina"-Aktes ohne Zweifel viel in sich trägt:" (Thomas Mann an Bruno Walter vom 24.6. 1917)
    S. 37: "Ich habe von jeher das Phänomen an mir wahrgenommen, dass ich mich immer mehr auf eine Sache gefreut habe, als diese Sache genossen; was vorher in der Phantasie herrlich war [...] brachte Enttäuschungen..." (Pfitzner über seine Realitätsferne)


    Unzählige weitere Zitate und erzählte Begebenheiten steuern zu einem aussagekräftigen Bild des Menschen Hans Pfitzners bei. Besonders prägend, so wird er zitiert, sei für Pfitzner das Bild des "aufgespießten Schmetterlings, der über Nacht noch Eier legt" gewesen.
    Auch auf sein vielgestaltiges Werk - nicht nur auf Palestrina - wird ausführlich eingegangen.


    Ich kann und soll hier nicht das ganze Buch zitieren - ich tat es nur bei für mich besonders vielsagenden Stellen. Auf alle Fälle kann ich dieses umfangreiche Buch jedem Freund von Pfitzners Musik und Werk, von schwierigen Persönlichkeiten und interessanten Lebensbeschreibungen sehr empfehlen.



    Liebe Grüße,
    Gerald

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

    4 Mal editiert, zuletzt von Gerald ()


  • Gerald,


    finde ich eine klasse Idee, so lerne ich mal endlich etwas über einen Menschen, über den ich bisher eigentlich nur etwas gehört, aber von dem ich noch nichts gehört oder gelesen habe. Mein Onkel sagte, als ich klein war, gelegentlich, daß wir mit ihm verwandt seien (Pfitzner, Pfützner), so war mein Interesse immer vorhanden, bisher aber noch nicht so groß, daß ich mich selbst auf die Suche begeben hätte!


    Ich freue mich über weitere erhellende Information von Dir und melde somit mein Interesse an!


    Matthias

  • Ein interessantes Thema, das einigen Sprengstoff enthalten dürfte.


    Hierzu vielleicht zwei Zitate aus einem Artikel, den Jens Malte Fischer am 5. Januar 2002 in der Neue Zürcher Zeitung unter dem Titel "Hans Pfitzner und die Zeitgeschichte, Ein Künstler zwischen Verbitterung und Antisemitismus" veröffentlichte:


    Zitat

    An Pfitzner schieden und scheiden sich die Geister. Wer ihn für einen bedeutenden Komponisten hält (und das taten und tun mit guten Gründen beispielsweise Bruno Walter und Thomas Mann, Alban Berg, Hans Zender und Wolfgang Rihm), der muss damit zurechtkommen, dass dieser grosse Musiker ein Mensch von schwierigster und unerfreulichster Charakterstruktur war, mit Ansichten, die kein vernünftiger Mensch akzeptieren kann, und politisch verblendet in einem Mass, das die sozusagen normale Egomanie und den normalen Opportunismus eines Künstlers erheblich überstieg (hier liegt der entscheidende Unterschied zu Richard Strauss und die Gemeinsamkeit mit Richard Wagner). Thomas Mann war von Pfitzner so enttäuscht, dass er den freundschaftlichen Kontakt für immer abbrach und sich nie mehr öffentlich über Pfitzner äusserte, ohne allerdings seine Begeisterung für «Palestrina» nachträglich zu verleugnen. Bruno Walter, milder gestimmt als Mann, nahm den Briefwechsel mit Pfitzner, den er nach 1945 kurz geführt hatte, nicht wieder auf, nachdem dieser sich als unverbesserlich entblösst hatte. Dennoch schrieb er nach Pfitzners Tod an den Verleger Max Brockhaus: «Denn was mir Pfitzners Werk war und was auch meine persönliche Beziehung zu ihm in meinem Leben bedeutet hat, ist Ihnen wohlbekannt. Und ebenso können Sie ermessen, dass die Schwierigkeiten im persönlichen Verkehr mit ihm, die sich zu einem nicht mehr erträglichen Grade während der kurzen Zeit der Nachkriegskorrespondenz zwischen uns gesteigert hatten, mich tief betrüben. Haben wir nicht in seinem Wesen die seltsamste Mischung von wahrer Grösse und Intoleranz, die vielleicht je das Leben eines Musikers von solcher Bedeutung problematisch gemacht hat?»


    Ein Beispiel (demselben Artikel entnommen) gefällig?


