Das Hammerklavier - ein klanglicher Irrtum?

  • Gestern und heute habe ich Schiffs Schubert-Aufnahmen gehört. Vorläufig nur ganz kurz: Was er über seine Konvertierung zum Fortepianisten und über das Hammerklavier schreibt, ist lesenswert. Wie er Schubert spielt, berührt mich überhaupt nicht. Im Internet findet man zwar ausgesprochen positive Besprechungen. Aber mein Favorit ist Lahusen (schade, dass er nicht mehr lebt). Da klingt die Musik einfach am natürlichsten und selbstverständlichsten, finde ich als Laie. Schiff »macht zu viel«, er dramatisiert, aber die Musik hat keinen Fluss.

  • Ich habe etwas in die Ausschnitte auf Amazon hineingehört.


    Warum macht er denn z.B. beim Allegretto (Impromptu As-Dur) D 935 eine schon bald "torkelnde Betrunkenheits-Agogik", die nach wenig Sinn für das Kantabile und einer irgendwie abgenutzten/verirrten musikalischen Empfindsamkeit klingt? Wenn Dieter Stockert sagt, dass er den Fluss in der Musik vermisse, dann verstehe ich angesichts eines solchen Beispiels wahrscheinlich, was er meint. Warum sagt dem Pianisten eigentlich keiner, dass das so nicht schön ist? Noch schlimmer: Er klappert die Akkorde (erst links, dann rechts angeschlagen) so, wie es mir weiland mein Klavierlehrer von seiner alten Tante aus bürgerlichem Hause berichtete.
    Für mich kommt das aufgrund dieser merkwürdigen Interpretation und des kurzen, das Kantabile eher konterkarierenden Klanges nicht einmal in die kilometerweite Nähe einer Interpretation, wie ich sie etwa von Brendel oder auch Lupu her kenne und liebe.


    Das Stück habe vor einigen Jahren einmal selbst im Rahmen einer Schubertiade in Oslo vorgetragen, kenne es also recht gut. Damals hatte ich das Glück, es auf einem schönen und wohlklingenden Steinway spielen zu dürfen.... ;)


    Nun ja, jeder soll nach seiner Fasson selig werden, aber dieses akustische Resultat des "Konvertiten" kann mich kaum überzeugen bzw. ansprechen. Angesichts der herausragenden Leistungen, die der Pianist damals bei seiner Decca-Einspielung des WTK an den Tag legte, überrascht mich das jetzt umso mehr - schade, denn ich mag ich von ihm durchaus so einiges.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Warum findet Ihr eigentlich den Schiff so schlecht?


    Gerade habe ich mir das Allegretto D 915 angehört. Ich finde, er hat erst einmal das Instrument von Brodmann (1820) so vorteilhaft in Szene gesetzt, wie es vorteilhafter eigentlich nicht geht. Man kann auf so einem Instrument wunderbar singen, wenn man die Bassbetonung annimmt, weiche Konturen zeichnet. Dabei ist Schiffs hoch expressive und auch in der Motivgestaltung sehr präzise und eindringliche Interpretation einfach gelungen. Ich Kritikaster jedenfalls habe nichts daran auszusetzen. :D


    Nun der Vergleich mit Maurizio Pollinis grandioser Aufnahme. Das ist wiederum wunderbar ausgesungen und nicht weniger hochexpressiv gespielt, aber es kommt der atmosphärische Steinway-Diskant hinzu. Um einen Vergleich mit der Malerei zu machen: Die Aufnahme auf dem modernen Flügel wirkt "visionärer", etwa wie der Blick des Wanderers über das Nebelmeer bei C.D. Friedrich. Dagegen ist die Perspektive bei Schiff eher eine irdisch-realistische "Nahperspektive" - ein dramatisch aufgewühlter Bass, was von der anspringenden Basslastigkeit dieser Instrumente herrührt. Im Mittelteil vermag Pollini das gesangliche Kontinuum durchzuziehen, was er wie kaum jemand kann, ein Non-Legato spielen an der Grenze zum Legato. Da muss Schiff auf seinem Instrument mehr "absetzen".


