Sprache und Musik im Lied

  • Ich hör grad:


    An die Mark


    Bereifte Kiefern, atemlose Seen,
    Die träumen einem dunklen Auge gleich
    In ew'ger Sehnsucht von des Frühlings Reich;
    Und drüber hin ein schwarzer Zug von Kräh'n.


    Viel junges Leben will die Sonne sehn.
    Da sitzt die Schwermut schon am Waldesrand
    Und schreibt geheime Zeichen in den Sand,
    Kein Frühlingssturm wird ihre Schrift verweh'n.


    Und eines Tages kommt der junge Mai;
    Und dennoch - unter glückverlor'nen Küssen
    Lebt ein Bewußtsein, daß wir sterben müssen,
    Daß alles nur ein Traum und schmerzlich sei.


    Dies Land, da Wunsch und Hoffnung selig sind,
    Und doch in ihrem rätselvollen Wesen
    Von stiller Trauer niemals zu erlösen,
    Dies Land ist meine Heimat und ich bin sein Kind.


    Ilse von Stach-Lerner (1879-1941)


    Tja, es hört sich so an wie alles oder nichts, wie der falsche, irgend ein unwichtiger Text, dessen von Fischer-Dieskau prononcierte Bedeutsamkeit mit der Bedeutungsschwangerschaft der Musik irgendwie nicht korreliert. Die postwagnersche Klangbrei ist in sich selbst genau so phrasenhaft geworden, wie Nietzsche oder Adorno das konstatiert haben, lauter Formeln ins Vage, ein Teppich der Beliebigkeit zu einem im übrigen ziemlich blöden Gedicht. Es ist wie bei Reger manchmal, spätromantische écriture automatique, Parsifal-Eintopf, der sich selbst zelebriert, ohne zu merken, wie er vom zugrunde gelegten Vers ad absurdum geführt wird.


    Der Unterschied zum aktuellen deutschen Schlager mit seinem Schwulst und seiner Fließbandfabrikation ist so bedeutend nicht.


    "La lune blanche
    luit dans les branches ..."
    - wie schön, daß ich französisch spreche!


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Das von farinelli vorgestellte und kommentierte Lied wurde von Pfitzner auf einen Text von Ilse Stach (1879-1941) komponiert. Sie war in erster Linie Erzählerin und Dramatikerin. Ihre Werke sind stark von ihrer katholischen Gesinnung geprägt. Zur Lyrikerin fehlte ihr offensichtlich die Begabung. Farinellis Feststellung, dass dies "ein ziemlich blödes Gedicht" sei, muss nicht kommentiert werden.


    Wohl aber erfordert sein Kommentar zum Lied eine Stellungnahme.


    Ich teile seine Auffassung absolut nicht. Bei diesem Lied ist es Pfitzner gelungen, die Atmosphäre eine stillen und weiten Landschaft musikalisch einzufangen. Man höre sich einmal an, wie er die lyrisch banalen und missglückten Verse: "Da sitzt die Schwermut schon am Waldesrand / und schreibt geheime Zeichen in den Sand" mit ganz einfachen und ruhigen Tonschritten in Musik verwandelt. Das ist hohe kompositorische Kunst, für die sich ein Vergleich mit einem Schlager schlicht verbietet.


    Das Gegenteil von dem, was farinelli moniert ist in diesem Lied zu hören. Mich wundert, dass er "Klangbrei" hört. Was ich höre, ist genau das Gegenteil:


    Spröde Akkordik, an Orgeltöne erinnernd, ein äußerst karger Klaviersatz mit regelrecht dünn gezeichneten thematischen Linien. Und vor allem: Eine Singstimme, die mit einer eigentümlich müde klingenden Stimme deklamiert, von langen Pausen unterbrochen. Und das ganze in einem völlig glanzlosen, fast trübe klingenden a-Moll.


    Das ist ein typisches Pfitzner-Lied. Allein schon die breit gestaffelte Harmonik mit ihren raffinierten Modulationen, vor allem aber die die auf die Evokation von Stille angelegte, komplexe musikalische Faktur des Liedes lassen den Vergleich mit Schlagermusik recht wunderlich erscheinen.


    Ich möchte aber gerne bei meinem Thema Eichendorff bleiben.

  • Der letzte Satz in meinem letzten Beitrag bedarf eines Kommentars. Er klingt so, als würde ich hier mein Steckenpferd reiten und mich nicht davon abbringen lassen wollen. Dem ist aber nicht so.


    Ich hatte, anlässlich der Einrichtung eines zusätzlichen Threads über Loewe (noch im alten Forum), schon einmal darüber geklagt, dass hier im Forum die Threads in ihrem thematischen Potential nicht voll ausgeschöpft, sondern einfach abgebrochen und durch neue ersetzt werden. Das mag internetgemäß sein, geht mir aber gegen die Natur. Deshalb möchte ich es wenigstens in diesem Thread hier anders halten. Zum Thema "Sprache und Musik im Lied" gibt es noch einiges zu sagen, und ich hoffe, dass man mir hier die Möglichkeit dazu lässt.


    Mein Beitrag mit der Überschrift "Rückwärtsgewandt" wirft zum Beispiel eine Frage auf, die mir hochinteressant erscheint:


    Könnte es sein, dass Eichendorffs Lyrik im zwanzigsten Jahrhundert nur noch einen solch rückwärtsgewandten Menschen und Komponisten ansprechen und zur Komposition von Liedern motivieren konnte, wie es Hans Pfitzner war?


    Und damit zusammenhängend die Frage: Was hat Eichendorff einem Menschen noch zu sagen, der sich ganz bewusst als moderner Liedkomponist versteht?


    Nachdenklich stimmt mich diesbezüglich eine Bemerkung, die ich bei Fischer-Dieskau fand. Zu den Eichendorff-Vertonungen Aribert Reimanns meinte er:


    "So vielfach verkannt Eichendorffs Werk in heutigen Einschätzungen erscheint, so viel hätte es uns zu sagen. Aber wir müssen befürchten, dass das Kapitel der Eichendorff-Vertonungen wohl ebenso abgeschlossen ist wie die Forschung über des Dichters Werk, das sich über die Zeiten erhebt."

  • Der Liedkomponist Pfitzner orientiert sich an einem Prinzip, das er selbst so formuliert hat: "Etwas Außermusikalisches kann nie etwas Musikalisches ersetzen." Damit ist der Primat der Musik vor dem lyrischen Text klar formuliert. Es stellt sich die Frage: Warum komponiert dieser Mann dann überhaupt Lieder, wo doch dem lyrischen Text eigentlich der zeitliche Primat zukommt? Schließlich ist ein Gedicht von Eichendorff längst schon da, bevor ein Hans Pfitzner es in ein Lied verwandeln will.


    Die Antwort auf diese Frage liegt in dem, was Pfitzner den "Ureinfall" nennt. Mit diesem Begriff landelt man unmittelbar und auf direktem Weg bei dem Phänomen, das ich hier mit dem Begriff "Betroffenheit" zu benennen versucht habe. Der Komponist fühlt sich durch einen lyrischen Text angesprochen, in seinem subjektiven Empfinden betroffen, und diese Betroffenheit löst den musikalischen "Ureinfall" aus.


    Man muss sich das als eine musikalisch-thematische Klangfigur vorstellen, aus der dann das ganze Lied hervorgeht, indem sie sich entfaltet und über viele Takte hin weiter entwickelt, immer auf diesen "Ureinfall" zurückgreifend, wie auf ein Zitat, das man braucht, um den Faden nicht zu verlieren und den Geist des lyrischen Textes zu bewahren. Dieses kompositorische Prinzip beinhaltet natürlich dann auch, dass die Musik nicht in detaillierter Weise auf Elemente des lyrischen Textes reagiert. Ein Hans Pfitzner ist also liedkompositorisch meilenweit weg von einem Hugo Wolf!


    Am Beispiel des Eichendorff-Liedes "DIE EINSAME" soll gezeigt werden, wie der "Ureinfall" die musikalische Faktur des Liedes bestimmt und prägt.


    Eichendorff: DIE EINSAME
    Wär´s dunkel, ich läg´ im Walde,
    Im Walde rauscht´s so sacht,
    Mit ihrem Sternenmantel
    Bedeckt mich da die Nacht.


    Da kommen die Bächlein gegangen,
    Ob ich schon schlafen tu?
    Ich schlaf nicht, ich hör noch lang
    Den Nachtigallen zu.


    Wenn die Wipfel über mir schwanken,
    Das klingt die ganze Nacht,
    Das sind im Herzen die Gedanken,
    Die singen, wenn niemand wacht.


    Der musikalische "Ureinfall" erklingt bei diesem Lied schon am Anfang der ersten Zeile: Es ist ein tonaler Sekundschritt nach unten von "Wär´s" zu "dunkel", von der zugehörigen verminderten Akkordik im Klavier getragen. Daraus entwickelt sich musikalische Substanz des ganzen Liedes. Bei "ich läg im Walde" holt die melodische Linie zu einem Bogen aus, der aber gleich wieder zurückwill zu den kleinen Sekundschritten, die sich im Klavier beharrlich halten.


    Die melodische Linie setzt dann bei "Da kommen die Bächlein ..." hoch an und bewegt sich zögerlich nach unten, über Moll-Klänge und verminderte Akkorde sich tastend. Bei "Ich schlaf nicht" scheint sie einen Augenblick innezuhalten, wie auf einem Akkord verharrend, der aber nicht von Bestand sein kann, weil er musikalisch in der Dominante angesiedelt ist.


    Und dann, mit dem ersten Vers der ditten Strophe, holt die Singstimme weit aus, wird gewichtig und bedeutsam, ohne freilich laut zu werden: "Wenn die Wipfel über mir schwanken..." Am Ende erklingt ein langes Klaviernachspiel, das wie ein Nachklang alles dessen wirkt, was sich melodisch zuvor ereignet hat.

  • Lieber Helmut, sei mir nicht böse, aber Dein Einwand:


    "dass hier im Forum die Threads in ihrem thematischen Potential nicht voll ausgeschöpft, sondern einfach abgebrochen und durch neue ersetzt werden."


    ist, bezogen auf das Thema dieses threads, ein Witz. Ich habe Dein noli turbare hier und anderswo wohl verstanden; aber ein Gespräch ist es nicht, was Du hier führst.


    "die Atmosphäre eine stillen und weiten Landschaft" ist eine so unverbindliche Formulierung, daß ich, als ganz guter Kenner der Brandenburgischen Landstriche, nur den Kopf schütteln kann. Stach will eine melancholisch gefärbte Landschaft, und da ihr sogar die badende Jugend da im Wege ist, behilft sie sich mit den lächerlichsten Topoi, um Trauer in ihre Bilder zu zwingen.


    Pfitzners hypertrophe, hochdifferenzierte Tonsprache entwirft gleichfalls ein melancholisches Gefilde; aber die Bedeutsamkeitsaufgeladenheit der Tonsprache geht nicht einher mit den mißglückten Bedeutsamkeitssignalen des Textes (die Krähen, die im Sande zeichnende Schwermut); Pfitzner wählt den Herbst (der Text ist da sehr uneins, ob er die Frühlingsstürme und den Mai begrüßen oder beweinen soll) und malt mit breitem Pinsel irgend etwas zähe Trauriges, Weltflüchtiges. Er verwandelt, mildert oder veredelt auch nirgends den Vers, sondern er geht eben einfach über den Text hinweg, und man könnte mühelos andere Worte unterlegen. Das liegt aber an einer dieser Tonsprache immanenten Neigung zur Undeutlichkeit, zum Raunenden, zur Andeutung; und diese Tendenz zum Nichtexplikativen hat sich innerhalb der Tonsprache so weit verselbständigt, daß sich sogar ein Gedicht wie das der von Stach sinnhaft anhört, obwohl es schlicht dilettantisch ist. Daß Deine so feinen Ohren hier keine Diskrepanz, kein Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirkung heraushören, nehme ich hin. Daß ich damit aber das Thema des Threads etwa sollte verlassen oder zu wenig ausgeschöpft haben, nicht.
    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Hallo,


    zu Pfitzner äußere ich mich nicht. Das hat Nichts mit "Politik" zu tun, die hier verständlich nicht erwünscht ist.
    Aber wenn ich mir die Inhaltsangaben zu seinen Opern "Das Herz" und "Christelflein" ansehe - und er diesen...vertont hat - kein weiterer Kommentar.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zitat zweiterbass:


    "Aber wenn ich mir die Inhaltsangaben zu seinen Opern "Das Herz" und "Christelflein" ansehe - und er diesen...vertont hat - kein weiterer Kommentar."


    Hier ist nur von den Eichendorff-Liedern Pfitzners die Rede. Und dies auch nur deshalb, weil er nun einmal viele und bedeutende davon hinterlassen hat. Dass Pfitzner als Komponist umstritten ist, wurde hier angesprochen.


    Es soll in diesem Thread keine Propaganda für ihn gemacht werden. Ich erlaube mir nur den - sachdienlichen und nicht als Belehrung misszuverstehenden! - Hinweis, dass Pfitzner in den letzten Jahren in der ausländischen, insbesondere der englischen Musikwissenschaft neu und wesentlich positiver beurteilt wird. Das hat ganz wesentlich damit zu tun, dass man heute mehr Verständnis für einen Menschen aufbringt, der künstlerisch einen ganz eigenen, höchst individuellen und auch originellen Weg eingeschlagen hat.

  • Zitat farinelli (Beitrag 245):


    " ...aber ein Gespräch ist es nicht, was Du hier führst."


    Diese Feststellung ist zutreffend! Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass unter "GESPRÄCH" der intellektualistisch-brillante Disput auf personaler Ebene verstanden wird. Für diese Art von "Gespräch" falle ich in der Tat als Partner künftig aus. Ich bitte um Verständnis. Mir fehlen ganz einfach die Nerven dafür und - damit zusammenhängend! - die Freude daran.


    Um ein sachbezogenes Gespräch über das Kunstlied habe ich vom ersten Tag meiner Anwesenheit hier im Forum mit Begeisterung - und manchmal wohl auch ein wenig aufdringlich - geworben. Das ist vielfältig dokumentiert.


    ERGEBNIS?


    Ich bin inzwischen aus allen Threads mit der herkömmlichen Thematik und den den Taminoanern altvertrauten Inhalten draußen und drücke mich in den Ecken des Forums herum, in denen keiner sonst verkehrt. Dabei war dies nie meine Absicht und mein Interesse. Hoffentlich errege ich mit diesem Verhalten keinen Anstoß, verdrücke mich dann noch weiter und stürze über den Forumsrand.


    So viel zu dem Vorwurf (Zitat farinelli): "Noli turbare" , - den man übrigens auch für jedermann verständlich hätte formulieren können!

  • Lieber Helmut,


    da ich zu den gebildeten unter Deinen Bewunderern zähle, hätte ich gehofft, der Vergleich mit Archimedes würde Dir auch ein wenig schmeicheln.


    Du schreibst:


    Hier ist nur von den Eichendorff-Liedern Pfitzners die Rede.


    Wenn´s sonst keiner tut, muß ich Dir energisch widersprechen - dies ist ein öffentliches Forum, und man argumentiere ergo zur Sache; Einschränkungen, wie Du sie hier vornimmst, lassen sich mit dem von Dir selbst aufgestellten - allgemein formulierten - Thread-Thema nicht vereinbaren. Eine von Dir allein gestaltete Vortragsreihe "Eichendorff-Vertonungen" müßte zumindest als solche von Dir ausgewiesen werden.


    Ich habe Dich aus keinem thread vertrieben.


    Der von Dir in Anspruch genommene Terminus der Betroffenheit ist mir nicht ganz klar. Einerseits wäre es wohl eine Binsenweisheit, daß ein Komponist zur Vertonung von Texten kaum solche auswählen möchte, die ihn besonders kalt lassen. - Die von Dir gemeinte emphatische subjektiv und individuell sich entzündende Inspiration an einem lyrischen Kern halte ich für sehr problematisch, da sie sich nicht beweisen (oder gar "erhören") läßt. Künstlerische Schaffensprozesse sind oft mühsam und kompliziert, wovon im Ergebnis nichts mehr zu bemerken ist.


