Johann Sebastian Bach (1685-1750):
WEIHNACHTS-ORATORIUM (I)
Kantaten 1 bis 3 zum Weihnachtsfestkreis für Soli (SATB), Chor (SATB) und Orchester, BWV 248[timg]
Autograph der 1. Seite
Nach den Evangelienberichten in Lukas 2 und Matthäus 2, 1-12, Choralstrophen sowie madrigalen Stücken zusammengestellt vom Komponisten und Christian Friedrich Henrici, Pseudonym Picander (?)
Erstaufführung der einzelnen Kantaten in den Gottesdiensten der Leipziger Nikolai- und Thomaskirche während der Weihnachtszeit 1734/35; erste Gesamtaufführung des Werkes 1844 in Breslau.
INHALTSANGABE
Feria 1 Nativitas Christi ( am ersten Weihnachtsfeiertag).
Mit dem einleitenden Chor „Jauchzet frohlocket, auf, preiset die Tage“, der nach einem ausladenden Orchestervorspiel unisono beginnt, wird der Bericht von der Geburt Jesu eingeleitet. Zum äußeren Glanz, für den vor allem die Tonart D-Dur und die Trompeten und Pauken sorgen, kommt die formvollendete Gestaltung des Satzes - er ist in dreiteiliger Liedform angelegt nach dem Schema AA-B-C-AA.
Nach dem Jubel folgt der Evangelien-Bericht von der durch den Kaiser angeordneten Volkszählung, die Joseph und Maria nach Bethlehem führt, wo Maria mit ihrem Kind niederkommen soll. Der Alt unterbricht diesen Bericht mit einem durch Oboen begleiteten Rezitativ, in dem die Erwartung auf die Geburt des Heilands ausgedrückt wird. Die a-Moll-Arie „Bereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben“ enthält die Aufforderung, diesen Heiland mit der richtigen Einstellung zu erwarten. Für den sich daran anschließenden ersten Choral „Wie soll ich dich empfangen“ wählte Bach die Melodie des Kirchenliedes „Herzlich tut mich verlangen“, die auch dem Passionschoral „O Haupt voll Blut und Wunden“ unterlegt wurde. Allgemein wird angenommen, dass Bach damit Geburt und Kreuzestod Christi musikalisch in einen Zusammenhang stellen wollte. Diese theologische Deutung wird neuerdings mit der Begründung angezweifelt, dass (auch) im Leipziger Gesangbuch die Melodie dem Adventschoral „Wie soll ich dich empfangen“ (und noch anderen Liedern) wegen gleicher Prosodie zugeordnet war.
Dem folgt der kurze Bericht des Evangelisten von der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem, noch dazu in einer Krippe liegend, weil die überfüllte Herberge keinen anderen Raum zur Verfügung hat. Jetzt lässt Bach keinen Jubelchor über den Eintritt des Heilands in die Welt erklingen, sondern bildet einen schlichten, aber kunstvollen Satz auf die Melodie des Liedes „Gelobet seist du, Jesu Christ“, den der Sopran vorträgt. Der Solo-Bass unterbricht immer wieder rezitativisch betrachtend - und wissend zugleich - den Chorgesang und schließt ihn mit der frommen Formel „Kyrieleis“ zu ruhigen Schalmeienklängen ab.
Die zweite Arie dieser ersten Kantate, für Bass geschrieben, ist das stolze „Großer Herr und starker König“ und eine Huldigungsformel an den Heiland der Welt, der die Pracht der Welt nicht achtet; Bach bedient sich der Dreiklang-Symbolik und des Oktavsprungs, die vielleicht Gottes Trinität musikalisch abbilden soll. Im festlichen Schlusschoral auf die Melodie des Lutherliedes „Vom Himmel hoch“ wird zwischen den Choralphrasen durch die instrumentalen Zwischenspiele mit glänzenden Trompeten die himmlische Majestät Jesu ausgedrückt.
Feria 2 Nativitas Christi (am zweiten Weihnachtsfeiertag).
Die umfangreiche 12/8-Einleitung in G-Dur dieser Kantate gehört zu den wunderbarsten Orchester-Kompositionen Bachs und wird allgemein als Hirtenszene empfunden; die dialogisierenden Flöten und Oboen, die Bereiche des Himmlischen und Irdischen symbolisierend, könnten aber auch das kommende Geschehen in Form eines Prologs ankündigen. Gleichzeitig erweckt der Siciliano-Charakter dieser Sinfonia auch den Eindruck eines Wiegenliedes.
Nach dem Weihnachtschoral „Brich an, du schönes Morgenlicht“- Text von Johann Rist - wendet sich der Engel an die Hirten mit der Nachricht, dass in Davids Stadt der Heiland zur Freude aller Völker geboren wurde und der Bass stellt fest, dass Gott sein vor langer Zeit dem Abraham gegebenes Versprechen gehalten hat und nun durch die Hirten erfüllen lassen will.