    Die verkrampfte "Authentizitäts"-Debatte, die Schiff anzettelt, kann ich allerdings überhaupt nicht verstehen. Ästhetisch betrachtet kommt der typisch romantische Fernblick erst auf dem modernen Flügel zum Vorschein. Beide Versionen mit altem und neuen Instrument sind schlicht authentisch, jede auf ihre Weise. Schiff zeigt allerdings sehr schön, dass man diese Musik ohne Abstriche in ästhetischer und interpretatorischer Hinsicht auch auf einem solchen Instrument zum Klingen bringen kann.


    Die Sonaten und Impromptus habe ich noch nicht gehört!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Gerade höre ich Schiff mit D 960. Das ist ja schrecklich! :( Das spielt er wie ein großer Elefant im Porzellanladen seelischer Zerbrechlichkeit. Der Kopfsatz derb, der langsame Satz zu schnell. Das hat allerdings so gut wie nichts mit dem Instrument zu tun, als vielmehr mit ihm als Interpreten. :D Die Impromptus dagegen - durchwachsen - kann man sich anhören. Nur soll er mal erklären: Warum ist es "authentisch", eine von Schubert notierte dynamische Abstufung " ff > p decrescendo pp " auf dem Hammerklavier zu spielen: mf > p? Schnabel, Kempff, Brendel kriegen das auf dem modernen Instrument jedenfalls hin dynamisch so zu gestalten, wie es im Notentext steht. :hello:


  • Anders als bei der B-Dur-Sonate trifft Schiff in der großen G-Dur-Sonate finde ich das Richtige. Nicht nur, dass er sehr sorgfältig phrasiert und überlegt gestaltet, der musikalische Fluss gerät bei den wahrlich "himmlischen Längen" dieser Sonate niemals ins Stocken. Der Umgang mit dem historischen Instrument ist sehr kompetent. Schiff weiß, wie man es so vorteilhaft wie möglich in Szene setzt.


    Als Gesamteindruck würde ich festhalten: Auf dem Hammerflügel klingt diese Musik weniger nach überirdischer "Romantik", als nach einem sehr irdischen "Realismus". Was man ein wenig vermisst ist der "Zauber" dieser Musik. Das wirkt doch über weite Strecken eher trocken und geheimnislos bei aller Einfühlsamkeit, die Schiff hier walten läßt. Dafür arbeitet er die rhythmischen Strukturen heraus, was durchaus einen Gewinn darstellt. Aber letztlich ist Schubert dann doch noch kein Bartok. Alles in allem ist das eine wirklich authentische Interpretation, die allerdings den Romantiker Schubert auch ein wenig entromantisiert. Genau das liegt letztlich am historischen Instrument, dessen Stärke die pastose dramatische Gestaltung ist, aber nicht der hintergründige, rätselhaft erotisierende Klangzauber.


    Schöne Grüße
    Holger



  • Bevor man das aufs Instrument schiebt, müsste man doch eher sagen: Er spielte in einem nicht geeigneten Saal.


    Lieber Dieter,


    Dein Argument ist finde ich völlig richtig. Mir leuchtet auch nicht so ohne weiteres ein, warum ausgerechnet die Hammerklaviersonate auf dem Hammerflügel nicht klingen soll. Da müsste man doch etwas tiefer in die Problematik einsteigen! :)


    Herzlich grüßend
    Holger






  • Zitat Dieter Stockert


    Und danach habe ich mir Shuann Chai angehört und das hat mich sofort regelrecht angesprungen. Ich war gepackt und ich habe nichts vermisst, im Gegenteil, das war für mich viel spannender, dramatischer. (Die Aufnahmen von Brautigam und Komen aus meinem Bestand haben mir dann übrigens, vom Instrument her, wieder deutlich weniger gefallen als diejenige von Shuann Chai.)