    Aus Deinen eigenen Argumentationen hier im Forum ergibt sich auch, daß die sich wandelnde Musiksprache für die Lyrik-Vertonung eine Art musikalischer Prosa, ein "sprechendes" Ton-Idiom erschafft. Es wäre wohl möglich, daß sich auf dieser Ebene Spannungen zwischen Text und Musik ergeben können, etwa durch Überinterpretation oder Inkongruenzen. Bei Wolf waren wir da schon eher einer Meinung. Daß sich die Vertonung in dem von mir gewählten Pfitzner-Beispiel (übrigens kenne ich bloß die Orchesterfassung -

    )- tendenziell von dem Gedichttext löst oder ihn auf eine bizarre Weise mit Bedeutung auflädt, wo der Vers keine hat ("... des Frühlings Reich"), ist für mich eklatant. Die Musik könnte alles mögliche filmhalft "bebildern", und vielleicht ist mir ja das spätromantische Idiom der Parsifal-Nachfolge zu vetrtraut, um daran das Pfitznersch Persönliche auszumachen: In meine Ohren klingt das Suggestive bloß suggeriert.
    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • zu Pfitzner äußere ich mich nicht. Das hat Nichts mit "Politik" zu tun, die hier verständlich nicht erwünscht ist.
    Aber wenn ich mir die Inhaltsangaben zu seinen Opern "Das Herz" und "Christelflein" ansehe - und er diesen...vertont hat - kein weiterer Kommentar.


    "Aber wenn ich mir die Inhaltsangaben zu seinen Opern "Das Herz" und "Christelflein" ansehe - und er diesen...vertont hat - kein weiterer Kommentar."


    Hier ist nur von den Eichendorff-Liedern Pfitzners die Rede. Und dies auch nur deshalb, weil er nun einmal viele und bedeutende davon hinterlassen hat. Dass Pfitzner als Komponist umstritten ist, wurde hier angesprochen.


    Hier ist nur von den Eichendorff-Liedern Pfitzners die Rede.


    Wenn´s sonst keiner tut, muß ich Dir energisch widersprechen - dies ist ein öffentliches Forum, und man argumentiere ergo zur Sache; Einschränkungen, wie Du sie hier vornimmst, lassen sich mit dem von Dir selbst aufgestellten - allgemein formulierten - Thread-Thema nicht vereinbaren. Eine von Dir allein gestaltete Vortragsreihe "Eichendorff-Vertonungen" müßte zumindest als solche von Dir ausgewiesen werden.


    Lieber farinelli,


    um "Gebildeten" hier das aufwändige Zurückverfolgen von Beiträgen zu ersparen, habe ich die relevaten in Frage kommenden Beiträge aufgeführt.


    Es leuchtet (auch Ungebildeten?) sofort ein, dass Helmuts "Einschränkung" nur auf meinen Beitrag hin zu verstehen ist, weil ich mich außerstande sehe, Pfitzners Musik anzuhören und dies zu begründen.


    Warum Du diese Auseinandersetzung zwischen Helmut und mir als Argument in Deinem letzten Beitrag zweckentfremdest ist mir schleierhaft?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Lieber Helmut, lieber Zweiterbass,


    zweckentfremden wollte ich nichts und entschuldige mich, unter Hinweis auf die Bitte Helmuts:


    Ich möchte aber gerne bei meinem Thema Eichendorff bleiben.


    die ich offenbar mit dem mißinterpretierten Satz zu sehr enggeführt hatte.


    Ich möchte aber eigentlich auf ein Thema innerhalb dieses threads zu sprechen kommen, das mit dem Abstand, dem Vakuum zwischen den Tönen und den Worten zusammenhängt, also was man für die Oper in der Entwicklung vom "Ring des Nibelungen" zu "Pelléas et Mélisande" wahrnimmt, heruntergebrochen auf das Kunstlied. Das musikalische Aufspüren und Ausfüllen der Assoziationsräume zwischen den Zeilen, den Symbolismus meinetwegen, der es einem Pfitzner erlaubt, ein mißlungenes Heimatgedicht zum pessimistischen Gemälde einer romantischen Heimatlosigkeit umzufunktionieren.


    Die Künstlichkeit Eichendorffs böte hier gewiß einen ebenso guten Ausgangspunkt; aber ich kenne Pfitzner zu wenig, und da bleibe ich lieber bei dem, was ich beurteilen kann. Nebenbei empfinde ich den Eichendorff-Focus als eine unnötige Verengung, die einem Liedkomponisten wie Brahms kaum mehr gerecht wird.


    Ob es irgendwie weiter führt, eine fallende Sekunde in einer Scheinterminologie zum "Ureinfall" zu stilisieren, wo ein Sekundschritt nicht einmal mehr ein Einfall sein kann, sondern zur festen Grammatik der musikalischen Syntax gehört, sei dahingestellt. Meine Interessen bewegen sich offenkundig in eine andere Richtung als diejenigen Helmuts.
    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Noch immer bin ich unschlüssig, ob ich diesen Thread in Form von weiteren Beiträgen fortsetzen soll. Es wäre ja mindestens noch der Frage nachzugehen, wie moderne Liedkomponisten mit Eichendorff umgehen und ob er ihnen überhaupt noch etwas zu sagen hat.


    Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Wahl Eichendorffs nicht einer Laune oder einer persönlichen Vorliebe entsprang, sondern einfach der Tatsache geschuldet ist, dass dieser Dichter einer von denen ist, die am meisten vertont wurden. Ich hätte auch Goethe oder Heine wählen können. Bei letzterem hätte sich allerdings eine noch komplexere Fragestellung ergeben. Eichendorff diente nur als Beispiel, um der Frage nachgehen: Wie ändert sich im Laufe der Geschichte des Kunstliedes die spezifische kompositorische Rezeption der Werke eines Dichters?


    Es wäre schön, wenn man dieser Frage weiter nachgehen könnte. Aber der Vorwurf, ich missbrauche ein öffentliches Forum für eine private Votragsreihe, lastet schwer auf mir. Auch wenn es wenig Sinn hat, darauf hinzuweisen, dass die Eröffnung dieses Threads ausdrücklich eine Einladung zu einem Gespräch und zur gemeinsamen Reflexion über sein Thema enthielt, weil der Vorwurf nun einmal in der Welt ist, möchte ich doch wenigstens zwei Sätze aus der Eröffnung des Threads zitieren:


    "Dieser Thread soll der Ort sein, an dem diesem Verhältnis (= von Sprache und Musik im Lied) in Reflexion und Dialog nachgegangen wird."


    Ich hatte noch hinzugefügt:


    "Im Grunde ist schon ungeheuer viel gewonnen, wenn einfach nur Gedanken über das Kunstlied unter dem hier relevanten Aspekt ausgetauscht werden, und seien sie auch noch so unstrukturiert und dem augenblicklichen Einfall geschuldet."


    (Man kann in vielen Beiträgen finden, dass ich mich beim notgedrungenen Monologisieren sehr unwohl und manchmal alleinegelassen fühlte)

  • Aber der Vorwurf, ich missbrauche ein öffentliches Forum für eine private Votragsreihe, lastet schwer auf mir.

    Ich hab nicht gesehen, wo das steht. Bitte trotzdem weitermachen, ich lese gern hier!


