Der Fliegende Holländer (Wagner), Hamburgische Staatsoper, 18.02.16

  • Wagner ist bei der jetzigen Intendanz nicht so auf dem Radar, nur zwei Stücke (Holländer und Tristan) sind in dieser Saison angesetzt mit jeweils 6 bzw. 5 Aufführungen. Das ist schon bedauerlich, denn der Holländer, zuletzt hier von mir 2009gehört mit dem unvergleichlichen Franz Grundheber in der Titelrolle, ist schon ein großartiges, sich über die drei Aufzüge steigerndes Stück Musik. Die Ouvertüre klang mir heute (musikalische Leitung Johannes Fritzsch) etwa heruntergenudelt. Später besserte sich das, vielleicht lag das auch an der mitreißenden Musik, also an dem Komponisten.


    Johan Reuter (der im Sommer bei den Münchner Opernfestspielen offenbar auch in der Titelpartie gesetzt ist) war für mich als Holländer ein Ausfall, nicht total, die Stimme trug schon, aber blieb ohne Glanz, ohne Kantabilität (im zweiten Aufzug bei dem fast an Verdi erinnernden Duett mit Senta) und ohne Ausdruckskraft. Ich hatte allerdings immer noch Grundheber im Ohr, den ich seitdem als Maßstab heranziehe. Leider war auch Reuters Spiel hölzern und ohne dramatische Energie. Da auch Ricarda Merbeth als Senta nicht unbedingt zum dramatischen Spiel neigte, blieb die Beziehung Holländer/Senta ohne jede innere Spannung. Merbeth begann ihren Part mit einem recht ausgedehnten Vibrato, das Schlimmes befürchten ließ. In der Ballade beruhigte sich die Tonschwankung und der Sängerin gelangen schöne runde Töne und ohne jede Schärfe, so dass ihre stimmliche Interpretation schon überzeugte. Vielleicht ist Merbeth über die Senta hinaus, der Stimme fehlt das jugendlich-dramatische, eher stand eine Isolde (die in meinen Augen, anders als Senta, alterslos ist) auf der Bühne (die Merbeth hier im April/Mai unter Kent Nagano mit Stephen Gould als Tristan singen wird). In dem Duett im zweiten Aufzug sang Merbeth ihren Partner auch gnadenlos an die Wand. Das ist aber schon Stimmkritik mit sehr hoch aufgelegter Latte.


    Wie waren die anderen: Durchaus hochkarätig, so dass bei einem besseren, auch die Senta mehr inspirierenden Holländer eine wirklich gute Aufführung zustande gekommen wäre. Die schwierige Partie des Erik sang Andreas Schager schallstark und trotzdem stimmschön sowie mit bemerkenswertem Ausdruck. Er erhielt für seine Leistung am Ende auch den meisten Beifall. Der Steuermann wurd ausgesprochen schön von Dovlet Nurgeldiyev gesungen. Ich erinnere mich nicht, dass jemand in den 20 seit 1965 gesehenen Holländeraufführungen als Steuermann besser gewesen ist. Reinhard Hagen war ein guter Daland, der Kurt Moll in dieser Rolle (mit der Moll eigenen Stimmspannweite, vor allem seiner Tiefe) nicht in den Hintergrund drückte, sich insgesamt aber als Gewinn für die Aufführung darstellte. Die kleine, eigentlich undankbare Rolle der Mary wurde von Anja Schlosser rollendeckend gespielt und gesungen.


    Eine Anmerkung von mir zu der jüngst geführten Diskussion Regie/sängersiche Gestaltung. In Hamburg stand ab 1966 eine wunderbare Wieland Wagner-Inszenierung auf dem Spielplan, seit 1996 eine weniger wundervolle, aber akzeptable von Marco Arturo Marelli. Beide habe ich 9 bzw. jetzt 10mal gesehen, fast immer mit anderen Sängern, bis auf Kurt Moll und Franz Grundheber, die ich zwischen 1988 und 1997 5x (Daland) bzw. zwischen 1998 und 2009 dreimal (Holländer) gehört habe. Der Reiz jeder Aufführung lag für mich in dem Neuen, nicht der Regie oder des Bühnenbildes, sondern der jeweiligen Fähigkeit der Sängerinnen und Sänger, ihre Rollen sängerisch und dramatisch zu gestalten. Sänger wie Moll und Grundheber waren so gut, dass sie gefühlt immer zu wenig zu singen hatten. Bei guten Sängern klappen die Ohren nach vorn und saugen die Stimme geradezu auf. Der Part, die Arie etc. ist dann immer zu kurz, die nächste Aufführung in derselben Rolle ist wie eine Fortsetzung der vorausgegangenen Partie. Selbst in derselben Besetzung sind die Aufführungen unterschiedlich, die Stimmen klingen nicht jedesmal gleich, Sänger beflügeln sich gegenseitig (oder auch nicht), was die Leistung selbst einer mittelmäßigen Sängerin / eines entsprechenden Sängers weit über den Durchschnitt hinausheben kann. Gerade dieses macht für mich Oper aus, nicht die (oft gefakte) Konserve oder der Fernsehmitschnitt mit elektronisch manipulierten Stimmen. Jeder Abend ist anders, die Inszenierung tritt dann in den Hintergrund (sie sollte den Sängerinnen und Sängern aber schon die Möglichkeit zur Entfaltung bieten, und sie nicht zu gesangsbeeinträchtigenden physischen Leistungen zwingen. Für mich hat die Regie eine dienende Funktion, die Musik und der Gesang sagen alles, ich brauche keinen Holzhammer, der mir erklärt, dass Violetta eine Prostituierte oder Senta eine Verrückte ist. Einen weiteren Aspekt möchte ich für den Opernbesuch und gegen die Konserve anführen. Große Ausnahmesänger kann bzw. konnte die Platte nicht einfangen. Man höre sich nur Aufnahmen von Birgit Nilsson an, da steckt in der Aufnahme nur ein Bruchteil dessen, was sie auf der Bühne geleistet und das Publikum zum Rasen gebracht hat; oder ein anderes, wenn auch niedriger zu hängendes Beispiel: Gwyneth Jones. Diese, man kann schon teilweise sagen, vibrato-geschädigte Sängerin auf der Bühne zu erleben war immer ein Gewinn, weil ihre überragende Gestaltungskraft stimmliche Probleme völlig überdecken konnte. Ich finde es daher schade, wenn in diesem Forum so häufig nur über Gehörtes oder filmtechnisch aufbereitetes diskutiert wird, während diejenigen, die noch über selbst erlebte Opernaufführungen berichten, wohl in der Minderzahl sind. Mich persönlich interessiert es schon, wie wer und wo gesungen hat, ich lese gern die Duisburger und anderen Berichte. Davon sollte es viel mehr geben. Mich wundert auch, dass man von einigen Mitdiskutanten im Nachhinein erfährt, sie hätten diese oder jene Aufführung (auch) gesehen, ohne darüber hier berichtet zu haben. Ich finde das durchaus schade.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Zitat

    Zitat von Ralf Reck: Für mich hat die Regie eine dienende Funktion, die Musik und der Gesang sagen alles, ich brauche keinen Holzhammer, der mir erklärt, dass Violetta eine Prostituierte oder Senta eine Verrückte ist.

    Lieber Ralf,


    genau das ist der Standpunkt, den ich vertrete und ich habe dabei ein Wort besonders hervorgehoben. Nur lege ich vielleicht als ein Mensch, der viel auf Optik gibt und auch ein weiteres Hobby in Bezug auf Motivgestaltung in Bild und Film betreibt, sicherlich noch ein wenig mehr Wert auf das, was mir mir neben der Musik an originaler Handlung geboten wird und hasse es, wenn man mir etwas aufschwatzen will, was vom Komponisten (speziell von Wagner, der -wenn man seine Schriften dazu liest - jeder Handlung und jeder Geste eine besondere Bedeutung zugeordnet hat) nicht so gedacht war, sondern der abwegigen Phantasie des Regisseurs entspringt


    Liebe Grüße

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Genau das was Ralf geschrieben hat, ist auch meine Meinung. Ich besuche ja such häufiger 2 oder 3 mal die gleiche Aufführung und trotz der gleichen Sänger ist der Opern abend immer anders . Und es ist auch immer interessant neue Stimmen zu hören. Heute abend gehe ich nach Düsseldorf in Lucia di Lammermoor. Die Rollen werden von Sängen gesungen, die ich selten oder noch nie gehört habe. Und da ist dann für mi h auch die Inszenierung von Christoph Loy eher nebensächlich.

  • Ich werde mir am 18. März in Duisburg nochmal den Holländer ansehen und da auch einige neue Sänger antreffen, die in der Aufführung im Januar nicht dabei waren. Aber ich werde in der Gewissheit dort hin fahren, dass ich die gleiche Inszenierung sehen werde und freue mich schon jetzt darauf.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).