    Lieber Dieter,


    ich habe nur kurz reingehört in die Aufnahme bei Youtube. Die Klangqualität ist natürlich bei diesen Videos nicht das, was sie auf CD wäre. Insofern muss man vorsichtig sein. Den Klang des Instruments finde ich spontan ansprechend, die Interpretation der Einleitung gefällt mir weniger, das zerfällt irgendwie, ich vermisse da den Zusammenhang und die dramturgische "Linie". Beim Hauptthema fällt die Basslastigkeit auf. Da gibt es im Bass eigentlich nur semantisch völlig nichtssagende Oktav-Tremoli. Diese kommen dann auf diesem Instrument sehr dominant, was die tonmalerische Wirkung unterstreicht, wogegen das eigentliche Thema in der rechten Hand doch ein wenig schmächtig wirkt. Das ist schon eine Eigenart, die ich bei diesen Instrumenten immer wieder höre: die Betonung von Tonmalerei. Also mehr Wirkungsrhetorik als thematische Semantik. Aber um da wirklich fundiert drüber zu reden, müsste man eine klangtechnisch ordentliche Reproduktion haben. Ich habe geschaut, selbst der auf der CD (DGG) mächtige Gilels-Bass ist bei Youtube fast völlig der Ausdünnung zum Opfer gefallen. Da kann man also nur aufgrund dieser Youtube-Tonqualität als Grundlage sehr schnell zu falschen Schlüssen kommen. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Ich lese gerade im Booklet von Hardy Rittners Brahms-Aufnahme bei der Musikproduktion Dabringhaus + Grimm (Volume 3):


    Zitat

    In ihrem Bestreben, das nachweisbar Richtige zu tun, stützt sich die historische Auf‌führungspraxis so weit sie kann auf Fakten, die für eine musikalische Darstellung relevante Entscheidungen, wie etwa die Wahl des Instrumentariums, absichern und unanfechtbar machen sollen. Trotz und auch gerade aufgrund all ihrer Bemühungen um das historisch Korrekte erliegt eine solche Herangehensweise jedoch zuweilen der Gefahr der Überbewertung einzelner historischer Fakten einerseits und einem vorschnellen Ausschließen davon evtl. abweichender sinnvoller Lösungen andererseits. So mündet die Tatsache, dass Brahms einen wie den hier verwendeten J. B.-Streicher-&-Sohn-Salon-Flügel bis zu seinem Tode besaß, häufig in der Fehlannahme, er habe sonst nichts anderes gespielt oder geschätzt, seine Musik müsse demnach auf einem Streicher gespielt werden. Noch immer wird kaum gesehen, dass Brahms durchaus viel konzertierte und dabei vielfach die modernsten Flügel antraf.

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  • Da ist ja soviel geschrieben und (Volltext !!) zitiert worden, daß man schier den Überblick verlieren konnte.
    In Bezug auf die Frage Hammerflügel contra moderner Konzertflügel habe ich mehrmals den Standpunkt gewechselt; man lernt dazu und meine heutige Sicht ist folgende:


    1) Beethoven war mit dem Stand der Klaviertechnik seiner Zeit unzufrieden, was das Spiel auf modernen Instrumenten zu befürworten scheint. Das Spiel auf historischen Flügel kann IMO bestenfalls als Information dienen.


    2) Bei Schubert ist es indes so, daß man IMO UNBEDINGT das Spiel auf alten Instrumenten gehört haben sollte, damit man sagen kann, man kenne eine Schubert-Klaviersonate. Die alten Instrumente bringen Zwischentöne bei Schubert hervor, die beim modernen Konzertflügel einfach fehlen.


    3) Habe ich früher für HIP Interpretationen ausschliesslich historische Original-Flügel akzeptiert, so bevorzuge ich heute gute Nachbauten. Man kann sie klanglich weitgehend an die Vorlage angleichen, jedoch ohne das Klappern alter Mechaniken und anderer negativer Einflüsse. Es ist traurig, wie viele totgespielte Museumsstücke heute noch für Tonaufnahmen herangezogen werden....


    Die "historischen" Instrumente waren zur Zeit als sie gebaut und von ihren Erstbesitzern bespielt wurden sicher in einem für die Zeit entsprechenden einwandfreien Zustand....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Lieber Dieter, lieber Alfred,


    diesen Thread sollten wir weiter führen. Im Moment komme ich leider nicht dazu, melde mich aber später!


    Schön wären einige Beispiele - Schubert und Beethoven -, damit wir eine Grundlage haben! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    das Hineinkopieren aus dem anderen Thread halte ich für lobenswert - vielen Dank!


    Inhaltlich bin ich mehr den je der Auffassung, dass ich den modernen Flügel für Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms usw. eigentlich immer bevorzuge.
    Die Gründe habe ich ja schon oft dargelegt, aber hier noch einmal kurz zusammengefasst:

    Flügel:

    Singender kantabler Ton, hohe Tonqualität, enorme Differenzierungskraft, mechanische Umsetzung von differenzierten musikalischen Vorstellungen bei guten Instrumenten sehr leicht, stimmstabil, füllt Konzertsäle, neutral, zeitlos, stilistisch und klanglich-transzendierend nahezu universal (kann alles sein: Orchester, Chor, Orgel, Schlaginstrument, Oboe, Hörner, Trompeten......)


    Hammerflügel:
    kurzer Ton, metallisch dünne Tonqualität, oft kein schönes Piano möglich, im Forte manchmal scheppernd, mechanische Umsetzung von differenzierten musikalischen Ideen oftmals schwer, nicht so stimmstabil, füllt keine Konzertsäle, nicht neutral sondern historisch-zeitgebundender Klang, nicht stilistisch und klanglich-transzendierend, kann eigentlich nur ein Hammerklavier sein.


    Ergo: unter musikalischen Aspekten ist mir das, was das Hammerklavier bietet, einfach zu wenig. Warum sollte ich einen alten Renault vom Gebrauchtwagenhändler fahren, wenn ich doch den neuesten Daimler mit Stromtechnik in der Garage stehen habe?


    Noch zum Ausfüllen des Konzertsaals: Ein Cembalo kann das auch nicht, aber ein gutes Cembalo klingt in kleinem Rahmen oder auf CDs mitunter ganz ausgezeichnet, je nach dem. Das gilt in meinen Ohren für ein Hammerklavier gerade nicht, was natürlich von seinen Anhängern vehement bestritten wird.


    Thema "ausgereift":


    Das Cembalo der Bachzeit halte ich für technisch-musikalisch ausgereift - es war sozusagen ein fertiges Produkt, an dem man nichts mehr verbessern konnte ( wenn es bei den Fernsehgeräten erst einmal so weit ist, dann wäre das DIE Katastrophe, weil man dann kein Wachstum mehr generieren kann.... ;) )
    Für die anderen Barockinstrumente gilt dies m.E. genauso. An einer Barockoboe z.B. konnte man nichts mehr verbessern. Um sie lauter zu machen, musste man quasi ein neues Instrument bauen. Das klang/klingt dann anders (auch gut...) aber keineswegs besser.
    Dahingegen finde ich nicht, dass man diese Erkenntnisse analog auf das Hammerklavier anwenden kann.
    Hier muss man feststellen, dass man eine recht lange Entwicklung brauchte, bis man zu den Ausdrucksmöglichkeiten kam, die man heute hat.
    Beim heutigen Flügel ist es wohl so, dass man nur noch marginal etwas verbessern kann. Da hängt dann auch sehr viel am Naturmaterial Holz, welches man immer braucht.