Der Tenor ruft in einer koloraturreichen Arie („Frohe Hirten, eilet“) die Hirten zum Gang an die Krippe auf und der Engel bringt mit den Worten, dass sie das „Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend“ vorfinden werden, seine Botschaft zu Ende. Bei diesem Bild bleibt Bach noch einen Moment, denn er greift für den Choral „Schaut hin, dort liegt im finstern Stall“ noch einmal die Melodie „Vom Himmel hoch“ auf, die Menschwerdung des Sohnes Gottes als Wunder begreifend. Danach wiederholt der Bass die Bitte an die zögerlichen Hirten, zum Stall nach Bethlehem zu eilen und dem Kind dort ein „Lied zur Ruhe“ vorzusingen. Der Alt, der hier als Gottesmutter Maria anzusehen ist, führt diese Bitte, von der Oboe d'amore lieblich sekundiert, mit der Arie dem „Schlafe mein Liebster, genieße der Ruh“ aus.
Nun kündigt der Evangelist den Engelschor an und die Himmlischen jubeln zu Gottes Ehre und Preis den Text aus Lukas 2, Vers 14: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“. Der Bass fordert alle auf, in diesen Lobgesang mit einzustimmen. Noch einmal verwendet Bach für den Schlusschoral „Wir singen dir in deinem Heer“ die Weise „Vom Himmel hoch“, lässt ihn diesmal jedoch nicht von den Trompeten, sondern von den Oboen begleiten und greift noch einmal die Thematik aus der Sinfonia auf, damit Anfang und Ende der zweiten Kantate abrundend.
Feria 3 Nativitas Christi (am dritten Weihnachtsfeiertag).
Die Handlung wird hier mit der Erzählung von den nach Bethlehem eilenden Hirten fortgesetzt. Der lebhafte, im Dreiachteltakt vertonte D-Dur-Eingangschor „Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen“ steht im Charakter dem Eingangschor „Jauchzet, frohlocket“ der ersten Kantate sehr nahe.
Nachdem sich die Engel zurück in den Himmel begeben haben, wie es der Evangelist erzählt, nimmt der Hirtenchor „Lasset uns nun gehen gen Bethlehem“ den Charakter eines Bewegungschores an, von Bach als Kanon in Gegenbewegung begonnen, von den Sechzehntelnoten der Violinen als erregte Vorfreude auf das zu erwartende Kind im Stall kontrastreich geschildert. Interessant ist die Tonartenwanderung von A-Dur bis cis-Moll in diesem Chorsatz, der übrigens nicht zu Ende geführt wird, sondern durch ein Rezitativ vom Solo-Bass unterbrochen wird - darin verdeutlicht der Solist den Hirten das Geschehen in Bethlehem.
Auf den Choral „Dies hat er alles uns getan, sein groß Lieb zu zeigen an“ folgt ein weit ausladendes Duett von Sopran und Bass, in dem Gott für sein Mitleid und sein Erbarmen gedankt wird. Darin wird mit der Einbeziehung zweier Oboen d’amore, die schon zuvor die Hirtenmusik charakteristisch begleitet haben, der Eindruck einer anbetenden Hirtenschar noch verstärkt.
Der Evangelist fasst darauf die Ereignisse in einem Rezitativ zusammen: Die Hirten finden im Stall von Bethlehem alles so vor, wie es ihnen der Engel verkündet hatte. Und alle, die von diesem Kinde hörten, wunderten sich über die Rede der Hirten - nur Maria behielt diese Worte in ihrem Herzen. Auch hier legt die sich anschließende h-Moll Arie „Schließe, mein Herze, dies selige Wunder“ nahe, dass die Alt-Stimmlage Maria zuzuordnen ist. Bach lässt diese Marien-Arie, die als zweites Wiegenlied anzusehen ist und durch die gleiche Taktart auf das erste Bezug nimmt, von einer Violine als Soloinstrument begleiten, die zur Atmosphäre innerer Ruhe beiträgt.
Die christliche Zuversicht wird durch das direkt folgende Rezitativ der Maria „Ja, ja, mein Herz soll es bewahren“ unmittelbar auf die Gemeinde übertragen und von dieser mit dem Choral „Ich will dich mit Fleiß bewahren“ aufgegriffen. Nun kehren die Hirten, wie der Evangelist erzählt, mit Gotteslob wieder um und der Choral „Seid froh dieweil“ ist eine abermalige Bestätigung der Gemeinde, dass Gott in Bethlehem Mensch wurde. Die Wiederholung des Eingangschores „Herrscher des Himmels erhöre das Lallen“ beendet wirkungsvoll die dritte Kantate.
© Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
unter Hinzuziehung folgender Quellen:
Eulenburg Taschenpartitur
Oratorienführer von Harenberg, Pahlen, Oehlmann, Leopold
Blankenburg: Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach
Dürr: Bachs Weihnachts-Oratorium