Wiener Staatsoper - Parsifal - 30.6.2010

  • Zum allerletzten Male..


    Die Direktion Holender endete so, wie sie seinerzeit im September 1991 begonnen hatte – mit einem Parsifal, in dem Waltraud Meier die Kundry sang und wo Placido Domingo quasi das letzte „Solisten-Wort“ hatte. Ein Hauch von Wehmut schwebte über allem, besonders als Domingo die Bühne betrat wurde so manches Auge verdächtig feucht – aber das alles soll uns nicht davon abhalten, zuerst die musikalischen Ereignisse zu besprechen.


    Dass das Staatsopernorchester – bei entsprechender Motivation – das allerbeste Orchester ist, das auf diesem Planeten in einem Opern-Orchestergraben sitzt, bewies es gestern wieder eindrucksvoll. Und die Jubelstürme für Franz Welser-Möst bewiesen, dass er in Wien endgültig angekommen ist (das war aber schon nach dem Ring zu sehen und zu hören). Es ist unglaublich, wie „transparent“ er das Werk dirigiert, wie man von anderen Dirigenten noch nie herausgearbeitete Nuancen der Partitur hören kann. Das Vorspiel und den ersten Akt ließ er ziemlich langsam angehen – die Länge der Generalpausen im Vorspiel machten einem Thielemann alle Ehre! -, während er dann besonders im 2.Akt das Tempo doch etwas anzog. Die Wagnerianer können zwar dem scheidenden Direktor Holender berechtigterweise den Vorwurf machen, dass seine Regiebesetzungen bzw. das, was bei Neuinszenierungen herauskam, durchaus fragwürdig war, allerdings vom musikalischen her ist Wien sicherlich, was Wagner betrifft, zur Zeit Weltspitze. Seien es Leif Segerstam, Peter Schneider, Christian Thielemann oder auch Franz Welster-Möst – da ist wirklich die Creme de la Creme der Wagner-Dirigenten am Werk!


    Es war auch der Abend von einigen Rollendebüts – zuerst sei einmal Thomas Hampson genannt, der ja lange Zeit in Österreich aus sattsam bekannten Gründen nicht mehr aufgetreten ist. Und man merkte wieder einmal, wie sehr doch diese Inszenierung auf Quasthoff zugeschnitten ist. Der erste Aufzug, sowieso ein inszenatorisches Ärgernis sondergleichen, wird von Mal zu Mal unerträglicher (der Rezensent hat mehr als 1/3 aller Aufführungen dieser Produktion gesehen). Musste sich schon Falk Struckmann bemühen, irgendwie sich auf der Quasthoff-Size-Trage zusammenzukrümmen, war das dann bei Hampson, der noch ein Stückchen größer ist, endgültig lächerlich. Die paar Euronen hätte man doch noch in die Hand nehmen können und die Liege verlängern…


    Wer die kraftvolle Stimme Struckmanns im Ohr hat ,musste sich erst einmal umgewöhnen. Hampson geht den Amfortas viel lyrischer an, eher an Quasthoff gemahnend. Was ein wenig an Tiefe fehlte, machte er mit soliden Höhen wett. Wunderbar phrasierend erbrachte er eine umjubelte Leistung, obwohl man das Gefühl hatte, dass er sich in der Inszenierung fremd und nicht wirklich wohl gefühlt hat.


    Stephen Gould glänzte wieder einmal in einer Wagner-Rolle. Er hat ein baritonales Timbre, seine Höhen sind aber bombensicher und strahlend. Ebenfalls kann er sich gut bewegen, erinnerte in den beiden ersten Aufzügen vom Gehabe ein bisschen an den Jung-Siegfried, ließ sich von Kundry und den Blumenmädchen umgarnen, ehe er noch knapp aber doch „die Kurve kratzte“ und dann im dritten Aufzug einen abgeklärten Helden gab. Es ist sehr beeindruckend, wie sehr sich dieser Sänger seit der Toten-Stadt-Premiere im Dezember 2004 weiterentwickelt hat.


    Es ist wahrscheinlich einmalig in der Geschichte des Hauses, dass für einen Abend gleich zwei Parsifale angesetzt waren. Die letzte Szene wurde nicht von Gould, sondern von Placido Domingo gesungen. Was für eine Bühnenerscheinung dieser Mann doch ist! Ein einzigartiger Künstler, der dem Wunsch Holenders nachgekommen war, um den Kreis zu schließen. Domingos Deutsch hat sich in den letzten Jahren eindeutig verbessert, er hat noch immer die Durchschlagskraft – und dass man teilweise einen gewissen „Wobble“ hörte, ja das war an diesem Abend absolut zu vernachlässigen. Man kann annehmen, dass dies sein letzter Auftritt an der Staatsoper als Tenor war, im September 2011 erwartet man dann ihn als Simone Boccanegra zurück.


    Ein weiterer Veteran war als Gurnemanz zu hören. Matti Salminen, der in einigen Wochen seinen 65.Geburtstag feiern wird, war nach längerer Abwesenheit wieder an der Staatsoper zu hören. Salminen steigerte sich besonders im 3.Aufzug. Er sang mit einer gewissen Altersweisheit, recht wortdeutlich und man nahm ihm den alten Ritter unbedingt ab. Auch er wurde – wie alle anderen Sänger – vom Publikum stark bejubelt.


