Bildbetrachtung: Caravaggio - Narziss

  • Ich möchte diesen interessanten Thread einmal mit einem Bild eines meiner Lieblingsmaler fortführen:


    Caravaggio: Narziss


    800px-Michelangelo_Caravaggio_065.jpg


    Rom, Galleria Nazionale dell'Arte Antica


    "Reglos staunt er sich an, mit unbeweglichem Antliz,
    Starr, einer Statue gleich, die aus parischem Marmor geformt ist."
    Ovid, Metamorphosen III 418f.


    Gemalt wohl zwischen 1597 - 99 war es lange umstritten, ob dieses Gemälde wirklich von Caravaggio stammt.


    Faszinierend fand ich immer den geschlossenen Kreis, aus dem ein Ausbrechen aus der eigenen Sicht kaum möglich ist. Helligkeit gibt es nur innerhalb des Kreises, so dass der Narziss aus der Selbstbetrachtung und Selbstverliebtheit nicht entkommen kann. Aber das führt wohl unweigerlich ins Aus, denn das Spiegelbild, dass er erblickt ist das eines älteren Menschen, wohl das eines Toten.


    Verliebt sich Narziss bei Ovid noch in sein Spiegelbild, erblickt er hier eher die Zukunft seines Tuns. Selbstbezogenheit führt zum Absterben. Aber wie bei Ovid gibt es diese Starre. Caravaggios Narziss wird sich nicht lösen können, es gibt keine Bewegung im Bild. Also auch keine Rettung?


    Die Äußerlichkeiten, die beim Narziss auffallen, nämlich das Oberhemd, spielen dann keine Rolle mehr (Denn alles Fleisch, es ist wie Gras...).


    Unklar ist mir das linke Knie. Warum bildet sich die blaue Farbe nicht im Wasser ab. Oder gibt es hier eine physikalische Erklärung?


    :hello: Gustav

  • Die Sage des schönen 16 jährigen Jünglings Narziss gibt es in mehreren Variationen, die zwar alle letal enden, aber die Ursache des Todes ist jeweils eine andere.


    Zunächst ist festzuhalten, daß er sowohl von Mädchen als auch Knaben umschwärmt war, die er aber allesamt ablehnte, weshalb er von einer der abgelehnten Nymphen dazu verdammt wurde, sich in sein Spiegelbild zu verlieben, wann immer er es im Wasser sehe...


    Nun divergieren die Fassungen


    Fassung 1 besagt, daß sich das Spiegelbild stets seinem Anblick entzog, wenn er sich ihmn nähern und es küssen wollte......


    Fassung 2 erzählt, er habe sich dem Spiegelbild im Wasser nähern wollen, und er ertrinkt bei dem Versuch sich zu küssen...


    Diese Beiden Versionen kommen als Vorlage für Carravaggios Bild nicht in Betracht.


    Es gibt nämlich noch eine dritte Variante,
    Fassung 3, die erzählt, als er sich wieder einmal voll Lust im Wasser betrachten wollte, sei ein leichter Wind aufgekommen, der die Wellen kräuselte und das Bild verfälschte. Narziss glaubte nun, er sei häßlich - und starb aus Gram....


    Mir scheint, daß Caravaggio diese Version als Vorlage für sein Bild genommen hat, das Theme jedoch erweitert hat. Selbst homophil veranlagt, wusste der Maler um die Angst vor dem Verlust der Schönheit und letztlich die Angst vor dem Tod.
    Nicht nur Selbstbezogenheit führt zum Absterben. Alles Leben ist zum Absterben verurteilt. Es gibt keine Rettung.


    Das Spiegelbild das (möglicherweise) einen Toten darstellt, könnte auch ein Selbstbildnis von Caravagio sein. Folgerichtig wäre Narziss, dann auch eines - eventuell idealisiert....???


    mfg


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Zitat

    Original von Gustav
    Aber das führt wohl unweigerlich ins Aus, denn das Spiegelbild, dass er erblickt ist das eines älteren Menschen, wohl das eines Toten.
    [...]
    Unklar ist mir das linke Knie. Warum bildet sich die blaue Farbe nicht im Wasser ab. Oder gibt es hier eine physikalische Erklärung?


    Ich habe das Bild zwar in Rom betrachtet, aber nicht so lange wie z.B. die Judith daneben und insbesondere das Spiegelbild habe ich nicht aufmerksam studiert.


    Hier habe ich den Eindruck, als würde man eine ältere Version der Nase etwas unterhalb der jetzigen Nase sehen - was das Gesicht des Spiegelbildes entstellt. Vielleicht soll das Gesicht des Spiegelbildes gar nicht alt aussehen?


    Ich habe aber einen recht ausführlichen Museumsführer gekauft und kann nachlesen, ob es Anmerkungen zum Spiegelbild gibt.


    Beim Knie könnte ich mir vorstellen, dass in der Reproduktion die Farben etwas untergehen in dieser dunklen Zone?

  • Mir erscheint die von Alfred vorgeschlagene 3. Version der Sage hier auch am plausibelsten.