    Der moderne Flügel ist aus meiner Sicht so gut, dass man mit ihm auch durchaus überzeugend Bach und Händel spielen kann, ihn also noch weiter rückwirkend in der Musikgeschichte verwenden kann, als etwa nur ab Haydn und später. Zwar finde ich solche Barock-Aufführungen nicht besser als solche, die mit den "richtigen" Instrumenten stattfinden, aber auch nicht grundsätzlich schlechter.
    Es kommt da hauptsächlich auf den Musiker an.
    Wenn Brendel "Ich ruf zu Dir" in der Busoni-Version spielt, oder Kempff seine Bearbeitung des Orchestervorspiels von "Wir danken Dir Gott", dann habe ich keine Fragen mehr. Das ist große Musik, und darauf kommt es meiner Meinung nach an. Aber auch Goulds zweite Aufnahme der Goldbergvariationen muss ich erwähnen. Sie ließ mich damals zum ersten Mal an meinem damals noch gültigem Dogma zweifeln, dass man Bach selbstverständlich nur - wie etwa Gustav Leonhardt - auf dem Cembalo oder der Orgel zu spielen habe. Das lag und liegt natürlich am überragenden Glenn, aber eben auch an einem Instrument, welches eine solche Aufführung erst ermöglichte.



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Auch wenn ich - zumindest ab Mozart - derzeit dazu neige, dem modernen Konzertflügel den Vorzug zu geben, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß man den Klang des Hammerflügels nicht allzu pauschal darstellen sollte. In der Tat werden ja die meisten HIP-Aufnahmen auf einem historischen Instrument von Anton Walter gemacht. Es gibt aber zahlreiche andere Klavierbauer (Schantz, Stein, Graf, etc.) - deren Pianos klingen durchwegs unterschiedlich. Den grössten Kontrast zum Walter-Flügel stellen vermutlich die Instrumente der Fa. Broadwood dar.
    Ich schätze (als "Zusatzpodukt") die Aufnahmen mit alten Klavieren (wie auch immer der korrekte Name des einzelnen Instrumententyps sein mag) sehr - quasi als klingendes "Klassikmuseum".


    mfg aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Inhaltlich bin ich mehr den je der Auffassung, dass ich den modernen Flügel für Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms usw. eigentlich immer bevorzuge.
    Die Gründe habe ich ja schon oft dargelegt, aber hier noch einmal kurz zusammengefasst:


    Lieber Glockenton,


    was hältst Du denn davon?


    Das Hammerklavier als moderner Konzertflügel. Daniel Barenboims Maene-Flügel


    Das finde ich nun doch eine hochinteressante klavierbautechnische Entwicklung und Alternative. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich finde schon, dass da ein sehr gutes und interessantes Instrument entstanden ist.
    Einem historischen Hammerklavier zöge ich es wohl immer vor, sowohl als Spieler als auch als Hörer.
    Das Instrument kann polyphone Klarheit bieten, ohne jedoch dünn, "hell"-blechern oder scheppernd zu klingen.
    Zudem verfügt dieser Flügel über einen schön lange Sostenuto-Qualitäten, d.h. das singende Spiel ist darauf möglich, ebenso auch jede Art von feiner Differenzierung. Auch das Transzendente kann mir hier gefallen.


    Im Vergleich zur Horowitz-Aufnahme empfinde ich den Klang dieses Flügels als besser geeignet. Der "Horowitz-Flügel" klingt mir in den unteren Mitten vergleichsweise zu klumpig-klobig. Man muss aber auch sehen, dass es immer auf die Aufnahme, den Raum, den Klaviertechniker, das individuelle Instrument und vor allem natürlich auf den Pianisten ankommt.


    Bei den Beethoven-Variationen finde ich das neue Instrument auch gut, kann aber nicht erkennen, dass der Flügel Lupus hier klanglich ins Hintertreffen geriete:



    Beim Wagner finde ich den Klang nicht so überzeugend, wobei ich auch an das Arrangement einige leichte Fragezeichen setze.
    Diese Passagen kenne ich aus dem Parsifal orchestral, und da habe ich gewisse Schwächen im Tonsatz nicht erkennen können. Hat Liszt das bearbeitet? Bei aller Wertschätzung finde ich nicht jede seiner Bearbeitungen super gelungen, vor allem in Bezug auf "Voicing", auch in der Vertikalen gedacht. Ob das ein normaler Flügel besser gemacht hätte, ist eben die Frage. Vielleicht wäre hier weniger Transparenz sogar wünschenswert.