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Lieber Helmut,
    liebe Freunde,


    gestürzt à la Haskil, vom Chirurgen geflickt und unter starken Schmerzmitteln humpele ich durch meine Wohnung und frage mich, wofür das wohl die gerechte Strafe gewesen sein mag. Da kommt mir der Helmut gerade recht, ihn um Absolution zu bitten, damit ich dereinst auch ohne Novalgin wieder ruhig schlafen kann. Nein, nicht die fallende Sekunde, sondern eine Sekunde des Fallens war es, was mich ereilte mit der Erkenntnis, daß ich wahrscheinlich mal wieder großen Unsinn von mir gegeben habe. Falls also der Helmut (denn ich bin auch nach dem Fall noch ein Fall für mich) ein wenig Nachsicht übt, so versichere ich, daß mir jetzt so manches durch Mark und Bein geht und ich neuerdings mit der Schwermut im Sande zeichne, ohne daß daran, wie bei Giottos Schafen, mein Genie zu Tage tritt.
    Ich mehr als Schafskopf bitte alle in aller Form um Entschuldigung und verbleibe untertänigst


    Farinelli :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Und wer jetzt Helmut Hofmanns Mondnacht-Beitrag im Schumann-Liederkreis-op.39-Thread gelesen hat, wird zugeben müssen: Das hat sich wenigstens gelohnt!
    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Also, lieber farinelli, Du bringst es fertig, selbst einen üblen Sturz, der sogar chirurgische Hilfe und das Schlucken von Novalgin erforderlich macht, so geistvoll und witzig zu schildern, dass man doch tatsächlich über einen Unglücksfall lachen muss. Es ist nicht zu fassen! Das ist eine stilistische Meisterleistung, die zeigt, was man mit Sprache alles erreichen kann. Aber es tut mir natürlich leid, was Dir passiert ist, und Du hast gewiss mein Mitgefühl.


    Aber jetzt zum hiesigen Problem. Die Schuldgefühle, die Du zum Ausdruck gebracht hast, sind objektiv unangebracht. Denn das Problem, um das es hier geht, ist in Wirklichkeit gar kein personales, sondern es ist ein strukturelles. Es wurzelt in einem objektiven Sachverhalt. Ich habe mir den Vorwurf des Monologisierens ja schon mehrfach selbst gemacht. Ins Monologisieren gerät man aber mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in dem Augenblick, wo man sich vom breiten Pfad der Kommunikation hier im Forum wegbewegt.


    In dieser Feststellung steckt keinerlei Kritik. Sie ist die schlichte Formulierung eines Sachverhalts. Er sieht so aus: Je mehr man sich bei der Besprechung von Liedkompositionen über das Ende des 19. Jahrhunderts hinaus ins zwanzigste begibt, desto mehr tappt man alleine durch die Gegend, weil die Taminoanerinnen und Taminoaner nicht folgen können. Selbst wenn sie wollten, - sie könnten es nicht, weil sie in der Regel die dafür erforderlichen CDs nicht im Schrank stehen haben.


    Ich habe diese Erfahrung schon mehrmals gemacht, und verweise in diesem Zusammenhang nur auf den - inzwischen versunkenen - Max Reger-Thread oder den, der sich mit der Frage beschäftigte, warum Komponisten um 1900 noch Lieder schrieben. Auch da geriet ich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit ins Monologisieren. Ich hatte schon mehrfach erwogen, einen Thread zu starten, der sich mit den Liedern von Othmar Schoeck beschäftigt. Interessant wären auch die Komponisten der Neuen Wiener Schule. Habe ich alles wieder verworfen. Angst vor dem Monologisieren!


    Du siehst: Die Sache, um die es hier im Augenblick geht, ist wirklich in ihrem Kern jenseits aller personalen Schuldgefühle angesiedelt. Bei mir hat sie auch nur deshalb so eingeschlagen, weil ich mich schon seit langer Zeit mit diesem Problem beschäftige. Was aber soll man machen? Im Augenblick fühle ich mich ein wenig flügellahm.


    Aber wichtiger ist dies: Ich wünsche Dir von Herzen gute Besserung!

  • Lieber Bernward Gerlach,


    über Deine ermutigenden Worte habe ich mich sehr gefreut. Es gibt da aber ein Problem. In meinem an farinelli adressierten Beitrag habe ich es zu formulieren versucht.


    Darf ich Dich darauf verweisen?

  • Selbst wenn sie wollten, - sie könnten es nicht, weil sie in der Regel die dafür erforderlichen CDs nicht im Schrank stehen haben.


    Lieber Helmut,


    leider (oder Gott sei Dank?) hat nicht Jeder 10.000 CDs "so bei sich mal eben rumstehen"- da ist mir doch in der Tat "die Musik in der Sprache stecken geblieben". (Ich mag gar nicht nachrechnen: In meinen letzten 30 Berufsjahren gaaanz selten 8-Stunden-Tag + Ehefrau + 3 Kinder + Hund + Haus + 3000 qm Garten + Hobby neben der Musik - dieses so ein Luxus!) Daneben leiste ich mir zum Überfluß auch heute noch, manche Musikwerke in Abständen mehr als 1 x (10 x, 15 x) anzuhören, welch' eine Zeitverschwendung.


    Gemach: Die CD mit "Clara" ist unterwegs und der Wolf - nein, nicht der vom "Serge" - kommt auch noch dran. Ganz nebenbei: Hattest Du Dich nicht mal für Chormusik (mag ich sehr) geoutet als "nicht kompetent, mag ich nicht, neben der Sache liegend..." oder verwechsle ich da was?


    Herzliche Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber zweiterbass,


    ich glaube nicht, dass Du mir zum Vorwurf machen willst, dass ich ein alter Mensch bin. Denn das ist genau der simple Grund, warum ich so viel Musik im Schrank stehen habe. Es sammelt sich einfach so manches an, wenn man sich seit fünfzig Jahren mit dem Kunstlied beschäftigt. Man muss dazu gar nicht reich sein oder über viel Freizeit verfügen (von welcher Lebensform ich ziemlich weit entfernt bin!).


    Aber im Ernst: Ich versuchte eine Erklärung dafür zu finden, warum zu Beiträgen, die abseits der "klassischen" Themen des Forums liegen, so wenig Resonanz kommt. Dafür habe ich das Bild mit dem Schrank benutzt und ausdrücklich hinzugefügt, dass ich damit keinerlei kritischen Unterton verbunden wissen möchte. Scheint aber nicht angekommen zu sein.


    Was Du mit dieser Anspielung meinst :"...nicht kompetent, mag ich nicht, neben der Sache liegend..." oder verwechsle ich da was?", das bleibt mir ein wenig rätselhaft. Ich habe einmal mein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass ich mich zur Chormusik leider nicht äußern kann, weil mir dafür jegliche Kompetenz fehlt. Wolltest Du mir etwa um die Ohren hauen, dass ich keine Chormusik in meinem Schrank stehen habe?

  • Lieber Helmut,


    hast Du aus meinem Beitrag wirklich nicht den Spaß herausgehört, "nur mal eben so..." und "Musik in der Sprache stecken geblieben"?


    Und das mit der Chormusik war so gemeint, dass ich kein Kunstliedexperte bin wie Du - und bei meiner "Vita" (auwei!) konnte sich gar nicht so viel ansammeln - ich hab' auf ziemlich viel "Hochzeiten" getanzt, sprich, Musik war leider oft nur ein sehr schönes, aber viel zu kurz gekommenes Hobby - was sich jetzt - Hurraa!! - geändert hat.


    Manches Mal muß etwas "Augenzwinkern" dabei sein.
    Herzliche Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Wie gut und nützlich es ist, dass es hier im Forum den Dialog gibt, kann man an den Einwänden erkennen, die farinelli in seinem Beitrag Nr. 249 gegen den von mir hier verwendeten Begriff "Betroffenheit" gemacht hat. Farinelli schreibt:


    "Der von Dir in Anspruch genommene Terminus der Betroffenheit ist mir nicht ganz klar. Einerseits wäre es wohl eine Binsenweisheit, daß ein Komponist zur Vertonung von Texten kaum solche auswählen möchte, die ihn besonders kalt lassen."


    Wenn man den Begriff "Betroffenheit" in seiner Verwendung auf die Ebene der Motive eingrenzt, die einen Komponisten dazu bewegen, aus einem Gedicht ein Lied zu machen, dann ist er in seinem semantischen Gehalt in der Tat banal. Natürlich muss ein Komponist durch ein Gedicht dazu motiviert werden, es zur Grundlage einer Motivation zu machen. Dass diese Motivlage komplex und für den Außenstehenden nicht durchschaubar, ist auch völlig unbestritten. Das kann, vonseiten des Gedichts her gesehen, vom reinen Klang der lyrischen Sprache über die spezifische Metaphorik bis hin zum thematischen Gehalt gehen.


