Gabriele Santini
Rom, 31.12.1957
Noch während der Kostümproben zur später „legendären“ Norma - Aufführung in Rom trat die Callas am Silvesterabend 1957 in einem speziellen Konzert der RAI - Rom auf, um mit „Casta Diva“ den Beginn der Eurovisions - Tätigkeit des italienischen Fernsehens zu begehen. Welch ein Stellenwert hatte der Operngesang zu der damaligen Zeit! Würden Opernsänger heute noch solch eine Chance bekommen?
Dieses ist ein interessantes Dokument, von dem auch ein Filmmitschnitt existiert, der lange als verschollen galt. Interessant, weil die Callas sich zwei Tage vor dem legendärsten ihrer so genannten „Skandale“ stimmlich wunderbar ausgeruht und ausgeglichen mit einem ihrer Paradestücke präsentierte.
Am 27. und 28.12. probte sie für die römische Norma - Aufführung in einem ungeheizten Saal, absolvierte dann am 31.12. die Kostümprobe und sang um 21.00 Uhr in der RAI - Rom „Casta Diva“.
Von den bevorstehenden stimmlichen Problemen, die zum Abbruch der Norma am 02.01.1958 führen sollten, ist an diesem Abend nichts zu bemerken. Die Callas legt die ganze Arie, hier ohne Rezitativ und Cabaletta geboten, wunderbar innig, fast privat an. Sie singt in der Mittellage mit voller, warmer Stimme, ebenso klingen ihre ausgiebigen Piani und nur in der Höhe wird sie ein wenig dünn. Wobei die sich in nichts von ihren damaligen vokalen Möglichkeiten unterscheidet. Höchstens könnte man anmerken, dass der erste Aufschwung im ersten Vers ein wenig vorsichtig angegangen wird. Trotzdem gelingt es ihr, daraus einen wunderbaren Bogen zu formen, wie übrigens die ganze Arie als ein einziger langer, ruhiger Fluss erscheint. In der Kadenz steigt sie dann langsam in die Höhe, die sie allerdings sehr schnell verlässt, um anschließend eine ausdrucksvoll ausgeformte fallende Skala zu bilden.
Dieser schwer erhältliche Mitschnitt ist nicht nur aus den oben angeführten Gründen hochinteressant, er ist auch musikalisch ein ausgesprochener Genuss, da die Callas es schafft, aus dem Gebet der Norma eine ganz persönliche Klage zu gestalten, in der nun die Frau eindeutig vor der Priesterin dominiert.
Gustav