Inhalt oder Form? Wie wichtig ist historisch "passendes" Dekor in Musiktheaterinszenierungen?

  • Lieber Peter und lieber Medard, wenn immer wieder solche zusammenfassenden Basic-Stationen in einer solch theorielastigen Diskussionen auftauchen, ist das für mich eine sehr grosse Hilfe und Motivationsschub. :jubel: Kurz, überscihtlich und knackig wie der letzte Post hier. so dass ich ohne mich durch 5 Seiten zu wühlen, weiss:so ist der Stand und so ist das Ziel.
    Ich appelliere da an euren pädagisosichen Eros, der ja in hohem Masse vorhanden ist. Ich lese gerne auch Komplexes, aber oft fehlt mir der Konzentrationsraum über Tag beim "Ins Forum schauen" dazu.
    Dann muss ich zwangsläugfig nach dem "Lustprinizip und Weg des geringsten Widerstands" selektieren. Solche Zusammenfassungen halten mich dann wieder bei Kurs;
    Merci!
    F.Q.

  • Lieber Rideamus,


    Zitat

    Zitat: Warum zum Beispiel hat noch niemand auf den sehr interessanten Einwurf von Petra und Hoffmanns Zeitreise reagiert? Sowas entgeht einem ja leider, wenn man aus dem Thread aussteigt.


    erst mal danke :) !


    Ich fürchte, ich bin mit diesem Einwurf zum falschen Zeitpunkt eingestiegen. Ich hatte versucht, Peters Ansätze zu Anfang des threads mit einer konkreten Erfahrung zusammen zu bringen.


    Ich bin allerdings in solchen Sachen recht langsam, weil ich mir viele theoretische Grundlagen auch erst erarbeiten bzw. wieder vergegenwärtigen muss, und so geriet ich als "Nachzügler" in die theoretische Ästhetik-Debatte, die mich einerseits auch sehr interessiert, die ich aber im Moment aus zeitlichen Gründen nur sporadisch verfolgen kann und wahrscheinlich in einem ruhigen Moment mal wieder nachvollziehen muss.


    Lieber Paul,


    Deine Einwände habe ich auch gelesen, und etwas davon habe ich versucht, in den "Hoffmann" mit einzubringen, weil bei mir auch oft das, was ein Regisseur machen kann und was mich vielleicht für einen Deutungsansatz sogar weiterbringt, dem ästhetischen Vergnügen arg zuwiederläuft und ich mich dann frage, ob es gemacht werden muss, oder ob man dieselbe Aussage nicht auch anders verpacken könnte.


    :hello: Petra

  • Lieber Peter, lieber Paul,
    jetzt diskutiere ich doch wieder weiter... :rolleyes:




    Eben: was ist »historisch verantwortet«? Die historische Verantwortetheit einer Regiearbeit läßt sich definitiv nicht an den verwendeten Kostümen und Kulissen (am Dekor also) ablesen.


    Zitat

    Es ist nicht unbedingt notwendig (stört mich ehrlich gesagt auch), aber im Land der Kunst sind wir frei - und zur Freiheit gehört auch die Darstellung brutaler Gewalt. Es ist die Wirklichkeit, in der wir leben - der eine mag vor dieser Wirklichkeit in die Kunst fliehen, der andere wünscht von der Kunst, dass sie eben diese Wirklichkeit Ernst nimmt.


    Die Frage läßt sich IMO nicht allgemein beantworten. Oder vielleicht doch: es ist selbstverständlich nicht »unbedingt notwendig«, aber unbedingt legitim, wenn es im Regiekonzept jeweils Sinn macht - vorausgesetzt, das Regiekonzept ist aus einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem »Werk« entstanden und versucht eine Deutung, die aus dieser Auseinandersetzung mit dem »Werk« entwickelt ist.


    Zitat

    In Deutschland ist die "schweigende Mehrheit" kein so geschickter Begriff, denn er wurde (nicht zuletzt im 3. Reich) missbraucht, um Minderheiten zu unterdrücken oder gar zu liquidieren. Die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Kunst (die auch mit den zitierten Erfahrungen zu tun hat) lässt zu, dass im Namen der Kunst Mehr- oder Minderheiten mehr oder minder geschockt werden.


    Ja, mit der »schweigenden Masse« habe ich so meine Probleme. Die »schweigende Masse« läßt sich ja immer schön für alles und jeden ins Feld führen, weil sie sich eben nicht artikuliert - somit ist sie immer Partei für den, der sie herbeizitiert. Vielleicht gibt es sie auch gar nicht - zumindest können wir nicht wissen, was sie will und daher ist es recht schwer, ihre Präferenzen zu berücksichtigen - so oder so.


    Zitat

    Dem Komponist soll alle Ehre gebühren, die ihm zusteht. Das wird Dir auch der Regisseur, der Dich schockt, schlüssig - wenn auch Dich nicht überzeugend - erklären, dass er eben dadurch dem Komponisten das gibt, was ihm seiner Meinung nach gebührt.


    Wie Du in diesem Forum sehen kannst, gibt es Leute, die einen engen, manchmal zu engen, Begriff von den Grenzen des Werks und seiner Umsetzung haben und Leute, die einen weiten, manchmal zu weiten, Begriff davon haben. Man kann, ich meine, man muss mit beiden leben.


    LG Peter


    Hier bleibt mir nichts, was ich Peters Ausführungen hinzufügen könnte... ;)


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Eben: was ist »historisch verantwortet«? Die historische Verantwortetheit einer Regiearbeit läßt sich nicht an den verwendeten Kostümen und Kulissen ablesen.


    Lieber Medard,


    eigentlich müsste man "historisch verantwortet" sogar so verstehen, dass man die Aufführung vor einer Rezeptionsgeschichte verantwortet. Ein Stück etwa, das zur Rechtfertigung von Barbarei benutzt wurde (Rideamus hat das ganz schön an der Rezeptionsgeschichte von "Land des Lächelns" gezeigt) - und sei es nur, dass es den Blick von der Barbarei wegwandte - sollte sich eben auch seinem Missbrauch stellen. Das wäre doch schon mal ein hinlänglicher Grund, warum der Lehar-Verehrer Hitler auftritt.


    Dagegen spräche wieder, dass eine solche "Didaktik" inzwischen ihre Beweiskraft durch häufigen Missbrauch eben dieser Art von Didaktik verloren hat und kontraproduktiv ist - und schon merken wir: historisch verantwortet heißt, der Geschichte unserer Jetztzeit verantwortet.



    Zitat

    es ist [...] legitim, wenn es im Regiekonzept jeweils Sinn macht - vorausgesetzt, das Regiekonzept ist aus einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem »Werk« entstanden und versucht eine Deutung, die aus dem »Werk« entwickelt ist.


    Du setzt Werk mit Recht in Anführungsstriche, aber dieses Fass wollen (noch) nicht aufmachen, oder? Ansonsten: Ja! Ich verlange ein konsistentes Regiekonzept, das schuldet der Regisseur einem konsistentem Werk gegenüber - und kein unstrukturiertes Allerlei, das sich mit den Bruchstücken der Tradition schmückt.


    Liebe Grüße Peter