2012 - Wilhelm Backhaus und sein Beethovenbild

  • Spätestens jetzt wird der geneigte Leser bemerken, daß hier eine thematisch verbundene Serie im Entstehen ist.
    Berühmte Pianisten der Vergangenheit (Alfred Brendel könnte schon hinzugezählt werden) und ihre Lesart von Beethoven, seien es nun die Klaviersonaten - oder aber die Konzerte.
    Der Einstieg mit Wilhelm Kempff war nicht gerade fulminant, aber das ist bei sachbezogenen Threads meistens so.
    Theophilus hat irgendwann mal erwähnt, daß vor allem Schnabel als Beethoven-Spieler von Bedeutung sei - und damit hat er zweifellos Recht, aber nur Kempff und Wilhelm Backhaus, dem dieser Thread gewidmet ist haben das Stereozeitalter noch auskosten können, wobei so mancher ihren früheren Mono-Aufnahmen den Vorzug geben mag.



    Zitat

    Zu seinen bekanntesten und bedeutendsten Einspielungen gehören die 32 Beethoven-Sonaten für die britische Decca, die erste Einspielung in Stereo (ausgenommen die „Hammerklaviersonate“ Nr. 29 B-Dur op. 106 in Mono), die den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt und bis heute als in Teilen unübertroffen gilt.


    Technische Schwierigkeiten gab es für den jungen Wilhelm Backhaus nicht – und auch im Alter schlug er sich in dieser Hinsicht beachtlich. Backhaus war ein klug kalkulierender Techniker, eher kühl als emotionsgeladen: Ich empfehle, sich die beiden Pianisten Backhaus und Kempff auf den im Thread enthaltenen Videos vergleichend anzusehen, denn dann wird man sehen , dass Kempff sich der Faszination einer Beethoven-Klaviersonate geradezu hingibt, wogegen Backhaus wie ein kühl kalkulierender Rechner vor dem Flügel sitzt. Jene Sensibilität, die das Spiel Kempffs geradezu ausmacht fehlt Backhaus völlig.
    Auf Tonträger wird das nicht so offenbar, wie auf den Videoaufzeichnungen, welche ja auch Mimik und Körpersprache wiedergibt. Zumindest letztere ist auch im Live Konzert sichtbar, ersteres natürlich nur für die Leute in den vorderen Reihen..
    Backhaus Beethoven ist voluminös – aber gelassen.


    Zumindest das Altersbild macht diesen Eindruck, aber wir bekommen ja hauptsächlich das Bild eines alten Herrn aus Leipzig vorgeführt – vom jungen Backhaus gibt es nur Zeitzeugen .
    Es ist überliefert, dass Backhaus im Konzert überzeugender war als auf der Schallplatte – etwas, das ich bedaure. Aber dennoch – auch das was wir von ihm überliefert bekamen ist beeindruckend genug. Persönlich bin ich der Auffassung, dass es gerade bei Beethoven weniger darauf ankommt, dass man ihn „richtig„ spielt, als vielmehr, dass man zu ihm „etwas zu sagen“ hat. Und das hatte Wilhelm Backhaus zweifellos….


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Da bin ich mit dir ganz einer Meinung, lieber Alfred, Kempff ging in seinem Spiel geradezu auf, er war in dem Moment Beethoven, er spielte ihn nicht, er war Schubert, er spielte ihn nicht, während Backhaus, zumindest kann ich das für Beethoven bestätigen, ihn spielte, wenngleich mit großer Meisterschaft, und das noch mit 85 Jahren, und deswegen möchte ich seine Gesamtaufnahme in meiner Sammlung auch nicht missen. Er gehört zu den großen Alten, und die mag ich nun mal.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Backhaus werden verschiedene Eigenschaften nachgesagt.
    Eine davon ist, das Werk weitgehend ohne persönliche Verfremdungen zu spielen (etwa im Gegensatz zu Kempff), was ihm den Ruf einer gewissen Kühle seiner Interpretationen eingebracht hat (den ich allerdings nicht bestätigen möchte), die andere ist seine geradezu legendäre Zuverlässigkeit in technischer Hinsicht - eine Fähigkeit, die er sich bis ins hohe Alter bewahrt hat.
    Es gibt eine Gesamtaufnahme aller Klaviersonaten in Stereo (EINE Sonate existiert leider nur in MONO) die - ebenso wie jene von Kempff derzeit knapp unter 50 Euro zu haben ist

    Wem das zuviel ist, für den stellt die Serie Eloquence eine Auskoppelung auf 2 CDs zur Verfügung, welch knapp unter 13 Euro zu haben ist - und auf der sich 7 der bekanntesten Beethoven Klaviersonaten befinden...

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Für mich ist WILHELM BACKHAUS für die meisten BEETHOVEN-Werke absolut die Nr. 1. Den öfter gehörten Vorwurf oder Einwand, daß sein Spiel trocken sei , kann ich aus meinem BEETHOVEN-Verständnis nicht gelten lassen. Gerade weil BACKHAUS sein Spiel nicht romantisch überhöht, sondern einen festen, maskulinen Ton pflegt, meine ich, daß er damit dem Wesen und den Intentionen BEETHOVEN's näher kommt als jeder andere Interpret. Und wenn ich ihn dann auch noch am Flügel sitzen sehe, dann erinnert er mich auch physionomisch-optisch und in seiner Haltung noch mehr an den Komponisten! Und in technischer Hinsicht ist man bei BACKHAUS ohnehin immer in besten Händen.



