Lieblingspassagen aus literarischen Werken

  • Fab. Aesop. 205. Phaedrus lib. I. Fab. 13


    Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtner für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in seinen Klauen fort.


    Und eben wollte er es auf einer alten Eiche verzehren, als sich ein Fuchs herbei schlich, und ihm zurief: Sei mir gesegnet, Vogel des Jupiters! – Für wen siehst du mich an? fragte der Rabe. – Für wen ich dich ansehe? erwiderte der Fuchs. Bist du nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechte des Zeus auf diese Eiche herab kömmt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt?


    Der Rabe erstaunte, und freuete sich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, dachte er, den Fuchs aus diesem Irrtume nicht bringen. – Großmütig dumm ließ er ihm also seinen Raub herabfallen, und flog stolz davon.


    Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf, und fraß es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu wirken, und er verreckte.


    Möchtet ihr euch nie etwas anders als Gift erloben, verdammte Schmeichler!




    Liebe Grüße Peter

  • O Äskulape, zürnt nicht, wenn mein Glauben an eure Kunst zu wanken beginnt, wenn ein unglücklicher Aktienspieler über die Mäkler in Change-Alley schmält! Oft helft ihr unstreitig, wenn uns ein wütendes Fieber ergreift, wenn die Natur nur bestürmt, nicht zerrüttet ist; ihr dämpft den Aufruhr; ja ihr rettet zuweilen, wenn die Flamme durch alle Stockwerke lodert - wenn das Gebäude nur noch fest ist. Aber wenn der Grund wegsinkt, wenn die Fäulnis tief in den Hauptständen sitzt, wenn ein chronisches Übel an unserer Lebenskraft nagt, hilft alsdann Hygiea dem Elenden noch? Gibt es eine Wissenschaft, die unterliegende Natur aufzurichten? Oder, wenn ihr Funken noch glimmt, wenn sie noch strebt, ist es weise, sie durch Arzneien zu ermüden? in ihrem Gange zu verwirren? Und wer wählt unter der zahllosen Menge von Mitteln, die oft nur die Mode des Tages in Schutz nimmt? Von der Transfusion bis zu den Pommes[1]-Brühen, welche Reihe von Pflanzen, Salzen, Gummi, Metallen und Giften? Teerwasser, Schierling, Harzrauch und Eicheln, Guajak und Pommeranzenblätter, Käfer, Würmer und Belladonna, Vipernsuppen und Eselsmilch, alle haben ihren Ruf überlebt; die Quassia ringt mit der China und man fängt an vom Quecksilber übel zu sprechen; Dominicetti fumigiert alle Zufälle weg,; jener lockt funkenweise Krankheiten ab oder zieht sie durch Magnete wie Eisenstaub an; K. hilft durch die vim centrifugam, und P. heilt durch Beischlaf das Podagra. Wehe dir Kranken, wenn du in die Hände eines Amateurs fällst, der dich wie einen Apparatus betrachtet, um an der Veränderung deiner Farbe, deinem Puls, deinem Schweiß, deinen Zuckungen die unterhaltende Wirkung seiner Versuche zu beobachten! Wenn in einem deiner Haarröhrchen eine Stockung entsteht, so verordnet man dir auflösende Mittel. Diese sollen, im Magen mit fremden Säften vermischt, hundertfältig verändert, in tausende Kanäle verteilt, mit einem Tausendteilchen an dem kranken Ort noch mächtig genug sein, um die Verstopfung aufzulösen? Und wer ist dir Bürge, dass ein allzu starkes Resolvens auf dem Wege zum Übel nicht ein größeres Unheil anrichtet? Könnt ihr irgend einen wirkenden Balsam zu einer innern Wunde bringen? Nerven beruhigen, die lang zum Krampf gewöhnt sind? ihre Federkraft herstellen? Oder muss sich der Elende mit dem Araber trösten, der, in seinem Harem isoliert, umsonst von Niebuhrs Reisegefährten nur noch die Freuden einer Nacht kaufen wollte?


    [1] Pommes, ein Arzt in Paris, der vor acht Jahren alle Krankheiten mit Hühnerbrühe heilte.



    Liebe Grüße Peter

  • Von Berger und Zimmermann, Wohltäter der Menschheit, wenn euch einst Muße am Abend eurer Tage erwartet, so schreibt ein Buch, das noch nicht geschrieben ist, von gewisser Erfahrung. Ihr beobachtet mit hippokratischem Geist, ihr denkt großmütig und edel, ihr verachtet die Systemsucht und forschet nach Wahrheit, denn euer Herz ist empfindlich. Gesteht der Welt die Lücken eurer Wissenschaft und krönt dadurch euer segensreiches Leben; beschreibt heilbare Krankheiten durch untrügliche Zeichen; nennt zuverlässige Mittel und in zweifelhaften Fällen ruft den Trostbegierigen zu, sich in die Arme der liebreichen Natur zu werfen, die öfter hilft als die Kunst und gewiss seltener verdirbt. Euer Buch wird nicht groß sein - ein berühmter englischer Arzt versprach, die ganze gegründete Arzneikunst auf einem Bogen zu hinterlassen. Es sei euer Kodex, zukünftige Ärzte; und wenn es nicht geschrieben wird, so rat ich euch, was Sydenham Blackmoren riet: lest nie ein ander Buch, als den Don Quixote.



    Sturz' "Fragment" stammt aus dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts, meine Ausgabe gibt leider kein Entstehungsdatum an. Bei aller Zeitgebundenheit (von Berger und Zimmermann sind hochangesehene Ärzte ihrer Zeit) bietet es doch ein so breites Angebot von Therapien, die hier ironisch abgehandelt werden, dass man das Heute gut wieder finden kann.



    Liebe Grüße Peter

  • Der goldne Topf


    Ein Märchen aus der neuen Zeit


    Erste Vigilie


    Die Unglücksfälle des Studenten Anselmus. – Des Konrektors Paulmann Sanitätsknaster und die goldgrünen Schlangen.


    Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot, so daß alles, was der Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde, und die Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen. Auf das Zetergeschrei, das die Alte erhob, verließen die Gevatterinnen ihre Kuchen- und Branntweintische, umringten den jungen Menschen und schimpften mit pöbelhaftem Ungestüm auf ihn hinein, so daß er, vor Ärger und Scham verstummend, nur seinen kleinen, nicht eben besonders gefüllten Geldbeutel hinhielt, den die Alte begierig ergriff und schnell einsteckte. Nun öffnete sich der festgeschlossene Kreis, aber indem der junge Mensch hinausschoß, rief ihm die Alte nach: »Ja renne – renne nur zu, Satanskind – ins Kristall bald dein Fall – ins Kristall!« – Die gellende, krächzende Stimme des Weibes hatte etwas Entsetzliches, so daß die Spaziergänger verwundert stillstanden, und das Lachen, das sich erst verbreitet, mit einemmal verstummte. – Der Student Anselmus (niemand anders war der junge Mensch) fühlte sich, unerachtet er des Weibes sonderbare Worte durchaus nicht verstand, von einem unwillkürlichen Grausen ergriffen, und er beflügelte noch mehr seine Schritte, um sich den auf ihn gerichteten Blicken der neugierigen Menge zu entziehen. Wie er sich nun durch das Gewühl geputzter Menschen durcharbeitete, hörte er überall murmeln: »Der arme junge Mann – Ei! – über das verdammte Weib!« – Auf ganz Sonderbare Weise hatten die geheimnisvollen Worte der Alten dem lächerlichen Abenteuer eine gewisse tragische Wendung gegeben, so daß man dem vorhin ganz Unbemerkten jetzt teilnehmend nachsah. Die Frauenzimmer verziehen dem wohlgebildeten Gesichte, dessen Ausdruck die Glut des innern Grimms noch erhöhte, sowie dem kräftigen Wuchse des Jünglings alles Ungeschick sowie den ganz aus dem Gebiete aller Mode liegenden Anzug. Sein hechtgrauer Frack war nämlich so zugeschnitten, als habe der Schneider, der ihn gearbeitet, die moderne Form nur von Hörensagen gekannt, und das schwarzatlasne wohlgeschonte Unterkleid gab dem Ganzen einen gewissen magistermäßigen Stil, dem sich nun wieder Gang und Stellung durchaus nicht fügen wollte. – Als der Student schon beinahe das Ende der Allee erreicht, die nach dem Linkischen Bade führt, wollte ihm beinahe der Atem ausgehen. Er war genötigt, langsamer zu wandeln; aber kaum wagte er den Blick in die Höhe zu richten, denn noch immer sah er die Äpfel und Kuchen um sich tanzen, und jeder freundliche Blick dieses oder jenes Mädchens war ihm nur der Reflex des schadenfrohen Gelächters am Schwarzen Tor. So war er bis an den Eingang des Linkischen Bades gekommen; eine Reihe festlich gekleideter Menschen nach der andern zog herein. Musik von Blasinstrumenten ertönte von innen, und immer lauter und lauter wurde das Gewühl der lustigen Gäste. Die Tränen wären dem armen Studenten Anselmus beinahe in die Augen getreten, denn auch er hatte, da der Himmelfahrtstag immer ein besonderes Familienfest für ihn gewesen, an der Glückseligkeit des Linkischen Paradieses teilnehmen, ja er hatte es bis zu einer halben Portion Kaffee mit Rum und einer Bouteille Doppelbier treiben wollen und, um so recht schlampampen zu können, mehr Geld eingesteckt, als eigentlich erlaubt und tunlich war. Und nun hatte ihn der fatale Tritt in den Äpfelkorb um alles gebracht, was er bei sich getragen. An Kaffee, an Doppelbier, an Musik, an den Anblick der geputzten Mädchen – kurz! – an alle geträumten Genüsse war nicht zu denken; er schlich langsam vorbei und schlug endlich den Weg an der Elbe ein, der gerade ganz einsam war. Unter einem Holunderbaume, der aus der Mauer hervorgesprossen, fand er ein freundliches Rasenplätzchen; da setzte er sich hin und stopfte eine Pfeife von dem Sanitätsknaster, den ihm sein Freund, der Konrektor Paulmann, geschenkt. – Dicht vor ihm plätscherten und rauschten die goldgelben Wellen des schönen Elbstroms, hinter demselben streckte das herrliche Dresden kühn und stolz seine lichten Türme empor in den duftigen Himmelsgrund, der sich hinabsenkte auf die blumigen Wiesen und frisch grünenden Wälder, und aus tiefer Dämmerung gaben die zackichten Gebirge Kunde vom fernen Böhmerlande. Aber finster vor sich hinblickend, blies der Student Anselmus die Dampfwolken in die Luft, und sein Unmut wurde endlich laut, indem er sprach: »Wahr ist es doch, ich bin zu allem möglichen Kreuz und Elend geboren! – Daß ich niemals Bohnenkönig geworden, daß ich im Paar oder Unpaar immer falsch geraten, daß mein Butterbrot immer auf die fette Seite gefallen, von allem diesen Jammer will ich gar nicht reden; aber ist es nicht ein schreckliches Verhängnis, daß ich, als ich denn doch nun dem Satan zum Trotz Student geworden war, ein Kümmeltürke sein und bleiben mußte? – Ziehe ich wohl je einen neuen Rock an, ohne gleich das erstemal einen Talgfleck hineinzubringen oder mir an einem übel eingeschlagenen Nagel ein verwünschtes Loch hineinzureißen? Grüße ich wohl je einen Herrn Hofrat oder eine Dame, ohne den Hut weit von mir zu schleudern oder gar auf dem glatten Boden auszugleiten und schändlich umzustülpen? Hatte ich nicht schon in Halle jeden Markttag eine bestimmte Ausgabe von drei bis vier Groschen für zertretene Töpfe, weil mir der Teufel in den Kopf setzt, meinen Gang geradeaus zu nehmen wie die Laminge? Bin ich denn ein einziges Mal ins Kollegium oder wo man mich sonst hinbeschieden, zu rechter Zeit gekommen? Was half es, daß ich eine halbe Stunde vorher ausging und mich vor die Tür hinstellte, den Drücker in der Hand, denn sowie ich mit dem Glockenschlage aufdrücken wollte, goß mir der Satan ein Waschbecken über den Kopf oder ließ mich mit einem Heraustretenden zusammenrennen, daß ich in tausend Händel verwickelt wurde und darüber alles versäumte. – Ach! ach! wo seid ihr hin, ihr seligen Träume künftigen Glücks, wie ich stolz wähnte, ich könne es wohl hier noch bis zum geheimen Sekretär bringen! Aber hat mir mein Unstern nicht die besten Gönner verfeindet? – Ich weiß, daß der Geheime Rat, an den ich empfohlen bin, verschnittenes Haar nicht leiden mag; mit Mühe befestigt der Friseur einen kleinen Zopf an meinem Hinterhaupt, aber bei der ersten Verbeugung springt die unglückselige Schnur, und ein munterer Mops, der mich umschnüffelt, apportiert im Jubel das Zöpfchen dem Geheimen Rate. Ich springe erschrocken nach und stürze über den Tisch, an dem er frühstückend gearbeitet hat, so daß Tassen, Teller, Tintenfaß – Sandbüchse klirrend herabstürzen, und der Strom von Schokolade und Tinte sich über die eben geschriebene Relation ergießt. ›Herr, sind Sie des Teufels!‹ brüllt der erzürnte Geheime Rat und schiebt mich zur Tür hinaus. – Was hilft es, daß mir der Konrektor Paulmann Hoffnung zu einem Schreiberdienste gemacht hat, wird es denn mein Unstern zulassen, der mich überall verfolgt! – Nur noch heute! – Ich wollte den lieben Himmelfahrtstag recht in der Gemütlichkeit feiern, ich wollte ordentlich was daraufgehen lassen. Ich hätte ebensogut wie jeder andere Gast in Linkes Bade stolz rufen können: ›Markör – eine Flasche Doppelbier – aber vom besten bitte ich!‹ – Ich hätte bis spät abends sitzen können und noch dazu ganz nahe bei dieser oder jener Gesellschaft herrlich geputzter schöner Mädchen. Ich weiß es schon, der Mut wäre mir gekommen, ich wäre ein ganz anderer Mensch geworden; ja, ich hätte es so weit gebracht, daß wenn diese oder jene gefragt: ›Wie spät mag es wohl jetzt sein?‹ oder: ›Was ist denn das, was sie spielen?‹ da wäre ich mit leichtem Anstande aufgesprungen, ohne mein Glas umzuwerfen oder über die Bank zu stolpern; mich in gebeugter Stellung anderthalb Schritte vorwärtsbewegend, hätte ich gesagt: ›Erlauben Sie, Mademoiselle, Ihnen zu dienen, es ist die Ouvertüre aus dem Donauweibchen,‹ oder: ›Es wird gleich sechs Uhr schlagen.‹ – Hätte mir das ein Mensch in der Welt übel deuten können? – Nein! sage ich, die Mädchen hätten sich so schalkhaft lächelnd angesehen, wie es wohl zu geschehen pflegt, wenn ich mich ermutige, zu zeigen, daß ich mich auch wohl auf den leichten Weltton verstehe und mit Damen umzugehen weiß. Aber da führt mich der Satan in den verwünschten Apfelkorb, und nun muß ich in der Einsamkeit meinen Sanitätsknaster –« Hier wurde der Student Anselmus in seinem Selbstgespräche durch ein sonderbares Rieseln und Rascheln unterbrochen, das sich dicht neben ihm im Grase erhob, bald aber in die Zweige und Blätter des Holunderbaums hinaufglitt, der sich über seinem Haupte wölbte. Bald war es, als schüttle der Abendwind die Blätter, bald, als kos'ten Vögelein in den Zweigen, die kleinen Fittiche im mutwilligen Hin- und Herflattern rührend. – Da fing es an zu flüstern und zu lispeln, und es war, als ertönten die Blüten wie aufgehangene Kristallglöckchen. Anselmus horchte und horchte. Da wurde, er wußte selbst nicht wie, das Gelispel und Geflüster und Geklingel zu leisen halbverwehten Worten:


    »Zwischendurch – zwischenein – zwischen Zweigen, zwischen schwellenden Blüten, schwingen, schlängeln, schlingen wir uns – Schwesterlein – Schwesterlein, schwinge dich im Schimmer – schnell, schnell herauf – herab – Abendsonne schießt Strahlen, zischelt der Abendwind – raschelt der Tau – Blüten singen – rühren wir Zünglein, singen wir mit Blüten und Zweigen – Sterne bald glänzen – müssen herab – zwischendurch, zwischenein schlängeln, schlingen, schwingen wir uns Schwesterlein.« –


    So ging es fort in Sinne verwirrender Rede. Der Student Anselmus dachte: »Das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert.« – Aber in dem Augenblick ertönte es über seinem Haupte wie ein Dreiklang heller Kristallglocken; er schaute hinauf und erblickte drei in grünem Gold erglänzende Schlänglein, die sich um die Zweige gewickelt hatten und die Köpfchen der Abendsonne entgegenstreckten. Da flüsterte und lispelte es von neuem in jenen Worten, und die Schlänglein schlüpften und kos'ten auf und nieder durch die Blätter und Zweige, und wie sie sich so schnell rührten, da war es, als streue der Holunderbusch tausend funkelnde Smaragde durch seine dunklen Blätter. »Das ist die Abendsonne, die so in dem Holunderbusch spielt«, dachte der Student Anselmus, aber da ertönten die Glocken wieder, und Anselmus sah, wie eine Schlange ihr Köpfchen nach ihm herabstreckte. Durch alle Glieder fuhr es ihm wie ein elektrischer Schlag, er erbebte im Innersten – er starrte hinauf, und ein paar herrliche dunkelblaue Augen blickten ihn an mit unaussprechlicher Sehnsucht, so daß ein nie gekanntes Gefühl der höchsten Seligkeit und des tiefsten Schmerzes seine Brust zersprengen wollte. Und wie er voll heißen Verlangens immer in die holdseligen Augen schaute, da ertönten stärker in lieblichen Akkorden die Kristallglocken, und die funkelnden Smaragde fielen auf ihn herab und umspannen ihn, in tausend Flämmchen um ihn herflackernd und spielend mit schimmernden Goldfaden. Der Holunderbusch rührte sich und sprach: »Du lagst in meinem Schatten, mein Duft umfloß dich, aber du verstandest mich nicht. Der Duft ist meine Sprache, wenn ihn die Liebe entzündet.« Der Abendwind strich vorüber und sprach: »Ich umspielte deine Schläfe, aber du verstandest mich nicht, der Hauch ist meine Sprache, wenn ihn die Liebe entzündet.« Die Sonnenstrahlen brachen durch das Gewölk, und der Schein brannte wie in Worten: »Ich umgoß dich mit glühendem Gold, aber du verstandest mich nicht; Glut ist meine Sprache, wenn sie die Liebe entzündet.«


    Und immer inniger und inniger versunken in den Blick des herrlichen Augenpaars, wurde heißer die Sehnsucht, glühender das Verlangen. Da regte und bewegte sich alles, wie zum frohen Leben erwacht. Blumen und Blüten dufteten um ihn her, und ihr Duft war wie herrlicher Gesang von tausend Flötenstimmen, und was sie gesungen, trugen im Widerhall die goldenen vorüberfliehenden Abendwolken in ferne Lande. Aber als der letzte Strahl der Sonne schnell hinter den Bergen verschwand, und nun die Dämmerung ihren Flor über die Gegend warf, da rief, wie aus weiter Ferne, eine rauhe tiefe Stimme:


    »Hei, hei, was ist das für ein Gemunkel und Geflüster da drüben? – Hei, hei, wer sucht mir doch den Strahl hinter den Bergen! – genug gesonnt, genug gesungen – Hei, hei, durch Busch und Gras – durch Gras und Strom! – Hei, – hei – Heru-u-unter – Heru- u-unter!« –


    So verschwand die Stimme wie im Murmeln eines fernen Donners, aber die Kristallglocken zerbrachen im schneidenden Mißton. Alles war verstummt, und Anselmus sah, wie die drei Schlangen schimmernd und blinkend durch das Gras nach dem Strome schlüpften; rischelnd und raschelnd stürzten sie sich in die Elbe, und über den Wogen, wo sie verschwunden, knisterte ein grünes Feuer empor, das in schiefer Richtung nach der Stadt zu leuchtend verdampfte.


    Liebe Grüße Peter

  • Man beachte die Huldigung an E.T.A. Hoffmann ...


    Edgar Allan Poe: Ligeia


    And the will therein lieth, which dieth not. Who knoweth the mysteries of the will, with its vigor? For God is but a great will pervading all things by nature of its intentness. Man doth not yield himself to the angels, nor unto death utterly, save only through the weakness of his feeble will.
    Joseph Glanvill


    I cannot, for my soul, remember how, when, or even precisely where, I first became acquainted with the lady Ligeia. Long years have since elapsed, and my memory is feeble through much suffering. Or, perhaps, I cannot now bring these points to mind, because, in truth, the character of my beloved, her rare learning, her singular yet placid cast of beauty, and the thrilling and enthralling eloquence of her low musical language, made their way into my heart by paces so steadily and stealthily progressive, that they have been unnoticed and unknown. Yet I believe that I met her first and most frequently in some large, old, decaying city near the Rhine. Of her family – I have surely heard her speak. That it is of a remotely ancient date cannot be doubted. Ligeia! Ligeia! Buried in studies of a nature more than all else adapted to deaden impressions of the outward world, it is by that sweet word alone – by Ligeia – that I bring before mine eyes in fancy the image of her who is no more. And now, while I write, a recollection flashes upon me that I have never known the paternal name of her who was my friend and my betrothed, and who became the partner of my studies, and finally the wife of my bosom. Was it a playful charge on the part of my Ligeia? or was it a test of my strength of affection, that I should institute no inquiries upon this point? or was it rather a caprice of my own – a wildly romantic offering on the shrine of the most passionate devotion? I but indistinctly recall the fact itself – what wonder that I have utterly forgotten the circumstances which originated or attended it? And, indeed, if ever that spirit which is entitled Romance – if ever she, the wan and the misty-winged Ashtophet of idolatrous Egypt, presided, as they tell, over marriages ill- omened, then most surely she presided over mine.


    There is one dear topic, however, on which my memory fails me not. It is the person of Ligeia. In stature she was tall, somewhat slender, and, in her latter days, even emaciated. I would in vain attempt to portray the majesty, the quiet ease of her demeanor, or the incomprehensible lightness and elasticity of her footfall. She came and departed as a shadow. I was never made aware of her entrance into my closed study, save by the dear music of her low sweet voice, as she placed her marble hand upon my shoulder. In beauty of face no maiden ever equalled her. It was the radiance of an opium-dream – an airy and spirit- lifting vision more wildly divine than the phantasies which hovered about the slumbering souls of the daughters of Delos. Yet her features were not of that regular mould which we have been falsely taught to worship in the classical labors of the heathen. »There is no exquisite beauty,« says Bacon, Lord Verulam, speaking truly of all the forms and genera of beauty, »without some strangeness in the proportion.« Yet, although I saw that the features of Ligeia were not of a classic regularity – although I perceived that her loveliness was indeed ›exquisite,‹ and felt that there was much of ›strangeness‹ pervading it, yet I have tried in vain to detect the irregularity and to trace home my own perception of ›the strange.‹ I examined the contour of the lofty and pale forehead – it was faultless – how cold indeed that word when applied to a majesty so divine! – the skin rivalling the purest ivory, the commanding extent and repose, the gentle prominence of the regions above the temples; and then the raven-black, the glossy, the luxuriant, and naturally-curling tresses, setting forth the full force of the Homeric epithet, ›hyacinthine!‹ I looked at the delicate outlines of the nose – and nowhere but in the graceful medallions of the Hebrews had I beheld a similar perfection. There were the same luxurious smoothness of surface, the same scarcely perceptible tendency to the aquiline, the same harmoniously curved nostrils speaking the free spirit. I regarded the sweet mouth. Here was indeed the triumph of all things heavenly – the magnificent turn of the short upper lip – the soft, voluptuous slumber of the under – the dimples which sported, and the color which spoke – the teeth glancing back, with a brilliancy almost startling, every ray of the holy light which fell upon them in her serene and placid yet most exultingly radiant of all smiles. I scrutinized the formation of the chin – and, here too, I found the gentleness of breadth, the softness and the majesty, the fulness and the spirituality, of the Greek – the contour which the god Apollo revealed but in a dream, to Cleomenes, the son of the Athenian. And then I peered into the large eyes of Ligeia.


    For eyes we have no models in the remotely antique. It might have been, too, that in these eyes of my beloved lay the secret to which Lord Verulam alludes. They were, I must believe, far larger than the ordinary eyes of our own race. They were even fuller than the fullest of the gazella eyes of the tribe of the valley of Nourjahad. Yet it was only at intervals – in moments of intense excitement – that this peculiarity became more than slightly noticeable in Ligeia. And at such moments was her beauty – in my heated fancy thus it appeared perhaps – the beauty of beings either above or apart from the earth – the beauty of the fabulous Houri of the Turk. The hue of the orbs was the most brilliant of black, and, far over them, hung jetty lashes of great length. The brows, slightly irregular in outline, had the same tint. The ›strangeness,‹ however, which I found in the eyes was of a nature distinct from the formation, or the color, or the brilliancy of the features, and must, after all, be referred to the expression. Ah, word of no meaning! behind whose vast latitude of mere sound we intrench our ignorance of so much of the spiritual. The expression of the eyes of Ligeia! How for long hours have I pondered upon it! How have I, through the whole of a midsummer night, struggled to fathom it! What was it – that something more profound than the well of Democritus – which lay far within the pupils of my beloved? What was it? I was possessed with a passion to discover. Those eyes! those large, those shining, those divine orbs! they became to me twin stars of Leda, and I to them devoutest of astrologers.


    There is no point, among the many incomprehensible anomalies of the science of mind, more thrillingly exciting than the fact – never, I believe, noticed in the schools – that in our endeavors to recall to memory something long forgotten, we often find ourselves upon the very verge of remembrance, without being able, in the end, to remember. And thus how frequently, in my intense scrutiny of Ligeia's eyes, have I felt approaching the full knowledge of their expression – felt it approaching – yet not quite be mine – and so at length entirely depart! And (strange, oh, strangest mystery of all!) I found, in the commonest objects of the universe, a circle of analogies to that expression. I mean to say that, subsequently to the period when Ligeia's beauty passed into my spirit, there dwelling as in a shrine, I derived, from many existences in the material world, a sentiment such as I felt always around, within me, by her large and luminous orbs. Yet not the more could I define that sentiment, or analyze, or even steadily view it. I recognized it, let me repeat, sometimes in the survey of a rapidly growing vine – in the contemplation of a moth, a butterfly, a chrysalis, a stream of running water. I have felt it in the ocean – in the falling of a meteor. I have felt it in the glances of unusually aged people. And there are one or two stars in heaven (one especially, a star of the sixth magnitude, double and changeable, to be found near the large star in Lyra) in a telescopic scrutiny of which I have been made aware of the feeling. I have been filled with it by certain sounds from stringed instruments, and not unfrequently by passages from books. Among innumerable other instances, I well remember something in a volume of Joseph Glanvill, which (perhaps merely from its quaintness – who shall say?) never failed to inspire me with the sentiment: »And the will therein lieth, which dieth not. Who knoweth the mysteries of the will, with its vigor? For God is but a great will pervading all things by nature of its intentness. Man doth not yield him to the angels, nor unto death utterly, save only through the weakness of his feeble will.«


    Length of years and subsequent reflection have enabled me to trace, indeed, some remote connection between this passage in the English moralist and a portion of the character of Ligeia. An intensity in thought, action, or speech was possibly, in her, a result, or at least an index, of that gigantic volition which, during our long intercourse, failed to give other and more immediate evidence of its existence. Of all the women whom I have ever known, she, the outwardly calm, the ever-placid Ligeia, was the most violently a prey to the tumultuous vultures of stern passion. And of such passion I could form no estimate, save by the miraculous expansion of those eyes which at once so delighted and appalled me, – by the almost magical melody, modulation, distinctness, and placidity of her very low voice, – and by the fierce energy (rendered doubly effective by contrast with her manner of utterance) of the wild words which she habitually uttered.



    Mr. Pius, übernehmen Sie ...


    Liebe Grüße Peter

  • I have spoken of the learning of Ligeia: it was immense – such as I have never known in woman. In the classical tongues was she deeply proficient, and as far as my own acquaintance extended in regard to the modern dialects of Europe, I have never known her at fault. Indeed upon any theme of the most admired because simply the most abstruse of the boasted erudition of the Academy, have I ever found Ligeia at fault? How singularly – how thrillingly, this one point in the nature of my wife has forced itself, at this late period only, upon my attention! I said her knowledge was such as I have never known in woman – but where breathes the man who has traversed, and successfully, all the wide areas of moral, physical, and mathematical science? I saw not then what I now clearly perceive, that the acquisitions of Ligeia were gigantic, were astounding; yet I was sufficiently aware of her infinite supremacy to resign myself, with a child-like confidence, to her guidance through the chaotic world of metaphysical investigation at which I was most busily occupied during the earlier years of our marriage. With how vast a triumph – with how vivid a delight – with how much of all that is ethereal in hope did I feel, as she bent over me in studies but little sought – but less known, – that delicious vista by slow degrees expanding before me, down whose long, gorgeous, and all untrodden path, I might at length pass onward to the goal of a wisdom too divinely precious not to be forbidden!


    How poignant, then, must have been the grief with which, after some years, I beheld my well-grounded expectations take wings to themselves and fly away! Without Ligeia I was but as a child groping benighted. Her presence, her readings alone, rendered vividly luminous the many mysteries of the transcendentalism in which we were immersed. Wanting the radiant lustre of her eyes, letters, lambent and golden, grew duller than Saturnian lead. And now those eyes shone less and less frequently upon the pages over which I pored. Ligeia grew ill. The wild eyes blazed with a too – too glorious effulgence; the pale fingers became of the transparent waxen hue of the grave; and the blue veins upon the lofty forehead swelled and sank impetuously with the tides of the most gentle emotion. I saw that she must die – and I struggled desperately in spirit with the grim Azrael. And the struggles of the passionate wife were, to my astonishment, even more energetic than my own. There had been much in her stern nature to impress me with the belief that, to her, death would have come without its terrors; but not so. Words are impotent to convey any just idea of the fierceness of resistance with which she wrestled with the Shadow. I groaned in anguish at the pitiable spectacle. I would have soothed – I would have reasoned; but in the intensity of her wild desire for life – for life – but for life – solace and reason were alike the uttermost of folly. Yet not until the last instance, amid the most convulsive writhings of her fierce spirit, was shaken the external placidity of her demeanor. Her voice grew more gentle – grew more low – yet I would not wish to dwell upon the wild meaning of the quietly uttered words. My brain reeled as I hearkened, entranced to a melody more than mortal – to assumptions and aspirations which mortality had never before known.


    That she loved me I should not have doubted; and I might have been easily aware that, in a bosom such as hers, love would have reigned no ordinary passion. But in death only was I fully impressed with the strength of her affection. For long hours, detaining my hand, would she pour out before me the overflowing of a heart whose more than passionate devotion amounted to idolatry. How had I deserved to be so blessed by such confessions? – how had I deserved to be so cursed with the removal of my beloved in the hour of my making them? But upon this subject I cannot bear to dilate. Let me say only, that in Ligeia's more than womanly abandonment to a love, alas! all unmerited, all unworthily bestowed, I at length recognized the principle of her longing, with so wildly earnest a desire, for the life which was now fleeing so rapidly away. It is this wild longing – it is this eager vehemence of desire for life – but for life – that I have no power to portray – no utterance capable of expressing.
    At high noon of the night in which she departed, beckoning me, peremptorily, to her side, she bade me repeat certain verses composed by herself not many days before. I obeyed her. They were these: –


    Lo! 'tis a gala night
    Within the lonesome latter years!
    An angel throng, bewinged, bedight
    In veils, and drowned in tears,
    Sit in a theatre, to see
    A play of hopes and fears,
    While the orchestra breathes fitfully
    The music of the spheres.


    Mimes, in the form of God on high,
    Mutter and mumble low,
    And hither and thither fly;
    Mere puppets they, who come and go
    At bidding of vast formless things
    That shift the scenery to and fro,
    Flapping from out their condor wings
    Invisible Woe!


    That motley drama! – oh, be sure
    It shall not be forgot!
    With its Phantom chased for evermore,
    By a crowd that seize it not,
    Through a circle that ever returneth in
    To the self-same spot;
    And much of Madness, and more of Sin
    And Horror, the soul of the plot!


    But see, amid the mimic rout
    A crawling shape intrude!
    A blood-red thing that writhes from out
    The scenic solitude!
    It writhes! – it writhes! – with mortal pangs


    The mimes become its food,
    And the seraphs sob at vermin fangs
    In human gore imbued.


    Out – out are the lights – out all!
    And over each quivering form,
    The curtain, a funeral pall,
    Comes down with the rush of a storm –
    And the angels, all pallid and wan,
    Uprising, unveiling, affirm
    That the play is the tragedy, »Man,«
    And its hero, the conqueror Worm.


    »O God!« half shrieked Ligeia, leaping to her feet and extending her arms aloft with a spasmodic movement, as I made an end of these lines – »O God! O Divine Father! – shall these things be undeviatingly so? – shall this conqueror be not once conquered? Are we not part and parcel in Thee? Who – who knoweth the mysteries of the will with its vigor? Man doth not yield him to the angels, nor unto death utterly, save only through the weakness of his feeble will.«


    And now, as if exhausted with emotion, she suffered her white arms to fall, and returned solemnly to her bed of death. And as she breathed her last sighs, there came mingled with them a low murmur from her lips. I bent to them my ear, and distinguished, again, the concluding words of the passage in Glanvill: »Man doth not yield him to the angels, nor unto death utterly, save only through the weakness of his feeble will.«

    She died: and I, crushed into the very dust with sorrow, could no longer endure the lonely desolation of my dwelling in the dim and decaying city by the Rhine. I had no lack of what the world calls wealth. Ligeia had brought me far more, very far more, than ordinarily falls to the lot of mortals. After a few months, therefore, of weary and aimless wandering, I purchased and put in some repair, an abbey, which I shall not name, in one of the wildest and least frequented portions of fair England. The gloomy and dreary grandeur of the building, the almost savage aspect of the domain, the many melancholy and time- honored memories connected with both, had much in unison with the feelings of utter abandonment which had driven me into that remote and unsocial region of the country. Yet although the external abbey, with its verdant decay hanging about it, suffered but little alteration, I gave way, with a child-like perversity, and perchance with a faint hope of alleviating my sorrows, to a display of more than regal magnificence within. For such follies, even in childhood, I had imbibed a taste, and now they came back to me as if in the dotage of grief. Alas, I feel how much even of incipient madness might have been discovered in the gorgeous and fantastic draperies, in the solemn carvings of Egypt, in the wild cornices and furniture, in the Bedlam patterns of the carpets of tufted gold! I had become a bounden slave in the trammels of opium, and my labors and my orders had taken a coloring from my dreams. But these absurdities I must not pause to detail. Let me speak only of that one chamber, ever accursed, whither, in a moment of mental alienation, I led from the altar as my bride – as the successor of the unforgotten Ligeia – the fair- haired and blue-eyed Lady Rowena Trevanion, of Tremaine.




    Liebe Grüße Peter

  • Im Bett der Rose lag er eingeschlossen,
    Im Wechselschimmer ihrer zarten Seiten,
    Die taugebrochnen Strahlen schmeichelnd gleiten
    Hinein zu ihm, von Geisterhauch umflossen.

    Mich dünkt, in Schlummer waren hingegossen
    Die reinen Glieder, durch des Dufts Verbreiten
    Und durch der Biene Summen, die zuzeiten
    Vorüberstreift an zitternden Geschossen.

    Doch da beginnt mit einemmal zu schwellen
    Der Blume Kelch! Ins Freie nun gehoben,
    Erkenn ich ihn im Tagesglanz, dem hellen.

    Es ist mein Auge vor ihm zugesunken,
    Der mich so seltsam mit dem Blick umwoben,
    In seinem Lichte lieg ich traume-trunken.



    (Bettina von Arnim - heute ist ihr 150. Todestag)

  • Ich werde hierhin sukzessive alle Beiträge aus dem Thread "Lieblingspassagen" verschieben, die von mir dort eingestellt waren.


    Liebe Grüße Peter

  • Der Papst hatte bei der Vermählung seiner Tochter eine Kardinalsbeförderung vorgenommen, wozu er die reichsten Prälaten auslas, und da Cäsar Borgia zu dem künftigen Feldzuge große Summen brauchte, so nahm er sich vor, einige davon bei einem Feste, das sein Vater auf der Villa gab, in die andre Welt zu schicken. Der Papst fuhr mit seiner Tochter, dem Teufel, Fausten, dem Borgia und der Gemahlin des Venezianers früh nach dieser Villa. Um der Lucrezia ein neues Vergnügen zu machen, ließ er einige rosigte Stuten in den Hof führen, sie von feurigen neapolitanischen Hengsten bespringen, und dieses Schauspiel ergötzte Lucrezia auf eine ganz besondre Art. Die Neuvermählte, von diesem Schauspiel gereizt, zog Fausten in ein Seitenzimmer, fand aber bald, daß seine Kleinodien einen dauerhaftern Wert hätten als er. Borgia begab sich mit der Venezianerin in ein andres Seitenzimmer, und der Papst blieb mit dem Teufel allein. Die Gesichtsbildung Leviathans hatte schon lange besonders auf ihn gewürkt, und erhitzt von dem, was er gesehen, fing er an, dem Teufel gewisse Anträge zu machen, bei welchen sich dieser in ein wildes Lachen ausschüttete; da aber der Papst immer heftiger in ihn drang, und er merkte, daß er in Gefahr sei, seine hohe unsterbliche Person von einem verächtlichen Menschen, und gar von einem Papste, besudelt zu sehen, so erwachte der schwarze Groll der Hölle in seinem Geist, und er stund in dem entscheidenden Augenblick in einer Gestalt vor ihm, die nie ein lebendes Auge gesehen, noch zu sehen wagen darf. Der Papst, der ihn gleich erkannte, erhub ein Freudengeschrei:


    »Ah ben venuto, Signor diavolo! Wahrlich, du kannst mir zu keiner gelegnern Zeit erscheinen als jetzt, und schon lange habe ich deine Gegenwart gewünscht, denn ich weiß, wozu man einen so mächtigen Geist, wie du bist, brauchen kann. Ha! ha! ha! du gefällst mir weit besser so als vorher. Du Schäker du! Komm! und sei mein Freund, nimm deine vorige Gestalt an, und ich will dich zum Kardinal machen, denn nur du allein kannst mich schnell auf die hohe Stufe heben, die ich zu ersteigen strebe. Ich bitte dich, hilf mir meine Feinde vertilgen, schaffe mir Geld, und jage mir die Franzosen aus Italien, die ich nicht mehr brauche. Dies ist für einen Geist, wie du bist, das Werk eines Augenblicks, und du kannst zum Lohn von mir fordern, was dir gefällt. Nur offenbare dich nicht meinem Sohne Cäsar, er ist ein so großer Bösewicht, daß er mich selbst vergiften würde, um durch dich König von Italien und Papst zugleich zu werden.«


    Der Teufel, den es anfangs ein wenig verdroß, daß sein furchtbares Äußere nicht mehr auf den Papst würkte, konnte sich doch endlich des Lachens nicht enthalten. Denn das, was er sah und hörte, übertraf alle Taten der Menschen, die die Hölle zu ihrer Ergötzung aufgezeichnet hat. Er sagte hierauf mit ernster Miene:


    »Papst Alexander, der Satan zeigte einst dem Sohne des Ewigen alle Herrlichkeit der Welt, und bot sie ihm an, so er niederfiele und ihn anbetete« -


    Papst: Ich verstehe dich. Er war ein Gott, und bedurfte nichts, wäre er ein Mensch und Papst gewesen, er hätte es gemacht wie ich.


    Er fiel nieder, betete den Teufel an, und küßte seine Füße.


    Der Teufel stampfte auf den Boden, daß die Villa erbebte. Faust und Lucrezia, Cäsar und die Venezianerin sahen durch die losgefahrnen Türen den Papst vor der schrecklichen Gestalt des Teufels mit gefaltnen Händen knien; dann rief dieser mit bittrem Hohne:


    »Sodomie und dann Anbetung des Teufels! bei dem Satan, dem Herrscher des dunklen Reichs, ein Papst kann in keinem schönern Augenblick seines Lebens zur Hölle fahren.«


    Er faßte den Bebenden, erwürgte ihn, und übergab seinen Schatten einem Geiste, ihn nach der Hölle zu fördern. Borgia sank vor Schrecken zusammen, und der furchtbare Anblick zog ihm eine Krankheit zu, die ihn außer alle Tätigkeit setzte, um alle Früchte seines Frevels brachte, und die schwarzen Taten der Borgias dienten nur zur Vergrößerung des päpstlichen Stuhls. Der erwürgte und scheußlich verstellte Papst wurde mit vielem Pompe begraben, und die Geschichtschreiber, die mit seinem tragischen Ende nicht so bekannt waren, wie ich es bin, erfanden die Fabel, die eines Teils auf Wahrheit gegründet ist: er und sein Sohn hätten aus Versehen eines Dieners aus einer den Kardinälen bestimmten, vergifteten Flasche getrunken, und sich so in ihrem eignen Netze gefangen.

  • There is no individual portion of the architecture and decoration of that bridal chamber which is not now visibly before me. Where were the souls of the haughty family of the bride, when, through thirst of gold, they permitted to pass the threshold of an apartment so bedecked, a maiden and a daughter so beloved? I have said, that I minutely remember the details of the chamber – yet I am sadly forgetful on topics of deep moment; and here there was no system, no keeping, in the fantastic display, to take hold upon the memory. The room lay in a high turret of the castellated abbey, was pentagonal in shape, and of capacious size. Occupying the whole southern face of the pentagon was the sole window – an immense sheet of unbroken glass from Venice – a single pane, and tinted of a leaden hue, so that the rays of either the sun or moon passing through it, fell with a ghastly lustre on the objects within. Over the upper portion of this huge window, extended the trellis-work of an aged vine, which clambered up the massy walls of the turret. The ceiling, of gloomy-looking oak, was excessively lofty, vaulted, and elaborately fretted with the wildest and most grotesque specimens of a semi- Gothic, semi-Druidical device. From out the most central recess of this melancholy vaulting, depended, by a single chain of gold with long links, a huge censer of the same metal, Saracenic in pattern, and with many perforations so contrived that there writhed in and out of them, as if endued with a serpent vitality, a continual succession of parti-colored fires.


    Some few ottomans and golden candelabra, of Eastern figure, were in various stations about; and there was the couch, too – the bridal couch – of an Indian model, and low, and sculptured of solid ebony, with a pall-like canopy above. In each of the angles of the chamber stood on end a gigantic sarcophagus of black granite, from the tombs of the kings over against Luxor, with their aged lids full of immemorial sculpture. But in the draping of the apartment lay, alas! the chief phantasy of all. The lofty walls, gigantic in height – even unproportionably so – were hung from summit to foot, in vast folds, with a heavy and massive-looking tapestry – tapestry of a material which was found alike as a carpet on the floor, as a covering for the ottomans and the ebony bed, as a canopy for the bed and as the gorgeous volutes of the curtains which partially shaded the window. The material was the richest cloth of gold. It was spotted all over, at irregular intervals, with arabesque figures, about a foot in diameter, and wrought upon the cloth in patterns of the most jetty black. But these figures partook of the true character of the arabesque only when regarded from a single point of view. By a contrivance now common, and indeed traceable to a very remote period of antiquity, they were made changeable in aspect. To one entering the room, they bore the appearance of simple monstrosities; but upon a farther advance, this appearance gradually departed; and, step by step, as the visitor moved his station in the chamber, he saw himself surrounded by an endless succession of the ghastly forms which belong to the superstition of the Norman, or arise in the guilty slumbers of the monk. The phantasmagoric effect was vastly heightened by the artificial introduction of a strong continual current of wind behind the draperies – giving a hideous and uneasy animation to the whole.