    So mag es zum Beispiel durchaus sein, dass die glatte Fügung der frühen Goethe-Lyrik das musikalische Empfinden Schuberts angesprochen hat. Auf der anderen Seite ist es wohl so, dass die harte Fügung, die viele Gedichte Friedrich Hölderlins prägt, Wolfgang Fortner 1933 dazu animiert hat, seine "Vier Gesänge nach Worten von Hölderlin" zu komponieren. Hugo Wolf hat sich mit einer gewissen Systematik dem lyrischen Werk einzelner Dichter zugewendet und nahm deren ganz spezifische lyrische Sprache zum Ansatzpunkt seiner Liedkomposition. Bei Johannes Brahms wiederum scheint es in erster Linie die Thematik eines Gedichtes und sein dichterischer Gehalt gewesen zu sein, der für die Auswahl der Texte maßgeblich war. So hat man zum Beispiel bei seinem opus 32 auf Gedichte von August Graf von Platen einen mehr oder weniger deutlichen Niederschlag seiner ganz spezifischen Lebenserfahrungen vermutet, die er in solchen Sätzen zusammenfasste wie: "Das Leben raubt einem mehr als der Tod".


    Ich wiederhole: Wenn man den Begriff der Betroffenheit primär oder gar ausschließlich auf diese hier kurz skizzierte Motivlage anwendet, dann ist farinellis Feststellung absolut zutreffend. Aber farinelli hat ja auch eine weitere Ebene der Abwendung dieses Begriffs in seine Einwände einbezogen. Er sagt:


    "Die von Dir gemeinte emphatische subjektiv und individuell sich entzündende Inspiration an einem lyrischen Kern halte ich für sehr problematisch, da sie sich nicht beweisen (oder gar "erhören") läßt. Künstlerische Schaffensprozesse sind oft mühsam und kompliziert, wovon im Ergebnis nichts mehr zu bemerken ist."


    Diese "emphatische, subjektiv und individuell sich entzündende Inspiration" ist von mir tatsächlich mit dem Begriff "Betroffenheit" gemeint gewesen. Damit ist die Ebene des Existentiellen berührt. Man kann oben nachlesen, dass mich insbesondere die Lieder von Johannes Brahms zur Einführung des Begriffs in diesem Sinne gedrängt haben.


    Hier nun fühle ich mich durch den Einwand von farinelli herausgefordert. Ich bin nämlich nicht der Auffassung, dass sich dieses existentielle Angesprochen-Werden durch einen lyrischen Text, - denn das ist ja letzten Endes mit dem Begriff Betroffenheit gemeint! - nicht "erhören" lässt. "Beweisen" - im strengen Sinn des Wortes - lässt sich das Ereignis des existentiellen Angesprochen-Werdens tatsächlich nicht. Aber ich meine, dass man es als Niederschlag in der musikalischen Faktur des Liedes sehr wohl hören kann. Ich nenne als - willkürlich herausgegriffene! - Beispiele nur zwei Lieder von Johannes Brahms: FELDEINSAMKEIT und AUF DEM KIRCHHOFE.


    Jetzt muss ich natürlich meine These der Hörbarkeit einer existentiellen Betroffenheit am Beispiel eines Liedes von Hans Pfitzner argumentativ untermauern. Denn an den Liedern dieses Komponisten entzündete sich ja der Widerspruch von farinelli.


    Und für diese Herausforderung bin ich farinelli wirklich dankbar!

  • Ich hatte die These vertreten, dass man bei einem Lied hören könne, in welcher Form und mit welcher Intensität sich ein Komponist von einem Gedicht angesprochen fühlt. Also auch hören kann, ob so etwas wie ein existentielles Angesprochensein beim Komponisten vorliegt. An einem Liedvergleich möchte ich das zu illustrieren versuchen. Gleich vorneweg sei betont: Beweisen - im strengen Sinn des Wortes - lässt sich meine These durch all das, was in dem Liedvergleich zutage kommt, auf keinen Fall. Allenfalls Wahrscheinlichkeitsaussagen lassen sich machen.


    Ich wählte das Eichendorff-Gedicht "ABSCHIED". Es wurde von Hans Pfitzner vertont, aber auch - zeitlich früher - von Robert Franz. Bei diesem trägt es den Titel "ABENDS" und weist die Werkverzeichniskennung op.5, Nr.7 auf.


    J.v. Eichendorff: ABSCHIED
    Abendlich schon rauscht der Wald
    Aus den tiefen Gründen.
    Droben wird der Herr nun bald
    An die Sternlein zünden.
    Wie so stille in den Schlünden,
    Abendlich nur rauscht der Wald.


    Alles geht zu seiner Ruh,
    Wald und Welt versausen,
    Schauernd hört der Wanderer zu,
    Sehnt sich recht nach Hause,
    Hier in Waldes grüner Klause
    Herz, geh endlich auch zur Ruh.


    Dass dieses Gedicht kein arg- und harmloses Abendlied ist, merkt man spätestens in der zweiten Strophe, wo das nicht ganz geheuere Bild von dem "Versausen" von Wald und Welt auftaucht und sich die Festststellung anschließt: "Schauernd hört der Wanderer zu ...". Das "Endlich auch zur Ruh"-Gehenwollen des Herzens erwächst offensichtlich einer existentiellen Erfahrung von Angst. Mit der Wendung "in Waldes grüner Klause" wird die Möglichkeit einer Geborgenheit im Schoß der Natur lyrisch angesprochen.


    ROBERT FRANZ (1815-1892) war Direktor der Singakademie von Halle und hat eine Fülle von Vokalwerken hinterlassen, darunter etwa 350 Lieder, allein 70 davon auf Texte von Heinrich Heine. Zu seiner Zeit überstrahlte er an Berühmtheit Schumann und Schubert ohne weiteres. (Hätte er nicht mal einen Thread hier verdient?)


    Hört man sein Lied auf dieses Eichendorff-Gedicht, dann ist der erste Eindruck: Hier rauscht kein Eichendorffscher Wald, und die nicht ganz geheueren Verse der zweiten Strophe haben musikalisch keinerlei Spuren hinterlassen. Schon der Titel, den Robert Franz seinem Lied gibt ("ABENDS"), lässt ahnen, dass er es auf seine ganz eigene Weise gelesen und innerlich aufgefasst hat.


    Der tänzerische Grundton dieses Liedes (Dreivierteltakt!) ist der eines Volksliedes, - obwohl er das von der differenzierten Harmonik her keineswegs sein will. Die Melodiezeilen erstrecken sich über jeweils ein Verspaar, von einer Klavierbegleitung getragen, als sei sie von einer Laute gespielt.


    Die musikalische Faktur reflektiert zwar die Aussagen des lyrischen Textes, aber sie tut dies - für mein Empfinden jedenfalls - auf eine recht oberflächliche Art. Das Lied wirkt so, als habe der Komponist das lyrische Wort in Musik gesetzt, ohne ihm seinen Geist abzulauschen.


    Bei dem Wort "Droben" begnügt sich Franz mit der kompositorischen Geste, die melodische Linie einfach "oben" anzusetzen und dann nach unten zu führen. Bei "Wie so stille in den Schlünden" hält das Lied keineswegs einen Augenblick inne (mit einer Viertel- oder Achtelpause etwa), wie man eigentlich erwarten würde, sondern bewegt sich in der vorgegebenen Taktierung einfach weiter hin zur Tonika, die das Strophenende abschließen muss.


    Es ist merkwürdig: Dieser Komponist war Zeitgenosse von Robert Schumann und wurde von diesem bewundert und gefördert. Vergleicht man dieses Lied aber etwa mit dem Opus 39 von Schumann, dann staunt man darüber, wie wenig Robert Franz hier vom Geist der Lyrik Eichendorffs berührt zu sein scheint.