    Ich kann mir Bachs WTK oder "Die Kunst der Fuge" sehr gut auf diesem neuen Instrument vorstellen, weiß auch nicht, ob ich Barenboim dann mein Topkandidat für eine Wunscheinspielung wäre. Momentan sehe ich da überhaupt keinen, der mir 100% zusagt. Angela Hewitt hat viele Vorzüge, aber da gibt es auch Dinge, die ich so nicht sehe/höre.
    Da müsste man es eben selber machen ..... nicht ganz so einfach!


    Diesen Flügel würde ich jedoch auf jeden Fall gerne einmal einen Tag lang spielen dürfen...



    Gruß mit besten Wünschen für 2017 :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Im Vergleich zur Horowitz-Aufnahme empfinde ich den Klang dieses Flügels als besser geeignet. Der "Horowitz-Flügel" klingt mir in den unteren Mitten vergleichsweise zu klumpig-klobig. Man muss aber auch sehen, dass es immer auf die Aufnahme, den Raum, den Klaviertechniker, das individuelle Instrument und vor allem natürlich auf den Pianisten ankommt.

    Lieber Glockenton,


    Horowitz spielte immer auf dem selben Flügel, den er in den 40gern von Steinway geschenkt bekam. Der ist vom Klang her für einen Steinway ungewöhnlich hell und schlank - wie man das auch von den CBS-Aufnahmen her kennt. (Mein Lehrer hat ihn angespielt und das bestätigt, denn Wanda hat den Flügel nach Horowitz´ Tod an Steinway zurück gegeben und er ging auf Tour.) Dann kam die Geschichte mit dem 3. Rachmaninow-Konzert, wo die Intonation im Eimer war. Vor dem Moskauer Konzert und diesen Aufnahmen bekamen die Hämmer neue Filzköpfe und alles wurde komplett neu intoniert - so entstand dieser ungemein farbige und im Vergleich mit früher deutlich weichere Klang des Horowitz-Flügels. Die DGG neigt aber von der Aufnahmetechnik her dazu, etwas Mittel lastig aufzunehmen. Diese beiden Scarlatti-Sonaten sind in dieser Zeit auch in Berlin, Moskau, Wien, Chicago usw. bei den Horowitz-Konzerten aufgenommen worden, man kann also vergleichen. Im Moskauer Konsvervatorium z.B. ist der Obertonbereich deutlich strahlender und insgesamt der Klang heller und schlanker als in dieser Studio-Aufnahme. Insgesamt finde ich aber, dass gerade bei Scarlatti diese atmosphärischen Mischungen bei Horowitz ideal kommen und das auf dem Maene-Flügel eher irdisch klingt. (Natürlich hat Barenboim letztlich auch nicht diese singulären Fähigkeiten eines Horowitz, was die Anschlagsdelikatesse angeht.) Irgendwie ist dann Horowitz doch näher am zarten Cembalo-Klang für meinen Geschmack, der Maene-Flügel geht da eher in Richtung Orgel. Beides hat natürlich unbestreitbar seinen Reiz, das ist dann letztlich auch eine Frage der Ästhetik. Wenn man daran denkt, dass im 18. Jhd. fleißig transkribiert wurde egal für welches Instrument, kann man sicher beides vertreten. Mannigfaltigkeit belebt!



    Beim Wagner finde ich den Klang nicht so überzeugend, wobei ich auch an das Arrangement einige leichte Fragezeichen setze.
    Diese Passagen kenne ich aus dem Parsifal orchestral, und da habe ich gewisse Schwächen im Tonsatz nicht erkennen können. Hat Liszt das bearbeitet? Bei aller Wertschätzung finde ich nicht jede seiner Bearbeitungen super gelungen, vor allem in Bezug auf "Voicing", auch in der Vertikalen gedacht. Ob das ein normaler Flügel besser gemacht hätte, ist eben die Frage. Vielleicht wäre hier weniger Transparenz sogar wünschenswert.

    Bis dahin kannte ich diese Transkription überhaupt nicht (in der Regel muss ich aber sagen, dass Liszt ein Meister des Tonsatzes ist, gerade in seinen Transkriptionen! :D ) Die Bassgewalt des Maene-Flügels ist aber einfach enorm - da kann der Steinway wirklich nicht mithalten. Die Bassschwäche bei Steinway ist nicht zu leugnen - und vor allem wird der Bass im Fortissimo unsauber (es "qualmt"), wo der Maene-Flügel immer eindrucksvoll die Fassung behält. Es könnte allerdings sein, dass die Wagnersche Chromatik mit überkreuzender Besaitung besser zum Tragen kommt wegen der Mischklänge. (Mir ist das an einer Stelle beim Mephisto-Walzer aufgefallen, wo der Maene-Flügel dann doch etwas trocken klingt.) Dazu müßte man allerdings einen Vergleich haben. Der Maene-Flügel klingt stets sehr "diskret". Barenboim zitiert da allerdings Liszt, der gesagt haben soll, bei einem Flügel wolle er jeden einzelnen Ton klar und sauber hören. Jedenfalls ist das ein spannendes Thema.


    Dir einen guten Rutsch!


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Mir fehlt im Augenblick der Überblick - aber ich glaube das Thema "Historischer Flügel" vs "Historisches Orchester - ich meine natürlich HIP - ist in diesem Thread noch nicht behandelt worden. Allerdings wurde das Thema heute in einem anderen Thread (Mozart Klavierkonzer KV 466) kurz angerissen und die Problematik der Balance zwischen Orchester und Flügel zur Sprache gebracht - speziell bei Live-Konzerten, weil bei der Aufnahme die Balance ja künstlich geschönt werden könne - was ja auch geschieht. Bei Live Aufführungen indes wäre vom historischen Tasteninstrument so gut wie nichts zu hören, das Gezirpe gehe im Orchesterdonner unter.
    Welche Rückschlüsse können wir daraus ziehen???
    Nun - um 1800 war es natürlich nicht möglich, die Balace elektronisch auszugleichen. Andrerseits haben die Komponisten den Klavierpart nicht geschrieben um nicht gehört zu werden. Daraus kann man schliessen, daß die Orchester damals wesentlich dezenter begleiteten und nicht mit Getöse den Solopart zudeckten. In der sogenannten HIP - Praxis wird ja gerne versucht, manch schwachbrüstigem Orchester mit aller Gewalt die Power eines Modernen Orchesters zu verleihen und mit Attacke eine Dynamik zu erzeugen, die einfach ohne Klangeinbußen (harscher, drahtiger Klang) nicht realisierbar sind. Artur Schoonderwoerd hat versucht durch Minimalbesetzung des Orchesters eine ausgewogenen Balance zu erzeugen. Aber da gibt es vermutlich auch andere....
    Ich glaube, der harsche, alle Claviere übertönende HIP Klang ist eine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Auch die alten Barocktheoretiker und (wenn ich mich jetzt nicht falsch erinnere) selbst Schumann postulierten als Ideal, wenn die Instrumente als Werkzeuge eines humanen Ausdrucks fungierten, mit anderen Worten also den Gesang der menschlichen Stimme als nachzuempfindendes Ideal haben sollten.
    Diese Ansicht erstreckte sich sowohl auf die anzustrebende "cantable" Spielweise (auch auf Tasteninstrumenten), als auch auf die Art und Weise des Instrumentenbaus.