    Obwohl ich Caravaggio persönlich sehr schätze, stand dieses Bild bislang nicht im Mittelpunkt des Interesses, was sich freilich noch ändern könnte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    [i]Original von Kurzstueckmeister
    Hier habe ich den Eindruck, als würde man eine ältere Version der Nase etwas unterhalb der jetzigen Nase sehen - was das Gesicht des Spiegelbildes entstellt. Vielleicht soll das Gesicht des Spiegelbildes gar nicht alt aussehen?


    "Die ältere Version der Nase" ist, denke ich, eher die Spiegelung der schon relativ ausgeprägten Falte des Jünglings an dieser Stelle.


    Zitat

    Beim Knie könnte ich mir vorstellen, dass in der Reproduktion die Farben etwas untergehen in dieser dunklen Zone?


    Bei den anderen Reproduktionen aus Büchern, die ich habe, taucht es auch nirgends auf. Die Bedeutung dafür ist mir allerdings auch noch nicht klar.


    Lieber Kurzstückmeister!


    Mit der Judith meinst du sicher dieses Werk:



    Ich konnte mich damals davon auch kaum lösen. Was mir jetzt auffällt,
    ist wieder die Kreisform, von Judiths Kopf ausgehend, über den Arm zu Holofernes Kopf und über den zweiten Arm zurück. Ohne überinterpretieren zu wollen, fällt mir doch langsam auf, dass er diesen Kreislauf aus Tod und Leben häufiger inszeniert hat.


    Hier sein David aus dem Prado:



    oder der "Judaskuss" aus Dublin auch mit einem interessanten "Kreis", der auch hier wieder das Zusammenspiel von Tod und Leben spiegelt:



    Ansonsten schließe ich mich Alfreds dritter Deutung an, wobei der Kunsthistoriker Roberto Longhi schreibt, man könnte das Bild auch "Knabe, sich in einem Tümpel betrachtend" nennen. Er kennzeichnet allerdings die Szene als beschaulich, was ich so nicht empfinde.


    :hello: Gustav

  • Also bei der Judith und beim Judaskuss von "Kreisen" zu sprechen, ist vielleicht etwas übertrieben ...


    In meinem Führer steht nichts zum Spiegelbild. Wenn die Szene als "beschaulich" beschrieben wird, unterstützt das meine Annahme, dass die Spiegelung nicht als altes Gesicht gemeint ist. Insbesondere, wenn es auch ein anonymer Knabe sein kann, der sich im Tümpel betrachtet.


    Es ist nicht außergewöhnlich, wenn Teile eines Bildes überarbeitet werden, Positionen verschoben und wenn man dann die alte Position durchschimmern sieht. Diese merkwürdig deplazierte Kante sieht für mich aus, wie eine Nase für ein Gesicht, das ein paar Centimeter weiter unten angesetzt war.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Also bei der Judith und beim Judaskuss von "Kreisen" zu sprechen, ist vielleicht etwas übertrieben ...


    Ich gebe zu, dass der Begriff "Kreis" bei der Judith etwas weit hergeholt ist. Ich meine damit die direkte Verbindung der beiden Personen über die Arme, auf der einen Seite Leben, auf der anderen Tod.


    Beim Judaskuss ist der Kreis offensichtlich, gebildet durch den roten Mantel über Jesus/Judas und die verschränkten Arme. Auch hier wieder Tod/Leben, allerdings nicht als komplementäres Paar, sondern in jeder Figur gleichzeitig angelegt.


    Zitat

    In meinem Führer steht nichts zum Spiegelbild. Wenn die Szene als "beschaulich" beschrieben wird, unterstützt das meine Annahme, dass die Spiegelung nicht als altes Gesicht gemeint ist. Insbesondere, wenn es auch ein anonymer Knabe sein kann, der sich im Tümpel betrachtet.


    Ich will gar nicht bestreiten, dass man es so sehen kann (Wer bin ich, mich mit Longhi anzulegen?). Für mich war diese Beziehung aber immer evident.


    :hello: Gustav

  • Ich habe in der Zwischenzeit mal ein wenig gegoogelt und bin dabei auf eine hochinteressante Dissertation gestoßen:


    Vom Narziss zum Narzissmus
    Mythos und Betrachter
    Von Caravaggio zu Olaf Nicolai
    Dissertation
    zur Erlangung des Doktorgrades
    der Philosophischen Fakultät
    der Christian-Albrechts-Universität
    zu Kiel
    vorgelegt
    von
    Maren Welsch
    Kiel 2002


    Maren Welsch führt an, dass das Spiegelbild eher ein Gegenbild ist, da es den Jüngling nicht so abbildet, wie es physikalisch richtig wäre (nach Ute Diehl). Sie erkennt in dem wesentlich älteren "Gegenbild" im Wasser eher ein Dr Jeckyll/Mr Hyde-Verhältnis. Ein Gegen- oder auch Schattenbild, dass also die (nach C-G- Jung) Nachtseiten des Jünglings zeigt.


    Insofern gibt sie auch Longhi recht, der den Mythos hier nicht unbedingt entdeckt.


