Einen schönen Saisonauftakt bescherte die Wiener Staatsoper ihrem Publikum am 03. September 2011 mit einem hervorragend besetzten Simon Boccanegra. Diese Oper Giuseppe Verdi’s stand bisher immer ein bißchen ungerechtfertigt in der „zweiten Reihe“, doch in den letzten Jahren scheint sich dieses Werk mehr und mehr an Beliebtheit zu erfreuen.
Zudem trumpfte Staatsoperndirektor Dominique Meyer mit niemand geringerem als Placido Domingo in der Titelrolle auf, der sich mit dieser Baritonpartie in Wien vorstellte.
Nein, Domingo ist nach wie vor kein Bariton und daran gibt es auch keinen Zweifel.
Der junge Boccanegra, den er mit braunhaariger Perücke gab, klang auch ganz tenoral.
Stellenweise versuchte er im Laufe des Abends dem gealterten Boccanegra auch stimmlich eine gewisse baritonale Tiefe zu geben. Einmal mit mehr, einmal mit weniger Erfolg.
Die Partie kostete ihm doch einiges an Mühe – des öfteren musste er sich den Schweiß von Stirn und Nase wischen - und manche Phrase wurde nicht ausgekostet. Für manche Stellen scheint er einfach nicht die erforderliche Tiefe mitzubringen, die für echte Baritone keine Mühe darstellen sollte.
Es ist trotzdem beachtlich über welches Stimmvolumen der inzwischen über siebzigjährige Tenor nach wie vor verfügt.
Auch als Darsteller ist er glaubhaft. Gerade den jungen Mann nimmt man ihm immer noch ab. Man hat gar nicht das Gefühl, dass hier ein Sänger auf der Bühne steht, der der Figur zu diesem Zeitpunkt seines Lebens schon entwachsen ist.
Den älteren Dogen stellt Domingo mit einer gewaltigen Portion Charisma dar, die Domingo natürlich selbst auch schon mitbringt. Berührend ist er in seiner Vaterliebe, als er Amelia als seine Tochter erkennt.
Auch wenn gewisse Einwände gegen Domingo als Boccanegra berechtigt sein mögen und seine Stimme nicht immer ideal für die Partie ist, verleiht er der Rolle eine große Glaubwürdigkeit. Kein Vergleich zu seinem Ausflug zu Rigoletto. Einer Rolle, die ihm stimmlich nun wirklich nicht stand.
Rund um Domingo wurde ein namentlich starkes Ensemble auf die Bühne gestellt.
Und es war Ferruccio Furlanetto als Jacopo Fiesco, der die stärkste Gesangsleistung des Abends hinlegte.
Bereits vom ersten Ton an strömte sein schöner Bass über den Orchestergraben. Ihm gelang wohl jede Note, jede Phrase. Da war er seinen Gesangskollegen immer einen Schritt voraus.
Barbara Frittoli hatte in der Rolle der Amelia einen schwachen Start. In ihrer Auftrittsarie wirkte die Stimme unruhig, sprang in der Höhe nicht an, und sie sang recht gehetzt – was auch auf das Dirigat zu Beginn der Oper zurückzuführen sein könnte.
Dafür gab es vom Publikum auch keinen Applaus, trotz der kleinen Pause des Dirigenten.
Zum Glück konnte sich Frittoli schnell steigern und bereits im Duett mit Gabriele Adorno fand die Sängerin zu einer guten Stimmführung, und sie fand auch ihre Höhe wieder.
Nachdem der verpatzte Start vergessen war, konnte sich die Sängerin mit ihrem schönen, für Verdi geeigneten Sopran, mit einer sehr guten Gesangsleistung vom Publikum feiern lassen.
Beeindrucken konnte auch ihr Tenorpartner in der Rolle des Gabriele Adorno. Doch wurde die Partie nicht wie angekündigt von Fabio Sartori gesungen. Dieser hatte zwar noch in der letzten Probe gesungen, doch war er in der Nacht vor der Aufführung erkrankt.
Einen mehr als würdigen Ersatz fand man kurzfristig in Massimiliano Pisapia.
Er hatte eine solide, wenn auch nicht die schönste Höhe. Aber in der Mittellage machte die Stimme einen sehr guten Eindruck. Sie ist enorm tragfähig und zeichnet sich mehr durch Spinto-Qualitäten als durch Lyrik aus. Seine Arie meisterte er sehr gut und er erhielt zu recht starken Applaus.
Eijiro Kai sang einen soliden Paolo Albiani, doch die Bosheit des Charakters konnte er zumindest stimmlich nicht so recht rüberbringen. Den Pietro sang Dan Paul Dumitrescu eigentlich mit zu schöner Baßstimme.
Auch der Chor präsentierte sich in wunderbarer Verfassung.
Bleibt noch das Dirigat von Paolo Carigniani. Zu Beginn schien der Dirigent Temposchwierigkeiten zu haben. Das wurde besonders bei Amelia’s Auftrittsarie hörbar und brachte die zu diesem Zeitpunkt ohnehin noch unsichere Sängerin noch mehr in Bedrängnis.
Doch im Laufe des Abends fand Carigniani zu einer sehr guten, gleichförmigen Orchesterleitung.
Der Schlußapplaus dauerte rund 25 Minuten. Es gab drei Solovorhänge und Blumenwürfe für alle Hauptprotagonisten. Den stärksten Jubel des Abends musste sich Domingo ganz klar mit Furlanetto teilen, dessen Fiesco an diesem Abend einfach eine Klasse für sich war. Auch Frittoli und Pisapia wurden mit starkem Jubel bedacht.
Die Sänger fuhren anschließend noch auf den Wiener Rathausplatz, wo die Aufführung im Rahmen des alljährlichen Klassikfestivals zeitversetzt auf Großleinwand übertragen wurde, um sich auch vom dortigen Publikum feiern zu lassen.
Eine sehr schöne Aufführung und ein gelungener Auftakt für die Wiener Staatsoper.
Gregor