    In halls such as these – in a bridal chamber such as this – I passed, with the Lady of Tremaine, the unhallowed hours of the first month of our marriage – passed them with but little disquietude. That my wife dreaded the fierce moodiness of my temper – that she shunned me, and loved me but little – I could not help perceiving; but it gave me rather pleasure than otherwise. I loathed her with a hatred belonging more to demon than to man. My memory flew back (oh, with what intensity of regret!) to Ligeia, the beloved, the august, the beautiful, the entombed. I revelled in recollections of her purity, of her wisdom, of her lofty – her ethereal nature, of her passionate, her idolatrous love. Now, then, did my spirit fully and freely burn with more than all the fires of her own. In the excitement of my opium dreams (for I was habitually fettered in the shackles of the drug), I would call aloud upon her name, during the silence of the night, or among the sheltered recesses of the edens by day, as if, through the wild eagerness, the solemn passion, the consuming ardor of my longing for the departed, I could restore her to the pathways she had abandoned – ah, could it be for ever? – upon the earth.


    About the commencement of the second month of the marriage, the Lady Rowena was attacked with sudden illness, from which her recovery was slow. The fever which consumed her rendered her nights uneasy; and in her perturbed state of half-slumber, she spoke of sounds, and of motions, in and about the chamber of the turret, which I concluded had no origin save in the distemper of her fancy, or perhaps in the phantasmagoric influences of the chamber itself. She became at length convalescent – finally, well. Yet but a brief period elapsed, ere a second more violent disorder again threw her upon a bed of suffering; and from this attack her frame, at all times feeble, never altogether recovered. Her illnesses were, after this epoch, of alarming character, and of more alarming recurrence, defying alike the knowledge and the great exertions of her physicians. With the increase of the chronic disease, which had thus, apparently, taken too sure hold upon her constitution to be eradicated by human means, I could not fail to observe a similar increase in the nervous irritation of her temperament, and in her excitability by trivial causes of fear. She spoke again, and now more frequently and pertinaciously, of the sounds – of the slight sounds – and of the unusual motions among the tapestries, to which she had formerly alluded.









    Liebe Grüße Peter

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • One night, near the closing in of September, she pressed this distressing subject with more than usual emphasis upon my attention. She had just awakened from an unquiet slumber, and I had been watching, with feelings half of anxiety, half of vague terror, the workings of her emaciated countenance. I sat by the side of her ebony bed, upon one of the ottomans of India. She partly arose, and spoke, in an earnest low whisper, of sounds which she then heard, but which I could not hear – of motions which she then saw, but which I could not perceive. The wind was rushing hurriedly behind the tapestries, and I wished to show her (what, let me confess it, I could not all believe) that those almost inarticulate breathings, and those very gentle variations of the figures upon the wall, were but the natural effects of that customary rushing of the wind. But a deadly pallor, overspreading her face, had proved to me that my exertions to reassure her would be fruitless. She appeared to be fainting, and no attendants were within call. I remembered where was deposited a decanter of light wine which had been ordered by her physicians, and hastened across the chamber to procure it. But, as I stepped beneath the light of the censer, two circumstances of a startling nature attracted my attention. I had felt that some palpable although invisible object had passed lightly by my person; and I saw that there lay upon the golden carpet, in the very middle of the rich lustre thrown from the censer, a shadow – a faint, indefinite shadow of angelic aspect – such as might be fancied for the shadow of a shade. But I was wild with the excitement of an immoderate dose of opium, and heeded these things but little, nor spoke of them to Rowena. Having found the wine, I recrossed the chamber, and poured out a goblet-ful, which I held to the lips of the fainting lady. She had now partially recovered, however, and took the vessel herself, while I sank upon an ottoman near me, with my eyes fastened upon her person. It was then that I became distinctly aware of a gentle foot-fall upon the carpet, and near the couch; and in a second thereafter, as Rowena was in the act of raising the wine to her lips, I saw, or may have dreamed that I saw, fall within the goblet, as if from some invisible spring in the atmosphere of the room, three or four large drops of a brilliant and ruby colored fluid. If this I saw – not so Rowena. She swallowed the wine unhesitatingly, and I forbore to speak to her of a circumstance which must, after all, I considered, have been but the suggestion of a vivid imagination, rendered morbidly active by the terror of the lady, by the opium, and by the hour.


    Yet I cannot conceal it from my own perception that, immediately subsequent to the fall of the ruby- drops, a rapid change for the worse took place in the disorder of my wife; so that, on the third subsequent night, the hands of her menials prepared her for the tomb, and on the fourth, I sat alone, with her shrouded body, in that fantastic chamber which had received her as my bride. Wild visions, opium- engendered, flitted, shadow-like, before me. I gazed with unquiet eye upon the sarcophagi in the angles of the room, upon the varying figures of the drapery, and upon the writhing of the parti-colored fires in the censer overhead. My eyes then fell, as I called to mind the circumstances of a former night, to the spot beneath the glare of the censer where I had seen the faint traces of the shadow. It was there, however, no longer; and breathing with greater freedom, I turned my glances to the pallid and rigid figure upon the bed. Then rushed upon me a thousand memories of Ligeia – and then came back upon my heart, with the turbulent violence of a flood, the whole of that unutterable woe with which I had regarded her thus enshrouded. The night waned; and still, with a bosom full of bitter thoughts of the one only and supremely beloved, I remained gazing upon the body of Rowena.


    It might have been midnight, or perhaps earlier, or later, for I had taken no note of time, when a sob, low, gentle, but very distinct, startled me from my revery. I felt that it came from the bed of ebony – the bed of death. I listened in an agony of superstitious terror – but there was no repetition of the sound. I strained my vision to detect any motion in the corpse – but there was not the slightest perceptible. Yet I could not have been deceived. I had heard the noise, however faint, and my soul was awakened within me. I resolutely and perseveringly kept my attention riveted upon the body. Many minutes elapsed before any circumstance occurred tending to throw light upon the mystery. At length it became evident that a slight, a very feeble, and barely noticeable tinge of color had flushed up within the cheeks, and along the sunken small veins of the eyelids. Through a species of unutterable horror and awe, for which the language of mortality has no sufficiently energetic expression, I felt my heart cease to beat, my limbs grow rigid where I sat. Yet a sense of duty finally operated to restore my self-possession. I could no longer doubt that we had been precipitate in our preparations – that Rowena still lived. It was necessary that some immediate exertion be made; yet the turret was altogether apart from the portion of the abbey tenanted by the servants – there were none within call – I had no means of summoning them to my aid without leaving the room for many minutes – and this I could not venture to do. I therefore struggled alone in my endeavors to call back the spirit still hovering. In a short period it was certain, however, that a relapse had taken place; the color disappeared from both eyelid and cheek, leaving a wanness even more than that of marble; the lips became doubly shrivelled and pinched up in the ghastly expression of death; a repulsive clamminess and coldness overspread rapidly the surface of the body; and all the usual rigorous stiffness immediately supervened. I fell back with a shudder upon the couch from which I had been so startlingly aroused, and again gave myself up to passionate waking visions of Ligeia.


    An hour thus elapsed, when (could it be possible?) I was a second time aware of some vague sound issuing from the region of the bed. I listened – in extremity of horror. The sound came again – it was a sigh. Rushing to the corpse, I saw – distinctly saw – a tremor upon the lips. In a minute afterward they relaxed, disclosing a bright line of the pearly teeth. Amazement now struggled in my bosom with the profound awe which had hitherto reigned there alone. I felt that my vision grew dim, that my reason wandered; and it was only by a violent effort that I at length succeeded in nerving myself to the task which duty thus once more had pointed out. There was now a partial glow upon the forehead and upon the cheek and throat; a perceptible warmth pervaded the whole frame; there was even a slight pulsation at the heart. The lady lived; and with redoubled ardor I betook myself to the task of restoration. I chafed and bathed the temples and the hands, and used every exertion which experience, and no little medical reading, could suggest. But in vain. Suddenly, the color fled, the pulsation ceased, the lips resumed the expression of the dead, and, in an instant afterward, the whole body took upon itself the icy chilliness, the livid hue, the intense rigidity, the sunken outline, and all the loathsome peculiarities of that which has been, for many days, a tenant of the tomb.


    And again I sunk into visions of Ligeia – and again (what marvel that I shudder while I write?), again there reached my ears a low sob from the region of the ebony bed. But why shall I minutely detail the unspeakable horrors of that night? Why shall I pause to relate how, time after time, until near the period of the gray dawn, this hideous drama of revivification was repeated; how each terrific relapse was only into a sterner and apparently more irredeemable death; how each agony wore the aspect of a struggle with some invisible foe; and how each struggle was succeeded by I know not what of wild change in the personal appearance of the corpse? Let me hurry to a conclusion.


    The greater part of the fearful night had worn away, and she who had been dead once again stirred – and now more vigorously than hitherto, although arousing from a dissolution more appalling in its utter hopelessness than any. I had long ceased to struggle or to move, and remained sitting rigidly upon the ottoman, a helpless prey to a whirl of violent emotions, of which extreme awe was perhaps the least terrible, the least consuming. The corpse, I repeat, stirred, and now more vigorously than before. The hues of life flushed up with unwonted energy into the countenance – the limbs relaxed – and, save that the eyelids were yet pressed heavily together, and that the bandages and draperies of the grave still imparted their charnel character to the figure, I might have dreamed that Rowena had indeed shaken off, utterly, the fetters of Death. But if this idea was not, even then, altogether adopted, I could at least doubt no longer, when, arising from the bed, tottering, with feeble steps, with closed eyes, and with the manner of one bewildered in a dream, the thing that was enshrouded advanced boldly and palpably into the middle of the apartment.


    I trembled not – I stirred not – for a crowd of unutterable fancies connected with the air, the stature, the demeanor, of the figure, rushing hurriedly through my brain, had paralyzed – had chilled me into stone. I stirred not – but gazed upon the apparition. There was a mad disorder in my thoughts – a tumult unappeasable. Could it, indeed, be the living Rowena who confronted me? Could it, indeed, be Rowena at all – the fair-haired, the blue-eyed Lady Rowena Trevanion of Tremaine? Why, why should I doubt it? The bandage lay heavily about the mouth – but then might it not be the mouth of the breathing Lady of Tremaine? And the cheeks – there were the roses as in her noon of life – yes, these might indeed be the fair cheeks of the living Lady of Tremaine. And the chin, with its dimples, as in health, might it not be hers? – but had she then grown taller since her malady? What inexpressible madness seized me with that thought? One bound, and I had reached her feet! Shrinking from my touch, she let fall from her head, unloosened, the ghastly cerements which had confined it, and there streamed forth into the rushing atmosphere of the chamber huge masses of long and dishevelled hair; it was blacker than the raven wings of midnight! And now slowly opened the eyes of the figure which stood before me. »Here then, at least,« I shrieked aloud, »can I never – can I never be mistaken – these are the full, and the black, and the wild eyes – of my lost love – of the Lady – of the LADY LIGEIA.«

















    Liebe Grüße Peter


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  • Hallo Peter!


    Danke, daß Du den Text hier auch ins Forum gestellt hast. Nun gibts eigentlich für die des Englischen mächtigen hier keine Ausrede mehr, nicht beim Poe-Lesen mitzumachen...


    Zitat

    Original von pbrixius
    Man beachte die Huldigung an E.T.A. Hoffmann ...


    Die worin besteht? ?(


    Zitat

    Mr. Pius, übernehmen Sie ...


    Hab ich da was verpaßt?


    Viele Grüße,
    Pius.


    P.S.: Ich hoffe, Du fügst die threads bald wieder zusammen!

  • Charles Dickens: The Posthumous Papers of the Pickwick Club
    - 11th chapter [expt.] A Madman's Manuscript



    »Yes! – a madman's! How that word would have struck to my heart, many years ago! How it would have roused the terror that used to come upon me sometimes; sending the blood hissing and tingling through my veins, till the cold dew of fear stood in large drops upon my skin, and my knees knocked together with fright! I like it now though. It's a fine name. Shew me the monarch whose angry frown was ever feared like the glare of a madman's eye – whose cord and axe were ever half so sure as a madman's grip. Ho! ho! It's a grand thing to be mad! to be peeped at like a wild lion through the iron bars – to gnash one's teeth and howl, through the long still night, to the merry ring of a heavy chain – and to roll and twine among the straw, transported with such brave music. Hurrah for the madhouse! Oh, it's a rare place!


    I remember days when I was afraid of being mad; when I used to start from my sleep, and fall upon my knees, and pray to be spared from the curse of my race; when I rushed from the sight of merriment or happiness, to hide myself in some lonely place, and spend the weary hours in watching the progress of the fever that was to consume my brain. I knew that madness was mixed up with my very blood, and the marrow of my bones; that one generation had passed away without the pestilence appearing among them, and that I was the first in whom it would revive. I knew it must be so: that so it always had been, and so it ever would be: and when I cowered in some obscure corner of a crowded room, and saw men whisper, and point, and turn their eyes towards me, I knew they were telling each other of the doomed madman; and I slunk away again to mope in solitude.


    I did this for years; long, long years they were. The nights here are long sometimes – very long; but they are nothing to the restless nights, and dreadful dreams I had at that time. It makes me cold to remember them. Large dusky forms with sly and jeering faces crouched in the corners of the room, and bent over my bed at night, tempting me to madness. They told me in low whispers, that the floor of the old house in which my father's father died, was stained with his own blood, shed by his own hand in raging madness. I drove my fingers into my ears, but they screamed into my head till the room rang with it, that in one generation before him the madness slumbered, but that his grandfather had lived for years with his hands fettered to the ground, to prevent his tearing himself to pieces. I knew they told the truth – I knew it well. I had found it out years before, though they had tried to keep it from me. Ha! ha! I was too cunning for them, madman as they thought me.


    At last it came upon me, and I wondered how I could ever have feared it. I could go into the world now, and laugh and shout with the best among them. I knew I was mad, but they did not even suspect it. How I used to hug myself with delight, when I thought of the fine trick I was playing them after their old pointing and leering, when I was not mad, but only dreading that I might one day become so! And how I used to laugh for joy, when I was alone, and thought how well I kept my secret, and how quickly my kind friends would have fallen from me, if they had known the truth. I could have screamed with ecstasy when I dined alone with some fine roaring fellow, to think how pale he would have turned, and how fast he would have run, if he had known that the dear friend who sat close to him, sharpening a bright glittering knife, was a madman with all the power, and half the will, to plunge it in his heart. Oh, it was a merry life!


    Riches became mine, wealth poured in upon me, and I rioted in pleasures enhanced a thousandfold to me by the consciousness of my well-kept secret. I inherited an estate. The law – the eagle-eyed law itself – had been deceived, and had handed over disputed thousands to a madman's hands. Where was the wit of the sharp-sighted men of sound mind? Where the dexterity of the lawyers, eager to discover a flaw? The madman's cunning had over-reached them all.


    I had money. How I was courted! I spent it profusely. How I was praised! How those three proud overbearing brothers humbled themselves before me! The old white-headed father, too – such deference – such respect – such devoted friendship – he worshipped me! The old man had a daughter, and the young men a sister; and all the five were poor. I was rich; and when I married the girl, I saw a smile of triumph play upon the faces of her needy relatives, as they thought of their well-planned scheme, and their fine prize. It was for me to smile. To smile! To laugh outright, and tear my hair, and roll upon the ground with shrieks of merriment. They little thought they had married her to a madman.


    Stay. If they had known it, would they have saved her? A sister's happiness against her husband's gold. The lightest feather I blow into the air, against the gay chain that ornaments my body!


    In one thing I was deceived with all my cunning. If I had not been mad – for though we madmen are sharp-witted enough, we get bewildered sometimes – I should have known that the girl would rather have been placed, stiff and cold in a dull leaden coffin, than borne an envied bride to my rich, glittering house. I should have known that her heart was with the dark- eyed boy whose name I once heard her breathe in her troubled sleep; and that she had been sacrificed to me, to relieve the poverty of the old white-headed man, and the haughty brothers.


    I don't remember forms or faces now, but I know the girl was beautiful. I know she was; for in the bright moonlight nights, when I start up from my sleep, and all is quiet about me, I see, standing still and motionless in one corner of this cell, a slight and wasted figure with long black hair, which streaming down her back, stirs with no earthly wind, and eyes that fix their gaze on me, and never wink or close. Hush! the blood chills at my heart as I write it down – that form is her's; the face is very pale, and the eyes are glassy bright; but I know them well. That figure never moves; it never frowns and mouths as others do, that fill this place sometimes; but it is much more dreadful to me, even than the spirits that tempted me many years ago – it comes fresh from the grave; and is so very death-like.


    For nearly a year I saw that face grow paler; for nearly a year I saw the tears steal down the mournful cheeks, and never knew the cause. I found it out at last though. They could not keep it from me long. She had never liked me; I had never thought she did: she despised my wealth, and hated the splendour in which she lived; – I had not expected that. She loved another. This I had never thought of. Strange feelings came over me, and thoughts, forced upon me by some secret power, whirled round and round my brain. I did not hate her, though I hated the boy she still wept for. I pitied – yes, I pitied – the wretched life to which her cold and selfish relations had doomed her. I knew that she could not live long, but the thought that before her death she might give birth to some ill-fated being, destined to hand down madness to its offspring, determined me. I resolved to kill her.


    For many weeks I thought of poison, and then of drowning, and then of fire. A fine sight the grand house in flames, and the madman's wife smouldering away to cinders. Think of the jest of a large reward, too, and of some sane man swinging in the wind for a deed he never did, and all through a madman's cunning! I thought often of this, but I gave it up at last. Oh! the pleasure of stropping the razor day after day, feeling the sharp edge, and thinking of the gash one stroke of its thin bright edge would make!


    At last the old spirits who had been with me so often before whispered in my ear that the time was come, and thrust the open razor into my hand. I grasped it firmly, rose softly from the bed, and leaned over my sleeping wife. Her face was buried in her hands. I withdrew them softly, and they fell listlessly on her bosom. She had been weeping; for the traces of the tears were still wet upon her cheek. Her face was calm and placid; and even as I looked upon it, a tranquil smile lighted up her pale features. I laid my hand softly on her shoulder. She started – it was only a passing dream. I leant forward again. She screamed, and woke.


    One motion of my hand, and she would never again have uttered cry or sound. But I was startled, and drew back. Her eyes were fixed on mine. I know not how it was, but they cowed and frightened me; and I quailed beneath them. She rose from the bed, still gazing fixedly and steadily on me. I trembled; the razor was in my hand, but I could not move. She made towards the door. As she neared it, she turned, and withdrew her eyes from my face. The spell was broken. I bounded forward, and clutched her by the arm. Uttering shriek upon shriek, she sunk upon the ground.


    Now I could have killed her without a struggle; but the house was alarmed. I heard the tread of footsteps on the stairs. I replaced the razor in its usual drawer, unfastened the door, and called loudly for assistance.


    They came, and raised her, and placed her on the bed. She lay bereft of animation for hours; and when life, look, and speech returned, her senses had deserted her, and she raved wildly and furiously.
    Doctors were called in – great men who rolled up to my door in easy carriages, with fine horses and gaudy servants. They were at her bedside for weeks. They had a great meeting, and consulted together in low and solemn voices in another room. One, the cleverest and most celebrated among them, took me aside, and bidding me prepare for the worst, told me – me, the madman! – that my wife was mad. He stood close beside me at an open window, his eyes looking in my face, and his hand laid upon my arm. With one effort, I could have hurled him into the street beneath. It would have been rare sport to have done it; but my secret was at stake, and I let him go. A few days after, they told me I must place her under some restraint: I must provide a keeper for her. I! I went into the open fields where none could hear me, and laughed till the air resounded with my shouts!


    She died next day. The white-headed old man followed her to the grave, and the proud brothers dropped a tear over the insensible corpse of her whose sufferings they had regarded in her lifetime with muscles of iron. All this was food for my secret mirth, and I laughed behind the white handkerchief which I held up to my face, as we rode home, 'till the tears came into my eyes.


    (wird fortgesetzt)


    Zitat

    Original von Pius
    Danke, daß Du den Text hier auch ins Forum gestellt hast. Nun gibts eigentlich für die des Englischen mächtigen hier keine Ausrede mehr, nicht beim Poe-Lesen mitzumachen...


    Als Quasi-Fortsetzung oben nun die Passage aus Dickens: The Posthumous Papers of the Pickwick Club - "A Madman's Manuscript", die zweite literarische Vorlage neben Scotts Ivanhoe. Während man wohl die Personen von Scott veraussetzen kann, halte ich es für sinnvoll, den Dickenstext hier einzustellen.


    Zitat


    P.S.: Ich hoffe, Du fügst die threads bald wieder zusammen!


    Wenn ich die Klausuren hinter mir habe, rück ich alles wieder beisammen ...


    Liebe Grüße Peter

  • Charles Dickens: The Posthumous Papers of the Pickwick Club
    - 11th chapter [expt.] A Madman's Manuscript

    (concl.)


    But though I had carried my object and killed her, I was restless and disturbed, and I felt that before long my secret must be known. I could not hide the wild mirth and joy which boiled within me, and made me when I was alone, at home, jump up and beat my hands together, and dance round and round, and roar aloud. When I went out, and saw the busy crowds hurrying about the streets; or to the theatre, and heard the sound of music, and beheld the people dancing, I felt such glee, that I could have rushed among them, and torn them to pieces limb from limb, and howled in transport. But I ground my teeth, and struck my feet upon the floor, and drove my sharp nails into my hands. I kept it down; and no one knew I was a madman yet.


    I remember – though it's one of the last things I can remember: for now I mix up realities with my dreams, and having so much to do, and being always hurried here, have no time to separate the two, from some strange confusion in which they get involved – I remember how I let it out at last. Ha! ha! I think I see their frightened looks now, and feel the ease with which I flung them from me, and dashed my clenched fist into their white faces, and then flew like the wind, and left them screaming and shouting far behind. The strength of a giant comes upon me when I think of it. There – see how this iron bar bends beneath my furious wrench. I could snap it like a twig, only there are long galleries here with many doors – I don't think I could find my way along them; and even if I could, I know there are iron gates below which they keep locked and barred. They know what a clever madman I have been, and they are proud to have me here, to show.


    Let me see; – yes, I had been out. It was late at night when I reached home, and found the proudest of the three proud brothers waiting to see me – urgent business he said: I recollect it well. I hated that man with all a madman's hate. Many and many a time had my fingers longed to tear him. They told me he was there. I ran swiftly up-stairs. He had a word to say to me. I dismissed the servants. It was late, and we were alone together – for the first time.


    I kept my eyes carefully from him at first, for I knew what he little thought – and I gloried in the knowledge – that the light of madness gleamed from them like fire. We sat in silence for a few minutes. He spoke at last. My recent dissipation, and strange remarks, made so soon after his sister's death, were an insult to her memory. Coupling together many circumstances which had at first escaped his observation, he thought I had not treated her well. He wished to know whether he was right in inferring that I meant to cast a reproach upon her memory, and a disrespect upon her family. It was due to the uniform he wore, to demand this explanation.


    This man had a commission in the army – a commission, purchased with my money, and his sister's misery! This was the man who had been foremost in the plot to ensnare me, and grasp my wealth. This was the man who had been the main instrument in forcing his sister to wed me; well knowing that her heart was given to that puling boy. Due to his uniform! The livery of his degradation! I turned my eyes upon him – I could not help it – but I spoke not a word.

    I saw the sudden change that came upon him beneath my gaze. He was a bold man, but the colour faded from his face, and he drew back his chair. I dragged mine nearer to him; and as I laughed – I was very merry then – I saw him shudder. I felt the madness rising within me. He was afraid of me.


    ›You were very fond of your sister when she was alive‹ – I said – ›Very.‹


    He looked uneasily round him, and I saw his hand grasp the back of his chair: but he said nothing.


    ›You villain,‹ said I, ›I found you out; I discovered your hellish plots against me; I know her heart was fixed on some one else before you compelled her to marry me. I know it – I know it.‹


    He jumped suddenly from his chair, brandished it aloft, and bid me stand back – for I took care to be getting closer to him all the time I spoke.


    I screamed rather than talked, for I felt tumultuous passions eddying through my veins, and the old spirits whispering and taunting me to tear his heart out.


    ›Damn you,‹ said I, starting up, and rushing upon him; ›I killed her. I am a madman. Down with you. Blood, blood! I will have it!‹


    I turned aside with one blow the chair he hurled at me in his terror, and closed with him; and with a heavy crash we rolled upon the floor together.


    It was a fine struggle that; for he was a tall strong man, fighting for his life; and I, a powerful madman, thirsting to destroy him. I knew no strength could equal mine, and I was right. Right again, though a madman! His struggles grew fainter. I knelt upon his chest, and clasped his brawny throat firmly with both hands. His face grew purple; his eyes were starting from his head, and with protruded tongue, he seemed to mock me. I squeezed the tighter.


    The door was suddenly burst open with a loud noise, and a crowd of people rushed forward, crying aloud to each other to secure the madman.


    My secret was out; and my only struggle now was for liberty and freedom. I gained my feet before a hand was on me, threw myself among my assailants, and cleared my way with my strong arm, as if I bore a hatchet in my hand, and hewed them down before me. I gained the door, dropped over the banisters, and in an instant was in the street.


    Straight and swift I ran, and no one dared to stop me. I heard the noise of feet behind, and redoubled my speed. It grew fainter and fainter in the distance, and at length died away altogether: but on I bounded, through marsh and rivulet, over fence and wall, with a wild shout which was taken up by the strange beings that flocked around me on every side, and swelled the sound, till it pierced the air. I was borne upon the arms of demons who swept along upon the wind, and bore down bank and hedge before them, and spun me round and round with a rustle and a speed that made my head swim, until at last they threw me from them with a violent shock, and I fell heavily upon the earth. When I woke I found myself here – here in this gay cell where the sun-light seldom comes, and the moon steals in, in rays which only serve to show the dark shadows about me, and that silent figure in its old corner. When I lie awake, I can sometimes hear strange shrieks and cries from distant parts of this large place. What they are, I know not; but they neither come from that pale form, nor does it regard them. For from the first shades of dusk 'till the earliest light of morning, it still stands motionless in the same place, listening to the music of my iron chain, and watching my gambols on my straw bed.«


    At the end of the manuscript was written, in another hand, this note:


    [The unhappy man whose ravings are recorded above, was a melancholy instance of the baneful results of energies misdirected in early life, and excesses prolonged until their consequences could never be repaired. The thoughtless riot, dissipation, and debauchery of his younger days, produced fever and delirium. The first effects of the latter was the strange delusion, founded upon a well-known medical theory, strongly contended for by some, and as strongly contested by others, that an hereditary madness existed in his family. This produced a settled gloom, which in time developed a morbid insanity, and finally terminated in raving madness. There is every reason to believe that the events he detailed, though distorted in the description by his diseased imagination, really happened. It is only matter of wonder to those who were acquainted with the vices of his early career, that his passions, when no longer controlled by reason, did not lead him to the commission of still more frightful deeds.]










    Liebe Grüße Peter

  • [Dritte Szene des zweiten Aufzugs]



    Faust und sieben Geister.


    FAUST. Ihr? Ihr seid die schnellesten Geister der Hölle?
    DIE GEISTER ALLE. Wir.
    FAUST. Seid ihr alle sieben gleich schnell?
    DIE GEISTER ALLE. Nein.
    FAUST. Und welcher von euch ist der Schnelleste?
    DIE GEISTER ALLE. Der bin ich!
    FAUST. Ein Wunder! daß unter sieben Teufel nur sechs Lügner sind. – Ich muß euch näher kennen lernen.
    DER ERSTE GEIST. Das wirst du! Einst!
    FAUST. Einst! Wie meinst du das? Predigen die Teufel auch Buße?
    DER ERSTE GEIST. Ja wohl, den Verstockten. – Aber halte uns nicht auf.
    FAUST. Wie heißest du? Und wie schnell bist du?
    DER ERSTE GEIST. Du könntest eher eine Probe, als eine Antwort haben.
    FAUST. Nun wohl. Sieh her; was mache ich?
    DER ERSTE GEIST. Du fährst mit deinem Finger
    schnell durch die Flamme des Lichts –
    FAUST. Und verbrenne mich nicht. So geh auch du, und fahre siebenmal eben so schnell durch die Flammen der Hölle, und verbrenne dich nicht. – Du verstummst? Du bleibst? – So prahlen auch die Teufel? Ja, ja; keine Sünde ist so klein, daß ihr sie euch nehmen ließet. – Zweiter, wie heißest du?
    DER ZWEITE GEIST. Chil; das ist in eurer langweiligen Sprache: Pfeil der Pest.
    FAUST. Und wie schnell bist du?
    DER ZWEITE GEIST. Denkest du, daß ich meinen Namen vergebens führe? – Wie die Pfeile der Pest.
    FAUST. Nun so geh, und diene einem Arzte! Für mich bist du viel zu langsam. – Du Dritter, wie heißest du?
    DER DRITTE GEIST. Ich heiße Dilla; denn mich tragen die Flügel der Winde.
    FAUST. Und du Vierter? –
    DER VIERTE GEIST. Mein Name ist Jutta, denn ich fahre auf den Strahlen des Lichts.
    FAUST. O ihr, deren Schnelligkeit in endlichen Zahlen auszudrücken, ihr Elenden –
    DER FÜNFTE GEIST. Würdige sie deines Unwillens nicht. Sie sind nur Satans Boten in der Körperwelt. Wir sind es in der Welt der Geister; uns wirst du schneller finden.
    FAUST. Und wie schnell bist du?
    DER FÜNFTE GEIST. So schnell als die Gedanken des Menschen.
    FAUST. Das ist etwas! – Aber nicht immer sind die Gedanken des Menschen schnell. Nicht da, wenn Wahrheit und Tugend sie auffordern. Wie träge sind sie alsdenn! – Du kannst schnell sein, wenn du schnell sein willst: aber wer steht mir dafür, daß du es allezeit willst? Nein, dir werde ich so wenig trauen, als ich mir selbst hätte trauen sollen. Ach! – Zum sechsten Geiste. Sage du, wie schnell bist du? –
    DER SECHSTE GEIST. So schnell als die Rache des Rächers.
    FAUST. Des Rächers? Welches Rächers?
    DER SECHSTE GEIST. Des Gewaltigen, des Schrecklichen, der sich allein die Rache vorbehielt, weil ihn die Rache vergnügte. –
    FAUST. Teufel! du lästerst, denn ich sehe, du zitterst. – Schnell, sagst du, wie die Rache des – Bald hätte ich ihn genennt! Nein, er werde nicht unter uns genennt! – Schnell wäre seine Rache? Schnell? – Und ich lebe noch? Und ich sündige noch? –
    DER SECHSTE GEIST. Daß er dich noch sündigen läßt, ist schon Rache!
    FAUST. Und daß ein Teufel mich dieses lehren muß! – Aber doch erst heute! Nein, seine Rache ist nicht schnell, und wenn du nicht schneller bist als seine Rache, so geh nur. Zum siebenden Geiste. – Wie schnell bist du?
    DER SIEBENDE GEIST. Unzuvergnügender Sterbliche, wo auch ich dir nicht schnell genug bin – –
    FAUST. So sage; wie schnell?
    DER SIEBENDE GEIST. Nicht mehr und nicht weniger, als der Übergang vom Guten zum Bösen. –
    FAUST. Ha! du bist mein Teufel! So schnell als der Übergang vom Guten zum Bösen! – Ja, der ist schnell; schneller ist nichts als der! – Weg von hier, ihr Schnecken des Orcus! Weg! – Als der Übergang vom Guten zum Bösen! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren! etc. – –

  • "Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau rausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt.


    Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist."

  • Zehntes Kapitel


    Das kürzeste Kapitel dieses Buches nebst einer Anmerkung des Herausgebers


    Die letzteren Reden zu verstehen, muß gesagt werden, bevor Münchhausen wieder das Zimmer betritt, daß unter den vielen wunderwürdigen Dingen, die den Schloßbewohnern an dem Gaste auffielen, zwei im vorzüglichsten Grade ihr Erstaunen erregten. Er hatte nämlich ein blaues und ein braunes Auge, welcher Umstand seinem Antlitze einen ungemein charakteristischen Ausdruck gab, um so charakteristischer, als, wenn seine Seele voll gemischter Empfindungen war, die verschiedenen Elemente solcher Stimmungen gesondert in den beiden Augen hervortraten. Fühlte er z.B. eine freudige Wehmut, so leuchtete die Freude aus dem braunen Auge, die Wehmut dahingegen zitterte im blauen. Denn diesem blieben die zarten, dem braunen die starken Gefühle zugewiesen.


    Sein Gesicht war, wie ich es schon beschrieben habe, nämlich bleich, mit einem gelblichen Anfluge, etwa von der Farbe des pentelischen Marmors, oder eines in Wachs gesottnen Meerschaumpfeifenkopfes, der seinen Raucher noch nicht gefunden hat. Stiegen in ihm Affekte auf, welche bei uns andern ein Erröten hervorzubringen pflegen, so lief über seine Gesichtsfläche ein grüner Farbenton. Daher hatte der alte Baron auch sehr richtig den Ausdruck: Ergrünen, gebraucht, und wir werden uns desselben ebenfalls bedienen müssen, wenn Münchhausen im Verlaufe dieser Geschichten in Affekt geraten und die Farben wechseln sollte.


    Anfangs hatten die Schloßbewohner diese Phänomene mit einem geheimen Schrecken betrachtet. Bald indessen tilgten die großen Eigenschaften des Mannes und seine hinreißenden Darstellungen den Schrecken, und es blieb nur eine starke Neugier nach, was es mit jenem Farbenspiele für eine Bewandtnis haben möge? Diese Neugier war begreiflicherweise in dem alten Baron am stärksten.


    Aber sie sollte auch an diesem Abende noch nicht gestillt werden. Denn nachdem er mit seiner Tochter eine geraume Zeit auf die Rückkunft Münchhausens gewartet hatte, trat statt seiner der Bediente Karl Buttervogel in das Zimmer und sagte: »Mein Herr läßt sich entschuldigen; er kann das Buch nicht finden. Auch muß er« – setzte der Mensch geheimnisvoll und halbleise hinzu – »seine chemischen Mittel brauchen.«


    »Mittel? Chemische Mittel?« fragte der alte Baron besorgt. »Ist Sein Herr krank geworden?«


    »Das nicht«, versetzte Karl Buttervogel, »aber der Lebenspurzeß kam in Abnahme und die Gassen müssen angewendet werden.«


    »Er will wohl sagen: Lebensprozeß, und: Gase?« sprach der alte Baron nach einigem Besinnen. »Aber was soll denn das bedeuten?«


    »Ich weiß nicht«, erwiderte der Bediente mit einer wichtigen Miene. »Es ist noch nicht aller Tage Abend und mit meinem Herrn steht es so so. Ein gescheiter Herr, ein gelahrter Herr, aber, aber, ich lobe mir Vater und Mutter!«


    Der Schloßherr drang vergebens in den Menschen, sich näher zu erklären. Das neue Geheimnis hatte indessen nicht Zeit, in den Seelen der Schloßbewohner Wurzeln zu schlagen, denn Münchhausens Reden waren gerade in den Tagen, welche diesem Abende folgten, besonders gehaltreich, so daß der alte Baron selbst die Frage nach den Ursachen des Farbenspiels im Antlitze seines Gastes eine Zeitlang vergaß.


    Wir werden im folgenden einige dieser Reden und Erzählungen zur Kunde der Lesewelt bringen.


    Anmerkung


    Hier schließen sich die Kapitel eilf bis fünfzehn an, welche der wohlwollende Buchbinder der Spannung halber vorgeheftet hat. Ich habe über die Ratschläge nachgedacht, welche mir von diesem Manne heimlicherweise erteilt worden sind, werde sie befolgen, und kann dem günstigen Leser in den folgenden Büchern die allerherrlichsten und kostbarsten Dinge versprechen. Der »Münchhausen« wird ein Buch, bei dem man nicht begreift, wie Gott der Herr, ohne es gelesen zu haben, mit der Schöpfung fertig geworden ist.


    Die deutsche Literatur hebt erst von meinem »Münchhausen« an. Der günstige Leser glaube diesen Verheißungen! Ich hätte mir zu denselben wohl eigentlich einen von den jungen Leuten in Hamburg, Berlin oder Leipzig mieten müssen, aber ich dachte zuletzt, eigne oder fremde Fabrik gelte gegenwärtig in diesem Artikel gleich viel, und darum ersparte ich mir den Heuerlohn und die Komplimente.

  • Der Hofschulze


    Im Hofe zwischen den Scheuren und Wirtschaftsgebäuden stand mit aufgekrempten Hemdärmeln der alte Hofschulze und schaute achtsam in ein Feuer, welches zwischen Steinen und Kloben am Boden entzündet, lustig flackerte. Er rückte einen kleinen Amboß, der danebenstand, zurecht, legte sich Hammer und Zange zum Griffe bereit, prüfte die Spitzen einiger großen Radnägel, die er aus dem Bruststücke des vorgebundenen Schurzfells zog, legte die Nägel auf das Bodenbrett des Leiterwagens, dessen Rad er ausbessern wollte, und drehte die Stelle des Rades, von welcher ein Stück Schiene abgebrochen war, achtsam nach oben, worauf er durch untergeschobene Steine das Rad in seiner Stellung festigte.


    Nachdem er wieder ein paar Augenblicke in das Feuer gesehen hatte, ohne daß seine hellen und scharfen Augen davon zu blinzeln begannen, fuhr er rasch mit der Zange hinein, hob das rotglühende Stück Eisen heraus, legte es auf den Amboß, schwang den Hammer darüber, daß die Funken sprühten, schlug das noch immer glutrötliche um das Rad, da wo die Schiene fehlte, schlug und schweißte es mit zwei gewaltigen Schlägen fest, und trieb dann die Nägel, welche es in seiner weichen Dehnbarkeit noch immer leicht hindurchließ, an ihre Plätze.


    Einige der stärksten und heftigsten Schläge gaben dem eingefügten Stücke das letzte Geschick. Der Schulze stieß mit dem Fuße die vor das Rad gelegten Steine hinweg, faßte den Wagen bei der Stange, um das geflickte Rad zu prüfen, und zog ihn ungeachtet seiner Schwere ohne Anstrengung quer über den Hof, so daß die Hühner, Gänse und Enten, welche sich ruhig gesonnt hatten, mit großem Geschrei vor dem rasselnden Wagen entflohen, und ein paar Schweine aus ihrem eingewühlten Lager grunzend auffuhren.


    Zwei Männer, von denen der eine ein Pferdehändler, der andre ein Rendant oder Rezeptor war, hatten, unter der großen Linde am Tische vor dem Wohnhause sitzend und ihren Trunk verzehrend, der Arbeit des alten, rüstigen Mannes zugesehen. »Das muß wahr sein«, rief jetzt der eine, der Pferdehändler, »Ihr hättet einen tüchtigen Schmidt abgegeben, Hofschulze!«


    Der Hofschulze wusch in einem Stalleimer voll Wasser, welcher neben dem kleinen Ambosse stand, sich Hände und Gesicht, goß dann das Feuer aus, und sagte: »Ein Narr, der dem Schmidt gibt, was er selbst verdienen kann.« Er nahm den Amboß, als sei er eine Feder, auf, und trug ihn nebst Hammer und Zange unter einen kleinen Schoppen zwischen Wohnhaus und Scheure, in welchem Hobelbank, Säge, Stemmeisen, und was sonst zu Zimmer- und Schreinergewerk gehört, bei Holz und Brettern mancher Art stand, lag oder hing.


    Indem der Alte sich unter dem Schoppen noch zu schaffen machte, sagte der Pferdehändler zu dem Rezeptor: »Wollen Sie glauben, daß der auch alle Pfosten, Türen und Schwellen, die Kisten und Kasten im Hause mit eigner Hand flickt, oder, wenn das Glück gut ist, auch neu zuschneidet? Ich meine, wenn er wollte, könnte er auch einen Kunstschreiner vorstellen und würde einen richtigen Schrank zuwege bringen.«


    »Da seid Ihr im Irrtum«, sprach der Hofschulze, der das letzte gehört hatte und, das Schurzfell jetzt abgetan, im weißleinenen Kittel aus dem Schoppen trat. Er setzte sich zu den beiden Männern an den Tisch, eine Magd brachte ihm auch ein Glas, er tat seinen Gästen Bescheid und fuhr dann fort: »Zu einem Pfosten, zu einer Türe und Schwelle gehören nur ein Paar gesunde Augen und eine firme Faust, aber ein Schreiner braucht mehr. Ich habe mich einmal vom Hochmut verleiten lassen, und wollte, wie Ihr es nennt, einen richtigen Schrank zuwege bringen, weil mir Hobel und Meißel und Reißschiene auch bei dem Zimmerwerk durch die Hände gegangen waren. Ich maß und zeichnete und schnitt die Hölzer zu, auf Fuß und Zoll hatte ich alles abgepaßt; ja, als es nun an das Zusammenfügen und Leimen gehen sollte, war alles verkehrt. Die Wände standen windschief und klafften, die Klappe vorne war zu groß, und die Kasten für die Öffnungen zu klein. Ihr könnt das Gemächt noch sehen, ich habe es auf dem Sill stehen lassen, mich vor Versuchung künftig zu wahren, denn es tut dem Menschen immer gut, wenn er eine Erinnerung an seine Schwachheit vor Augen hat.«

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Der Hofschulze


    In diesem Augenblicke ließ sich ein lustiges Wiehern aus dem Pferdestalle gegenüber vernehmen. Der Pferdehändler räusperte sich, spuckte aus, schlug sich Feuer an, blies dem Rezeptor eine starke Dampfwolke in das Gesicht, sah sehnsüchtig nach dem Stalle und dann gedankenvoll vor sich nieder. Hierauf spuckte er nochmals aus, nahm den lackierten Hut vom Kopfe, strich mit dem Arme über die Stirn und sagte: »Noch immer eine schwüle Witterung.« – Dann schnallte er seine lederne Geldkatze vom Leibe, warf sie mit Getöse auf den Tisch, daß der Inhalt klang und klirrte, lösete die Riemen und zählte zwanzig blanke Goldstücke hin, bei deren Anblicke die Augen des Rezeptors zu funkeln anfingen, und nach denen der alte Hofschulze gar nicht hinsah. »Hier ist das Geld!« rief der Pferdehändler, die Faust geballt auf den Tisch stemmend, »krieg' ich die braune Stute dafür? Sie ist, weiß Gott, nicht einen Heller mehr wert.«


    »Dann behaltet Euer Geld, damit Ihr nicht zu Schaden kommt«, versetzte der Hofschulze kaltblütig. »Sechsundzwanzig, wie ich gesagt habe, und keinen Stüber darunter. Ihr kennt mich nun die Jahre her, Herr Marx, und solltet daher wissen, daß das Dringen und Feilschen bei mir nicht verschlägt, weil ich nie von meiner Sprache abgehe. Ich begehre, was mir eine Sache wert ist und tue niemalen vorschlagen, und so könnte ein Posaunenengel vom Himmel dahergefahren kommen, er kriegte die Braune nicht unter sechsundzwanzig.«


    »Aber Gott's Sackerlot«, schrie der Pferdehändler erbost, »aus Fordern und Bieten besteht doch der Handel, und meinen eignen Bruder überfrage ich, und wenn kein Vorschlagen mehr in der Welt ist, so hört alles Geschäft auf!«