    (Die Besprechung der Pfitzner-Vertonung erfordert einen neuen Beitrag)

  • Das Lied beginnt mit einem Vorspiel aus aufsteigenden gebrochenen Moll-Akkorden. Die Melodie der Singstimme wird im Diskant darein eingelagert und von dieser dann aufgegriffen und wiederholt. Sie besteht aus einer Melodiezeile aus sieben, markant auf den einzelnen Silben deklamierten Tonschritten, die sich, nach einer kurzen Erhebung über der Silbe (A)"bend" hinab zur Tonika bewegen.


    Pfitzner setzt sich hier über die Vorgaben des lyrischen Textes hinweg. Die ersten beiden Verse bilden ja eine Einheit, durch keinerlei Satzzeichen getrennt: Abendlich schon rauscht der Wald / Aus den tiefen Gründen...". Die Erklärung hierfür kann nur sein, dass er der evokativen Wirkung, die von dem Bild des ersten Verses ausgeht (dem abendlich rauschenden Wald), musikalisch auch dadurch ein großes Gewicht geben will, dass er es durch eine nachfolgende Pause isoliert. Pfitzner verfährt hier also anders als Robert Franz, weil er die Empfindungen musikalisch ausdrücken möchte, die dieses Bild bei ihm ausgelöst hat.


    Diese kompositorische Hervorhebung wird auch durch die musikalische Faktur dieser Liedzeile unterstützt: Bei dem Wort "rauscht" ereignet sich eine auffällige rhythmische Verschiebung dadurch, dass in der Gesangsmelodie eine Dehnung erfolgt, die Klavierbegleitung aber in ihrer Taktierung ungerührt weiterläuft.


    Mit dem zweiten Vers ("Aus den tiefen Gründen") steigt die melodische Linie dann nach oben, und auch die gebrochenen Klavierakkorde hellen sich zu einem Perlen auf. Die Singstimme bleibt in diesen hohen Lagen und bewegt sich dabei behutsam um das Bild von den "Sternlein" herum. Die "Stille in den Schlünden" wird melodisch eindringlich beschworen, bevor die Singstimme dann wieder in diese Abwärtbewegung einschwenkt, die auch die erste Zeile melodisch prägt.


    Das Lied strömt große Ruhe aus. Dazu trägt ganz wesentlich die gemessene Bewegung der Singstimme bei, die meist in tiefen und mittleren Lagen verbleibt und sich nur in kleinen Tonschritten nach oben bewegt, getragen von ruhig dahinperlenden, aufgelösten dunklen Klavierakkorden. Moll-Klänge und verminderte Akkordik prägen den harmonischen Grundton.


    Das ist Eichendorffscher Wald, der da besungen wird. Die vielen rhythmischen Verschiebungen zwischen Singstimme und Klavier entfalten, im Einklang mit den enharmonischen Verfärbungen im Klangbild, eine Wirkung, die unüberhörbar werden lässt, dass sich hier ein Komponist von dem Beängstigenden, das in den Versen der zweiten Strophe aufklingt ("Wald und Welt versausen..."), existentiell betroffen fühlte. Der letzte Vers, dieses "Herz, geh endlich auch zur Ruh", kommt ihm als Wunsch hörbar aus der eigenen Seele.

  • An einem letzten Beispiel soll noch einmal gezeigt werden, welche Rolle der musikalische "Ureinfall" bei Hans Pfitzner spielt und welche Auswirkungen dieses kompositorische Prinzip auf die musikalische Faktur des Liedes hat.


    J.v. Eichendorff: DER GÄRTNER
    Wohin ich geh´ und schaue,
    In Feld und Wald und Tal,
    Vom Berg hinab in die Aue:
    Viel schöne, hohe Fraue,
    Grüß ich dich tausendmal.


    In meinem Garten find´ ich
    Viel´ Blumen, schön und fein,
    Viel´ Kränze wohl draus wind´ ich
    Und tausend Gedanken bind´ ich
    Und Grüße mit darein.


    Ihr darf ich keinen reichen,
    Sie ist zu hoch und schön,
    Die müssen alle verbleichen,
    Die Liebe nur ohnegleichen
    Bleibt ewig im Herzen stehn.


    Ich schein´ wohl froher Dinge
    Und schaffe auf und ab,
    Und ob das Herz zerspringe,
    Ich grabe fort und singe
    Und grab mir bald mein Grab.


    Dem Vers "Wohin ich geh´ und schaue" ist eine schlichte Melodie zugeordnet: Viertelnoten g, g, b, es, f, eine halbe Note as und danach wieder ein g. Das ist das musikalische Thema dieses Liedes, der ihm zugrundliegende "Ureinfall". Erstaunlich, was jetzt mit diesem Thema geschieht. Es beherrscht durchgängig die Klavierbegleitung und durchläuft in vielfältiger Modulation viele Tonarten. Durch kanonische Verwendung ruft es den Eindruck des "Kränzewindens" hervor, und am Ende, wenn es bei den Worten "Ich grabe fort und singe" als Kanon kaum mehr von der Stelle kommen will, suggeriert es auf eindringliche Weise tiefe Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Das alles als musikalische "Einkleidung", Untermalung und Interpretation der Gesangsmelodie.


    Diese bewegt sich in der ersten Strophe über einige malerische Hebungen und Senkungen (Feld, Wald, Tal und Aue) ganz zielgerichtet auf ihren ersten Höhepunkt zu: "Grüß ich dich tausendmal." In der zweiten Strophe wird der Gesang inniger, wirkt mehr in sich gekehrt. Bei "Ihr darf ich keinen reichen" (Beginn 3. Strophe) senkt sich die melodische Linie nach unten und verbleibt dort zögerlich, um sich danach in einem großen Bogen hin zu dem Bekenntnis zu bewegen: "Bleibt ewig im Herzen stehn."


    Der meditative Ton kehrt wieder, frischer allerdings, bei den Versen "Ich schein wohl froher Dinge". Bei "Ich grabe fort und singe" nimmt er dann aber einen hart getakteten Rhythmus an, und die melodische Linie fällt wieder ab in tiefe Lagen: "Und grab mir bald mein Grab."


    Das Lied ist damit aber noch nicht zu Ende, wie man vom Text Eichendorffs her meinen möchte. Es kommt ein mehrtaktiges Klavierspiel mit dem Grundmotiv, das man vom Liedanfang her kennt (eben der "Ureinfall!). Und danach folgt in strahlendem Ton noch einmal: "Viel schöne, hohe Fraue // Grüß ich dich tausendmal."

  • Ich erlaube mir noch den Hinweis, dass das Pfitzner-Lied "ZUM ABSCHIED MEINER TOCHTER" auf einen Text von Eichendorff im Thread "Der Abschied im Lied" besprochen wurde (Beitrag 16). Der musikalische "Ureinfall" besteht bei diesem Lied in einem von wiegender Bewegung geprägten Motiv, das gleich am Anfang in der Klaviereinleitung erklingt. Es durchläuft in vielfältiger Abwandlung und harmonischer Modulation das ganze Lied.


    Einen Nachtrag habe ich zum Thema Hans Pfitzner noch zu machen.


    Ich habe ihn mit dem Begriff "rückwärtsgewandt" verbunden. Das war in keiner Weise negativ gemeint. Ich weise darauf hin, weil man diese Haltung Pfitzner ja zum Vorwurf gemacht hat: "deutsch-national versponnen, ewig-gestrig, endzeitgeprägt, rückwärtsgewandt". Es sei aber diesbezüglich darauf hinggewiesen, dass in den letzten Jahren eine neue Sicht auf Pfitzner erfolgt ist. So meint zum Beispiel der Komponist Wolfgang Rihm, dass es angebracht sei, in der Musikliteratur der Vergangenheit auch nach der Wahrheit zu suchen, die im Brüchigen, ja im Scheitern liegt.