    Ich neige dazu, diesem durch die Jahrhunderte postulierten Ideal ebenfalls anzuhängen. Die Sanglichkeit eines Instruments steht bei mir hinsichtlich der Frage, ob ich es als besser oder schlechter höre, ganz oben auf der Bewertungsskala.

    Ich lese gerade mit Spannung diesen Thread. Höre gerade einige mich ziemlich begeisternde Aufnahmen mit Mozart Konzerten und Soloklaviermusik von Beethoven auf Nachbauten historischer Fortepianos und frage mich natürlich auch, worin nun der Reiz besteht.


    Das vom werten Kollegen Glockenton präferierte Ideal der Sanglichkeit ist es mit Sicherheit nicht alleine. Würde man das in voller Stringenz ernst nehmen, gäbe es eigentlich keinen Grund überhaupt ein mechanisches Instrument zu spielen. Bestenfalls, weil man gerne Musik machen möchte und es mit der Stimme irgendwie nicht klappen will. ;)


    Ein für mich extrem wichtiger ästhetischer Reiz beim Hören von Klaviermusik entsteht in der Spannung zwischen mechanischer Erzeugung des Klanges und dem Klang selbst. Es ist etwas völlig anderes eine Melodie zu singen oder sie auf dem Klavier zu spielen. Hier kann die "cantabile"-Idee höchstens inspirierend aber natürlich nicht das Ziel sein, sonst wäre eine Aufführung auf dem Klavier notwendigerweise unvollkommen.


    Interessanterweise meine ich gerade bei Andras Schiff die ästhetischen Schwächen des modernen Klavieres in seiner alten Bach-Aufnahme bis zur Genüge hören zu können. Pedaltechnik und Dynamikschwankungen tun in meinen "reinen Höreraugen" der Musik nicht gut. Man kann sozusagen direkt hören, wie die technischen Möglichkeiten der "Weiter"-Entwicklung des Instrumentes die Musik in den Hintergrund drängt ....


    Ich nehme die Allemande aus der fünften französischen Suite BWV 816



    Dagegen stelle ich mal eine Aufnahme von Glenn Gould



    die für mich ästhetisch ein einer völlig anderen Liga spielt. Aber auch die Version von Simone Dinnerstein zeigt, dass es nicht an der rhythmischen Härte und Schnelligkeit von Gould liegt. Der romantisierende Überbau von Schiff lenkt vollständig von der eigentlichen Musik ab.



    Am Ende möchte ich noch eine berückende Aufnahme auf einem Ruckers von Christophe Rousset zum Besten geben. Wenn man will, kann man die ganze Suite hören mit ihrer faszinierenden Gigue ... :)




    PS selbstverständlich sind das ganz persönliche Eindrücke, die hier keinem den Spaß nehmen oder irgendetwas schlechtmachen sollen

  • Ich möchte noch etwas Begeisterndes zu der Einspielung der beiden Brahms Konzerte durch Schiff und dem Orchestra of the Age of Enlightment sagen.


    Nicht nur die sparsame Besetzung sondern auch das Instrument (ein Blüthner Flügel von 1859) geben dem Konzert eine unglaubliche Durchsichtigkeit, die mir gerade für den zentral unvirtuosen Ansatz bei Brahms unglaublich gut gefällt. Das Werk hält über die ganze Zeit seine Spannung


    Leider findet sich der schöne beeindruckende erste Satz nicht im Internet, so dass ich hier den vierten zur Verfügung stelle



    Beim Werbepartner gibt es alles vollständig



    In Netz gibt es ein Interview mit András Schiff zu seiner Aufnahe bei ECM



    Als ich mir das mit Schiff angehört hatte ging ich sofort zu einer alten Aufnahme mit Gilels und den Berlinern und Eugen Jochum und "Potz, pardauz" ich wusste wieder wieso ich mir diese Werke jahrzehntelang nicht mehr angehört hatte .....



    Das klingt trotz Gilels und den Berlinern irgendwie beliebig gegenüber der Einspielung von Schiff ....

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