    »Im Gegenteil«, erwiderte der Hofschulze, »das Geschäft kostet dann weit weniger Zeit und ist schon um deshalb profitlicher, aber auch außerdem haben beide Teile von einem Handel ohne Vorschlagen vielen Nutzen. Ich habe es immer erlebt, daß, wenn vorgeschlagen wird, sich die Natur erhitzt, und zuletzt niemand mehr recht weiß, was er redet oder tut. Da läßt denn der Verkäufer, um nur dem Gehader ein Ende zu machen, die Ware oft unter dem Preise, den er im stillen bei sich festsetzte, und der Käufer seinerseits in der Begierde und Brunst des Bietens vertut sich ebenso oftmals. Ist aber gar keine Rede von Ablassen, dann bleiben beide schön ruhig, und wahren sich vor Schaden.«


    »Da Ihr so vernünftig redet, so werdet Ihr meinen Antrag jetzt besser erwogen haben«, hob der Rezeptor an. »Wie gesagt, die Regierung will alle Korngefälle der Höfe in hiesiger Gegend in Geld umwandeln. Sie hat allein den Schaden davon, denn Korn bleibt Korn, aber Geld ist heute so viel und morgen so viel wert, indessen ist es nun einmal ihr Wille, um der Last des Aufspeicherns quitt zu werden. Ihr tut mir also den Gefallen, und unterschreibt diese neue, auf Geld lautende Urkunde, die ich da zu diesem Behufe schon mitgebracht habe.«


    »Durchaus nicht«, antwortete der Hofschulze eifrig. »Es ist ein alter Glaube hierzulande, daß wer seinem Hofe eine Last auflegt, dafür zur Strafe nach seinem Tode auf dem Hofe umgehen muß. Ich weiß nicht, wie es damit beschaffen ist, aber das weiß ich: Vom Oberhofe sind seit vielen hundert Jahren nur Körner an die Gotteszelle gegeben worden, und damit wolle sich also das Rentamt begnügen, wie das Stift sich damit begnügt hat. Wächst Geld auf meinem Acker? Nein. Korn wächst darauf. Woher wollen sie also das Geld nehmen?«


    »Ihr sollt ja nicht übervorteilt werden!« rief der Rezeptor. »Es muß alles beim alten bleiben«, sagte der Hofschulze feierlich. »Das war noch eine gute Zeit, als die Tafeln mit den Verzeichnissen der Lasten und Abgaben der Bauerschaft in der Kirche hingen. Dazumalen stand alles fest, und kein Gezänk hat sich nimmer darüber begeben, wie neuerdings nur gar zu oft. Hernacher hieß es, die Tafeln mit den Hühnern und Eiern und Maltern und Sümmern schadeten der Andacht, und sie wurden hinweggetan. Im Gegenteil, sie hatten immer zu Predigt und Gesang gehört, wie Amen und Segen; ich für mein Teil, wenn ich sie ansah, besonders beim dritten Teile oder der Nutzanwendung, hatte die erbaulichsten Gedanken bekommen, zum Exempel: Überhebe dich nicht, denn da steht geschrieben, wieviel Zinsroggen und Schloßhafer du geben mußt, oder auch so: Wenn du draußen Lasten zu tragen hast, hier im Gotteshause bist du frei, und was dergleichen mehr war. Nun aber, als man auf die leeren Stellen sah, gingen die Gedanken immer wandern und suchen nach den Tafeln, und es dauerte geraume Zeit, ehe und bevor die Menschheit wieder recht nach dem Pastor hinhörte.«


    Er ging in sein Haus. – »Das ist ein alter Racker!« rief der Pferdehändler, als er seinen Handelsfreund nicht mehr sah, indem er den lackierten Hut verdrießlich wieder auf den Kopf stülpte. »Wenn der nicht will, so bringt ihn der Teufel nicht herum. Das Schlimmste ist, daß der Kerl die besten Pferde in der Gegend zieht, und sie im Grunde sozusagen billig genug losschlägt.«


    »Ein starres, widerhaariges Volk hierzulande«, sagte der Rezeptor. »Ich bin erst vor kurzem aus Sachsen herversetzt, und merke den Abstand. Dort wohnen die Leute beisammen und deshalb müssen sie schon höflich und nachgiebig und betulich miteinander sein. Aber hier sitzt ein jeder auf seinem Kampe, hat sein Holz, sein Feld, seinen Wiesewachs um sich, als gäbe es sonst nichts in der Welt. Darum halten sie auch auf ihre alten Schnurren und Faxen so steif, die anderwärts überall abgekommen sind. Was für Mühe habe ich schon mit den andern Bauern wegen der dummen Umschreibereien gehabt, aber dieser hier ist doch der schlimmste.«


    »Das kommt daher, Herr Rezeptor, weil er so reich ist«, bemerkte der Pferdehändler. »Mich wundert, daß Sie es mit den andern in der Bauerschaft ohne ihn durchgesetzt haben, denn der hier ist ihr General und Advokat und alles, sie richten sich in jeglicher Sache nach ihm. Er bückt sich vor keinem. Vorm Jahre kam ein Prinz hier durch; wie er den Hut vor dem abnahm, war es wahrhaftig, als wollte er sagen: Du bist der und ich bin der. Der Mistfink! Für die Stute sechsundzwanzig Pistolen haben zu wollen! Aber das ist das Unglück, wenn der Bauer zu viel Vermögen kriegt. Wenn Sie dort durch das Eichholz hindurch sind, gehen Sie eine geschlagene halbe Glockenstunde durch seine Felder. Und alles bestellt, daß es nur so eine Art hat. Ich bin mit meiner Koppel vorgestern durch den Roggen und Weizen geritten, und Gott strafe mich, wenn was anderes als die Köpfe von den Pferden über die Ähren hinübersahen. Ich dachte, ich würde ersaufen.«


    »Woher hat er's denn?« fragte der Rezeptor.


    »Oh!« rief der Pferdehändler, »da liegen hier mehrere solcher Höfe herum, man heißt sie Oberhöfe; wenn die nicht manchen Edelmann ausstechen, so will ich nicht Marx heißen. Das Erdreich ist von uralter Zeit zusammengeblieben. Und sparsam und fleißig ist der Nichtsnutz von jeher gewesen, das muß man ihm lassen. Sie sahen ja, wie er sich abäscherte, nur um dem Schmidt die paar Groschen Verdienst zu nehmen. Jetzt freit seine Tochter einen andern jungen Geldschlingel; die kriegt mit! Ich bin an der Leinwandkammer durchgegangen, der Flachs und das Garn, das Gebild, die Wäsche und alle mögliche Kramerei ist bis unter die Decke gestopft. Und dazu gibt ihr der alte Schabhals noch bare sechstausend Taler mit. Blicken Sie nur um sich; ist es nicht hier, als ob man bei einem Grafen wäre?«


    Während der letzten Reden hatte der verdrießliche Pferdehändler sacht in die Geldkatze gegriffen und den zwanzig Goldstücken, gleichsam gleichgültig tuend, noch sechs hinzugefügt. Der Hofschulze trat wieder in die Türe, und der andre sagte brummend, ohne ihn anzusehen: »Da liegen die sechsundzwanzig, weil es einmal nicht anders sein soll.«


    Der alte Bauer lächelte schalkhaft und sprach: »Ich wußte wohl, daß Ihr das Pferd kaufen würdet, Herr Marx, denn Ihr sucht für den Rittmeister in Unna eins zu dreißig Pistolen, und mein Bräunchen paßt Euch dazu, wie bestellt. Ich ging auch nur in das Haus, um die Goldwaage zu holen, und konnte vorhersehen, daß Ihr Euch unterdessen besonnen haben würdet.«


    Der Alte, welcher in seinen Bewegungen bald etwas ungemein Rasches, bald wieder die größte Bedächtigkeit zeigte, je nachdem das Geschäft war, was er trieb, setzte sich an den Tisch, wischte langsam und sorgfältig seine Brille ab, spannte sie über die Nase und fing nun an, die Goldstücke genau zu wägen. Zwei oder drei musterte er als zu leicht aus, worüber der Pferdehändler ein heftiges Gezeter erhob, welchem der Hofschulze schweigend und kaltblütig, die Waage in der Hand behaltend, zuhörte, bis der andre statt der verworfenen vollwichtige hervorholte. Endlich war die Sache beendigt, der Verkäufer packte bedächtig das Geld in ein Papier und ging mit dem Pferdehändler nach dem Stalle, um ihm das Pferd zu überliefern. Der Rezeptor wartete die Rückkunft der beiden nicht ab. »Mit solchem Klotz ist nichts anzufangen«, sagte er, »aber wenn du uns nur nicht so ordentlich auf die Termine bezahltest, wir wollten dich –« Er fühlte nach seinen urkundlichen Papieren in der Tasche, merkte an ihrem Knittern, daß sie noch darin seien, und schlich vom Hofe.


    Aus dem Stalle traten der Roßkamm, der Schulze und ein Knecht, welcher zwei Pferde, das des Roßkammes und die erkaufte braune Stute hinter sich herführte. Der alte Schulze sagte, indem er die letztere zum Abschiede streichelte: »Es tut einem immer leid, wenn man eine Kreatur, die man aufzog, losschlägt, aber wer kann dawider? – Nun, halte dich brav, Bräunchen!« rief er und gab dem Tiere einen herzhaften Schlag auf die runden, glänzenden Schenkel.


    Der Pferdehändler war indessen aufgestiegen und sah mit seiner langen Figur und der kurzen Schoßjacke unter dem breitkrempigen lackierten Hute, mit seinen erbsengelben Hosen über den dürren Lenden und den hochhinaufreichenden ledernen Kamaschen, mit seinen Pfundspornen und mit seiner Peitsche wie ein Wegelagerer aus. Er ritt, ohne Lebewohl zu sagen, fluchend und wetternd davon, die Braune am Leitzaum nachziehend. Keinen Blick wandte er nach dem Gehöfte zurück, die Braune dahingegen drehte mehrere Male den Hals um und wieherte wehmütig, als wollte sie klagen, daß ihre gute Zeit nun vorüber sei. Der Hofschulze blieb, die Arme in die Seite gestemmt, mit dem Knechte stehen, bis der Zug durch den Baumgarten verschwunden war. Dann sagte der Knecht: »Das Vieh grämt sich.« – »Warum sollte es nicht?« erwiderte der Hofschulze, »grämen wir uns doch auch. Komm auf den Futterboden, wir wollen Hafer messen.«

  • Rat und Anteil


    Indem er sich mit dem Knechte dem Hause zuwandte, sah er, daß der Platz unter den Linden schon wieder von neuen Gästen eingenommen war. Diese hatten aber ein sehr verschiedenartiges Ansehen. Denn es saßen da drei bis vier Bauern, seine nächsten Nachbarn, und neben ihnen saß ein bildschönes Mädchen. Dieses bildschöne Mädchen war die blonde Lisbeth, welche im Oberhofe genächtiget hatte.


    Ich werde mich nicht vermessen, ihre Schönheit zu beschreiben; es käme dabei doch nur auf rote Wangen und blaue Augen hinaus, und diese allerliebsten Dinge, so frisch sie sich in der Wirklichkeit halten, sind schwarz auf weiß etwas abgestanden. Es denke sich daher jeder Leser seine jetzige oder ehemalige Geliebte, und jede Leserin blicke in den Spiegel, oder erinnere sich, wie sie an ihrem Brauttage ausgesehen hat, so wird die Lisbeth vor allen Leuten dastehen, wie sie leibt und lebt.


    Der Hofschulze ging, ohne sich vorläufig um die langhaarigen, bekittelten Nachbarn zu kümmern, auf seinen blühenden Gast zu und sagte: »Nun? Gut geschlafen, Mamsellchen?«


    »Prächtig«, versetzte Lisbeth.


    »Was haben Sie denn am Finger? Sie tragen ihn ja verbunden?« fragte der Alte.


    »Nichts«, antwortete das junge Mädchen und errötete. Sie wollte eine andere Unterredung anfangen. Der Hofschulze ließ sich aber nicht irren, ergriff ihre Hand, an welcher sie den Finger verbunden trug und rief: »Es ist doch nicht schlimm?«


    »Nicht der Rede wert«, versetzte Lisbeth. »Als ich Eurer Tochter gestern abend nähen half, fuhr mir die Nadel in den Finger, und da hat er geblutet, das ist alles.«


    »Ei! Ei!« sagte der Hofschulze schmunzelnd, »und wie ich sehe, ist es sogar der Ringfinger; das bedeutet was Gutes. Wissen Sie wohl, daß wenn eine Jungfer einer Braut hilft am Brautlinnen nähen und verwundet sich am Ringfinger, sie noch im nämlichen Jahre auch Braut wird? Nun, ich gratulier' schönstens zum schmucken Freiersmann.«


    Die Bauern lachten; die blonde Lisbeth ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern rief fröhlich: »Und wißt Ihr auch meinen Spruch, den ich von der Spröden gelernt habe? Er lautet:


    Soweit der Herr die Lilien kleidet,
    Und auch die jungen Raben weidet,
    Geht mein Hab und Gut;
    Drum, wer nach mir fragen tut,
    Der soll tun nach mir fragen
    Mit vier Pferden vorm Wagen!«


    »Und –« fiel der Hofschulze ein –


    »Er soll mich fangen, wie die Maus
    Und angeln, wie einen Fisch,
    Und schießen, wie ein Reh –«


    Ein Schuß fiel in der Nähe. »Sehen Sie, Mamsellchen, das trifft zu«, rief der Alte.


    »Laßt jetzt Eure losen Reden, Hofschulze«, sagte das junge Mädchen. »Ich bin darum bei Euch eingekehrt, um von Euch Rat wegen der Gülten zu bekommen, und den gebt mir also nun auch ohne Scherz und Possen.«


    Der Hofschulze setzte sich, um zu hören und zu reden, in Positur, die Lisbeth zog ein Schreibtäflein heraus und las die Namen der Bauern ab, bei welchen sie in den Tagen zuvor umhergewandert war, um die Rückstände der Zinsen für ihren Pflegevater einzutreiben. Sie erzählte dabei dem Hofschulzen, daß und unter welchen Vorwänden sie sich geweigert hätten, ihre Schuld abzustoßen. Der eine wollte längst bezahlt haben, der andere hatte gesagt, er sei neu auf dem Hofe, der dritte wußte von gar nichts, der vierte hatte getan, als höre er nicht gut, und so fort, so daß das arme Mädchen, wie ein Vöglein, das bei Winterszeit nach Futter fliegt und kein Körnlein aufzupicken findet, von Tür zu Tür leer abgewiesen worden war. Wer aber glaubt, daß diese vergebliche Mühe sie in Kümmernis gestürzt habe, der irrt; ihr konnte nichts etwas anhaben, sie erzählte ihre beschwerlichen Wanderungen mit heitrem Munde.


    Der Hofschulze schrieb mehrere der ihm genannten Namen mit Kreide auf den Tisch und sagte, als sie ihre Liste geschlossen hatte: »Was die andern betrifft, so wohnen die nicht bei uns, über die habe ich keine Macht, und wenn sie so schlecht sind, ihre Pflicht und Schuldigkeit zu verleugnen, so streichen Sie die Schelme nur aus, denn mit Prozessen kriegt man nichts vom Bauer. Aber die in unserer Gemarke wohnen, gegen die werde ich Ihnen zu Ihrem Rechte helfen, dazu haben wir noch Mittel.«


    »Oho!« sagte einer der Bauern halblaut zu ihm; »tut Ihr doch, Schulte, als hättet Ihr immer das Strop1 im Rockärmel bei Euch. Wann soll die Heimlichkeit vor sich gehen?«


    »Schweigt, Baumschulte, denn solche spöttliche Worte möchten Euch zu Schaden werden«, versetzte der Alte mit Ernst.


    Der Angeredete wurde betreten, schlug die Augen nieder und erwiderte kein Wort. Lisbeth dankte dem Alten für die zugesagte Hülfe und fragte nach den Wegen und Stegen zu den andern, die sie noch in der Schreibtafel hatte. Der Hofschulze bezeichnete ihr den Pfad zu dem nächsten Hofe über die Pfaffenwiese, an den drei Mühlen vorbei, durch die Hollenberge. Als sie ihren Strohhut aufgesetzt, ihren Stecken genommen, für gute Bewirtung gedankt, und sich solchergestalt zum Gehen gerüstet hatte, bat er sie, bei der Wiederkehr sich so einzurichten, daß sie die Hochzeit über und bis zum zweiten Tage nach derselben im Hofe bleibe, dann hoffe er ihr die Versicherung über die Zinsen oder diese sogar vielleicht selbst zugleich nach Hause mitgeben zu können.


    Als die schlanke und edle Gestalt des jungen Mädchens hinter den letzten Walnußbäumen des Baumgartens verschwunden war, sagte einer der Bauern: »Wenn der alte Herr Baron die früher zur Schaffnerin gehabt hätte, so wäre er nicht so heruntergekommen und hätte nicht zu besorgen, daß ihm das Haus einmal über dem Kopfe zusammenstürzt. – Übrigens ist es unrecht, daß sie das Kind allein im Lande herumlaufen lassen.«


    »Daran sehe ich eben kein Unrecht«, erwiderte der Hofschulze. »Ich habe noch nicht erlebt, daß einem ordentlichen Mädchen Schlechtigkeiten widerfahren wären. Eine reine Jungfer kann unter Räuber und Mörder gehen, unter Gesindel und Betrunkne, sie tun ihr so leicht nichts. Vorigen Herbst, als hier nebenan das Volk auf der Heide im Lager stand, hatte sich meine Tochter bei einem Gange über Feld unter einen marschierenden Trupp verloren. Ja, von niemand war sie angetastet worden; sie hatten sie, weil sie müde geworden war, ganz sauber auf einen von ihren Vorspannwagen gehoben, und so wurde sie hier am Hofe richtig abgesetzt. Ein Frauenzimmer, was die Mannsleute angreifen, pflegt von Hause aus angreifische Ware zu sein.«

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  • Zum Ort der Varusschlacht ...


    Zitat

    Original von pbrixius
    Rat und Anteil



    Die Bauern sprachen jetzt von dem Gegenstande, welcher sie zu dem Hofschulzen geführt hatte. Eine neue Straßenanlage, die mit der großen Chaussee Verbindung stiften sollte, bedrohte sie mit dem Verluste einiger kleinen Wiesenstücke, über welche der Weg notwendig zu legen war, wenn er zustande kommen sollte. Gegen diesen Verlust suchten sie sich nun, obgleich die Anlage zum Vorteil aller umliegenden Bauerschaften gereichte, auf jede Weise zu schützen, und wie er abzuwenden sein möchte, darüber wollten sie sich bei dem Besitzer des Oberhofes Rats erholen. Wirklich zeigte sich auch der Hofschulze in dieser Angelegenheit sehr eifrig und gab ihnen die besten Mittel und Wege an die Hand, wie sie der Forderung des Staates unter dem Schutze buchstäblicher Vorschriften der Gesetze entgehen, oder doch wenigstens das Nachgeben hinzögern könnten. Sie möchten nur sagen, die Stücke seien ihnen ganz notwendig, wenn sie nicht zugrundegehen sollten, möchten einen übermäßigen Preis auf sie setzen, den und den angehen, welcher in der Sache abzusprechen habe und welcher, wenn sie ihn recht zu behandeln wüßten, schon ein Zeugnis ausstellen werde, daß die Straße auch anders gelegt werden könne, und was dergleichen mehr war, welches freilich auf eine ganz andere Sinnesweise hinauszulaufen schien, als die wir schon von dem Hofschulzen in seinem Verkehre mit Menschen kennengelernt haben.


    Indessen wurde aus seinem Gespräche mit den Nachbarn klar, daß diese Bauern sich den Heischungen des Staats zum öffentlichen Nutzen gegenüber im Zustande des Krieges glaubten, welcher bekanntlich alle Mittel, die zum Zweck führen, gutheißt. »Wir werden schon unsre Frucht einfahren und zu Markte führen können, wie bisher, ohne große Straßen nötig zu haben, und was geht uns alles übrige an?« sagte der Hofschulze im Verlaufe der Unterredung. »Mögen sie bauen und graben, was sie wollen, sie sollen uns aber ungeschoren lassen. Wenn es nach denen ginge, so wären wir bald vom Erb von wegen des gemeinen Nutzens, wie es heißen würde«, fügte er hinzu.


    »Guten Tag, wie geht's?« rief eine hier wohlbekannte Stimme. Ein Fußwanderer, ein Mann in anständiger Kleidung, aber von den grauen Kamaschen bis zur grünen Schirmkappe bestaubt, war durch den Torweg eingetreten und hatte sich dem Tische genähert, ohne von den Redenden anfänglich bemerkt zu werden. »Ei, Herr Schmitz, sieht man Sie auch einmal wieder?« sagte der alte Bauer sehr freundlich und ließ für den Ermüdeten durch den Knecht das Beste, was sich im Keller befand, herbeiholen.


    Die Bauern rückten vor dem neuen Ankömmlinge höflich zusammen. Er wurde zum Sitzen genötigt und bewerkstelligte diese seine Niederlassung mit bedachtsamer Vorsichtigkeit, um nicht, was er bei sich trug, zu zerbrechen. In der Tat war ein solches Verhalten auch notwendig, denn der Mann war bepackt wie ein Lastwagen, und die Umrisse seiner Gestalt glichen einem Konglomerate zusammengeschnürter Ballen. Nicht allein, daß die Rocktaschen, mit manchem Runden, Viereckten, Länglichten befrachtet, in sonderbarer Bauschung weit vom Leibe abstanden, auch Brust- und Seitenbehälter, zu gleichen Zwecken verwendet, bildeten mannigfach geformte Wülste und Erhöhungen, die um so schärfer hervortraten, als der Sammler, um nichts von seinen Schätzen zu verlieren, den Rock, ungeachtet der herrschenden Sommerwärme, fest zugeknöpft trug. Selbst das Innere der Kappe hatte zur Aufbewahrung kleinerer Gegenstände dienen müssen und erhielt von diesem Inhalte ein kürbisartiges Ansehen. Er schlürfte den ihm vorgesetzten guten Wein mit sichtbarem Behagen, das ältliche, von Wandern und Hitze aufgedunsene und gerötete Antlitz gewann allmählich seine ihm natürliche Farbe und Form wieder. »Gute Geschäfte gemacht, Herr Schmitz?« fragte der Hofschulze lächelnd. »Dem Anscheine nach sollte man es glauben.«


    »Es geht noch«, versetzte der Sammler. »In der lieben Erde steckt ein rechter Segen. Nicht allein Korn und Gewächse bringt sie immerdar hervor und wird nicht müde; auch Altertümer erntet ein aufmerksamer Forscher ihr fortwährend ab, soviel auch danach schon gescharrt und gegraben worden ist. Ich habe denn einmal wieder so mein Gängelchen durch das Land gehalten, kam dieses Mal bis an die Grenze vom Siegenschen. Nun bin ich auf dem Rückmarsch, will heute noch zur Stadt, mußte aber unterweges bei Euch, Schulze, mich etwas ausruhen, denn müde ward ich freilich.«


    »Was bringen Sie denn mit?« fragte der Hofschulze.

    Der Sammler klopfte sacht und freundlich auf alle Erhöhungen und Wülste seiner verschiedenen Taschen und sagte: »Ei nun, Liebes und Gutes, allerhand Siebensachen. Eine Streitaxt, ein paar Donnerkeile, Kattenringe, prächtig mit grünem Rost überzogen, Aschenkrüglein, Tränenflaschen, drei Götzen und ein paar kostbare Lampen.« Dann schlug er mit der um gewandten Hand an seinen Nacken und fuhr fort: »Und ein ganz komplett erhaltenes Stück korinthischen Erzes habe ich mir hier, weil ich sonst keinen andern Platz mehr hatte, hier im Rücken unter dem Rocke festgebunden. Nun, es wird sich denn wohl leidlich machen, wenn es alles erst gesäubert ist und in Reihe und Glied steht.«


    Die Bauern bezeugten ihre Neugier nach einigen der Sachen; der alte Schmitz erklärte sich aber unfähig, dieselbe zu befriedigen, weil die Altertümer so sorgfältig verpackt und mit so ausgeklügelter Benutzung jedes Räumchens eingesenkt seien, daß es schwerhalte, die ganze Befrachtung, wenn sie gelöset worden, wieder zustande zu bringen. Der Hofschulze sagte seinem Knechte etwas in das Ohr; dieser ging in das Haus. Inzwischen erzählte der Sammler ausführlich von dem Fundorte der verschiedenen Erwerbungen, rückte dann seinem Gastfreunde näher und sagte vertraulich: »Was aber die allerwichtigste Entdeckung dieser Reise ist; ich habe nun wahr und wahrhaftig den Ort gefunden, wo Hermann den Varus schlug.«


    »Ei, ei, ei«, versetzte der Hofschulze und schob seine Mütze hin und her.


    »Alle sind sie auf dem falschen Wege gewesen, Clostermeier, Schmid, und wie sie heißen mögen, die darüber geschrieben haben!« rief der Sammler feurig. »Immer wollten sie den Varus in der Richtung auf Aliso, wovon doch auch noch kein Mensch ausgeforscht hat, wo es eigentlich gelegen – genug aber mitternachtwärts – sich zurückziehen lassen, und demnach sollte die Schlacht zwischen den Quellen der Lippe und Ems, bei Detmold, Lippspringe, Paderborn und Gott weiß wo noch? vorgefallen sein –«


    Der Hofschulze sagte: »Ich glaube, der Varus mußte aus allen Kräften suchen, nach dem Rhein zu kommen, und das konnte er nur, wenn er ins offene Land gelangte. Drei Tage soll die Bataille gedauert haben, darin läßt sich schon ein Stück marschieren, und so bin ich vielmehr der Meinung, daß die Attacke in den Bergen, die unsre Börde einschließen, also gar nicht weit von hier vorgefallen ist.«


    »Falsch! Falsch, Hofschulze!« rief der Sammler. »Hier unterwärts war alles besetzt und verstopft von Cheruskern, Katten und Sikambrern. Nein, weit mehr nach Mittag ist die Schlacht gewesen, der Ruhrgegend nahe, nicht weit von Arnsberg. Varus mußte sich durch das Gebirg hindurchworgen, er hatte nirgends einen Ausweg, und seine Gedanken standen auf den Mittelrhein, wohin der Weg quer durch das Sauerland geht. So dachte ich es mir immer, so, und jetzt habe ich die untrüglichsten Bestätigungszeichen entdeckt. Dicht an der Ruhr fand ich das korinthische Erz und kaufte die drei Götzen, und da sagte mir ein Mann aus dem Dorfe, daß kaum eine Stunde davon im Walde zwischen den Bergen eine Stelle liege, wo Knochen in ungeheurer Anzahl zwischen dem Sand und Kies aufgeschichtet seien. Hui! rief ich, es wird Tag. Ging mit einigen Bauern hinaus, ließ nachgraben, und siehe da, wir fanden Knochen, wie ich sie nur wünschte. Das ist also der Platz, wo Germanicus sechs Jahre nach der Teutoburger Schlacht die Überreste der römischen Legionen bestatten ließ, als er seine letzten Züge wider Hermann machte, und folglich habe ich dort das richtige Schlachtfeld entdeckt.«


    »An die tausend und mehrere Jahre pflegen sich Knochen nicht zu erhalten«, sagte der Schulze und bewegte zweifelmütig das Haupt.


    »Sie haben sich versteinert in den Mineralien dort«, sprach der Sammler zorneifrig. »Ich muß Euch nur den Glauben in die Hand geben, da ist einer, den ich mitgebracht habe.«


    Er zog einen großen Knochen aus dem Busen und hielt denselben seinem Widerpart unter die Augen. »He, was ist das?« fragte er triumphierend.


    Die Bauern starrten den Knochen verdutzt an. Der Hofschulze antwortete, nachdem er ihn prüfend betrachtet hatte: »Ein Kuhknochen, Herr Schmitz. Sie sind auf einen Schindanger gestoßen und nicht auf das Teutoburger Schlachtfeld.«


    Grimmig steckte der Sammler das bescholtene Altertum wieder an seinen Platz und stieß einige heftige Reden aus, denen der alte Bauer in derselben Weise zu begegnen wußte. Es sah daher nach einem Zanke zwischen beiden Männern aus; indessen hatte es damit nicht viel zu bedeuten. Denn es war schon hergebracht, daß sie über solche und ähnliche Dinge aneinander gerieten, wenn sie zusammenkamen. Immer aber blieben sie trotz dieser Streitigkeiten gute Freunde. Der Sammler, der sich das Brot am Munde absparte, um seine Liebhaberei zu befriedigen, pflegte sich das Jahr hindurch wochenlang bei den gefüllten Fleischtöpfen des Oberhofes auszufüttern und half wieder seinerseits dem Gastfreunde mit allerhand Schreibereien in dessen Geschäften; denn er war seines Zeichens ein ehemaliger kaiserlicher geschworner und immatrikulierter Notarius.


    Endlich sagte der Hofschulze nach vielem nutzlosen Hinund Herreden von beiden Seiten: »Ich will mit Ihnen über den Walplatz nicht streiten, obgleich ich dabei verbleibe, daß Hermann den Varus hier herum geschlagen hat. Es liegt mir aber überhaupt nicht viel daran, die Sache ist mehr für die Herrn Gelehrten, denn wenn der andere römische General sechs Jahre darauf, wie Sie mir oftmalen erzählt haben, schon wieder mit einer Armee in hiesigen Gegenden stand, so hat die ganze Bataille wenig zu bedeuten gehabt.«


    »Davon versteht Ihr nichts, Hofschulze!« fuhr der Sammler auf. »Auf der Hermannsschlacht beruht das gesamte deutsche Wesen. Wenn Hermann der Befreier nicht gewesen wäre, so säßet Ihr nicht so breit hier zwischen Euren Hecken und Pfählen. Aber ihr Leute lebt nur von einem Tage zum andern und Geschichte und Altertümer sind euch nichts nütze.«

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Rat und Anteil


    »Oho, Herr Schmitz, da tun Sie mir doch groß Unrecht!« versetzte der alte Bauer stolz. »Weiß Gott, was für Pläsier es mir macht, bei Winterszeit die Chroniken und Historienbücher zu lesen, und Sie selbst wissen, daß ich mit dem Schwerte von Carolus Magnus (der Alte sprach die zweite Silbe lang aus), welches nun seit tausend und mehreren Jahren im Oberhofe aufbewahrt wird, umgehe, wie mit meinem Augapfel, folglich ...«


    »Das Schwert Karls des Großen!« sagte der Sammler höhnisch. »Freund, ist es denn nicht möglich, Euch diese Grillen aus dem Kopfe zu bringen? Hört doch nur –«


    »Und ich sage und behaupte, daß es das echte und aufrichtige Schwert Caroli Magni ist, womit er hier auf dem Oberhofe den Freistuhl gesetzet und eingerichtet hat. Und das Schwert wirket und vollbringet noch heutzutage sein Amt, obgleich davon nicht weiter geredet werden darf.« Der Alte sprach diese Worte mit einem Ausdrucke in den Mienen und mit einer Gebärde, die etwas Erhabenes hatten.


    »Und ich sage und behaupte, daß das eitel Torheiten sind«, eiferte der Sammler. »Ich habe den alten Flederwisch an die hundert Male untersucht, er hat kein halb Jahrtausend erlebt und rührt vielleicht aus der Soester Fehde her, wo ihn ein Reisiger des Erzbischofs, der sich hier in den Büschen verkrochen, mag haben stehen lassen.«


    »Daß dich!« rief der Hofschulze und schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann murmelte er vor sich hin: »Nun warte! Dafür sollst du heute deine Strafe kriegen.«


    Der Knecht trat aus der Türe. Er trug ein Gefäß aus gebrannter Erde, von bedeutendem Umfange und fremdartigem Ansehen, es steif und achtsam mit beiden Händen an den Henkeln gefaßt.


    »Ei Gott!« rief der Sammler, als es ihm näher zu Gesichte kam, »das ist ja eine prächtige große Amphora! Woher stammt denn die?«


    »Ich habe«, versetzte der Hofschulze gleichgültig, »den alten Topf vor acht Tagen in meiner Kiesgrube gefunden, als Grand ausgestochen wurde. Es stand noch mehr des Zeuges umher, was aber die Leute mit den Grabscheiten zerschlagen haben. Der Topf allein ist erhalten worden. Ich wollte doch, daß Sie ihn sähen, da Sie einmal hier sind.«


    Mit feuchten Blicken betrachtete der Sammler das große, wohlerhaltene Gefäß. Endlich stammelte er: »Ist darüber kein Handel zu machen?« »Nein«, versetzte der alte Bauer kalt, »ich will den Topf mir selber aufheben.« Er gab dem Knechte einen Wink, dieser wollte die Amphora in das Haus zurücktragen, wurde aber daran von dem Sammler gehindert, welcher, die Augen nicht von dem Gefäße wendend, den Eigentümer mit den mannigfaltigsten und beweglichsten Wendungen anging, ihm den ersehnten Weinkrug abzustehen. Es war indessen alles vergebens; der Hofschulze verblieb den eindringlichsten Bittworten gegenüber in unerschütterlicher Seelenruhe und machte auf diese Weise den unbewegten Mittelpunkt der Gruppe, um welchen die Bauern, die dem Handel mit aufgesperrten Mäulern zuhorchten, der Knecht, der das Gefäß an den Henkeln gefaßt, dem Hause zustrebte, und der Altertümler, welcher dasselbe am untern Ende festhielt, die aufgeregten Seiten- und Nebenfiguren bildeten. Zuletzt sagte der Hofschulze, daß er in Willens gewesen sei, seinem Gaste den Topf, wie so manches früher aufgefundene Stück zu schenken, weil er selbst seine Freude daran habe, die alten Sachen auf den Brettern der Sammlung an den Wänden ringsherum in Ordnung gestellt, zu sehen, daß ihm aber die beständigen Angriffe auf das Schwert Caroli Magni verdrießlich seien, und daß er deshalb auch mit dem Topfe seinen Willen behalten wolle.


    Kleinlauten Tons versetzte hierauf der Sammler nach einer Pause, daß Irren menschlich wäre, daß die Waffen des Mittelalters sich nach den Zeitaltern oft nicht genau unterscheiden ließen, daß er auf diese Überbleibsel sich weniger, als auf Römersachen verstände, und daß allerdings manches an dem Schwerte auf ein höheres, über die Soester Fehde hinausreichendes Alter zu deuten schiene. Vorauf der Hofschultze entgegnete, daß ihm dergleichen allgemeine Redensarten nichts frommen könnten, daß er den Zwist und den Zweifel an seinem Schwerte ein für allemal abgetan wissen wollte, und daß es nur ein Mittel gäbe, in den Besitz des alten Topfes zu kommen, nämlich, wenn der Herr Schmitz auf der Stelle eine Schrift von sich gäbe, worin das im Oberhofe, aufbewahrte Schwert förmlich für das wahre Schwert Caroli Magni anerkannt würde.


    Nach dieser Eröffnung hatte der Altertümler freilich einen harten Kampf zwischen seinem antiquarischen Gewissen und seiner antiquarischen Begierde zu kämpfen. Er warf die Lippe auf und trommelte mit den Fingern auf der Stelle umher, wo er den Knochen vom Teutoburger Schlachtfelde stecken hatte. Sichtlich war sein Bestreben, über die Anmahnungen des ihn zur Unwahrheit verlockenden Gelustes Herr zu werden. Endlich aber erhielt dennoch die Leidenschaft, wie dieses immer zu geschehen pflegt, die Oberhand. Hastig forderte er Feder und Papier und stellte mit fliegender Eile, zuweilen seitwärts nach der Amphora schielend, ein unumwundenes Bekenntnis aus, daß er nach oftmaliger Besichtigung des Schwertes im Oberhofe solches für das des Kaisers Karls des Großen erkannt und befunden habe.


    Diese Urkunde ließ der Hofschulze von den beiden Bauern als Zeugen mit unterschreiben, und steckte dann das Papier, mehrmals zusammengeschlagen, zu sich. Der alte Schmitz aber faßte heftig nach der auf Kosten seines besseren Bewußtseins erkauften Amphora. Der Hofschulze sagte, er wolle ihm den Topf andern Tages nach der Stadt schicken; wie hätte aber ein Sammler wohl jemals auch nur einen Augenblick lang die körperliche Innehabung eines teuer erworbenen Besitzstückes entbehrt? Entschieden lehnte der unsrige jeden Verzug ab, ließ sich eine Schnur geben, zog diese durch die Henkel, und hing sich daran das große Weingefäß über die Schulter. Sie schieden demnächst im besten Einvernehmen, nachdem der Sammler noch zur Hochzeit gebeten worden war. Er gewährte mit seinen Winkeln, mit den bauschig abstehenden Rockschößen und der hin und her wackelnden Amphora an der linken Seite einen abenteuerlichen Anblick, als er von dannen zog.

    Die Bauern boten ihrem Ratgeber die Zeit, versprachen, sich seinen Rat merken zu wollen und gingen dann, ein jeder zu seinem Gehöfte. Der Hofschulze, dem im Laufe einer Stunde mit allen Menschen, die sich bei ihm zusammengefunden hatten, jegliches Vornehmen geglückt war, trug erst die erwonnene Anerkennungsurkunde auf die Kammer, worin er das Schwert Caroli Magni verwahrte, dann ging er mit dem Knechte auf den Futterboden, um den Hafer für die Pferde ihm zuzumessen.

  • Der Oberhof


    »Westfalen bestund aus einzelnen Höfen, deren jeder seinen eigentümlichen und freien Besitzer hatte. Mehrere solcher Höfe machten eine Bauerschaft aus, die gewöhnlich den Namen des ältesten und vornehmsten Hofes führte. Es gründet sich in der ersten Anlage der Bauerschaften, daß der älteste Hof auch der erste im Range bleiben und der vornehmere werden mußte, wo von Zeit zu Zeit die davon ausgegangenen Kinder, Enkel, Hausgenossen zusammenkamen und einige Tage feierten und zechten. Der Anfang, oder das Ende des Sommers war die gewöhnliche Zeit dazu, wo jeder Hofbesitzer etwas von seinen gezogenen Früchten und auch wohl ein junges Stück Vieh zum Bauermahl mitbrachte. Man besprach sich über mannigfaltige Gegenstände und nahm Rücksprache, Heiraten wurden da geschlossen, Todesfälle angezeigt, und der Sohn als eingetretenes Haupt seines väterlichen Erbes erschien dann gewiß mit volleren Händen und ausgesuchterem Viehe bei seinem ersten Eintritt in die Versammlung. An Zwisten konnte es bei solchen Freudentagen nicht fehlen, dann trat der Vater als Haupt des ältesten Hofes in die Mitte und legte mit Einstimmung der übrigen den Zank bei. Wurden einige Hofbesitzer während der andern Jahrszeit irgendeiner Ursache halber uneins, so brachten beide bei der nächsten Versammlung ihre Beschwerde vor, und beide waren damit zufrieden, was ihre Mitgenossen für gut oder recht fanden. War alles aufgezehrt, der zur Feier bestimmte Baum ausgebrannt, so hatte das Fest, die Versammlung ein Ende. Jeder kehrte dann zurücke, erzählte seinen zu Hause schon wartenden Hausgenossen die Begebenheiten des Festes und ward mit ihnen lebendige und stets fortdauernde Urkunde aller Vorfälle ihrer Bauerschaft.


    Dergleichen Zusammenkünfte hießen Sprachen, Bauersprachen, weil sämtliche Hofbesitzer einer Bauerschaft, um sich zu besprechen, zusammenkamen, und Bauergerichte, weil hier die Irrungen der schon stillschweigend in einen Verein getretenen Männer beigelegt oder zurückgewiesen wurden. Da die Bauersprachen und Bauergerichte beim ältesten oder vornehmsten Hofe gehalten wurden, so hieß solcher Hof auch Richthof, und die Bauergerichte und Bauersprachen auch Hofsprachen und Hofgerichte, welche bis auf heutigen Tag noch nicht ganz verschwunden sind. Der älteste Hof, der Richthof ward nun im vorzüglicheren Sinne Hof genannt, womit man den Haupthof oder Oberhof in der Bauerschaft und dessen Besitzer als das Haupt oder den Hauptmann der übrigen bezeichnete.


    So hätten wir ungefähr die Entstehung von dem ersten Vereine und den ersten Gerichtsanstalten der westfälischen Höfe oder Bauerschaften. Sie kann uns um desto weniger befremden, wenn man bedenket, daß Westfalens ehemalige Gestalt nur eine langsame Bevölkerung und allmählichen Anbau verstattete, und dieses allmähliche Fortschreiten gerade so zu den simplen und einförmigen Einrichtungen, als zu der gleichen Bildung, Sitte und Gewohnheit führte, die wir bei Westfalens alten Bewohnern antreffen.«


    Diese Stelle aus Kindlingers »Münsterischen Beiträgen« führt uns auf den Schauplatz der Handlung. Sie verdeutlicht uns den Helden der letzteren, den Hofschulzen. Er war der Besitzer eines der größten und reichsten Haupt- oder Oberhöfe, welche in den dortigen Gegenden, freilich jetzt bis zu geringer Anzahl zusammengeschmolzen, liegen.


    Über diese uralten Wehren freier Männer ist der Atem der Zeiten markenverrückend und rechtetilgend hingefahren. Die anfängliche germanische Genossenschaft, in welche jeder nur eintrat, Leibes und Lebens sicher zu werden, nicht, Leib und Leben zu verlieren, ist längst zerstört; der Vasallendienst hat an der Freiheit gerüttelt, die Ministerialität hat daran gerüttelt, und endlich sind die Trümmer eigenartiger Selbständigkeit in den großen Not- und Bergehafen des modernen Staats getrieben worden. In diesem schwimmen sie (um dem Gleichnisse treu zu bleiben), stoßen und prallen aneinander an, oder sind auch wohl seitwärts auf das Trockne geworfen. Dort verwittern sie, mit Tang, Flechten und Schneckenhäusern besetzt, nach und nach, während jener Überzug den Schein eines neuen Gebildes fortsetzt.


    Aber es ist etwas Merkwürdiges um die ersten Stammerinnerungen, und die Völker haben ein so langes Gedächtnis, wie die einzelnen Menschen, denen ja auch die Eindrücke der frühesten Kinderzeit bis in das höchste Alter hinauf getreu zu bleiben pflegen. Erwägt man nun, daß eines Menschen Leben neunzig währen kann und darüber, daß der Völker Jahre aber Jahrhunderte sind, so ist es weiter nicht zu verwundern, daß in den Gegenden, in welche sich unsere Geschichte nunmehr begeben hat, manches noch hin und wieder aufstößt, welches nach der Zeit zurückweist, in welcher der große Frankenkaiser die eigensinnigen Sassen mit Feuer und Schwert zu bekehren wußte.


    Weckt also die Natur da, wo sonst der oberste Richter und Erbe der Gegend wohnte, wieder einmal besondere Eigenschaften in einem Menschen auf, so kann an den jahrtausendalten Erinnerungen und zwischen den Grenzen und Gräben, die doch noch erkennbar sind, eine Gestalt erwachsen, wie unser Hofschulze, eine Gestalt, deren Geltung zwar von den Mächten der Gegenwart nicht anerkannt wird, welche aber für sich selbst und bei ihresgleichen einen längst verschwundenen Zustand auf einige Zeit wiederherstellt.


    Doch das klingt für diese Arabeskengeschichte zu ernsthaft. Sehen wir uns lieber im Oberhofe selbst um! Wenn das Lob der Freunde immer ein sehr zweideutiges bleibt, so darf man dagegen dem Neide der Feinde vertrauen, und am glaubwürdigsten ist ein Pferdehändler, der die guten Umstände eines Bauern herausstreicht, mit welchem er nicht des Handels einig werden konnte. Zwar ließ sich von dem Hofe nicht, wie der Roßkamm Marx sagte, behaupten, es sei darin, als ob man sich bei einem Grafen befinde, dagegen nahm man, wohin man blickte, bäurischen Wohlstand und einen Segen wahr, welcher dem hungrigsten Menschen zurufen mußte: hier kannst du dich mit satt essen, die Schüssel ist immerdar voll.