    Aus meiner Sicht wäre es durchaus sinnvoll, dem Liedkomponisten Hans Pfitzner einen eigenen Thread zu widmen. Das gilt freilich auch für den nächsten Komponisten, der jetzt ansteht: OTHMAR SCHOECK

  • Der Schweizer OTHMAR SCHOECK ist einer der großen Liedkomponisten des zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn ich ihn mit einem Satz in die Geschichte des Kunstliedes einordnen sollte, würde ich sagen: Seine Lieder sind eine Synthese von Schubert und Wolf - in der Musiksprache des zwanzigsten Jahrhunderts natürlich.


    Wie Hugo Wolf geht er als Liedkomponist vom lyrischen Text aus. Diesem fühlt er sich verpflichtet. Die These, dass der Musik bei der Liedkomposition ein wie immer gearteter Primat zukomme, lehnte er ab. Er sagt (1955):


    "Melodie und Harmonie entstehen bei mir immer gleichzeitig; sie bedingen einander wechselseitig. Es scheint mir unerlässlich, daß schon der erste Takt oder die erste Taktgruppe gleichsam die >Urzelle< des Liedes bilden, daß darin die eigentliche Essenz enthalten sei - was mehr ist als bloße Andeutung des Grundcharakters und der seelischen Stimmung. Die melodischen, harmonischen, rhythmischen und klanglichen Gestaltungselemente müssen sogleich eindeutig festgelegt werden - nicht anders, als es bei einem Symphoniesatz ... der Fall ist."


    Das, was er die "Essenz" eines Liedes nennt, leitet sich für Schoeck, ebenso wie für Hugo Wolf, aus der lyrischen Sprache her. Im Unterschied zu Wolf leuchtet er diese aber nicht mit allen Mitteln der Harmonik und Melodik interpretierend aus, sondern ist bestrebt, das Melos des Verses in eine Melodie zu verwandeln. Hierin, in der Bedeutung, die der Melodie in seinen Liedern zukommt, folgt er seinem großen Vorbild Schubert.


    Man kann also durchaus aus guten sachlichen Gründen von einer Synthese zwischen Schubert und Hugo Wolf sprechen, die Othmar Schoeck in seinen Liedern anstrebt und die er darin auch zustandebringt.


    Schoeck war Schüler Max Regers. Aber seine Lieder haben mit denen seines Lehrers nichts gemein. Ganz im Gegenteil! Auf der einen Seite (Reger) eine Harmonik von fast orchestraler Fülle, auf der anderen, der Schoecks, eine manchmal regelrecht verblüffende musikalische Kargheit.


    Ein ähnlicher Gegensatz besteht auch zu den Liedern Hans Pfitzners, obwohl er doch mit diesem die Idee des musikalischen "Ureinfalls" gemeinsam hat. Nur entwickelt Schoeck aus diesem "Ureinfall", den er "Urzelle" nennt, primär eine Melodie, während Pfitzner darin eher die Quelle zu einem harmonischen Gebilde sieht.


    Wie man die zuweilen ausgeprägte musikalische Kargheit der Lieder Schoecks einschätzen soll, die sich zwischen der klanglichen Opulenz seiner Zeitgenossen Mahler oder Reger ein wenig befremdlich ausnimmt, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall sind seine Lieder von faszinierender Eindringlichkeit.


    Von Eichendorff hat Schoeck insgesamt 24 Gedichte in Liedern für Singstimme und Klavier vertont (wenn ich richtig gezählt habe). In seiner ELEGIE FÜR SINGSTIMME UND KAMMERORCHESTER op.36 hat er weitere Werke dieses Dichters aufgegriffen.


    Zu Eichendorff hatte er schon früh eine tiefe innere Beziehung entwickelt. Ein wenig scheint mir das so wie bei Hans Pfitzner gewesen zu sein, ohne dass er mit diesem den volkstümelnden Nationalismus teilt. Man kann ihn in seiner menschlichen und kompositorischen Grundhaltung durchaus noch einen späten, sogar sehr späten Romantiker nennen. Ich halte es jedenfalls nicht für einen Zufall, dass er seinen Liederzyklus op.20 ausgerechnet mit dem Eichendorff-Lied "NACHRUF" abschloss. In ihm findet sich die Frage: "Was wollen wir nun singen // Hier in der Einsamkeit...?"


    In einem weiteren Beitrag soll auf dieses Lied näher eingegangen werden.

  • An dieser Eichendorff-Vertonung lässt sich die für Schoeck typische Kargheit der Melodik gut hören:


    Eichendorff. NACHRUF
    Die liebe, treue Laute,
    wie manche Sommernacht,
    bis dass der Morgen graute,
    hab ich mit dir durchwacht!


    Die Täler wieder nachten,
    kaum spielt noch Abendrot,
    doch die sonst mit uns wachten,
    die liegen lange tot.


    Was wollen wir nun singen
    hier in der Einsamkeit,
    wenn alle von uns gingen,
    die unser Lied erfreut´?


    Wir wollen dennoch singen!
    So still ist´s auf der Welt;
    wer weiß, die Lieder dringen
    vielleicht zum Sternenzelt.


    Wer weiß, die da gestorben,
    sie hören droben mich
    und öffnen leis die Pforten
    und nehmen uns zu sich.


    Das Lied beeindruckt durch die Schlichtheit seiner melodischen Linie, die sich durch ein Gefilde von Harmonien bewegt, das sie mit seinen wehmütigen Moll-Klängen immer wieder einmal ihrer selbst entfremden will, das aber nicht wirklich schafft. Sie kehrt am Ende in ihr klares und kühles F-Dur zurück.


    Vor mir liegt die photomechanische Reproduktion des Original-Manuskripts. Das Bild, das es bietet, wird beherrscht von den unendlichen Achteln der Klavierbegleitung, die in wunderlicher Symmetrie zwischen Diskant und Bass dahinfließen. Das ist Lautenklang im Dreivierteltakt. Aber er wandert, anders als dies bei seiner strukturellen Schlichtheit zu erwärten wäre, von anfänglichem F-Dur bis hinüber in ein Des-Dur, - über mancherlei harmonisch verminderte Moll-Brücken, um dann am Ende doch wieder im anfänglichen F-Dur zu landen: Da, wo sich leise die Pforten öffnen, damit man aufgenommen werden kann.


    Die melodische Linie, die in diese lautenhaften Klänge schon im zweiten Takt einfällt, ist wirklich von verblüffender Einfachheit: c - a - c -a - f - c - a. Schlichter geht´s kaum.


    Aber merkwürdig: Man meint, den Geist der Eichendorffschen Verse, die ja selbst - wie Heine sagt - von "kristallhafter Klarheit" sind, musikalisch so zu hören, wie sie lyrisch gesprochen sind.

  • Das Eichendorff-Gedicht "NACHRUF" (Text siehe oben) wurde auch von Hugo Wolf vertont. Wie schon mehrfach hier in diesem Thread nutze ich diese Möglichkeit der Doppel- oder Mehrfachvertonung eines Gedichts für die Möglichkeit, die jeweils typischen Akzente herauszuarbeiten, die der Komponist mit seiner Vertonung gesetzt hat. Das kann natürlich nur mit Blick auf die musikalische Faktur des jeweiligen Liedes geleistet werden.


    Wie klingt nun dieses Lied von Hugo Wolf?


    Der erste Eindruck ist eine, im Vergleich zu der Vertonung von Othmar Schoeck, ungewöhnlich große Klangfülle. Die musikalische "Kargheit" der Komposition Schoecks wird einem sofort wieder bewusst.


    In den Einleitungstakten ertönen im Klavier aufgelöste Akkorde, mal statisch, mal perlend. Sie steigen von unten nach oben auf und brechen sich in verminderten Akkorden. Hier soll wohl Lautenklang suggeriert werden.


    Die melodische Linie setzt mit einer einfachen Bewegung ein, gestisch auf den Worten "treue Laute" ruhend. Dabei bleibt es aber nicht. Schon wenn der Morgen graut, bewegt sie sich nach unten und durchläuft mehrere enharmonisch verschobene Tonarten, um dann schließlich bei dem Wort "durchwacht" zur vorläufigen Ruhe zu kommen.