    Wirklich gut an diesem Abend war auch Wolfgang Bankl. Er wird als Klingsor besser und besser und es ist sicherlich seine beste Rolle, die er mit vollem stimmlichen und körperlichen Einsatz gestaltet. Er trug das seinige dazu bei, dass der 2.Aufzug zum Höhepunkt der Aufführung wurde.


    Nun aber zum großen Star des Abends. Waren schon Orchester, Dirigent und die männlichen Hauptrollen luxuriös besetzt, so überzeugte Waltraud Meier noch mehr als ihre männlichen Kollegen. Es ist kaum zu glauben, dass sie in der Rolle der Kundry vor nun schon 27 Jahren debütierte. Sie gestaltet die „Urteufelin“ derart eindringlich und zeigt die ganze Bandbreite, die diese Rolle beinhaltet. Einerseits die etwas zynische Botin im 1.Aufzug, im 2.Aufzug einerseits die von Klingsor unterdrückte, dann die großartige Verführerin, die sich aber auch ihrer persönlichen Tragik bewusst ist, die den Parsifal verfluchende Zurückgewiesene und schlussendlich auch die erlöste Dienende. Sogar wenn Meier nicht singt, beherrscht sie die Bühne (zuletzt im Lohengrin gesehen). Die zwei etwas spitzen Töne waren vernachlässigbar, dafür brachte sie soviel Ausdruck und Lebenserfahrung in ihre Rolle ein, dass man ganz gebannt war. Ich freue mich schon jetzt auf die Parsifal-Serie im April 2011!


    Ain Anger gab bereits recht routiniert den Titurel (und auch in dieser Rolle wird er mit zunehmenden Alter noch besser werden – wahrscheinlich wird er dann aber eher als Gurnemanz auftreten).


    Ein wenig überraschend war, dass die Blumenmädchen nicht ganz auf einander eingestimmt klangen, besonders bei der 1.Gruppe gab es da Dissonanzen. Verführerisch wie eh und je waren sie aber doch (Ileana Tonca, Lydia Rathkolb, Michaela Selinger (ihr bis auf weiteres letzter Auftritt an der Staatsoper), Ildikó Raimondi, Alexandra Reinprecht und Rollendebütantin Zoryana Kushpler).


    Eine Anmerkung noch zu Zoryana Kushpler – sie sang auch die „Stimme von oben“ und den 2.Knappen. Nach meinem Empfinden ist Kushpler das Ensemblemitglied, das sich in der vergangenen Saison am meisten weiterentwickelt hat (gemeinsam mit Elisabeth Kulman). Ich habe das Gefühl, dass nach den Aufführungen von Faust im September die junge Künstlerin einen wirklichen Qualitätsschub erfahren hat. Man kann gespannt sein, was Dominique Meyer mit ihr vorhat – vielleicht bekommt sie zukünftig ja einmal die Chance auf eine Charlotte!


    Die restlichen Rollen waren mit weiteren hauseigenen Sängern besetzt (Alexander Kaimbacher, der ebenfalls bis auf weiteres nicht mehr hier singen wird, Peter Jelosits, Marcus Pelz, Sophie Marilley, Benedikt Kobel).


    Es war ein würdiges Saisonfinale und ja, ich fand es auch gut, dass Placido Domingo für ein paar Minuten zurückkehrte. Er verzichtete auf einen Solovorhang, was auch für ihn spricht!
    Alles in allem finde ich, dass Ioan Holender einen sehr guten Job gemacht hat – und ich denke, dass sein Nachfolger auf ein auch künstlerisch solides Fundament bauen kann. Es wird an ihm liegen, was er daraus machen wird.

    Hear Me Roar!

  • Danke dir für den sehr detailierten bericht. Eines wird mir aber nicht klar: Nämlich die doppelbesetzung von Parsifal. Erkrankte Gould und wurde von Domingo ersetzt, oder war das so als Besetzungsclou vorgesehen?

  • WotanCB
    das war als symbolische Geste zwischen Holender und Plácido Domingo abgesprochen...und von Stephen Gould gerne bewilligt. In der ersten Vorstellung von Ioan Holender als Staatsopernintendant war es Plácido Domingo, der den Parsifal sang....nun sollte der Kreis sich schließen, daher der Kurzauftritt im letzten Akt.
    Vielleicht hätte er ihn auch komplett gesungen, aber nach "Simon Boccanegra" tags zuvor in London, war das nunmal nicht möglich....auch nicht für ihn!


    LG
    Fides :hello:

    La vita è bella!

  • Ursprünglich hätte ja Johan Botha den Parsifal singen sollen, aber dann Holender gebeten ihn aus der Verpflichtung zu entlassen - und Stephen Gould ist zur Zeit wirklich großartig!!!


    Botha hat ja die Tannhäuser-Serie vorher gesungen und war wahrscheinlich müde.

    Hear Me Roar!

  • Danke für den interessanten Bericht aus Wien. Ich finde, da muss man Stephen Gould ein ganz großes Kompliment machen, dass er sich auf diese Doppelbesetzung des Parsifal eingelassen hat ! So etwas hätte nicht jeder Sänger mitgemacht, davon bin ich überzeugt.
    Toll auch, dass die Wirkung von Waltraud Meier immer noch so großartig ist. Ich habe das mal bei einer Götterdämmerung in Mailand erlebt, wo sie Waltraute sang und mit ihrem Auftritt die ganze Aufführung prägte.
    Sie ist ein absoluter "Bühnenmensch" ähnlich wie früher Astrid Varnay.
    Bei Konzerten haben mich beide nie so begeistern können !