    Zitat

    An seinen jüdischen Freund Paul Nikolaus Cossmann schreibt er in einem Brief 1898 aus Berlin: «Vielleicht ist das die richtige Stelle, an der ich erwähnen kann, dass ich mich hier in Berlin ganz besonders als Antisemit ausgebildet habe; man hat hier die Gefahr und die Macht so nahe vor Augen.» Und er fügt in erschreckender Selbsterkenntnis hinzu: «Es ist schon beinahe krankhaft bei mir.»


    Zum gesamten Artikel geht es hier:


    http://www.rodoni.ch/busoni/re…03/files/pfitznernzz.html


    Loge

  • Heute möchte ich dem kleinen Publikum einen Aufsatz von Walter Abendroth aus dem Jahre 1952 (aus dem Buch: „Vier Meister der Musik: Bruckner, Mahler, Reger, Pfitzner“, Prestel Verlag München) vorstellen. „Das Reich des Unbewussten“ – so betitelt der Autor seine Abhandlung, die besonders als frühe Pfitzner-Rezeption der Nachkriegszeit interessant ist (Pfitzner verstarb 1949). Ich nenne, der besseren Lesbarkeit willen nur Zitate aus anderen Büchern und Quellen. Ansonsten entstammt der sämtliche Inhalt diesem Aufsatzes – teils frei ergänzt, wörtlich übernommen und stark gekürzt.


    Bei Hans Pfitzner ist es das „Reich des Unbewussten“, das er selbst als den „Schoß der Inspiration“ bezeichnet. Der Mensch und Künstler Pfitzner war diesem auf eine ganz besondere Art erkenntnismäßig wie schöpferisch verbunden. Die Religion jedoch schien Pfitzner dieses „dunkle Reich“ nur einzuengen, da sie durch willkürliche Begriffsbestimmungen der letzten Wahrheit vorzugreifen versuche.


    Dem kritischen Denker Pfitzner war hingegen die Philosophie Schopenhauers eine Art Ersatzreligion. Die Aussagen des Philosophen in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ beeinflussten den Komponisten entscheidend – Gedanken wie die Einsicht, dass „die Kunst, das Werk des Genius“ sei, die „jenes außer und unabhängig von aller Relation stehende, allein eigentlich wesentliche der Welt, den wahren Gehalt ihrer Erscheinungen, das keinem Wechsel unterworfene und daher für alle Zeiten mit gleicher Wahrheit erkannte, mit einem Wort, die Ideen“ betrachte und das Genie „sein Interesse, sein Wollen, seine Zwecke ganz aus den Augen [...] lassen“ kann, „um als rein kennendes Subjekt, klares Weltauge übrig zu bleiben“ kamen Pfitzner in seiner Weltanschauung sehr entgegen.


    Hans Pfitzner konnte deswegen, ähnlich wie Gustav Mahler, das einseitige musikalische Handwerk nicht befriedigen. Für ihn galt das Handwerk nur als selbstständige Voraussetzung: als Mittel, nicht als Aufgabe. Obwohl die Musik sein ganzes Leben erfüllte, erkannte er, dass das „Menschliche“ nicht mit dem „Musikalischen“, überhaupt dem Künstlerischen erschöpft und erfüllt sein könnte. So meinte er es mit dem Spruch: „Das Höchste in der Kunst – vor Gott besagt’s nicht viel. Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel.“ Das war ein völlig anderer Zugang zur Musik als jener Bruckners, der sein „Te Deum“ bekanntlich vor Gottes Richterstuhl bringen wollte, und seine 9. Sinfonie „dem lieben Gott“ gewidmet hatte.
    Pfitzner war kein „Vielschreiber“ im Sinne täglicher Handwerks-Übung. Er wollte nur das Höchste, dessen er sich fähig wusste, zu Papier bringen. In uninspirierten Stunden pflegte er lieber das praktische Musizieren, Philosophie und Literatur. All das tat Pfitzner stets sehr angespannt, intensiv, sensibel. Untätigkeit und geistige Ruhe waren ihm fremd. Auch kann seine Musik nie als „Salonmusik“ oder bloße Unterhaltung gehört werden. Ihre Dichte erfordert besondere Aufmerksamkeit, erschöpft auch manchmal. Diese Umstände haben sicherlich die breitere Aufnahme seiner Werke eher gehindert, sind aber wesentlich für Pfitzners Eigenart.


    Die Vielseitigkeit seines geistigen Lebens konnte ihn jedoch nicht dazu verführen, die musikalischen Experimente seiner Zeit zu unterstützen: Programmmusik war ihm zuwider (er hielt auch nichts von der Musik Listzt’s), Form und Inhalt waren ihm selbstverständlich und so lehnte er theoretische Überlegungen, welche den Inhalt gegen die Form ausspielen wollten, auch jede „aharmonische“, also atonale Musik ab. Vielmehr griff Pfitzner auf seine musikalischen Leitsterne – Schumann und Wagner – und auch auf Weber und Brahms zurück.
    Zu Wagner hatte Hans Pfitzner stets eine besondere Beziehung. Einerseits war er fasziniert vom dramatischen Dichter und musikalischen Verzauberer und Wagners Einsatz für das Musikdrama. Andererseits lehnte er den Spätstil des „Ring der Nibelungen“ eher ab: 1942 sieht Pfitzner in der untermalenden Motiv-Sinfonik „den Einbruch und das Überwuchern der malenden Unmusik der Oper.“ Wagner versuchte, mittels der Leitmotive Gedanken auszutauschen, Sinn zu geben. Damit wird die Musik nach Pfitzners Meinung allerdings begrifflich überladen und überfordert.
    Die Zentralgeschichte der ganzen Musikgeschichte aber war für Pfitzner Ludwig van Beethoven: er galt ihm als der reine Idealist, der Mann mit dem großen Herzen und dem unbändigen Freiheitsdrang, der die Musik zum Sprachorgan des hochgestimmten menschlichen Individuums erhoben hatte. Alles Frühere – auch Haydn und Mozart – war mehr oder weniger Vorbereitung auf dieses Ereignis gewesen. Diese Anschauung war nun genau jene der Romantiker, aus der auch Wagner seine sehr subjektiven Folgerungen der Musikentwicklung zog. Im Gegensatz zu diesem verkannte Pfitzner jedoch nie den Wert „absoluter“ Musik, sondern gab vom ersten Musikdrama („Der arme Heinrich“) an - unbewusst - den einzelnen Szenen den Rang nahezu auch „absolut“ gültiger musikalischer Gebilde. Seine Szenen sind geschlossener, als Wagner es für erstrebenswert gehalten hatte.


    Was ist nun aber das Typische seiner persönlichen Kunstmittel? Nachdem Pfitzner der Einfall als das Höchste galt, konnte er die überlieferte Formen seinen unterschiedlichsten Gedanken gemäß wesentlich verändern, selbst die Sonatenform grundsätzlich variabel machen. Der Einfall, das Gnadengeschenk der Inspiration, konnte ohne weiteres aus sich eine logische, verständliche Form finden, die aber, gleichsam einem „Naturgesetz“ folgend, stets die überlieferten musikalischen Formen als solche erhielt. Es verdient auch bemerkt zu werden, dass Pfitzner nie „mit der Form gerungen“ hat. Sobald ihm der Einfall gegeben war, vollzog sich die kompositorische Arbeit in geradliniger, anscheinend müheloser Art. Das heißt allerdings nicht, dass Pfitzner jeden „Einfall“ immer in seiner ersten Art kritiklos gutgeheißen hätte. Vielmehr besaß auch er seine Skizzenbücher, in denen die Spuren des Feilens an solchem Einfallsgut bis zur idealen Form zu finden sind.
    Entsprechend der Vielfältigkeit und Verschiedenheit der Einfälle ergibt sich auch eine große Breite der Pfitzner’schen Formenprägung. Man wird bei seinen Werken niemals zwei finden, die den selben Formverlauf zeigen: Die Form als ein lebendiges Wesen, das niemals bloßes Schema oder Schablone ist.
    Wie es also keine pauschal gültige Form Pfitzners gibt, so gibt es auch keinen spezifischen Typus seiner Themen, nicht einmal einen bemerkbaren thematischen Charakter. Die einzige zutreffende Beschreibung wäre, dass die Themen fast stets weitatmig, „groß“ und von ausgesprochener melodischer Qualität sind. Dies erwächst wieder der Größe der Einfälle.
    Pfitzners Harmonik sind zumindest einige Züge eigen, die es wert sind, kurz erwähnt zu werden. Einerseits „schaute er sich zusammen“, was bei Wagner und Brahms erst getrennte Wege gegangen war. Stärke als diese beiden Meister trennte er jedoch wieder Diatonik und Chromatik. Seine Harmonik hat immer ein tonales Zentrum, entfernt sich aber oft meilenweit davon und moduliert in die entferntesten Tonarten. Dabei vermeidet Pfitzner meist kadenzierende Passagen, so dass seine Harmonik keinen „Sog“ entwickelt, sondern eher als „schwebend“ bezeichnet werden kann. Auch der originelle Gebrauch der herben Kirchentonarten ist bei ihm oft anzutreffen (z.B. im Vorspiel zum 1. Akt des „Palestrina“). Besonders durch seine Harmonik war Pfitzners Musik lange fortschrittsweisend – nicht umsonst galt ihm die Wertschätzung u.a. Alban Bergs. Trotzdem ist nie ein suchendes Experiment, wie jene vieler seiner Zeitgenossen, sondern stets ein vollwertiges Beispiel des neuen Stils.
    In der Instrumentation bevorzugt Pfitzner einen durchsichtigen, transparenten Orchesterklang mit breitem koloristischen Ausdruck. Klangmassen wie jene Richard Strauß’ sind nur selten bei ihm anzutreffen. Auch eine gewisse Mäßigung bei der Verwendung des Schlagzeugs ist zu bemerken. Wie überall gilt ihm auch hier das „Gebot der ästhetischen Ausgewogenheit“.