    Einen besonders hohen Stellenwert haben für mich seine exemplarischen Einspielungen der SONATE Nr. 14 (Mondschein), die ich mir als Kontrast aber auch gerne einmal mit dem Altmeister IGNAZ PADEREWSKI anhöre, wie auch die KLAVIERKONZERTE Nr. 1, 2 und 3 mit den WIENER PHILHARMONIKERN unter HANS SCHMIDT-ISSERSTEDT.

    Das 1. KLAVIERKONZERT höre ich auch gerne mit FRIEDRICH WÜHRER unter HANS SWAROWSKY, dessen natürliche, klanglich klare Tongebung mir gefällt und diesem Werk besonders zugute kommt. Für das 3. kLAVIERKONZERT sagt mir auch die von Sachlichkeit und Strenge getragene Einspielung durch ANNIE FISCHER unter FERENC FRICSAY und dem BAYERISCHEN STAATSORCHESTER zu.


    Viele Grüße aus dem derzeit regnerischen Málaga!


    wok

  • Wer immer schon Interesse an der Gesamtaufnahme von Beethovens Sonaten unter Backhaus hatte, dem sei an dieser Stelle Mitgeteilt, daß diese Box derzeit um 20 % reduziert zu haben ist, nämlich um 39.90. Das macht bei 8 CDs einen einzelpreis von ca 4.99 Euro aus ist also billiger als Naxos. Die Tonqualität ist der Zeit entsprechend, dafür handelt es sich um eine der Wichtigsten Veröffentlichungen des 20. Jahrhunderts in Sachen Beethoven-Klaviersonaten.......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Lieber Alfred,


    das youtube-video wurde wie so oft - wegen Beschwerde von wegen Urheberrechtsverletzung - gesperrt. Backhaus als Beethoven-Intepret ist natürlich ein Klassiker - einfach nicht wegzudenken! :)


    Beste Grüße
    Holger

  • Ein erschütterndes Dokument ist Backhaus' letztes Auftreten in seinem Leben, das war in Ossiach (Kärnten) anno 1969, als er Beethovens Sonate op.31/3 nach dem 3.Satz wegen eines Schwächeanfalls abbrechen mußte, ins Spital eingeliefert wurde und 7 Tage später friedlich in den Musikhimmel entschwand.


    Von diesem Konzert gab es auch eine LP, die ich besitze, aber ob es davon auch eine CD gibt, weiß ich nicht. Tamino-Spezialisten wissen dazu sicherlich mehr.


    Das Programm seines letzten Konzerts (Ossiach, Stiftskirche, 26. und 28.6.1969):


    26.6.1969:
    Mozart: Sonate A-Dur KV 331 (mit "Türkischem Marsch")
    Schubert: Impromptus As-Dur D 142/2


    28.6.1969:
    Beethoven: Sonate op.31 Nr.3 (nach dem 3.Satz abgebrochen, nach einer Erholungspause kam Backhaus allerdings wieder zurück und spielte 3 Stücke, und zwar:
    Schumann: Des Abends (a.d.Fantasiestücken op.12, die Nummer 1) und
    Warum (ebenfalls a.d. Fantasiestücken op.12, die Nummer 3)
    und schlußendlich das Impromptus As-Dur D 142/2 von Schubert (wie am 1.Abend).

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage, nämlich nach dem Beethovenbild wie Backhaus es sah, bzw vermittelte.
    Dazu gehört natürlich auch die Frage nach den spieltechnischen Möglichkeiten des Pianisten im Laufe seines Lebens. Um es vorwegzunehmen: Für Wilhelm Backhaus gab es in dieser Hinsicht kein Limit - und das bis in dieletzten Jahre seines Lebens.
    Die Beurteilung von Backhaus durch die Zeitgenossen und Kollegen wandelte sich im Laufe der Jahre, wobei es weniger Änderungen in der Auffassung des Pianisten selbst, sonder an der Änderung des Zeitgeschmacks liegen mochte. Um 1920 wurde ihm sogar eine gewisse Distanz und Kühle, bze Neutralität oder "seelischer Indifferenz" nachgesagt - was in gewisser Weise nicht unrichtig ist, nimmt man die zahlreichen Abweichungen und Freiheiten, welch man bei seinen Kollegen dieser Zeit findet. Die Ausstrahlung äusserster Ruhe, welche man bei Rubinstein immer wieder festgestellt hat wurde zu verschiedenen Zeiten verschieden bewertet und kommentiert. Gelegentlich wurde sein Spiel als seelenlos aber korrekt beschireben, eine Beurteilung, der sich heute jedoch kaum jemand anschliessen wird.
    Wir beurteilen heute Backhaus nch seinen späten Aufnahmen, was kein Nachteil ist, denn seine physischen Kräfte haben - im Gegensatz zu den meisten Pianisten im Alter nicht nachgelassen - jedoch kam eine gewisse Ausstrahlung und ein Leuchten in seine Beethoven Interpretationen, die - bei aller Kraft und Dynamik - nie zum Selbstzweck eines eitlen Virtuosen wurden, sondern. in den Tempi nimmt es sich manchmal einige Freiheiten - aber immer scheinen die Werke dadurch zu gewinnen. Ein interesantes Statement fand ich bei Joachim Kaisers Buch "Große Pianisten in unserer Zeit": "Das klingt nicht abgekartet oder wohl disponiert, sondern selbstverständlich und mächtig - natürlich.......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !