Haydn Nr.67 F-Dur
entstanden ca. 1776
Besetzung: je zwei Oboen, Hörner, Fagotte, Streicher
Die 60er Nummern dürften abgesehen von den ersten ca. 30 Werken die am wenigsten populäre Gruppe in dieser Werkgruppe sein. Abgesehen von den deutlich früher komponierten 64 und 65 stammen sie aus der Zeit ab Mitte der 1770er Jahre; Haydn hat die experimentellen Kühnheiten der "Sturm&Drang"-Phase bis ca. 1772 aufgegeben. Warum, wissen wir nicht genau. Es mag sein, daß einige der Schroffheiten nicht auf ungeteilten Beifall am Fürstenhof gestoßen sind, oder daß Haydn hier an eine Grenze dessen gelangt war, was sich mit seinen bisherigen Mitteln sagen ließ (diese These wird besonders von denen, die die Zäsur bei den Streichquartetten und den Anspruch der "ganz neuen besonderen Art" von op.33 1781 hervorheben, vertreten.)
Oder auch, daß er schlicht keine Zeit hatte, die Instrumentalmusik systematisch weiterzuverfolgen (Quartette schrieb er fast zehn Jahre lange überhaupt nicht.), da er durch den erheblich erweiterten Operbetrieb, in dem Haydn nun noch intensiver eingespannt war als vorher; Lessing Entsprechend finden sich auch in einigen der Sinfonie dieser Zeit Wiederverwertungen von Ouverturen und Schauspielmusiken, explizit in Nr. 60, aber auch in 62, 63 und 53.
Beim vorliegenden Werk handelt es sich um eine der eigenartigsten Sinfonien Haydns. Es ist kein unmittelbarer Bezug zur Theatermusik nachzuweisen wie im Falle von Nr. 60 und einigen anderen Werken der Zeit, in denen Ouverturen oder Schauspielmusiken wiederverwertet wurden. Dennoch drängt sich stellenweise eine theatralische Konnotation geradezu auf. Lessing hält sie für die bedeutendste Sinfonie aus den "60ern".
1. Presto 6/8
Es beginnt bereits mit einem Satz, der anhand der Tempo- und Taktvorschrift, wie auch der Themengestalt eher einem Finale als einem Kopfsatz zu ähneln scheint (vergleichbare Sätze späterer Sinfonien wie die in 94 oder 101 kaschieren das teils durch gewichtige langsame Einleitungen). Zu Anfang wird das Hauptthema praktisch einstimmig von den Geigen im pp vorgestellt, im folgenden ff-Tutti kommt die Energie des Satzes zum ersten Mal zum Ausbruch. Nach einer Generalpause setzt das melodische Seitenthema im Wechsel von Oboen/Fagotten und Streichern ein.
Die Durchführung beginnt nach drei schroffen Akkorden wieder sehr zurückgenommen und dünn instrumentiert, allerdings mit einem neuen, wenn auch verwandten Motiv. Nach dieser verhaltenen Passage räumt eine stürmische Verarbeitung des Hauptthemas endgültig mit dem Eindruck des "leichten" auf. Anschließend kommt das Seitenthema noch einmal ganz kurz zu Wort. Die Reprise entspricht im wesentlichen der Expostion. Zum Abschluß werden die Hauptmotive noch einmal pointiert in kontrastreicher Instrumentation in einer kurzen Coda zusammengefaßt.
2. Adagio (2/4; B-Dur)
Das Adagio schwankt zwischen lyrischem Ausdruck und eigenartig skurrilen Entwicklungen, Passagen, die scheinbar ins Leere laufen, Generalpausen, falschen Schlüssen usw. Walter schreibt dazu: "Das Adagio hat Haydn mit großer Kunstfertigkeit 'ruiniert'." (Er sieht in der gesamte Sinfonie Züge der "Ironinisierung" des eigenen Schaffens.)
Das Hauptthema besteht aus zwei kontrastierenden Elementen, einem langsam marschartigen, punktierten, mitunter fast hymnischen Motiv und eher trippelnden Staccato-16teln und 32teln der gedämpften Streicher. Es handelt sich um einen Sonatensatz, das zweite Thema setzt nach einer Fermate mit den Holzbläsern zu gebrochenen Akkorden der Streicher ein und erreicht einen ff-Höhepunkt, nach dem es etwas spielerischer weitergeht. Den Abschluß bilden angedeutete Fanfarenmotive der Bläser, denen das trippelnde Motiv vom Anfang antwortet.
Die Durchführung bringt zunächst das Hauptthema in den Streichern, modulierend, dann werden die Trippelmotive ausführlich nur von den Geigen fortgesponnen (Walter meint, hier werde er Eindruck erweckt, Haydn habe sich in der eigenen Komposition verirrt und vorübergehend den Faden verloren). Anschließend setzt das punktierte Motiv zuerst melancholisch, dann mit wunderschönem Bläserklang ein, diese Passage beschließt die Durchführung.
Die Reprise (T. 81, ca. 7:04) wird auch noch einmal von einer dunklen Ausweichung gestört und als bizarrer Schluß klappert noch einmal der Anfang des Themas nach, bei dem die Streicher "col legno", also mit dem Holz des Bogens spielen sollen, was eine eigenartige Klangwirkung ergibt.
3. Menuett
Das Menuett selbst ist recht kurz und macht einen etwas behäbigen Eindruck (Fischer bringt hier sehr deutlich die Hörner heraus).
Bemerkenswerter ist das ebenfalls knappe Trio für zwei Soloviolinen mit Dämpfer, von denen die zweite die G-Saite umstimmen muß, um mit Doppelgriffen einen Bordununtergrund auf F liefern zu können, so daß mit der Melodie der 1. Vl. in hoher Lage insgesamt eine Drehleierimitation entsteht (ein Vorläufer einer ähnlichen Passage in Beethovens op.132?)
4.Finale. Allegro di molto (2/2)- adagio cantabile (3/8 )- All. di molto
Dieser Satz geht über die bisherigen Eigenartigkeiten noch hinaus. Man muß zu experimentellen Werken wie Nr. 45 zurückgehen, um annähernd vergleichbares zu finden. Man hat die Form mit der italienischen Ouverture verglichen (aber der Satz kann nicht als Ouverture u.ä. nachgewiesen werden und er klingt, ungeachtet des Aufbaus m.E. auch nicht wie eine solche): Auf eine reguläre Sonatenexposition (inkl. Wdh.) folgt anstatt der Durchführung ein Adagio in 3/8. Das Allegro beginnt sehr geradlinig mit einem einfachen Thema, das sogleich etwas variiert wiederholt wird. Nach einer Überleitung folgt ein prägnantes, "volkstümliches" Seitenthema zuerst in Streichern, dann mit Oboen und Fagotten.
Das Adagio beginnt als "Trio" im Wortsinne mit 2 Violinen und Cello solo im piano und pianissimo; es folgen nach einer kurzen Passage des gesamten Orchesters eine Art zweites Thema zuerst mit Solo-Holzbläsern, der Ausdruck wird anschließend intensiver in einem Abschnitt, der als eine Art Coda des Mittelabschnitts gesehen werden kann.
Der Adagio-Abschnitt endet auf der Dominante, darauf setzt die leicht gekürzte Reprise des Allegro ein. Abschließend folgt noch eine witzige Coda mit pp "hingetupften" Holzbläserakkorden über einer Art Tremolo der Geigen.
Insgesamt ein Werk, das das Kennenlernen lohnt, wobei ich mir auch nicht überall sicher bin, ob, was Haydn hier macht, wirklich funktioniert (zB im Finale). Aber interessant ist es jedenfalls und der energische Kopfsatz und das leicht bizarre adagio gefallen mir sehr gut.
JR