Ich komme noch einmal kurz auf den Erlkönig zu sprechen.
Die einzige Interpretation, die wirklich drei Rollen hörbar macht, ist diejenige von Elisabeth Schwarzkopf. Denn nicht nur das leidende Kind und der sonore Vater, sondern zumal der unabweislich in falscher Freundlichkeit, unter der Böses lauert, intonierte Elfenkönig machen das Ereignis dieser Schubertlektüre aus.
Nun wage ich dennoch zu behaupten, daß nur die deklamatorische Virtuosität der Schwarzkopf diesen Erlkönig erschafft. Zieht man die aufgesetzte Rollenzeichnung ab, ereignet sich in Schuberts Musik - man nehme eine beliebige Dieskau-Version - eigenartig wenig Dämonisches in der Partie des Titelhelden. Die ziselierte Fioritur auf "Gar schöne Spiele spiel ich mit dir" wird doch dem sprechbaren Gehalt dieser doppelbödigen Zeile kaum gerecht. Allzu idyllisch und behaglich sind diese imaginären Freuden ausgemalt; auch das appellative "Komm! Geh mit mir!" zerschmilzt in der Kantilene zu einer unverbindlichen Geste jenseits aller zweideutigen Heimlichkeit.
Es ergibt sich der eigenartige Widerspruch, daß Schuberts Vertonung ihre Dämonie aus dem Diesseits des Galoppritts mit seinem Realismus bezieht, nicht aus der Welt der Geister (darin "Gretchen am Spinnrad" mit ihrer konkreten Mechanik vergleichbar). Zu dem flirrenden Dur der tänzelden Erlkönigstrophen muß etwas Außermusikalisches hinzukommen, damit der Erlkönig tatsächlich auch in der vertonten Ballade jene Dämonie erzeugt, die in den Angstschreien des Knaben ihr greifbares Echo findet.