    :hello: Gustav

  • Findet ihr eigtl., daß dieses Bild etwas Homoerotisches an sich hat, wie oft bei Caravaggio-Gemälden behauptet?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Original von Joseph II.
    Findet ihr eigtl., daß dieses Bild etwas Homoerotisches an sich hat, wie oft bei Caravaggio-Gemälden behauptet?


    Ich denke, wenn man will, kann man (schöner Jüngling etc.), vor allem, wenn man sein Leben mit hinzu zieht. Es gibt auch Interpretationen, die den Phalles-Charakters des Knies betonen. Nun ja. Ich glaube, aber, dass es da in seinem Oeuvre eindeutigere Beispiele gibt.


    :hello: Gustav

  • Zitat

    Findet ihr eigtl., daß dieses Bild etwas Homoerotisches an sich hat, wie oft bei Caravaggio-Gemälden behauptet?


    Zitat

    Gemalt wohl zwischen 1597 - 99 war es lange umstritten, ob dieses Gemälde wirklich von Caravaggio stammt


    Da man weiß, daß Caravaggio homosexuell war, ist es leicht hineinzuinterpretieren, wobe dieses Bild - so wie ich es oben lese - eher eine ZUSCHREIBUNG (?) an Caravaggio sein dürfte.
    Das Homoerotische an seinen Gemälden sind ja in der Regel seine Modelle, mit denen ihn oft mehr als nur bloße Bekannschaft verband...


    Generell galube ich, daß es im Auge des Betrachters liegt, ob eine Darstellung etwas Erotisches, bzw Homoerotisches an sich hat.
    Dieser Knabe sieht am ehesten INTERESSIERT dieses Spiegelbild an, mit geradezu unschuldsvollem Blick. Unschuldsvolle Blicke können vielerlei bewirken, sie können trügen, sie können reizen...


    Dann strahlt der Jüngling etwas aus, das mit einem Begriff definiert wird der heutzutage eher nicht gebräuchlich ist, und der den wenigsten etwas sagen wird: "Natürliche Anmut"


    In letzter Konsequenz würde ich daher die Frage eher bejahen...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Ille per Aonias fama celeberrimus urbes
    inreprehensa dabat populo responsa petenti;
    prima fide vocisque ratae temptamina sumpsit
    caerula Liriope, quam quondam flumine curuo
    inplicuit clausaeque suis Cephisos in undis
    uim tulit: enixa est utero pulcherrima pleno
    infantem nymphe, iam tunc qui posset amari,
    Narcissumque vocat. [ ... ]


  • Das klingt interessant, aber meine Latein - Kenntnisse beschränken sich auf Asterix - Comics. Könntest du es von daher für mich etwas verständlicher formulieren. :yes:


    :hello: Gustav

  • Jener, gefeiert vom Ruf in allen aonischen Städten,
    Gab dem fragenden Volk unfehlbar wahre Bescheide.
    Gleich die bläuliche Nymphe Liriope machte die Probe
    Seines unfehlbaren Spruchs: die einst in gekrümmeter Wallung
    Rings Cephisos umhegt', und in bergenden Wogen ihr Brautbett
    Wölbete. Diesem gebar im Laufe der Monden die Schönste
    Ein holdseliges Kind, schon damals Nymphen bezaubernd,
    Und Narcissus genannt. [ ... ]


    (Ovid, Metamorphosen)

  • Und ich verlinke für Euch zu einer anderen Seite (was ich- wie jeder weiß- nur ungern unt selten tue)


    http://www.gottwein.de/Lat/ov/ovmet03339.php


    Hier ist einerseits der gesamte Text der diese Bild betrifft, für den man sich Zeit nehmen und im Geiste das Bild vor Augen haben sollte- und der die eingangs gestellte Frage EINDEUTIG beantwurtet: JA das Bild ist homoerotisch.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Na ja, da die Threads zum Thema "Regietheater versus konventionelle Inszenierung" üppig sprießen, sind wir ja mit der Betrachtung eines eventuell homoerotischen Bildes inhaltlich nicht so weit von einer großen Gruppe dieses wunderbaren Forums entfernt ... :hahahaha:


    ... ich finde Narcissus eher autoerotisch. Aber es geht wohl bei der Geschichte eigentlich darum, dass er sich SO schön findet, dass das Geschlecht keine Rolle spielt.


    Mit "Narcissus et Echo" wurden natürlich schon Generationen von Sekundanern und Primanern gequält.


  • Danke für die schnelle Hilfe. Selbst in der Übersetzung eine traumhaft schöne Sprache.


    :hello: Gustav


  • Lieber Alfred!


    Vielen Dank für diesen Link. Ich habe die Metamorphosen nur in einer Prosa-Fassung und bin ganz begeister von deser Übersetzung.


    Die Zuschreibung des Gemäldes ist nun wohl ziemlich gesichert. Aber ich denke auch wie Wolfram, in dieser Versionist es eher autoerotisch (wenn man den biographischen Hintergrund nicht kennt).


    :hello: Gustav