    Ein kurzes Zwischenspiel leitet zur zweiten Strophe über. Ruhe kehrt ein. Die Singstimme setzt tief an: "Die Täler wieder nachten...". Schon das "nachten" trägt wieder einen stärkeren Ton. Danach steigt die melodische Linie an, als sei "das Abendrot" offen für vieles, was noch kommen mag. Aber der folgende Vers wird mit einem "Doch" eingeleitet, und die melodische Linie reflektiert dieses natürlich. Schließlich komponiert hier ein Hugo Wolf. Sie sinkt langsam, aber sehr stetig und konsequent in tiefe Moll-Lagen ab, auf dem Wort "tot" innehaltend. Das Klavier umspielt danach dieses gewichtige Wort, mit Moll-Klängen natürlich.


    Mit dem Vers "Was wollen wir nun singen" hebt das Lied mit den Lautenklängen im Klavier - wie zu Beginn - wieder an. Und wie im Trotz schwingt sich dann die melodische Linie mit dem "Wir wollen dennoch singen" zu strahlenden Höhen auf. Dort kann sie aber nur kurz verbleiben, denn es kommt der Vers "So still ists auf der Welt", und auf diese Stille muss sie natürlich reagieren. Sie verfällt nun in eine Art meditativen Ton, der immer verhaltener wird, und klingt dann mit dem letzten Bild im Piano aus: ..."und öffnen leis die Pforten // und nehmen uns zu sich.


    Es dürfte deutlich geworden sein, dass Hugo Wolf stärker, als dies Othmar Schoeck tut, die punktuellen Aussagen der lyrischen Sprache musikalisch reflektiert. Aber das war ja auch eigentlich zu erwarten, - von seinem ganzen kompositorischen Ansatz her.

  • Ein Lied von Othmar Schoeck auf einen Text von Eichendorff soll noch besprochen werden, damit der Bedeutung dieses Komponisten für die Eichendorff-Rezeption im zwanzigsten Jahrhundert Rechnung getragen wird.


    J.v. Eichendorff: WALDEINSAMKEIT
    Waldeinsamkeit!
    Du grünes Revier,
    Wie liegt so weit
    Die Welt von hier!
    Schlaf nur, wie bald
    Kommt der Abend schön,
    Durch den stillen Wald
    Die Quellen gehn,
    Die Mutter Gottes wacht,
    Mit ihrem Sternenkleid
    Bedeckt sie dich sacht
    In der Waldeinsamkeit,
    Gute nacht, gute Nacht!


    Dieses Lied lebt ganz von den großen, fallenden Tonschritten, die auf die Silben der Verse gelegt sind. Sie bewegen sich auf dem Wort "Wald - ein - sam - keit", vier Silben also, über eine ganze Oktave nach unten. Das ist melodisch sehr beeindruckend, - vor allem, weil danach eine kurze Pause kommt.


    Das Klavier folgt dieser Bewegung der melodischen Linie mit einer harmonischen Wanderung durch mehrere, zum Teil verminderte Tonarten, ohne dass die Melodie der Singstimme davon irgendwie berührt wirkte. Bei "Schlaf nur" verzögert sich die Bewegung der melodischen Linie deutlich, gewinnt aber neues Leben mit den naturschildernden Versen: "Durch den stillen Wald / Die Quellen gehn."


    Bei "Die Mutter Gottes" ereignen sich wieder diese großen Tonsprünge, die in diesem Fall etwas Meditatives an sich haben. Das "gute Nacht" am Ende wirkt wie der Ruf eines Nachtwächters, aber es wird im Klavier umspielt von den Klängen, die der "Waldeinsamkeit" motivisch zugeordnet sind.


    Dieses Lied atmet eine beeindruckende Stille. Frag man sich, wodurch dieser Eindruck musikalisch ausgelöst wird, dann wäre die Antwort: Es sind diese großen Tonsprünge der melodischen Linie, die in einem eigentümlichen Kontrast zu ihrer ansonsten fast volksliedhaften Schlichtheit stehen.

  • Die folgenden Aussagen mögen bitte unter dem Vorbehalt gelesen werden, dass sie nur meinen Kenntnisstand spiegeln. Sie sind nicht durch eine musikwissenschaftliiche Untersuchung abgesichert.


    Othmar Schoeck ist wohl der letzte, der sich als Liedkomponist Eichendorff ganz bewusst gewidmet und sich kompositorisch mit seinen Gedichten - in Form von 24 Liedern für Singstimme und Klavier - auseinandergesetzt hat. Alle anderen Lieder auf Gedichte von Eichendorff, die sich bei Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts vorfinden, sind sozusagen Einzelfälle. Es scheint kein Wille zu einer systematischen und gründlichen kompositorischen Beschäftigung mit dem Werk dieses Dichters dahinterzustehen.


    Es gibt eine Ausnahme: Das ist Aribert Reimann. Deshalb soll auf ihn im letzten Beitrag zu diesem Themenkomplex noch etwas ausführlicher eingegangen werden.


    Einzelne Eichendorff-Lieder finden sich unter anderem bei den Komponisten Max Reger, Alban Berg, Richard Strauss, Julius Weismann, Alexander Zemlinsky, Erich Korngold und Hanns Eisler. Meine Hörerfahrungen zu diesen Liedern möchte ich hier nicht im einzelnen dokumentieren, um diesen Thread nicht zu strapazieren. Zusammengefasst würde ich sagen:


    Die Lied-Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts haben durchaus einzelne Gedichte von Eichendorff aufgegriffen. Das taten sie aber nicht, um den Geist der Lyrik Eichendorffs mit ihren jeweiligen kompositorischen Mitteln zu erfassen und sich dabei auch auf seine lyrische Sprache wirklich einzulassen. Sie "benutzten" seine Verse, um ihr Lebensgefühl als Menschen und Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts musikalisch zum Ausdruck zu bringen.


    Als typisches - und durchaus repräsentatives Beispiel - sei das Lied von ALBAN BERG: "ES WANDELT, WAS WIR SCHAUEN" kurz kommentiert:


    Es wandelt, was wir schauen,
    Tag sinkt ins Abendrot,
    Die Lust hat eignes Grauen,
    Und alles hat den Tod.


    Ins Leben schleicht das Leiden
    Sich heimlich wie ein Dieb,
    Wir alle müssen scheiden
    Von allem, was uns lieb.
    ----------------------------------------
    Was gäb es doch auf Erden,
    Wer hielt´ den Jammer aus,
    Wer möcht geboren werden,
    Hieltst Du nicht droben Haus!


    Du bists, der, was wir bauen,
    Mild über uns zerbricht,
    Daß wir den Himmel schauen -
    Darum so klag ich nicht


    Bemerkenswert ist allein schon, dass Alban Berg nur die beiden ersten Strophen des Eichendorff-Gedichts vertont hat. Die beiden folgenden, in denen die tiefe Gläubigkeit Eichendorffs zum Ausdruck kommt, die ihn vor der inneren Zerrissenheit bewahrt hat, die für viele Vertreter der Romantik zu einem großen Problem wurde, hat er weggelassen. Ein moderner Komponist des zwanzigsten Jahrhunderts konnte sich wohl damit nicht mehr identifizieren.


    Alban Bergs Lied beeindruckt durch eine melodische Linie, die sich, fast schwerfällig und wie tastend, in großen Bögen bewegt, in tiefe Moll-Akkorde im Klavier getaucht. Das alles klingt sehr müde und depressiv, und es versinkt dann mit den Versen "Wir alle müssen scheiden..." in den Abgründen der wie in Splittern hingetupften aufgelösten Moll-Akkorde im Klavier.


    Theodor W. Adorno sieht die "Modernität" Eichendorffs darin, dass seine Lyrik in ihrem dichterischen Gehalt "wahrhaft antikonservativ" sei: "Absage an das Herrschaftliche, an die Herrschaft zumal des eigenen Ichs über die Seele". Diese von Adorno so definierte "Modernität" des Dichters, die ganz wesentlich in der Eigenart seiner lyrischen Sprache gründet, scheint mir von den Liedkomponisten des zwanzigsten Jahrhunderts nicht aufgegriffen worden zu sein.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose