Dieses Lied auf ein Gedicht von Ludwig Uhland steht im Zweiviertelakt und ist mit der Vertragsanweisung „Langsam“ versehen. Es ist ein stilles Lied, in dem sich aus einem von verhaltener Schmerzlichkeit geprägten Anfang ganz langsam eine zarte und klanglich weiche Melodik herausschält.
Aus der Bedrängnis, die mich wild umkettet,
Hab` ich zu dir mich, süßes Kind, gerettet,
Damit ich Herz und Augen weide
An deiner Engelfreude,
An dieser Unschuld, dieser Morgenhelle,
An dieser ungetrübten Gottesquelle.
Die melodische Linie der Singstimme setzt ohne Klaviervorspiel ein. Dreimal wird silbengetreu auf einem „a“ deklamiert und nach einem kleinen Sekundanstieg folgt ein Sextfall, der in einen verminderten Akkord mündet. Das ist klanglicher Ausdruck seelischen Schmerzes. Er durchdringt die melodische Linie die ganze erste Strophe lang. Erst mit dem Vers „an deiner Engelfreude“ tritt ein neuer Ton in das Lied: Die melodische Linie nimmt einen lieblichen Ton an und ist nun in Dur harmonisiert.
Der Eindruck von Schmerzlichkeit und stiller Klage, die lyrisch dem Rückblick auf das vergangene Leben entspringt, kommt im ersten Teil des Liedes nicht nur durch die Moll-Harmonisierung der melodischen Linie und ihre chromatische Führung zustande, er wird auch dadurch noch intensiviert, dass ihre Bewegung immer wieder von Pausen unterbrochen wird. Nur dann, wenn das Kind angesprochen wird, kommt ein Ton von Zärtlichkeit in die Vokallinie. Bei den Worten „die mich“ beschreibt sie einen kleinen melodischen Bogen in hoher Lage, zu dem Schoeck die Anweisung „zart“ vorgibt.
Bezeichnend ist aber, dass auch hier die Schmerzlichkeit des Rückblicks nicht ganz verdrängt werden kann. Die Worte „süßes Kind“ und „gerettet“ sind rhythmisch durch Pausen hervorgehoben und in ihrem Bekenntnischarakter klanglich akzentuiert. Aber bei dem Wort „Kind“ erklingt überraschend ein verminderter Terzsprung in chromatischer Harmonisierung, der klanglich spüren lässt, welche seelische Last in dieses Kind projiziert wird.
„Zart“ lautet die Anweisung zum Vortrag der Vokallinie, die auf den letzten drei Versen liegt. Sanft und mit behutsamen Schritten setzt sie ein und beschreibt über dem Wort „Unschuld“ einen kleinen melodischen Bogen. Zum Wort „Morgenhelle“ hin macht sie einen Sextsprung hin zu einem hohen „dis“ und fällt danach in zwei lang gedehnten Sekundschritten auf ein hohes „h“ ab.
Und noch einmal erfolgt mit dem letzten Vers („an dieser ungetrübten Gottesquelle“) ein Aufstieg der melodischen Linie in hohe Lage mit nachfolgendem überaus behutsamem Niedersteigen, das, weil noch einmal ein kleiner Bogen beschrieben wird, überaus lieblich wirkt. Die melodische Linie endet nicht auf dem Grundton, sondern auf der Terz und wirkt deshalb wie unvollendet. Das Klavier übernimmt ihre Bewegung und führt sie bei den letzten Takten des Liedes zu Ende.