    Obwohl sich Pfitzner zeitlebens zur schöpferischen Vielseitigkeit bekannt hat, betrachtete er doch die Bühnenwerke als sein künstlerisches Hauptanliegen. Diese sind auch stofflich eng mit dem Reich des Unbewussten liiert. Es sind stets mythische Dramen, in denen es um Selbstüberwindung, innere Wandlung und Erlösung geht. Dies sind scheinbar die selben Themen, wie in den Musikdramen Richard Wagners, doch Pfitzner erschloss neue, tiefere Schichten der menschlichen Seele: Es ist nicht mehr die erotische Liebe zwischen Mann und Frau, die eigentlich in jeder seiner Opern fehlt, sondern eine höhere, geistige Zusammengehörigkeit.


    Um näher auf die einzelnen Werke Pfitzners einzugehen, wie Walter Abendroth es tat, fehlt hier der Platz. Ich werde es auch nicht tun, außer es besteht ausdrücklich der Wunsch danach. Zu bemerken ist nur, dass eine „Entwicklung“ von Werk zu Werk nicht festzustellen ist. Vielmehr gilt, dass in jedem Drama sich neue Möglichkeiten und Notwendigkeiten ergeben, den Stoff musikalisch umzusetzen. Im „Armen Heinrich“ herrscht der Ausdruck des Leidens, der Düsterheit, der Strenge und Schicksalhaftigkeit. Die Musik der „Rose vom Liebesgarten“ ist vom ersten bis zum letzten Takt durchtränkt von romantischer, echter, unsentimentaler Naturseligkeit. Der Stil der „Christelflein“-Musik ist grazil, beweglich, spritzig, menschlich.
    Die Klangwelt des „Palestrina“ scheint linear, asketisch, unsinnlich und herb, ist aber durchaus nicht nur für den Intellekt, sondern auch für das genussfreudige Ohr geschrieben. Über der „Herz“-Musik liegt der faszinierende Schimmer der Spätreife. Alle Schönheiten sind hier von zarter Verhaltenheit und schlichter Formulierung, daneben herrscht aber auch Dämonie und Magie.


    Von den Chorwerken Pfitzners sollen nur die beiden Hauptwerke erwähnt sein. Das größte und genialste dieser Gattung in seinem Schaffen ist sicher die „romantische“ Kantate „Von deutscher Seele“ nach Sprüchen und Gedichten von Pfitzners bevorzugtem Dichter Eichendorff. Das abendfüllende Werk für Chor, Soli, Orchester und Orgel ist das gewichtige Gegenstück zur Bühnenlegende „Palestrina“. Die Kantate gliedert sich in drei Abschnitte: „Mensch und Natur“, „Leben und Singen“ und „Liederteil“. Wieder sind die Ausdruckswerte, Formen und Farben der Musik höchst unterschiedlich.
    Die schwermütige Chorphantasie „Das dunkle Reich“ ist eigentlich ein spätes Requiem für Pfitzners 1926 verstorbene Frau Mimi. Das „Reich“ ist aber auch eine Provinz des „Reiches des Unbewussten“ (oder umgekehrt?), es ist das Reich des Todes und der Toten.


    Pfitzners Liedschaffen ist sehr umfangreich (über 100 Lieder) und bedeutend. Es gehört in die Reiher der großen lyrischen Vermächtnisse von Schubert, Schumann, Brahms und Wolf. Wie jeder dieser Meister hat auch Pfitzner seinen eigenen, persönlichen Klang, ohne dass man ihn auf einen bestimmten Stil festlegen könnte. Immer ist es aber die dem Vers abgelauschte Stimmung – nicht „Stimmungsmache“ (dies warf Pfitzner dem Werk Hugo Wolfs vor), die den musikalisches Verlauf bestimmt.