    Der Hof lag ganz allein an der Grenze der fruchtbaren Börde, da wo sie in das Hügel- und Waldland übergeht. Die letzten Felder des Hofschulzen stiegen schon sacht die Anhöhen hinauf, und eine Meile von dort war Gebirg. Der nächste Nachbar der Bauerschaft wohnte eine Viertelstunde vom Hofe. Um diesen breitete sich alles Besitztum, welches eine große ländliche Wirtschaft nötig hat, aus; Feld, Wald, Wiese, unzerstückelt, in geschlossenem Zusammenhange.

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Der Oberhof


    Von der Anhöhe herab liefen die Felder durch die Ebene, bestens bestellt. Es war aber um die Zeit der Roggenblüte; der Rauch ging von den Ähren und wallte in den warmen Sommerlüften, ein Opfer der Scholle. Einzelne Reihen hochstämmiger Eschen oder knorrichter Rüstern, zu beiden Seiten der alten Grenzgräbern gepflanzt, faßten einen Teil der Kornfelder ein und bezeichneten, von weitem her kenntlich, die Marken des Erbes, bestimmter als Steine und Pfähle vermögen. Ein tiefer Weg zwischen aufgeworfenen Erdwällen führte quer durch die Felder, mündete rechts und links an verschiedenen Orten in Seitenpfade aus und führte, wo das Getreide aufhörte, in ein kräftig bestandenes Eichenwäldchen, unter welchem sich erdgelagerte Säue gütlich taten, dessen Schatten aber auch für den Menschen erquicklich waren. Dieser Kamp, welcher dem Schulzen sein Holz lieferte, drang bis wenige Schritte vom Gehöfte vor, umfaßte es von beiden Seiten und gab so zugleich gegen die Ost- und Nordwinde Schutz.


    Nur mit Stroh war das Wohnhaus, welches sich in seinen weiß und gelb angestrichenen Wänden von Fachwerk zweistöckig erhob, gedeckt, aber da diese Bedeckung immer sehr wohl instand erhalten ward, so hatte sie nichts Dürftiges, verstärkte im Gegenteil den behaglichen Eindruck, den das Gehöft machte. Das Innere lernen wir schon bei Gelegenheit kennen; jetzt sei nur gesagt, daß auf der andern Seite des Hauses um einen geräumigen Hof Ställe und Scheunen liefen, an denen auch das schärfste Auge keine schadhafte Stelle an Mauer und Bewurf erspähen konnte. Große Linden standen vor der Hoftüre, und dort, nicht nach der Waldseite zu waren auch, wie wir schon erfahren haben, die Ruhesitze angebracht. Denn der Hofschulze wollte, selbst wenn er rastete, seine Wirtschaft im Auge behalten.


    Gerade dem Wohnhause gegenüber sah man durch ein Gittertor in den Baumgarten. Dort breiteten starke und gesunde Obststämme ihre belaubten Zweige über frischem Graswuchs, Gemüse- und Salatstücken aus; hier und da ernährte ein schmales Beet dazwischen rote Rosen und gelbe Feuerlilien.


    Doch waren solcher Beete nur wenige. In einer echten Bauerwirtschaft bleibt der Boden dem Bedürfnisse gewidmet, selbst wenn dem Eigentümer seine Umstände Luxus mit der Natur verstatten. Deshalb haben wir in solchen Höfen eine Empfindung froher Ruhe aller Sinne, wie sie Prachtgärten, Parks und Villen nicht zu erregen vermögen. Denn das ästhetische Landschaftsgefühl ist schon ein Produkt der Überfeinerung, weshalb es denn auch nie in eigentlich robusten Zeiten auftritt. Diese halten vielmehr die Stimmung zur Mutter Erde, als zu der Allernährerin fest, wollen und verlangen nichts von ihr, als die Gabe des Feldes, der Viehweide, des Fischteiches, des Wildforstes.


    So weit das Auge über den Baumgarten hinausblickte, sah es auch nur Grün. Denn jenseits des Gartens lagen die großen Wiesen des Oberhofes, auf welchen der Schulze Raum und Futter für seine Pferde besaß. Ihre Zucht, mit Fleiß betrieben, gehörte zu den einträglichsten Nahrungsquellen des Erbes. Auch diese grünen Grasflächen waren von Hecken und Gräben umschlossen; eine derselben faßte einen Weiher ein, in welchem ausgefütterte Karpfen zugweise umherschwammen.


    Auf diesem reichen Hofe zwischen vollen Scheuern, vollen Böden und Ställen hantierte der alte, weit und breit angesehene Hofschulze. Bestieg man aber den höchsten Hügel, zu dem sich seine Felder hinauf erstreckten, so erblickte man von dort die Türme dreier der ältesten Städte Westfalens.


    Es ging zu der Zeit, von welcher ich rede, auf eilf Uhr vormittags, und der ganze weitläufige Hof war so still, daß sich fast nur das Rauschen der Lüfte in den Baumwipfeln des Kamps vernehmen ließ. Der Schulze maß dem Knechte Hafer zu, womit dieser, den Sack über der Schulter, langsamen Schrittes nach dem Pferdestalle ging, die Tochter zählte in der Linnen- und Garnkammer ihre Ausstattung nach, eine Magd besorgte die Küche. Was sonst von Menschen im Hofe lebte, lag und schlief, denn es ging gegen die Ernte, in welcher Zeit es bei den Bauern am wenigsten zu tun gibt, und die Arbeiter jede Minute zu benutzen pflegen, um gewissermaßen auf Rechnung der herannahenden schweiß- und mühevollen Tage in voraus zu schlafen. Überhaupt können die Landleute, wie die Hunde, zu allen Stunden bei Tage und bei Nacht schlafen, wann sie wollen.

  • 1. Brief des Barons Wallborn
    an den Kapellmeister Kreisler


    [Von Friedrich de la Motte Fouqué]


    Ew. Wohlgeboren befinden sich, wie ich vernehme, seit geraumer Zeit mit mir in einem und demselben Falle. Man hat nämlich Dieselben lange schon im Verdachte der Tollheit gehabt, einer Kunstliebe wegen, die etwas allzumerklich über den Leisten hinausgeht, welchen die sogenannte verständige Welt für dergleichen Messungen aufbewahrt. Es fehlte nur noch eins, um uns beide gänzlich zu Gefährten zu machen. Ew. Wohlgeboren waren schon früher der ganzen Geschichte überdrüssig geworden und hatten sich entschlossen, davonzulaufen, ich hingegen blieb und blieb und ließ mich quälen und verhöhnen, ja, was schlimmer ist, mit Ratschlägen bombardieren, und fand während dieser ganzen Zeit im Grunde meine beste Erquickung in Ihren zurückgelassenen Papieren, deren Anschauung mir durch Fräulein von B., o Sternbild in der Nacht! – bisweilen vergönnt ward. Dabei fiel mir ein, ich müsse Dieselben schon früher einmal irgendwo gesehen haben. Sind Ew. Wohlgeboren nicht ein kleiner wunderlicher Mann, mit einer Physiognomie, welche man in einiger Hinsicht dem von Alcibiades belobten Sokrates vergleichen kann? nämlich, weil der Gott im Gehäuse sich versteckt hinter eine wunderliche Maske, aber dennoch hervorsprüht mit gewaltigem Blitzen, keck, anmutig und furchtbar! Pflegen Ew. Wohlgeboren nicht einen Rock zu tragen, dessen Farbe man die allerseltsamste nennen könnte, wäre der Kragen darauf nicht von einer noch seltsamern? Und ist man nicht über die Form dieses Kleides zweifelhaft, ob es ein Leibrock ist, der zum Überrock werden will, oder ein Überrock, der sich zum Leibrock umgestaltet hat? Ein solcher Mann wenigstens stand einstmals neben mir im Theater, als jemand ein italienischer Buffo sein wollte und nicht konnte, aber vor meines Nachbars Witz und Lebensfeuer ward mir das Jammerspiel dennoch zum Lustspiel. Er nannte sich auf Befragen Dr. Schulz aus Rathenow, aber ich glaubte gleich nicht daran, eines seltsamen skurrilen Lächelns halber, das dabei um Ew. Wohlgeboren Mund zog; denn Sie waren es ohne Zweifel.


    Zuvörderst lassen Sie mich Ihnen anzeigen, daß ich Ihnen seit kurzem nachgelaufen bin, und zwar an denselben Ort, d.h. in die weite Welt, wo wir uns denn auch zweifelsohne schon antreffen werden. Denn obgleich der Raum breit scheinen möchte, so wird er doch für unsersgleichen durch die vernünftigen Leute recht furchtbarlich enge gemacht, so daß wir durchaus irgendwo aneinander rennen müssen, wäre es auch nur, wenn sich jeder von uns vor einem verständigen Manne auf ängstlicher Flucht befindet oder gar vor den obenerwähnten Ratschlägen, welche man, beiläufig gesagt, wohl besser und kürzer geradezu und ohne Umschreibung Radschläge nennen könnte.


    Für jetzt geht mein Bestreben dahin, Ew. Wohlgeboren einen kleinen Beitrag zu den von Ihnen aufgezeichneten musikalischen Leiden zu liefern.


    Ist es Denenselben noch nie begegnet, daß Sie, um irgend etwas Musikalisches vorzutragen oder vortragen zu hören, sechs bis sieben Zimmer weit von der sprechenden Gesellschaft fortgingen, daß aber diese dessen ungeachtet hinterdrein gerannt kam und zuhörte, d.h. nach möglichsten Kräften schwatzte? Was mich betrifft, ich glaube, den Leuten ist zu diesem Zwecke kein Weg ein Umweg, kein Gang zu weit, keine Treppe, ja kein Gebirge zu steil und zu hoch.


    Sodann: haben Ew. Wohlgeboren nicht vielleicht schon bemerkt, daß es keine tüchtigere Verächter der Musik gibt, ja sogar feindseligere Antipoden derselben, als alle echte Bediente? Reicht wohl irgend ein gegebener Befehl hin, sie die Türen nicht schmeißen zu lassen, oder gar leise zu gehen, oder auch nur eben nichts hinzuwerfen, wo sie gerade im Zimmer sind und sich irgend ein beseligender Klang aus Instrument oder Stimme erhebt? Aber sie tun mehr. Sie sind durch einen ganz besondern Höllengenius angewiesen, gerade dann hereinzukommen, wenn die Seele in den Wogen der Töne schwillt, um etwas zu holen oder zu flüstern oder, wenn sie täppisch sind, mit roher, frecher Gemeinheit ordentlich lustig dreinzufragen. Und zwar nicht etwa während eines Zwischenspieles oder in irgend einem minder wichtigen Augenblicke; nein, auf dem Gipfel aller Herrlichkeit, wo man seinem Atem gebieten möchte, stillzustehen, um nichts von den goldnen Klängen fortzuhauchen, wo das Paradies aufgeht, leise, ganz leise vor den tönenden Akkorden, – da, just da! – O Herr des Himmels und der Erden!


    Doch ist nicht zu verschweigen, daß es vortreffliche Kinder gibt, die, vom reinsten Bedientengeist beseelt, dieselbe Rolle in Ermangelung jener Subjekte mit gleicher Vortrefflichkeit und gleichem Glück auszuführen imstande sind. Ach, und Kinder, wieviel gehört dazu, euch zu solchen Bedienten zu machen! – Es wird mir ernst, sehr ernst hierbei zu Sinne, und nur kaum vermag ich noch zu bemerken, daß dem Vorleser die gleichen anmutigen Wesen gleich erhebend und günstig sind.


    Und galt denn die Träne, die jetzt gegen mein Auge herauf, der Blutstropfen, der mir stechend ans Herz drang, galten sie nur den Kindern allein?


    Ach, es geschah Euch vielleicht noch nie, daß Ihr irgend ein Lied singen wolltet vor Augen, die Euch aus dem Himmel herab anzublicken schienen, die Euer ganzes, besseres Sein verschönt auf Euch herniederstrahlten, und daß Ihr auch wirklich anfingt und glaubtet, o Johannes, nun habe Euer Laut die geliebte Seele durchdrungen, und nun, eben nun werde des Klanges höchster Schwung Tauperlen um jene zwei Sterne ziehen, mildernd und schmückend den seligen Glanz, – und die Sterne wandten sich geruhig nach irgend einer Läpperei hin, etwa nach einer gefallenen Masche, und die Engelslippen verkniffen, unhold lächelnd, ein übermächtiges Gähnen, – und, Herr, es war weiter nichts, als Ihr hattet die gnädige Frau ennuiert.


    Lacht nicht, lieber Johannes. Gibt es doch nichts Schmerzlicheres im Leben, nichts furchtbarer Zerstörendes, als wenn die Juno zur Wolke wird.


    Ach Wolke, Wolke! Schöne Wolke!


    Und im Vertrauen, Herr, hier liegt der Grund, warum ich das geworden bin, was die Leute toll nennen. – Aber ich bin nur selten wild dabei. Meist weine ich ganz still. Fürchte Dich also nicht vor mir, Johannes, aber lachen mußt Du auch nicht. Und so wollen wir lieber von andern Dingen sprechen und doch von nahverwandten, die mir innig für Dich aus dem Herzen heraufdringen.


    Sieh, Johannes, Du kommst mir mit dem, was Du gegen alle ungeniale Musik eiferst, bisweilen sehr hart vor. Gibt es denn absolut ungeniale Musik? Und wieder von der andern Seite, gibt es denn absolut vollkommne Musik, als bei den Engeln? Es mag wohl mit daher kommen, daß mein Ohr weit minder scharf und verletzbar ist als Deines, aber ich kann Dir mit voller Wahrheit sagen, daß auch der schlechteste Klang einer verstimmten Geige mir lieber ist als gar keine Musik. Du wirst mich hoffentlich deswegen nicht verachten. Eine solche Dudelei, heiße sie nun Tanz oder Marsch, erinnert an das Höchste, was in uns liegt, und reißt mich mit süßen Liebes- oder Kriegestönen leicht über alle Mangelhaftigkeit in ihr seliges Urbild hinaus. Manche von den Gedichten, die man mir als gelungen gerühmt hat, – törichter Ausdruck! – nein, die von Herzen zu Herzen gedrungen sind, verdanken den ersten Anklang ihres Daseins sehr ungestimmten Saiten, sehr ungeübten Fingern, sehr mißgeleiteten Kehlen.


    Und dann, lieber Johannes, ist nicht der bloße Wunsch, zu musizieren, schon etwas wahrhaft Rührendes und Erfreuliches? Und vollends das schöne Vertrauen, welches die herumziehenden Musikanten in Edelhof und Hütte leitet, das Vertrauen, Klang und Sang mache allwärts Bahn, worin sie auch im Grunde nur selten gestört werden durch mürrisch aufgeklärte Herrschaften und grobe Hunde! Ich möchte ebenso gern in ein Blumenbeet schlagen, als durch einen beginnenden Walzer schreien: »Packt euch aus dem Hause!« – Dazu haben sich dann schon immer lächelnde Kinder umhergestellt, aus allen Häusern, wohin das Klingen reichen konnte, ganz andere Kinder, als die obenerwähnten Bedienten-Naturen, und bewähren durch ihre hoffenden Engelsmienen: die Musikanten haben recht.


    Etwas schlimmer sieht es freilich oftmals mit dem sogenannten »Musik machen« in eleganten Zirkeln aus, aber auch dort, – keine Saiten-, Flöten- und Stimmenklänge sind ohne göttlichen Hauch und alle besser, als das mögliche Gerede, welchem sie doch immer einigermaßen den Paß abschneiden.


    Und, Kreisler, was Du nun vollends von der Lust sagst, welche Vater und Mutter in der stillen Haushaltung am Klavierklimpern und Gesangesstümpern ihrer Kindlein empfinden, – ich sage Dir, Johannes, da lautet wahr und wahrhaftig ein wenig Engelsharmonie daraus hervor, allen unreinen Erdentönen zum Trotz.


    Ich habe wohl mehr geschrieben, als ich sollte, und möchte mich nun gern auf die vorhin angefangene sittliche Weise empfehlen. Das geht aber nicht. So nimm denn fürlieb, Johannes, und Gott segne Dich und segne mich und entfalte gnädigst aus uns beiden, was er in uns gelegt hat zu seinem Preis und unserer Nebenmenschen Lust!


    Der einsame Wallborn.

  • 2. Brief des Kapellmeisters Kreisler
    an den Baron Wallborn


    Ew. Hoch- und Wohlgeboren muß ich nur gleich, nachdem ich aus dem Komödienhause in meinem Stübchen angelangt und mit vieler Mühe Licht angeschlagen, recht ausführlich schreiben. Nehmen Ew. Hoch- und Wohlgeboren es aber doch ja nicht übel, wann ich mich sehr musikalisch ausdrücken sollte, denn Sie wissen es ja wohl schon, daß die Leute behaupten, die Musik, die sonst in meinem Innern verschlossen, sei zu mächtig und stark herausgegangen und habe mich so umsponnen und eingepuppt, daß ich nicht mehr heraus könne und alles, alles sich mir wie Musik gestalte – und die Leute mögen wirklich recht haben. Doch, wie es nun auch gehen mag, ich muß an Ew. Hoch- und Wohlgeboren schreiben, denn wie soll ich anders die Last, die sich schwer und drückend auf meine Brust gelegt in dem Augenblick, als die Gardine fiel und Ew. Hoch- und Wohlgeboren auf unbegreifliche Weise verschwunden waren, los werden.


    Wie viel hatte ich noch zu sagen, unaufgelöste Dissonanzen schrieen recht widrig in mein Inneres hinein, aber eben als all die schlangenzüngigen Septimen herabschweben wollten in eine ganze lichte Welt freundlicher Terzen, da waren Ew. Hoch- und Wohlgeboren fort – fort – und die Schlangenzungen stachen und stachelten mich sehr! Ew. Hoch- und Wohlgeboren, den ich jetzt mit all jenen freundlichen Terzen ansingen will, sind doch kein anderer, als der Baron Wallborn, den ich längst so in meinem Innern getragen, daß es mir, wenn alle meine Melodien sich wie er gestalteten und nun keck und gewaltig hervorströmten, oft schien, ich sei ja eben er selbst. – Als heute im Theater eine kräftige jugendliche Gestalt in Uniform, das klirrende Schwert an der Seite, recht mannlich und ritterhaft auf mich zutrat, da ging es so fremd und doch so bekannt durch mein Inneres, und ich wußte selbst nicht, welcher sonderbare Akkordwechsel sich zu regen und immer höher und höher anzuschwellen anfing. Doch der junge Ritter gesellte sich immer mehr und mehr zu mir, und in seinem Auge ging mir eine herrliche Welt, ein ganzes Eldorado süßer wonnevoller Träume auf – der wilde Akkordwechsel zerfloß in zarte Engelsharmonien, die gar wunderbarlich von dem Sein und Leben des Dichters sprachen, und nun wurde mir, da ich, wie Ew. Hoch- und Wohlgeboren versichert sein können, ein tüchtiger Praktikus in der Musik bin, die Tonart, aus der das Ganze ging, gleich klar. Ich meine nämlich, daß ich in dem jungen Ritter gleich Ew. Hoch- und Wohlgeboren, den Baron Wallborn erkannte. – Als ich einige Ausweichungen versuchte, und als meine innere Musik lustig und sich recht kindisch und kindlich freuend in allerlei munteren Melodien, ergötzlichen Murkis und Walzern hervorströmte, da fielen Ew. Hoch- und Wohlgeboren überall in Takt und Tonart so richtig ein, daß ich gar keinen Zweifel hege, wie Sie mich auch als den Kapellmeister Johannes Kreisler erkannt und sich nicht an den Spuk gekehrt haben werden, den heute abend der Geist Droll nebst einigen seiner Konsorten mit mir trieb. – In solch eigner Lage, wenn ich nämlich in den Kreis irgend eines Spuks geraten, pflege ich, wie ich wohl weiß, einige besondere Gesichter zu schneiden, auch hatte ich gerade ein Kleid an, das ich einst im höchsten Unmut über ein mißlungenes Trio gekauft, und dessen Farbe in Cis-moll geht, weshalb ich zu einiger Beruhigung der Beschauer einen Kragen aus E-dur-Farbe darauf setzen lassen, Ew. Hoch- und Wohlgeboren wird das doch wohl nicht irritiert haben. – Zudem hatte man mich auch ja heute abend anders vorgezeichnet; ich hieß nämlich Doktor Schulz aus Rathenow, weil ich nur unter dieser Vorzeichnung, dicht am Flügel stehend, den Gesang zweier Schwestern anhören durfte – zwei im Wettgesang kämpfende Nachtigallen, aus deren tiefster Brust hell und glänzend die herrlichsten Töne auffunkelten. – Sie scheuten des Kreislers tollen Spleen, aber der Doktor Schulz war in dem musikalischen Eden, das ihm die Schwestern erschlossen, mild und weich und voll Entzücken, und die Schwestern waren versöhnt mit dem Kreisler, als in ihn sich der Doktor Schulz plötzlich umgestaltete. – Ach, Baron Wallborn, auch Ihnen bin ich wohl, vom Heiligsten sprechend, was in mir glüht, zu hart, zu zornig erschienen! Ach, Baron Wallborn – auch nach meiner Krone griffen feindselige Hände, auch mir zerrann in Nebel die himmlische Gestalt, die in mein tiefstes Innerstes gedrungen, die geheimsten Herzensfasern des Lebens erfassend. – Namenloser Schmerz zerschnitt meine Brust, und jeder wehmutsvolle Seufzer der ewigen dürstenden Sehnsucht wurde zum tobenden Schmerz des Zorns, den die entsetzliche Qual entflammt hatte. – Aber, Baron Wallborn, glaubst Du nicht auch selbst, daß die von dämonischen Krallen zerrissene blutende Brust auch jedes Tröpfchen lindernden Balsams stärker und wohltätiger fühlt? – Du weißt, Baron Wallborn, daß ich mehrenteils über das Musiktreiben des Pöbels zornig und toll wurde, aber ich kann es Dir sagen, daß, wenn ich oft von heillosen Bravour-Arien, Konzerten und Sonaten ordentlich zerschlagen und zerwalkt worden, oft eine kleine unbedeutende Melodie, von mittelmäßiger Stimme gesungen oder unsicher und stümperhaft gespielt, aber treulich und gut gemeint und recht aus dem Innern heraus empfunden, mich tröstete und heilte. Begegnest Du daher, Baron Wallborn, solchen Tönen und Melodien auf Deinem Wege, oder siehst Du sie, wenn Du zu Deiner Wolke aufschwebst, unter Dir, wie sie in frommer Sehnsucht nach Dir aufblicken, so sage ihnen, Du wolltest sie wie liebe Kindlein hegen und pflegen, und Du wärst kein anderer, als der Kapellmeister Johannes Kreisler. – Denn sieh, Baron Wallborn, ich verspreche es Dir hiemit heilig, daß ich dann Du sein will und ebenso voll Liebe, Milde und Frömmigkeit wie Du. Ach, ich bin es ja wohl ohnedem! – Manches liegt bloß an dem Spuk, den oft meine eignen Noten treiben; die werden oft lebendig und springen wie kleine schwarze, vielgeschwänzte Teufelchen empor aus den weißen Blättern – sie reißen mich fort im wilden unsinnigen Dreher, und ich mache ganz ungemeine Bocksprünge und schneide unziemliche Gesichter, aber ein einziger Ton, aus heiliger Glut seinen Strahl schießend, löst diesen Wirrwarr, und ich bin fromm und gut und geduldig! – Du siehst, Baron Wallborn, daß das alles wahrhafte Terzen sind, in die alle Septimen verschweben; und damit Du diese Terzen recht deutlich vernehmen möchtest, deshalb schrieb ich Dir! –


    Gott gebe, daß, so wie wir uns schon seit langer Zeit im Geiste gekannt und geschaut, wir auch noch oft wie heute abend leiblich zusammentreffen mögen, denn Deine Blicke, Baron Wallborn, fallen recht in mein Innerstes, und oft sind ja die Blicke selbst herrliche Worte die mir wie eigene, in tiefer Brust erglühte Melodien tönen. Doch treffen werde ich Dich noch oft, da ich morgen eine große Reise nach der Welt antreten werde und daher schon neue Stiefeln angezogen. –


    Glaubst Du nicht, Baron Wallborn, daß oft Dein Wort meine Melodie und meine Melodie Dein Wort sein könnte? – Ich habe in diesem Augenblick zu einem schönen Liede die Noten aufgeschrieben, dessen Worte Du früher setztest, unerachtet es mir so ist, als hätte in demselben Augenblick, da das Lied in Deinem Innern aufging, auch in mir die Melodie sich entzünden müssen. – Zuweilen kommt es mir vor, als sei das Lied eine ganze Oper! – Ja! – Gott gebe, daß ich Dich, Du freundlicher, milder Ritter, bald wieder mit meinen leiblichen Augen so schauen möge, wie Du stets vor meinen geistigen lebendig stehst und gehst. Gott segne Dich und erleuchte die Menschen, daß sie Dich genugsam erkennen mögen in Deinem herrlichen Tun und Treiben. Dies sei der heitre beruhigende Schluß-Akkord in der Tonika.


    Johannes Kreisler,
    Kapellmeister,
    wie auch verrückter Musikus par excellence.

  • Erste Szene



    Oberpriester und zwei Priester des Baal, Idun, Chalkol, Zepho und mehrere Krieger sind vor dem Zelte des Holofernes versammelt.


    CHOR.
    Holofernes heißt der Held
    Vor dem die ganze Welt
    Und alles, was drauf lebt,
    Erzittert und erbebt.
    Er ist der Feinde Schrecken, Schrecken, Schrecken,
    Tut alles niederstrecken, – strecken, – strecken.
    Blitzstrahl ist sein Grimm, Grimm, Grimm,
    Donner seine Stimm, Stimm, Stimm!
    Weil er uns sonst niederhaut,
    Preisen wir ihn alle laut!


    Mit dem Ende des Chores tritt Holofernes aus dem Zelte.


    Zweite Szene



    Holofernes. Die Vorigen.


    HOLOFERNES. Da bin ich, jetzt kann's angehn.
    IDUN. Was meinst du?
    CHALKOL. Der Sturm?
    ZEPHO. Die Schlacht?
    HOLOFERNES. Nix da, die Götzenopferei. An welchem unserer Götter is denn heut die Tour?
    OBERPRIESTER. Baal hat am längsten kein Opfer gekriegt.
    HOLOFERNES. Gut also. Baal ist überhaupt ein charmanter Gott, der mit einige Lampeln zufrieden ist.
    OBERPRIESTER. Baal wird dir ferner noch Sieg verleihn.
    HOLOFERNES. Solang ich die Siege erkämpfe, ganz gewiß.
    OBERPRIESTER. Wenn er dich nicht beschirmte –
    HOLOFERNES. Is schon gut, ich halt, mich ja nicht auf, wenn's auch a paar Kalbeln sind. Leiser. Ich kenne den Rummel, und weiß recht gut, wer die Opfertiere speist.
    OBERPRIESTER. Aufgeklärter Holofernes, das blöde Volk –
    HOLOFERNES. Muß an den Opferappetit der Götter glauben. Wenn du mir aber ein Götzen-X für ein Vernunft-U machen willst, so tu' ich einmal deinen Göttern einen guten Tag an und laß dich selber opfern.
    OBERPRIESTER. Herr –
    HOLOFERNES. Kusch!
    OBERPRIESTER zu den Hauptleuten. Er ist nicht gut zu sprechen.
    IDUN leise. Mir sagte sein Kämmerling, daß er mit dem linken Fuß aufgestanden.
    CHALKOL ebenso. An solchen Tagen ist immer seine rechte Hand zu fürchten.
    ZEPHO ebenso. Es ist eine schöne Kommission in seiner Suite zu sein.


    Alle ab bis auf Holofernes.


    Dritte Szene




    Holofernes allein.


    HOLOFERNES. Ich bin der Glanzpunkt der Natur, noch hab' ich keine Schlacht verloren, ich bin die Jungfrau unter Feldherrn. Ich möcht' mich einmal mit mir selbst zusammenhetzen nur um zu sehen, wer der Stärkere is, ich oder ich. Nach dem Hintergrund blickend. Wer kommt dort in assyrischer Hoflivree? – Ein langweiliger Bote von meinem faden Herrn und König.

  • Vierte Szene



    Herold. Der Vorige.


    HEROLD. Nebukadnezar, der da herrscht vom Orient bis zum Okzident, vom Kontinent bis zum –
    HOLOFERNES. Fikrament und kein End' –! Was will er der Nebukadnezar?
    HEROLD. Nebukadnezar will nicht, daß ferner andere Götter verehrt werden neben ihm.
    HOLOFERNES für sich. Da kann man sehen, wie köbig die Könige werden, wenn sie Holofernesse haben, die ihnen die Welt erobern.
    HEROLD. Nebukadnezar will, daß jeden Sonnenaufgang ihm geopfert werde.
    HOLOFERNES. Beim Sonnenaufgang nur? Beiseite. Der Mann wird billig, wir sind ja seine Untertanen, folglich seine Opfer zu jeder Stund'.
    HEROLD. Dies ist der Wille des Königs der Könige.
    HOLOFERNES. Meine Empfehlung, es is schon gut!


    Der Herold geht ab.


    Fünfte Szene


    Holofernes allein.


    HOLOFERNES. Recht eine gute Haut dieser König der Könige, aber ein Glück für diese Haut, daß sie mit lauter Nebukadnezar ausgeschoppt ist. Heda! sind keine falschen Priester da?


    Sechste Szene


    Oberpriester. Zwei Priester. Der Vorige.


    OBERPRIESTER. Was befiehlst du Holofernes?
    HOLOFERNES. Nebukadnezar ist von heut an Gott; das heißt, von heut an sagt er's laut, was er sich schon lang im stillen eingebild't hat.
    OBERPRIESTER. Herr das begreif' ich nicht.
    HOLOFERNES. Tut nichts, wenn du's nur dem Volk begreiflich machst.
    OBERPRIESTER. Sehr wohl. Ab.
    PRIESTER. Ich werde neue Zeremonien ersinnen.
    HOLOFERNES. Zwölf assyrische Louisdor sind dein Lohn.


    Die Priester gehen ab.

  • Die Revolution


    Erster Aufzug


    Wirtshaus in Krähwinkel.



    Erster Auftritt



    Nachtwächter, Pemperl, Schabenfellner, Bürger sitzen um einen Tisch und trinken.


    CHOR.
    Was recht is, is recht, doch was z'viel is, is z'viel,
    Der Chef unserer Stadt tut mit uns was er will,
    D' ganze Welt tut an Freiheit sich lab'n,
    Nur wir Krähwinkler soll'n keine haben.
    Die Krähwinkler, Mordsapperment,
    Sind ebenfalls ein deutsch Element,
    Drum lassen wir jetzt nimmer nach, Freiheit muß sein,
    Wir erringen s', und sperren s' uns auch lebenslänglich ein.
    NACHTWÄCHTER. Anders muß's wern, und anders wird's wern, die Zeiten der Finsternis sind einmal vorbei.
    PEMPERL. Wenn d' Finsternis abkummt, können d' Nachtwachter alle Tag verhungern.
    NACHTWÄCHTER. Hör auf, Klampferer, mit deine blechenen G'spaß. Wir sitzen hier versammelt, als Kern der Krähwinkler Bürgerschaft, und da kann nur von einer Geistesfinsternis die Red' sein.
    SCHABENFELLNER. Mir wär' d' Freiheit schon recht, wenn ich nur wußt', ob dann die hiesige Nationalgarde Grenadiermützen kriegt.
    NACHTWÄCHTER. Sie sind mehr Kirschner als Mensch.
    PEMPERL. Durch die Freiheit kommt auch 's Fuchsschwanzen ab, is auch wieder ein Schaden für die Kirschner.
    NACHTWÄCHTER. Von ein Menschen, der seine Ware aus Rußland bezieht, laßt sich nichts Liberales erwarten.
    PEMPERL. Still, ich glaub' – richtig, 's kommt einer vom Amt.


    Zweiter Auftritt



    Klaus durch die Mitte. Vorige.


    KLAUS. Schön' guten Abend, meine Herren Mitbürger.
    NACHTWÄCHTER leise zu Pemperl. Is schon wieder der Spitzl da.
    PEMPERL leise zum Nachtwächter. Ach, das wär' z' rund, wenn der a Spitzl wär'.
    KLAUS. Ich werd' a bisserl mittrinken, im übrigen, trinken S' ungeniert fort.
    NACHTWÄCHTER. Wir werden so frei sein.
    KLAUS. So frei sein? – So ruchlose Ausdruck sollten Sie nicht gebrauchen, ich bin vom Amt, und wir lieben das nicht, daß der Mensch frei is.
    PEMPERL zur Gesellschaft. Setzen wir uns in Garten hinaus, 's is angenehmer in der freien Luft.
    KLAUS. Wenn s' nur nicht gar so frei wär' die Luft, ich bleib' herin.
    PEMPERL. Das is g'scheit, so brauchen wir Ihnen nicht auf'n G'nack z' haben, Zum Nachtwächter. komm' der Herr.
    NACHTWÄCHTER. Nein, ich bleib' noch a Weil da, ich muß ihm a Gall machen.
    DIE BÜRGER ihre Gläser nehmend, und Klaus mit einem scheelen Blick ansehend. Schau'n wir, daß wir weiterkommen.
    Rechts ab.


    Dritter Auftritt



    Nachtwächter. Klaus.


    KLAUS. Sonderbar, daß wir vom Amt so wenig Sympathie haben unterm Volk.
    NACHTWÄCHTER. Is Ihnen leid, daß S' jetzt nichts rapportieren können bei Sr. Herrlichkeit?
    KLAUS. Herr Nachtwachter, frotzeln Sie mich nicht, Sie sind selbst Beamter.
    NACHTWÄCHTER. Ich tu' meine Schuldigkeit, deswegen bin ich aber doch ein freisinniger Mensch.
    KLAUS. Als solcher sind Sie uns bereits denunziert, wir wissen, daß Sie auswärtige Blätter lesen, sogar österreichische.
    NACHTWÄCHTER. Na, und was is weiter?
    KLAUS. Diese Blätter waren einst – so unschuldig, wie gewässerte Millich, und jetzt unterstehen sie sich, den Absolutismus zu verheanzen.
    NACHTWÄCHTER. Unser Bürgermeister kriegt gewiß über jeden Artikel die Krämpf'.
    KLAUS. Sie haben noch einen Fehler, den wir recht gut wissen.
    NACHTWÄCHTER. Und der wär'? –
    KLAUS. Sie denken bei der Nacht über das nach, was Sie beim Tag gelesen haben, das liebt die Krähwinkler Regierung nicht.
    NACHTWÄCHTER. Natürlich, 's Denken is viel größern Regierungen verhaßt.
    KLAUS. Mit einem Wort, ich kann Ihnen sagen, daß Sie sehr schwarz angeschrieben sind bei uns.
    NACHTWÄCHTER. Mein G'schäft ist die Nacht, die Nacht is schwarz, also verschlagt mir das nix.
    KLAUS. Sie reden sich –
    NACHTWÄCHTER. Doch nicht um den Kopf?
    KLAUS. Das will ich nicht direkte behaupten, aber um den Magen, wenigstens um das, was den Magen füllt.
    NACHTWÄCHTER. Larifari! In freisinnigen Ländern wächst auch Getreid.
    KLAUS. Sie reden in den Tag hinein, und das is bei einem Nachtwächter unverzeihlich.
    NACHTWÄCHTER böse werdend. Herr Klaus –
    KLAUS. Kurz und gut, ich sag' Ihnen, beachten Sie meine bürokratischen Winke, wenn Sie anders die Fortdauer Ihrer Existenz nicht in Frage gestellt wissen wollen.
    NACHTWÄCHTER. Kümmer' sich der Herr Klaus um die seinige, die Freiheit hat noch keinen einzigen Nachtwächter, wohl aber schon a paar tausend Spitzln brotlos gemacht.
    KLAUS stolz. Verhungert is deswegen doch noch keiner, a Zeichen, daß s' noch alleweil heimlich g'futtert werden. Und jetzt schweigen Sie, Sie sind ein Aufrührer, ein Wühler, ein Demagog.
    NACHTWÄCHTER. Ich bin ein Nachtwächter, der in einer Stund schreien wird: »Zwölfe hat's g'schlagen«, und die Zwölfe wird der Herr Klaus auf sein' Buckel haben.
    KLAUS. Hilfe! Meuterei, Blutbad, Verrat!

  • Die Revolution


    Erster Aufzug


    Wirtshaus in Krähwinkel.


    Vierter Auftritt



    Vorige. Cäcilie. Walpurga.


    CÄCILIE. Himmel, der Vater! –
    WALPURGA. Was is denn g'schehen! –
    NACHTWÄCHTER. 's is nix als ein Streit.
    KLAUS. Ein Meinungskrieg. –
    CÄCILIE. Aber der Herr Nachtwächter hat ja die Faust geballt.
    KLAUS. Er spielt eine mir feindlich-politische Farbe.
    NACHTWÄCHTER. Der Herr Klaus wird gleich braun und blau spielen. –
    WALPURGA. Wär' nicht übel, die Töchter flattern als sanfte Tauben herein –
    NACHTWÄCHTER. Und die Väter stehen da im Hahnenkampf.
    CÄCILIE zu Klaus. Ich habe Ihnen den Hausschlüssel gebracht.
    WALPURGA zum Nachtwächter. Und ich dem Vater die Schlafhauben.
    KLAUS zu Cäcilie. Du bist eine gute Tochter, die andere auch, aber es is mir leid –
    NACHTWÄCHTER zu Cäcilie. Wenn Sie nicht die Ratsdienerische wären, hätte ich gar nichts gegen die Bekanntschaft mit meiner Tochter.
    KLAUS zu beiden. Meine Beziehungen zum Staat machen eure fernere Freundschaft unstatthaft. –
    CÄCILIE. Was? –
    WALPURGA. Ich soll die Cilli nicht mehr gern haben?
    NACHTWÄCHTER zu Cäcilie. Sie haben einen absoluten Vater.
    KLAUS zu Walpurga. Und Sie einen radikalen Erzeuger.
    NACHTWÄCHTER. Geben S' acht, daß S' vom Radikalen kein Radi krieg'n. Komm, Tochter, ehe mich diese bürokratische Zuwag zum zweitenmal aus der Fassung bringt. (Mit Walpurga zur Mitte ab.)


    Fünfter Auftritt



    Klaus, Cäcilie, später Sigmund und Willibald.


    KLAUS. Maßlose Kühnheit! Aber jedes Wort soll zu den höchsten Staatsohren, nämlich zum Bürgermeister seine gelangen. – Schad', daß ich nicht gesagt hab': Sie Esel Sie! Aber die guten Gedanken kommen immer zu spät.
    CÄCILIE. Die Tochter aber kann doch gewiß nichts davor.
    KLAUS. Still, unwürdiges Staatskind.


    Sigmund Siegl und Willibald Wachs treten zur Mitte ein.


    SIGMUND. Was bedeutet die Aufregung, in der ich dem Nachtwächter begegnete?
    WILLIBALD. Walpurga warf mir einen traurigen Blick zu.
    KLAUS lächelnd. Ihnen? glauben S', man weiß das nicht? –
    WILLIBALD. Was? –
    KLAUS. Na, mir g'fallt das, wenn sich zwei Nebenbuhler so gut miteinander vertragen.
    SIGMUND. Ich, Willibalds Nebenbuhler?
    KLAUS. Bei der Nachtwächterischen Tochter. –
    WILLIBALD. Die hat ja der Alte dem Schwadroneur Ultra zugedacht.
    SIGMUND leise zu Cilli. Meine Cäcilie! –
    CÄCILIE leise. Gott! wenn's der Vater merkt!
    WILLIBALD. Ich habe keine Hoffnung. –
    KLAUS. Die hätten Sie auf keinen Fall, denn das is ja der Beglückte.


    Auf Sigmund deutend.


    WILLIBALD. Bei Walpurga? Beiseite. der Irrtum kann meinem Freunde von Nutzen sein.
    KLAUS. Sehen S', jetzt gibt er grad meiner Cilli a Post auf an sie.
    SIGMUND ohne zu bemerken, daß er beobachtet wird. Ach! –
    KLAUS zu Willibald. Hören Sie, wie er seufzt, Laut. Mussi Siegl!
    SIGMUND erschrocken sich umwendend. Herr Klaus –
    KLAUS. 's is nichts, meine Tochter darf nicht mehr hin zu der Nachtwächterischen Walperl. Zu Cäcilie. Geh nach Haus und sag der Mutter, daß sie mir ja nicht mehr den Nachtwächter grüßt, wenn sie ihm begegnet.
    CÄCILIE. Gleich, Vater! Adieu. (Mit einem schüchternen Knix die beiden Herrn grüßend zur Mitte ab.)


    Sechster Auftritt



    Vorige, ohne Cäcilie.


    KLAUS. Nicht wahr, der Nachtwächter haßt nicht den Menschen, sondern nur den Beamten in Ihnen?
    WILLIBALD. Nein, nur meiner ämtlichen Stellung willen feindet er mich an.
    KLAUS. Ich frag' ja den! –


    Auf Sigmund zeigend.


    WILLIBALD. Ja so! – Unter anderm, Herr Klaus, nicht wahr, Sie würden doch, wenn's Ernst wäre, einem wirklichen Amts-Aktuarius Ihre Tochter nicht verweigern?
    KLAUS. O ja! unbedingt.
    SIGMUND. Wenn aber –
    KLAUS. 's Madl is ja gar nicht zum Heiraten.
    WILLIBALD lachend. Das wär' der Teufel! –
    KLAUS. Konträr, sie ist Himmelsbraut, sie geht ins Kloster.
    SIGMUND. Wenn sie aber keine Neigung –
    KLAUS. Das kommt schon, wenn sie nur einmal drin is, sie ist von Kindheit auf dazu bestimmt. Sie war damals 8 Jahr, und da hat meine Alte so an die Krämpf g'litten, und da haben wir 's kleine Madl ins Kloster verlobt, und von der Stund an waren meiner Alten ihre Krämpf wie weggeblasen.
    WILLIBALD. Na, wenn man nur weiß, was hilft.
    SIGMUND. Und deswegen soll sie ein Opfer –
    KLAUS. Ich bin gewiß Bürokrat mit Leib und Seel, Zu Willibald. aber das werden Sie doch einsehen, Himmelsbraut ist was Höheres, als wenn sie den schönsten Beamten kriegt. Ich richt' mich in allem nach dem was mir die Ligurianer sagen, das sind meine Leut.
    SIGMUND. Willibald – mir wird so – es schnürt mir die Brust zusammen.
    KLAUS zu Willibald. Das is alles wegen der Nachtwächterischen, führen Sie ihn an die frische Luft, ich kann nicht mitgehen, ich bin da einem freisinnigen Bandl auf der Spur.


    Willibald führt Sigmund zur Mitte ab.


    KLAUS allein. He! Kellner! – So viel is g'wiß, das is das mißvergnügte Wirtshaus, hier versammeln sie sich, hier ist der Herd der Revolution, (Zum Kellner, welcher a tempo eintritt.) bringen S' mir drei Paar Würstel in Garten, a Schnitzl mit Erdäpfel, saure Nierndln und a Krenfleoch. (Kellner ab.) Oh! ich komm' noch auf alles, was hier auskocht wird. (Rechts ab.)

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