    Was Pfitzner an Kammermusik und Orchesterwerken geschrieben hat, ist zahlenmäßig nicht viel, was sicher auch ein erschwerender Umstand für die Popularisierung seiner Werke ist. Einige Werke sollen beispielhaft erwähnt werden: die Cellosonate fis-Moll op. 1, das Klaviertrio F-Dur op. 8, das Klavierquintett C-Dur op. 23, das geniale Streichquartett cis-Moll op. 36 und schließlich ein Spätwerk, das Sextett für Klavier, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Klarinette op. 55; an Orchestermusik verdienen die drei Cello-Konzerte, das Klavierkonzert Es-Dur op. 31, das Violinkonzert h-Moll op. 34, sowie die 3 Sinfonien – op. 36a (nach dem Streichquartett op. 36), op. 44 in G-Dur (die „Kleine Sinfonie“) und op. 46 in C-Dur besondere Beachtung.


    Pfitzners einst mutige Überzeugung der Inspiration hat heute wieder mehr Anhänger gefunden als zu seiner Zeit. Er hat den Orientierungspunkte des Dauernden, Bleibenden, Wertbeständigen nie aus den Augen verloren. Der aber liegt – für menschliche Organe – im Reiche des Unbewussten.


    Liebe Grüße,
    Gerald

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

    Einmal editiert, zuletzt von Gerald ()

  • Zitat

    Er hat den Orientierungspunkte des Dauernden, Bleibenden, Wertbeständigen nie aus den Augen verloren. Der aber liegt – für menschliche Organe – im Reiche des Unbewussten.


    Ich bitte um Aufklärung, was in meinen Organen an unbewußtem Orientierungspunkte,äh, unbewußten Orientierungspunkten, liegt.


    Mir fällt da jetzt nur Sch.... ein. :stumm:

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  • "In" den Organen hab ich ja nie geschrieben...
    ...die Inspiration - das Göttliche, Transzendente, Überirdische (wie immer du es nennen magst) - liegt für die menschlichen Organe aber außerhalb des bewusst Greifbaren...also im quasi Religiösen, wie es Pfitzner auch im "Palestrina" beschreibt...

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

  • Wie soll ich nun reagieren?


    a) :angry:


    b) :motz:


    c) :no:


    d) :beatnik:


    Wohl am Besten so: :D



    Wie gut, dass ich kein orthodoxer Pfitzst, sondern katholischer Christ bin...


    Gerald

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

  • Wenn es eines gibt, was mich tatsächlich zu a) oder b) verleitet, dann Ignoranz...also MUSS ich reagieren...
    :yes:



    Zitat

    Zitat:
    Wie gut, dass ich kein orthodoxer Pfitzst, sondern katholischer Christ bin...


    Warum?


    Weil es mir eigentlich ziemlich egal ist, ob man diese Musik und mein Geschreibsel darüber ernst nimmt oder nicht...weil ich durchaus spitzzüngige Kommentare darüber vertrage... und deiner Empfehlung, statt Pfitzner doch Korngold zu hören, zumindest teilweise bereits nachgekommen bin...


    Gerald

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

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  • Hallo Gerald,

    Zitat

    Weil es mir eigentlich ziemlich egal ist, ob man diese Musik und mein Geschreibsel darüber ernst nimmt oder nicht...weil ich durchaus spitzzüngige Kommentare darüber vertrage... und deiner Empfehlung, statt Pfitzner doch Korngold zu hören, zumindest teilweise bereits nachgekommen bin...


    Wunderbar......... :yes:


    Mir geht das ähnlich andersherum, denn ich schätze Pfitzners Musik durchaus, bin ein sehr großer Liebhaber seines Klavierkonzertes schon seit 30 Jahren( hast Du mal die Gieseking-Aufnahme gehört? Wahnsinn! ) und habe das eine oder andere -z.B. sein Sextett(ein Meisterwerk m.M. nach) öffentlich aufgeführt.


    Übrigens kurios und ich bitte den Angebermodus zu entschuldigen:
    Vor einiger Zeit fragte mich und meine Pianistin-Noriko Kitano- Paul Badura Skoda, ob wir nicht Interesse hätten, die Cellosonate von Pfitzner aufzunehmen.


    Tatsächlich habe ich die Noten und immer damit geliebäugelt, dieses Werk aufzuführen, aber mir war dann doch die Delius-Sonate für unsere Aufnahme wesentlich wichtiger.


    Aber daß Badura Skoda ein Pfitzner-Fan ist, war mir völlig unbekannt und hat mich sehr gewundert.


    :angel:
    Michael


    P.S.

    Zitat

    Wenn es eines gibt, was mich tatsächlich zu a) oder b) verleitet, dann Ignoranz...also MUSS ich reagieren...


    Das mit der Ignoranz würde ich mir an Deiner Stelle nochmal überlegen.
    :beatnik: