Schubert und Goethe. Wie große Lyrik zu großer Liedkunst wurde

  • Ich komme noch einmal kurz auf den Erlkönig zu sprechen.


    Die einzige Interpretation, die wirklich drei Rollen hörbar macht, ist diejenige von Elisabeth Schwarzkopf. Denn nicht nur das leidende Kind und der sonore Vater, sondern zumal der unabweislich in falscher Freundlichkeit, unter der Böses lauert, intonierte Elfenkönig machen das Ereignis dieser Schubertlektüre aus.


    Nun wage ich dennoch zu behaupten, daß nur die deklamatorische Virtuosität der Schwarzkopf diesen Erlkönig erschafft. Zieht man die aufgesetzte Rollenzeichnung ab, ereignet sich in Schuberts Musik - man nehme eine beliebige Dieskau-Version - eigenartig wenig Dämonisches in der Partie des Titelhelden. Die ziselierte Fioritur auf "Gar schöne Spiele spiel ich mit dir" wird doch dem sprechbaren Gehalt dieser doppelbödigen Zeile kaum gerecht. Allzu idyllisch und behaglich sind diese imaginären Freuden ausgemalt; auch das appellative "Komm! Geh mit mir!" zerschmilzt in der Kantilene zu einer unverbindlichen Geste jenseits aller zweideutigen Heimlichkeit.


    Es ergibt sich der eigenartige Widerspruch, daß Schuberts Vertonung ihre Dämonie aus dem Diesseits des Galoppritts mit seinem Realismus bezieht, nicht aus der Welt der Geister (darin "Gretchen am Spinnrad" mit ihrer konkreten Mechanik vergleichbar). Zu dem flirrenden Dur der tänzelden Erlkönigstrophen muß etwas Außermusikalisches hinzukommen, damit der Erlkönig tatsächlich auch in der vertonten Ballade jene Dämonie erzeugt, die in den Angstschreien des Knaben ihr greifbares Echo findet.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zit.: "Die einzige Interpretation, die wirklich drei Rollen hörbar macht, ist diejenige von Elisabeth Schwarzkopf. "


    Danke für den - indirekten - Hinweis auf einen Aspekt, der in diesem Thread keine Berücksichtigung findet, - finden kann, von seinem Ansatz her. Das ist zweifellos ein Manko, denn Lieder müssen erklingen, also sängerisch interpretiert werden, damit all das zum Ausdruck kommen kann, was der Komponist in sie hineingelegt hat.


    Gleichwohl finde ich, dass erst einmal eine Grundlage dafür gelegt werden muss, damit man wirklich kognitiv fassen kann, was ein Interpret aus einem Lied in der sängerischen Konkretion macht.


    Das gilt auch für die sängerische Gestaltung des "Erlkönig" durch Elisabeth Schwarzkopf, die ich kenne und sehr wohl großartig finde. Aber ich kann ihre interpretatorische Qualität erst dann wirklich einschätzen, wenn ich mich auf das Lied hörend und vielleicht auch noch Noten lesend eingelassen habe. Und dies in der Absicht, auf der Grundlage seiner Faktur zu verstehen, was Schubert musikalisch sagen wollte. Dann erst vermag ich nämlich zu erfassen, ob und wie weit der Dämonie der Figur des "Erlkönigs" in einer sängerischen Interpretation Rechnung getragen wurde.

  • wenn ich mich auf das Lied hörend und vielleicht auch noch Noten lesend eingelassen habe.


    ... in welchem Zusammenhang man auf die ungemein verdichtete melodische Bezogenheit der Sprechrollen aufeinander verweisen könnte. Die Intervallfolge der Phrase "Durch Nacht und Wind" erscheint, nur die zuletzt aufsteigende Quint gegen die fallende Quart vertauschend, zu den Worten "Du liebes Kind". Die Phrase "Siehst Vater, du" ist auch den Worten "du mit mir gehn" unterlegt.


    Ganz entscheidend für die Faktur scheint mir die auch für Schubert ungewöhnliche Dissoziation von lyrischem Metrum, dessen gehetzte Daktylik ganz dem Klavier überantwortet wird, und davon befreiter gesanglicher Phrase, die sozusagen Goethes gebundenen Vers in dramatische Prosa zurückverwandelt. Das entscheidende Stilmittel ist dabei die auch von Dir benannte Vokalsilbendehnung - für die Zeitgenossen muß das Ergebnis von außerordentlicher Kühnheit der künstlerischen Freiheit gezeugt haben.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zit.: " ... für die Zeitgenossen muß das Ergebnis von außerordentlicher Kühnheit der künstlerischen Freiheit gezeugt haben."


    Ja, so was das auch! Ich hatte in meiner Besprechung mit der Bemerkung darauf hingewiesen: " In schrill-dissonanter Form artikuliert das Kind sein Entsetzen (Schuberts Zeitgenossen waren darüber erschrocken). "


    Dietrich Fischer-Dieskau meint dazu: "Der Aufschrei "Mein Vater, mein Vater!" bringt dann jene Nonen, die den ersten Zuhörern zu schaffen machten und deren Richtigkeit der einsichtige Ruzicka ihnen demonstrieren mußte." Und dann fügt er etwas noch sehr Wichtiges an: "Trotz solch neuerischer Dämonie verläßt Schubert nie die Grenzen des musikalisch Schönen im ästhetischen Sinne von Eduard Hanslick".

  • Einer meinte einmal zu diesem Lied: „Nibelungenwelt kocht darinnen…, Vorspiel zu Wagner“ (W. Vetter, Der Klassiker Schubert). Das ist wohl ein wenig weit hergeholt, verweist aber auf die Außergewöhnlichkeit dieser Komposition. Dergleichen hatte man in der Welt des Liedes zu Schuberts Zeiten noch nicht vernommen. Hier nimmt einer den ungezügelten Fluss der rhythmisch freien Verse Goethes wörtlich und macht eine Musik daraus, die wahrlich „über Stock und Stein“ „frisch ins Leben hinein“ „holpert“. Wer reißt hier wen mit? Der lyrische Text die Musik? Oder diese jenen? Fast möchte man meinen, dass Schubert Goethes Versen mehr Dynamik und Expressivität verliehen hat, als ihnen selbst eigen ist.


    Der Schubert-Biograph Peter Gülke sieht das auch so, wenn er unter Bezugnahme auf die „überrennend gleichmäßige Achtbewegung“ des Liedes anmerkt: „Diese bildet die musikalische Essenz des hochfahrend-rücksichtslosen Lebensüberschwangs, der das >in der Postchaise den 10. Oktober 1774< entstandene Gedicht prägt, und erstattet ihm beinahe zurück, was ihm des Verfassers kleinmütige Revisionen genommen hatten.“


    In der Tat hat Goethe vor der Veröffentlichung dieses Gedichts die oben dargestellten Veränderung vorgenommen, die ihm im späteren Rückblick auf den – wie er meinte – anmaßenden Überschwang des Sturm und Drang-Geistes notwendig erschienen. Schubert hat die ursprüngliche Fassung des Schlusses nicht zur Vorlage für sein Lied genommen, statt dessen jene, in denen Goethe aus der hier aufklingenden Hybris eine Art gastliche Idylle machte. Bei Hören seines Liedes hat man aber durchaus den Eindruck, dass es vom Geist der Urfassung dieses Gedichts beflügelt wurde.


    Auf etwas ist noch hinzuweisen. Schubert betreibt im Klaviersatz dieses Liedes keine simple Klangmalerei. Er ist integraler Bestandteil der musikalischen Faktur, die darauf abzielt, im Zusammenwirken von Singstimme und Klavier der Aussage des dichterischen Textes und seiner lyrischen Bilder einen dies alles so weit wie möglich ausschöpfenden und da und dort auch gleichsam potenzierenden musikalischen Ausdruck zu verleihen.

  • Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
    Wer nie die kummervollen Nächte
    Auf seinem Bette weinend saß,
    Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.


    Ihr führt ins Leben uns hinein,
    Ihr laßt den Armen schuldig werden,
    Dann überlaßt ihr in der Pein:
    Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.


    Diese Verse des „Harfners“ aus Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ nannte ein kluger Interpret – es war Kurt Klinger - einmal: „Gesang eines Genius der Verlassenheit“. Den Begriff „Genius“ hat er dabei zwar von Goethe entliehen, gleichwohl trifft seine Formulierung den Kern der Sache. Hier äußert sich ein lyrisches Ich, das eine geheime Schuld mit sich herumträgt, auf eine erschütternde Weise. Erschütternd ist diese Äußerung deshalb, weil sie – und das ist ganz und gar der Lyriker Goethe – in einer sprachlich ungeheuer direkten, gleichsam unverblümten und auf alle Metaphorik verzichtenden Form erfolgt.


    Beide Strophen bilden je eine syntaktische Einheit. Die ersten drei Verse führen den Leser nicht nur von ihrer Syntax her, sondern auch von ihren jeweiligen lyrischen Aussage wie unweigerlich zur Aussage des vierten Verses hin: Und diese ist von einer fast erschreckenden sprachlichen Härte. Intensiviert wird dieser Effekt des Hingeführt-Werdens auf das Strophenende auch durch den jeweils gleichlautenden Anfang der ersten beiden Verse.


    Hier spricht sich ein bis ins Innerste erschüttertes lyrisches Ich, das ganz und gar ohne Hoffnung und Zukunftsperspektive ist, mit schonungsloser Direktheit aus. Angeklagt werden die Mächte, die den Menschen in eine von ihnen geschaffene Welt werfen und danach mit der Schuld, die er in diesem Leben wie zwangsläufig auf sich lädt, alleine lassen. Der Harfner nennt sie „himmlische Mächte“, ohne diesen Begriff in irgendeiner Weise zu konkretisieren und deutlich werden zu lassen, ob dahinter christliche Gottesvorstellungen stehen.


    Im Grunde ist das auch unwichtig. Denn die Lebenserfahrung dieses alten Harfners mündete in die Erkenntnis, dass der Mensch in der „Geworfenheit“, die das Wesen seiner Existenz ausmacht, hilflos Zwängen und Mächten ausgeliefert ist, gegen die er nichts ausrichten kann, und die ihm, wenn er ihnen eine personale Identität beimisst, in ihrer Gleichgültigkeit dem Menschen gegenüber regelrecht grausam und zynisch erscheinen müssen.

  • Dieses Lied liegt in drei Fassungen vor. Die beiden ersten entstanden im September 1816, bei der dritten handelt es sich um die Druckfassung von den „Gesängen des Harfners“ op.12 von 1822. Ein vergleichender Blick lohnt sich, weil er hinsichtlich der Arbeitsweise Schuberts und der Entwicklung seiner spezifischen Liedsprache höchst aufschlussreich ist.


    Bei der ersten Fassung handelt es sich um ein reines Strophenlied auf der Grundlage eines Zweivierteltakts. Die melodische Linie der Singstimme setzt ohne Vorspiel auftaktig ein und besteht bei den ersten drei Versen der Strophe aus einer im Sinne des Sechsachteltaktes leicht rhythmisierten Fallbewegung. Dreimal setzt sie in hoher Lage an und bewegt sich im Wechsel von punktierten Achtelnoten und Vierteln nach unten. Die Worte „kummervollen Nächte“ werden allerdings auf einer aufwärts gerichteten Bogenbewegung deklamiert. Immer wieder sind melodische Verzierungen in die Vokallinie eingelagert, so etwa bei den Worten „Bette“, „weinend“ und „himmlischen Mächte“, - dies in Gestalt von bogenförmig aufeinander folgenden Sechzehnteln. Die Worte „ihr himmlischen Mächte“ werden wiederholt. Dies zwar auf ähnlich strukturierter melodischer Linie, im zweiten Fall jedoch eine Terz tiefer ansetzend, so dass am Ende der Grundton „a“ erreicht wird. Auf der Silbe „himm“- liegt dabei jeweils eine Dehnung in hoher Lage.


    Der Klaviersatz ist sehr einfach angelegt. Er besteht im wesentlichen aus einer akkordischen Begleitung der Singstimme. Nur bei der langen melodischen Dehnung auf dem Wort „saß“ laufen im Diskant Sechzehntel in Terzschritten nach oben. Aus diesen ist auch das zweitaktige Nachspiel angelegt.


    Diese Fassung hat Schubert sehr rasch verworfen, denn noch im gleichen Monat machte er sich erneut an die Komposition dieses Harfner-Gesangs. Die melodische Linie der Singstimme bewegt sich bei der Erstfassung zwar in enger Anlehnung an den lyrischen Text und versucht dessen Schlüsselworte mit expressiven Zierelementen zu akzentuieren. Sie ist aber nicht in der Lage, die zentrale dichterische Aussage in musikalisch adäquater Weise zu erfassen. Vor allem erwies sich auch das Modell des Strophenliedes angesichts des unterschiedlichen Gehalts der beiden Strophen als ungeeignet. Für den letzten Vers der zweiten Strophe ist die melodische Linie, die auf dem letzten Vers der ersten liegt, ganz einfach unpassend.

  • Die zweite Fassung unterscheidet sich von der ersten fundamental: Es handelt sich nicht um eine Überarbeitung der ersten, sondern um ein neues Lied, das mit dem ersten nur gemeinsam hat, dass es ebenfalls in a-Moll steht. Schubert hat es für erforderlich gehalten, sich von den formalen dichterischen Vorgaben zu emanzipieren, um der lyrischen Aussage, die im Zentrum der beiden Strophen steht, kompositorisch besser gerecht werden zu können. Der erste wesentliche Schritt dazu war die Durchkomposition. Und damit einher ging eine Neugestaltung der melodischen Linie der Singstimme und die Komposition eines Klaviersatzes, der eine eigene musikalische Expressivität im Zusammenspiel mit der Singstimme entfaltet.


    Schon dass das Lied ein viertaktiges Vorspiel aus fallenden Sechzehnteln in Gestalt eines Seufzermotivs besitzt, zeigt, dass dem Klaviersatz größere Bedeutung zukommt. Es handelt sich um eine zweigliedrige melodische Figur, die nach dem Zweivierteltakt rhythmisiert ist, der dem Lied zugrundliegt. Auch jetzt dominiert am Liedanfang die Fallbewegung in der melodischen Linie der Singstimme. Aber sie wirkt nun, als sei sie auf das lyrisch Wesentliche reduziert und konzentriert. Am Ende der beiden ersten Verse der ersten Strophe hält die Abwärtsbewegung der Vokallinie inne, und die letzten Silben werden auf einer Tonhöhe deklamiert. Das bewirkt eine wesentlich größere melodische Expressivität, die der Klaviersatz mit seinem Wechsel aus oktavischen Achteln im Bass und Dreiergruppen von akkordischen Sechzehnteln noch steigert.


    Bei den Worten „seinem Bette weinend saß“ beschreibt die Vokallinie zweimal die gleiche abwärts gerichtete melodische Figur und steigt dann in Terz- und Sekundschritten zu einem hohen „fis“ bei dem Wort „himmlischen“ empor, auf dem eine lange Dehnung liegt. Auch hier trägt der Klaviersatz durch eine aufwärts gerichtete Folge von Sechzehntel-Akkorden zur Steigerung des Ausdrucks der Vokallinie wesentlich bei. Die Dynamik pendelt dabei ständig zwischen Forte und Piano hin und her.


    Vor der zweiten Strophe erklingt das Vorspiel in unveränderter Form als Zwischenspiel. Bei den ersten beiden Versen der zweiten Strophe ist die melodische Linie im wesentlichen die gleiche wie am Liedanfang. Allerdings ist die Tonart nun fis-Moll. Bei den Worten „Denn alle Schuld rächt sich auf Erden“ steigt die Vokallinie in markanten Sekund- und Terzschritten in höhere Lage empor, und im Zusammenhang damit erfolgt eine harmonisch ungewöhnliche Modulation nach es-Moll. Nach einer fast zweitaktigen Pause, in der der Klaviersatz zu chromatisch wirkenden Sechzehntelakkord-Repetitionen übergeht, werden die Worte „Wer nie sein Brot mit Tränen aß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte“ deklamiert. Dabei gipfelt die melodische Linie, die sich nun in markant langsamen Schritten bewegt, bei den Worten „der kennt“ kurz auf, verharrt danach in silbengetreuer Deklamation erst einmal auf einem Ton und senkt sich dann in Gestalt einer kleinen Bogenbewegung zu einem abgrundtiefen „c“ ab. Hier, wie überhaupt häufig in diesem Lied, ereignen sich starke harmonische Modulationen im Mol-Bereich.


    Das Nachspiel greift die Motive des Vorspiels auf. Unüberhörbar ist, dass diese Neufassung des Liedes der dichterischen Aussage weitaus mehr gerecht wird als die erste.

  • Lieber farinelli,


    ich beziehe mich auf Deine Beiträge Nr. 151, 153 hier. Bevor ich zur Interpretation von Frau Schwarzkopf komme, möchte ich mein Problem kurz ansprechen:

    Ist eine Frauenstimme das richtige „Instrument“, diese Ballade vorzutragen? Man könnte dies für richtig halten mit dem Hinweis, Bänkel-, Moritaten- und Küchenlieder wurden geschlechtsneutral vorgetragen, also konnte z. B. eine Frau durchaus die Moritat über einen männlichen Gewaltverbrecher vorsingen. Nun meine ich damit natürlich keinesfalls, das Gedicht Goethes sei eine Moritat; es geht mir nun um den geschlechtsrichtigen Vortrag einer vertonten Ballade. Ich glaube, es ist unbestritten, dass z. B. „Die Winterreise“ von einem Tenor oder Bariton vorzutragen und eine Frauenstimme da fehl am Platz sei. Könnte das für den Erlkönig auch zutreffen?


    Zu dem Gedicht/der Ballade von Goethe:
    Die Strophen 1 und 8 enthalten den „Sachbericht“ ohne direkte wörtliche Rede.
    Die Strophen 2, 4, 6 stellen die Dialoge zwischen Vater und Sohn dar.
    Die Strophen 3, 5, 7 geben das direkte, wörtliche Sprechen des Erlkönigs wieder – und nur diese Strophen stehen in „…“ (alle Einträge der Ballade der Erlkönig bei Wikipedia sind so im Druckbild – ich habe leider „auf die Schnelle“ keinen anderen Zugriff). Nun könnte eingewendet werden, dass die Dialoge zwischen Vater und Sohn auch ohne „…“ zweifelsfrei verständlich sind und die Rede des Sohnes und die Antwort des Vaters, jeweils in getrennten „…“ zu setzen, die Verständlichkeit nicht erhöhen, u. U. sogar verschlechtern würde.
    Daraus folgt für mich: Die direkten, wörtlichen Reden in Goethes Gedicht/Ballade sind als wörtliche Reden gemeint und als solche auch so vorzutragen. Und ganz gleich ob der Sohn nun tatsächlich einen Erlkönig (keine „…in“) sieht oder dies nur Bilder in seinem Fieberwahn sind (der Knabe ist schwer krank, hat sehr hohes Fieber, weswegen er ja dann auch stirbt und die Gewalt des Erlkönigs, das „jetzt fasst er mich an“, kann als „die Hand des Todes“ verstanden werden) – der Erlkönig ist männlich.
    Warum sollte in den Strophen 3 und 5 die Heimtücke des Erlkönigs bereits sichtbar, spürbar (und in der Vertonung bereits hörbar) sein? Das wäre kontraproduktiv für sein Vorhaben und der Text von Goethe ist genau darauf abgestimmt, jede Anzüglichkeit auf die wahren Absichten des Erlkönigs zu vermeiden und mit „Engelszungen“ das Vertrauen des Knaben zu gewinnen. Erst als dies misslingt, zeigt er in der 7. Strophe sein wahres Gesicht. Und dieser Diktion Goethes ist m. E. Schubert perfekt und höchst eindringlich in seiner Vertonung gefolgt. Die eigentlich durch Nichts erklärliche Überreaktion des Knaben ist nur durch seinen Fieberwahn und den dadurch dem Tode nahen Krankheitszustand begründet.


    So hervorragend die Interpretation von Frau Schwarzkopf sein mag, das ist für mich das falsche „Instrument“, die Stimme hat das falsche Geschlecht.


    Viele Grüße
    zweiterbass


    Nachsatz: Ob Goethe mit dem Erlkönig nicht überhaupt den „Todesengel“ gemeint hat und die Fieberwirren des Knaben dessen Todesahnungen sind?

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • In seinem Buch „Schubert, Ein musikalisches Porträt“ (Zürich 1952) vertrat Alfred Einstein, die Harfner-Lieder betreffend, die Auffassung: „Es ist Schuberts erster großer Zyklus“. Diese Einschätzung hat in der Musikwissenschaft weitgehend Zustimmung gefunden, und das sollte man bedenken, wenn man von der Schönen Müllerin“ als Schuberts angeblich erstem Liederzyklus spricht.


    Der „zyklische Charakter“ der drei Lieder gründet nicht darin, dass sie von Schubert im Dezember 1822 als Opus 12 zusammen publiziert wurden. Im Grunde ist es die zentrale Gestalt des „Harfenspielers“, die ihn gleichsam konstituiert. In dieser Gestalt aus Goethes „Wilhelm Meister“ begegnete Schubert einem der zentralen Motive seines Liedschaffens: Dem einsamen und letztlich ziellosen Wanderer. Die Tatsache, dass alle drei Lieder in a-Moll stehen, ist sicher kein Zufall. Schubert verstand sie im Prozess ihrer Entstehung, der ja beim ersten und zweiten Lied mehrere Fassungen mit sich brachte, von vornherein als eine – eben zyklische – Einheit.

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  • In der dritten, der Druckfassung des Liedes, hat Schubert den Prozess der kompositorischen Emanzipation von den dichterisch-formalen Vorgaben, der bereits bei der zweiten Fassung zu beobachten war, mit äußerster Konsequenz weitergeführt. Das Prinzip, von dem er sich dabei leiten ließ, könnte man mit den Worten umschreiben: Er brauchte mehr Musik, um die dichterische Aussage voll zum Ausdruck zu bringen und musste deshalb zu einer vollständigen Wiederholung der ersten und einer zweifachen Wiederholung der zweiten Strophe greifen. Aber auch die musikalische Expressivität des Klaviersatzes erfährt eine weitere Steigerung, und die Bandbreite der Dynamik ist buchstäblich auf die Spitze getrieben.


    In der Gestaltung der melodischen Linie der Singstimme findet Schubert hier nun gleichsam zu seinem liedkompositorischen Wesen. Jegliche durch den zugrundeliegenden Takt nahegelegte Skandierung des lyrischen Textes, wie sie noch in den vorangehenden Fassungen praktiziert wurde, wird nun aufgegeben. Die melodische Linie der Singstimme bewegt sich nun in vollkommener Übereinstimmung, gleichsam in Symbiose mit der Sprachmelodie. Lyrische Sprache ist in musikalische verwandelt.


    Das Vorspiel der zweiten Fassung ist nun nicht nur taktmäßig verdoppelt, es ist auch klanglich anders ausgerichtet: Nicht mehr Seufzermotive prägen es, sondern der Ton der Harfe. Allerdings ist es ein feiner, sanfter und ganz und gar in schmerzliches Moll getauchter Ton. Pianissimo setzt alles ein, und am Ende mündet es über arpeggierte Akkorde in ein Piano-Pianissimo von in große Tiefe fallenden Akkorden.


    Auch hier setzt die melodische Linie mit fallenden Bewegungen ein. Aber es sind nur zwei Melodiezeilen, die in fast gleicher Wiese so strukturiert sind, und ihre Deklamation erfolgt in vollkommener Einheit mit der sprachlichen Struktur der beiden ersten Verse. Klanglich bestechend dann der Anstieg der melodischen Linie bei den folgenden Versen. Mit den Worten „auf seinem Bette“ einsetzend, bewegt sich die Singstimme, vier Mal jeweils auf einem Ton deklamierend, im Sekundschritt nach oben und beschreibt dann bei den Worten „himmlischen Mächte“ einen mit Dehnung versehenen, weit gespannten und am Ende in Gestalt eines Melismas fallenden melodischen Bogen. Das ist vollkommene Schubertsche Melodik!


    Klanglich stark prägend wirken die aufsteigenden Achteltriolen im Klavierdiskant, die schon nach dem ersten Vers der ersten Strophe einsetzen und die Singstimme bis zum Ende begleiten. Eine Ausnahme bildet jenes Verspaar, in dem Klage erhoben wird: „Ihr führt ins Leben uns hinein…“. Hier ist größerer musikalischer Nachdruck erforderlich, und deshalb sind die triolischen Achtel durch arpeggierte Akkorde ersetzt. Dies ist auch bei der Wiederholung der Strophe der Fall.


    Bei der Wiederholung der ersten Strophe erklingt die Vokallinie in zunächst unveränderter Form noch einmal, nun allerdings in A-Dur harmonisiert. Eine Änderung kommt dann allerdings bei den Worten „himmlische Mächte“ in ihren Verlauf. Die melodische Dehnung in hoher Lage auf der Silbe „himm“- ist nicht nur länger, die Vokallinie verharrt auch bei dem Wort „Mächte“ darauf, wobei sich eine äußerst markante harmonische Rückung ereignet. Am Ende macht die Singstimme in Gestalt eines Melismas einen ausdrucksstarken Sekundsprung, der ebenfalls in eine Dehnung mündet. Innerhalb dieser drei Takte geht die Dynamik vom Forte ins Piano über.


    Die zweite Strophe erklingt überraschend in B-Dur. Die melodische Linie der Singstimme entfaltet hier große Eindringlichkeit, indem zunächst syllabisch exakt auf einer tonalen Ebene deklamiert wird, dann aber – bei einer Rückung nach b-Moll – eine Bewegung beschrieben wird, die ein ausgeprägtes Melisma aufweist. Den Worten „den Armen schuldig werden“ wird auf diese Weise der ihnen gebührende Nachdruck verliehen. Im Klavier erklingen derweilen arpeggierte Akkorde. Der Vers „Dann überlasst ihr ihn der Pein“ wird auf einem einzigen Ton deklamiert. Und spätestens jetzt vernimmt man in diesem Lied neben dem Ton der Klage auch jenen des Vorwurfs, der Anklage. Ein Crescendo tritt in die Vokallinie. Der Vers „Denn alle Schuld rächst sich auf Erden“ wird auf einer weit gespannten Bogenlinie deklamiert, innerhalb derer die Dynamik von Forte ins Pianissimo absinkt und eine Rückung nach A-Dur stattfindet. Auch dies ist eine überaus expressive Passage des Liedes.


    Die Wiederholung dieser Strophe steht in b-Moll. Die melodische Linie der Singstimme wirkt jetzt noch eindringlicher, weil die kurzschrittige und bogenförmig in große Höhe ausgreifende Deklamation jeweils am Ende des Verses in eine Dehnung mündet. Das b-Moll geht dabei in As-Dur über. Und beim letzten Vers erfolgt eine weitere Steigerung der Expressivität dadurch, dass auf dem Wort „Schuld“ ein Terzsprung erfolgt und danach die melodische Linie wie erschlaffend in Sekunden abfällt. Das Wort „Schuld“ wirkt in hoher Lage fortissimo wie herausgestoßen. Bei dem über fünf melodische Schritte gedehnten Wort „Erde“ mündet nimmt sich die Vokallinie ins Pianissimo zurück.


    Pianissimo werden auch noch einmal die letzten drei Verse der zweiten Strophe deklamiert. Hier dominiert in der melodischen Linie die Fallbewegung, die zweimal in Gestalt von Triolen erfolgt, am Ende sich aber als langsames Herabsteigen der Vokallinie in r tiefe Lage vollzieht, wobei eine harmonische Modulation nach D-Dur erfolgt. In diese große und von resignativer Klage erfüllte Stille dröhnen am Ende zwei fortissimo angeschlagene und lange gehaltene Akkorde, denen dann ein letzter im Pianissimo folgt. Das wirkt wie ein gewaltsames Aufbegehren gegen das Los, das dem Menschen von den „himmlischen Mächten“ auferlegt ist.


    In seinem Bestreben, die dichterische Aussage in so vollkommener Weise wie möglich musikalisch zu erfassen und zum Ausdruck zu bringen, hat Schubert in seiner letzten Fassung des Liedes sich Goethes Gedicht anverwandelt. Er hat ihm aus dessen Sicht gleichsam Gewalt angetan, und das konnte ihm nicht gefallen. Aber das war in einem höheren Sinne unvermeidlich.

  • An die Türen will ich schleichen,
    Still und sittsam will ich stehn;
    Fromme Hand wird Nahrung reichen,
    Und ich werde weiter gehn.


    Jeder wird sich glücklich scheinen,
    Wenn mein Bild vor ihm erscheint;
    Eine Träne wird er weinen,
    Und ich weiß nicht, was er weint.


    Nachdem die Unterkunft der Schauspielergesellschaft abgebrannt und damit auch ihr ganzer Fundus vernichtet war, hört Wilhelm, „in einer Laube sitzend“ einen Gesang, den er als überaus traurig empfand. Er kam von dem Harfenspieler, der, wie Wilhelm wusste, diesen verhängnisvollen Brand selbst gelegt hatte. Und weiter heißt es in Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“:
    „Das Lied, das er sehr wohl verstehen konnte, enthielt den Trost eines Unglücklichen, der sich dem Wahnsinne ganz nahe fühlt. Leider hat Wilhelm davon nur die letzte Strophe behalten.“


    Man meint, diese Nähe zum „Wahnsinn“ in diesen Versen vernehmen zu können. Alle Gesänge dieser geheimnisvoll-schicksalsbeladenen Gestalt des Harfners sind von einer sprachlich elementaren, geradezu karg, ja schroff wirkenden Einfachheit und Direktheit. Das macht ihre dichterische Größe aus. Bei diesen Versen nun schlägt dieser lyrische Grundton in sprachliche Armut um.


    Besonders auffällig ist das weniger bei den lyrischen Bildern, als vielmehr beim Reim, auf den die Verse enden. Bei den ersten vier Versen liegt lyrisch sozusagen alles noch im Rahmen der Normalität. Ein Kreuzreim vereint sie, und sie drücken in ausdrucksstarken Bildern das Vorhaben eines Menschen aus, der zum Bettler geworden ist. Überaus beeindruckend ist dieses Bild des „an die Türen Schleichens“, dem ein „stilles“ und „sittsames Stehen“ folgt, auf dass diesem Bettler das Elementare zuteil werde: Nahrung.


    Dann aber verwirren sich die lyrischen Aussagen. Sie werden nicht nur inhaltlich dunkel und rätselhaft, - auch die Sprache, in der sie sich artikulieren, wirkt wie unbeholfen. Man erkennt es vor allem an den Versenden: Vier Mal eine Assonanz auf den Diphthong „ei“, und – noch schlimmer – zweimal das Wort „scheinen“, auf den die Verse fünf und sechs enden. Einem Goethe passierte eine solche dichterische Unbeholfenheit nicht eben mal so, - er wollte sie. Der arme Harfner war dem Wahnsinne nahe, und sein Schöpfer vermochte dies in dessen Worten auf in Mitleid erregender Weise sprachlich zu vermitteln.


    Das Fremd- und Ausgesetzt-Sein in dieser Welt verdichtet sich am Ende in dem Geständnis: „Und ich weiß nicht, was er weint“. „Er“, - das ist der andere Mensch, dem er als Bettler an seiner Tür begegnet ist und der ihm „Nahrung“ gereicht hat. Dieser gehört einer anderen Welt an, von der die des „Harfners“ durch eine unüberwindbare Kluft geschieden ist.

  • „Mässig, in gehender Bewegung“ lautet die Vortragsanweisung. Und die Tonart ist wieder dieses a-Moll, das die Gesänge des Harfners wie eine klanglich-harmonische Grundwelle durchzieht. Im achttaktigen Vorspiel, in dem prompt ein Tritonus aufklingt, wird schon der klangliche Charakter all dessen, was sich im folgenden ereignet, wie programmatisch festgelegt. Da sind sie schon zu vernehmen, die wie zwanghaft voranschreitenden Viertel, die wie der erfolglose Versuch einer rhythmischen Mäßigung wirkenden Töne im Wert einer halben Note. Und da ist auch schon die Grundtendenz jeglicher melodischen Bewegung: Die fallende Linie.


    Die melodische Linie der Singstimme wirkt wie von einem Ton müder Klage durchzogen. Immer wieder setzt sie in Gestalt von halben Noten in höherer Lage an oder macht eine kurze Aufwärtsbewegung dorthin, aber danach geht es mit Schritten von Sekunden und Terzen und in Gestalt von Vierteln und Achteln nach unten, als fehle ihr die Kraft, sich in der gerade eingenommenen Höhe zu halten. Das Klavier folgt ihr zwar dabei, aber da nun gerade dort die retardierenden Momente in Gestalt von dominant halben Noten fehlen, statt dessen sich ein wie mechanisch wirkendes Voranschreiten ereignet, hat man das Gefühl, dass die Singstimme in diese permanente Abwärtsbewegung hineingezogen wird.


    Es ist in diesem Zusammenhang nur kompositorisch konsequent, dass Schubert den letzten Vers der Strophe wiederholt, denn auf ihm liegt ja diese für das Lied so typische melodische Grundfigur: Eine Dehnung in hoher Lage und eine nachfolgende Fallbewegung in Vierteln und Achteln.


    In der zweiten Strophe scheint die Vokallinie zunächst von diesem melodischen Grundmuster abzuweichen. Bei den Worten „Jeder wird sich glücklich scheinen“ bewegt sie sich, wieder in dieser Abfolge von halben und Viertelnoten, nach oben, und sie bleibt beim folgenden Vers auch in dieser hohen Lage. Nicht nur das: Bei den Wirten „mein Bild von ihm“ steigt sie sogar noch höher und verharrt dort bei dem Wort „ihm“ in der längsten melodischen Dehnung des ganzen Liedes.


    Aber das ist nur ein Zwischenspiel, das dem lyrischen Text geschuldet ist, - jenem Bild von dem Glück, das der wandernde Bettler bei dem Gebenden auszulösen vermag. Schubert musste ihm, bei all der klanglichen Magerkeit, die er sich bei diesem Lied auferlegte, musikalisch gerecht werden. Dann aber, bei den beiden letzten Versen der zweiten Strophe, kehrt die melodische Linie an dieser Stelle aus der ersten Strophe wieder, - mit all ihren klanglich so müde und depressiv wirkenden Fallbewegungen.
    Dieser Wanderer findet aus seinem Los nicht mehr heraus.

  • Nach dem klanglich höchst expressiven, Klage und Anklage in kompositorisch aufwendigem Satz zum Ausdruck bringenden zweiten Lied der Gruppe wirkt dieses auf unerwartete und durchaus verwunderliche Weise klanglich mager, ja monoton. In polyphonem Satz bewegen sich die melodische Linie der Singstimme und die von Einstimmigkeit bis zur Vierstimmigkeit sich erweiternden Achtel im Klaviersatz dahin, und die Gleichförmigkeit dieser Bewegung, die wie zwanghaft wirkt, erinnert ein wenig an den schicksalhaft bedrückenden Schreitrhythmus der „Winterreise“.
    Ist es so, dass da einer ausgesungen hat, am Ende ist, einen Weg geht, der kein Ziel mehr hat? Man kann sich als Hörer des Liedes diesem Eindruck kaum entziehen.


    Aber es zeigt sich ja wieder: Schubert hat den lyrischen Text genau gelesen, und er verwandelt dessen eigenartige, in syntaktischer Simplizität und dem Übermaß an Assonanzen auf die Silbe „ei“ wurzelnde sprachliche Monotonie ganz konsequent in eine musikalische.


    Man hat in der Literatur darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Lied - bei all seiner Polyphonie – wegen der Gleichförmigkeit des Rhythmus letzten Endes „Choralartig-akkordisch“ (W. Dürr) wirkt. Und man hat auf seinen archaisch anmutenden Schreitrhythmus verwiesen.
    Das ist alles sicher zutreffend. Aber im Grunde ist es ja nur ein Beleg für die so ganz eigene musikalische Nähe, die Schubert bei seiner Liedkomposition zum lyrischen Text zu finden vermag.


    Dieses Lied ist – neben „Wer sich der Einsamkeit ergibt“ ( weiter oben vorgestellt in den Beiträgen 124/125) und „Wer nie sein Brot in Tränen aß“ das dritte jenes kleinen Zyklus, den Schubert im Dezember 1822 als Opus 12 publizierte. In einem Schreiben an Spaun vom 7. Dezember heißt es: „Lieber Spaun! Ich hoffe Dir durch die Dedication dieser drey Lieder eine kleine Freude zu machen…“. Entstanden waren die drei Lieder allerdings - nach Vorstufen – schon im September 1816, mit dem Titel „Aus Wilhelm Meister. Harfenspieler. Göte“. Dort setzte die Gruppe mit „Wer sich der Einsamkeit ergibt“ ein, dann folgte „An die Türen will ich schleichen“, und am Ende stand „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“. Dieses Lied erhielt seine endgültige Fassung aber erst im Zusammenhang mit der Publikation 1822.


    Hinter der Veröffentlichung dieser Lieder in Gestalt einer eigenen Opusziffer dürfte durchaus die Absicht Schuberts gestanden haben, seiner Liedkomposition ein wenig das Image von „Kleinkunst“ zu nehmen.

  • der Erlkönig ist männlich.


    So hervorragend die Interpretation von Frau Schwarzkopf sein mag, das ist für mich das falsche „Instrument“, die Stimme hat das falsche Geschlecht.

    Lieber Horst,


    ja, männlich ist er, aber in diesem Gedicht gibt es einen Erzähler der "über" das Geschehene spricht. Es spricht ja nicht der Erlkönig selbst und auch nicht der Vater. Der Erzähler ist ein "fiktiver" und der ist weder männlich noch weiblich. Deswegen leuchtet mir nicht ein, warum das Lied nicht auch eine weibliche Stimme singen darf.


    n der dritten, der Druckfassung des Liedes, hat Schubert den Prozess der kompositorischen Emanzipation von den dichterisch-formalen Vorgaben, der bereits bei der zweiten Fassung zu beobachten war, mit äußerster Konsequenz weitergeführt.

    Darüber hatten wir schon mal eine interessante Diskussion im Liszt-Thread, lieber Helmut - Vergleich Liszt-Schubert. Was hier passiert, so sehe ich das, ist ein paradigmatisches Beispiel für eine antirhetorische romantische Liedvertonung, wo der musikalische Ausdruckswille das Formkorsett aufsprengt.


    :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • ach dem klanglich höchst expressiven, Klage und Anklage in kompositorisch aufwendigem Satz zum Ausdruck bringenden zweiten Lied der Gruppe wirkt dieses auf unerwartete und durchaus verwunderliche Weise klanglich mager, ja monoton. In polyphonem Satz bewegen sich die melodische Linie der Singstimme und die von Einstimmigkeit bis zur Vierstimmigkeit sich erweiternden Achtel im Klaviersatz dahin, und die Gleichförmigkeit dieser Bewegung, die wie zwanghaft wirkt, erinnert ein wenig an den schicksalhaft bedrückenden Schreitrhythmus der „Winterreise“.


    Lieber Helmut,


    im ersten Moment klingt das wie eine Bachsche Fuge, so eine barocke Bewegung, die sich quasi automatisch selber fortträgt. Aber das ist keine Lebensfreude, sondern Monotonie, die "ewige Wiederkehr des Gleichen" - es passiert schlicht und einfach nichts. Die Vertonung fängt hier die Befindlichkeit ein eines Menschen, der jede Zukunftsperspektive verloren hat. Er lebt einfach in der Gegenwart illusionslos so vor sich hin - ohne Erinnerung und ohne Erwartung. Er läßt sich treiben ohne irgend etwas zu wollen, verrichtet das "Geschäft", was er tun muß um zu "über"-leben ohne eigentlich noch sinnvoll zu leben. Das ist ergreifend auch ohne großen klagenden Ton - durch diese trostlose, fast schon tonsatzlich-"technische" musikalische Fortbewegung, wo der Mensch eigentlich nichts Aufrührendes mehr zu sagen hat.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zit: „Darüber hatten wir schon mal eine interessante Diskussion im Liszt-Thread,“


    Ja, - und ich habe mich tatsächlich, als ich diesen Beitrag verfasste, daran erinnert. Bei Schubert lässt sich – auch und besonders im liedkompositorischen Prozess seiner Auseinandersetzung mit Goethe – eine wachsende Neigung beobachten, sich über die formalen sprachlich-dichterischen Vorgaben hinwegzusetzen, um dem subjektiven musikalischen Ausdruckswillen Raum schaffen zu können.


    Insbesondere das kompositorische Prinzip der Wiederholung wird dafür eingesetzt, und ich habe das schon mehrfach bei einzelnen Liedbesprechungen hier aufgezeigt. Das Lied „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“ ist ein besonders aussagekräftiges Beispiel für diese innere Wandlung der kompositorischen Grundhaltung bei Schubert, die natürlich eine eminent romantische ist. Nicht ohne Grund leitete ich meine Besprechung der dritten Fassung dieses Liedes mit den Worten ein: „In der dritten, der Druckfassung des Liedes, hat Schubert den Prozess der kompositorischen Emanzipation von den dichterisch-formalen Vorgaben, der bereits bei der zweiten Fassung zu beobachten war, mit äußerster Konsequenz weitergeführt.“


    Es besteht freilich ein – hier in der Faktur des Liedes sehr gut fassbarer – Unterschied zur kompositorischen Grundhaltung Liszts. Vereinfacht auf einen Nenner gebracht würde ich sagen: Im Unterschied zu Liszt sieht Schubert seinen subjektiv-kompositorischen Ausdruckswillen immer noch primär an die lyrisch-sprachliche Struktur des dichterischen Textes und seine Aussage gebunden. Nicht das, was er in dessen Rezeption subjektiv empfindet, was ihn in seiner subjektiven Befindlichkeit anspricht, bestätigt oder beflügelt, ist Maßgabe für die Liedkomposition, sondern vielmehr das, was ihm der lyrische Text in seiner spezifischen sprachlichen Gestalt zu sagen hat.


    Schubert fühlt sich, auch im Prozess einer partiellen Emanzipation, dem lyrischen Text in seiner genuinen Aussage und der zugrundeliegenden sprachlichen Substanz weitaus mehr verpflichtet, als dies beim liedhistorisch jüngeren Liszt der Fall ist.

  • Es besteht freilich ein – hier in der Faktur des Liedes sehr gut fassbarer – Unterschied zur kompositorischen Grundhaltung Liszts. Vereinfacht auf einen Nenner gebracht würde ich sagen: Im Unterschied zu Liszt sieht Schubert seinen subjektiv-kompositorischen Ausdruckswillen immer noch primär an die lyrisch-sprachliche Struktur des dichterischen Textes und seine Aussage gebunden. Nicht das, was er in dessen Rezeption subjektiv empfindet, was ihn in seiner subjektiven Befindlichkeit anspricht, bestätigt oder beflügelt, ist Maßgabe für die Liedkomposition, sondern vielmehr das, was ihm der lyrische Text in seiner spezifischen sprachlichen Gestalt zu sagen hat.


    Schubert fühlt sich, auch im Prozess einer partiellen Emanzipation, dem lyrischen Text in seiner genuinen Aussage und der zugrundeliegenden sprachlichen Substanz weitaus mehr verpflichtet, als dies beim liedhistorisch jüngeren Liszt der Fall ist.


    Lieber Helmut,


    da würde ich Dir voll zustimmen. Schubert hat Liszt letzlich sehr beeinflußt - gerade dieses Lied, die Art, wie Schubert hier die Textvorlage durch die Musik dynamisiert. Nur in diesem speziellen Lied macht es Liszt anders. Das Spannende darin ist, finde ich, daß beim "liedhistorisch jüngeren Liszt" vom ästhetischen Gesichtspunkt her etwas Neues ins Spiel kommt, nämlich eine rezeptionsästhetische Vermittlung. Schubert ist hier noch näher an der rhetorischen Tradition, welche ja die Rolle der Liedvertonung auf die Sinnverdeutlichung des Textes festlegt. Liszt dagegen vertont nicht nur den Text, sondern zugleich, wie er auf ihn als Leser wirkt. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Und frische Nahrung, neues Blut
    Saug ich aus freier Welt;
    Wie ist Natur so hold und gut,
    Die mich am Busen hält!
    Die Welle wieget unsern Kahn
    Im Rudertakt hinauf,
    Und Berge, wolkig himmelan,
    Begegnen unserm Lauf.


    Aug, mein Aug, was sinkst du nieder?
    Goldne Träume, kommt ihr wieder?
    Weg, du Traum! so gold du bist;
    Hier auch Lieb und Leben ist.


    Auf der Welle blinken
    Tausend schwebende Sterne,
    Weiche Nebel trinken
    Rings die türmende Ferne;
    Morgenwind umflügelt
    Die beschattete Bucht,
    Und im See bespiegelt
    Sich die reifende Frucht.


    Dieses Gedicht wurde 1789 publiziert, es ist jedoch schon 1775 entstanden, und zwar während einer Reise Goethes Reise durch die Schweiz. Rein vordergründig reflektiert es die Erfahrungen einer Fahrt über den Zürichsee, in seiner lyrischen Tiefenschicht ist es – wiederum aus biographischer Perspektive – eine Auseinandersetzung mit der Liebesbeziehung zu Lili Schönemann. Und noch ein wenig hintergründiger: Man kann es, wie die Reise durch die Schweiz ganz allgemein, als künstlerisches Dokument eines Übergangs von der Phase der Sturm und Drang-Dichtung zu jener der „Klassik“ lesen. Das ist aber mehr eine Sache der Germanisten.


    Es ist eines der großen Goethe-Gedichte. Dies allein schon durch die überaus kunstvolle Verschränkung metrisch und rhythmisch unterschiedlicher Strophen, aber erst recht durch die spezifische Aussage und die Symbolik der lyrischen Bilder. Auf wahrlich kunstvolle Weise geht hier die konkrete Naturerfahrung der Außenwelt über ihren Reflex in der seelischen Innenwelt in eine seelisch belebte und damit gleichsam neu erschaffene Natur über.


    In der ersten Strophe, bei der vier- und dreihebige Jamben einander abwechseln, erfährt das lyrische Ich die ihm auf dem See begegnende Natur als Quelle der seelischen Erneuerung. Die Bilder vom wiegenden Kahn und den Bergen, die ihm „wolkig himmelan“ begegnen, sind lyrische Evokation einer Befreiung aus Zwängen, in denen das lyrische Ich sich gefangen sieht.


    Die zweite Strophe spricht sie an. Sie ist rhythmisch und metrisch ganz anders angelegt, als Strom von Trochäen nämlich, - eben deshalb, weil die Verse den seelischen Innenraum reflektieren und all das, was an Vergangenheiten dort angesiedelt ist. Es sind zwar „goldne Träume“, der Nachhall einer großen Liebe nämlich, aber das lyrische Ich will sie abschütteln, aus eben dieser Erfahrung von großem Leben, wie sie ihm in diesem Augenblick zuteil wird. Hier ereignet sich Aufbruch in ein neues Leben. Und mit einem Mal werden die Träume des vergangenen Lebens zum Ballast, den man abschütteln möchte.


    Die Bilder der dritten Strophe sind eine einzige lyrische Evokation dieses neuen Lebens. Ihnen allen ist die große Einheit, die Symbiose getrennter Sphären gleichsam eigen: Die fernen Sterne spiegeln sich im See, die „türmende Ferne“ der Berge wird von „weichen Nebeln“ eben dieser Ferne beraubt, und die Bucht wird von Morgenwind wie liebkosend „umflügelt“.
    Und dann noch das großartigste Bild, - großartig, weil es lyrisch-sprachlich ein adäquates Symbol für erfülltes Leben ist: Reifende Frucht, das, was Ergebnis des Werdens ist und damit Krönung des Lebens, ist auf der Wasseroberfläche wie in einem Spiegel abgebildet. Aber es spiegelt sich nicht einfach im Wasser, es be-spiegelt sich darin und sieht sich damit im Sinn seines Seins bestätigt.

  • Goethes Gedicht wirft, was seine Vertonung anbelangt, einige Probleme auf. Der Wechsel der lyrischen Perspektive, der sich in der unterschiedlichen Gestalt der Strophen niederschlägt – bis hin zur Veränderung des Versmaßes – stellt den Komponisten vor die Frage, wie er dem lyrischen Text gerecht werden soll und dabei gleichzeitig die innere Einheit des Liedes zu wahren vermag. Schubert hat eine überzeugende Antwort darauf gefunden. Er hat aus den drei Strophen ein zweiteiliges Lied gemacht, indem er die ersten beiden zu einer musikalischen Einheit auf der Grundlage eines Sechsachteltaktes zusammenfasste. Dem zweiten Teil unterlegt er einen Zweivierteltakt und bringt ihn zum ersten dadurch in ein umfänglich ausgewogenes Verhältnis, dass er Verse wiederholt. Beide Teile empfindet man dennoch als musikalische Einheit. Und das liegt im wesentlichen daran, dass sie vom gleichen melodischen Geist geprägt sind.


    Verblüffend ist schon, dass – und wie – es Schubert gelingt, die zweite Strophe, die mit ihrem trochäischen Versmaß der Worte „Aug, mein Aug“ rhythmisch so hart einsetzt, zusammen mit dem jambischen Rhythmus der ersten Strophe in ein musikalisches Bett zu bringen. Es ist der im Sechsachteltakt wiegende Rhythmus, der die Grundlage dafür schafft. Bereits im fünftaktigen Vorspiel wird er in Gestalt von in einen Akkord mündenden aufsteigenden Sechzehnteln eingeführt, und diese musikalische Grundfigur aus vier Sechzehnteln und einem Akkord bleibt die ersten vier Verse der ersten Strophe über als Grundstruktur des Klaviersatzes erhalten. Mit dem fünften Vers („Die Welle wieget unsern Kahn“) ändert er sich zwar, der wiegende Rhythmus, der ganz offensichtlich dem zentralen lyrischen Bild vom „wiegenden Kahn“ geschuldet ist, bleibt aber nicht nur erhalten, er wird sogar noch intensiviert.


    Dem Wechsel der lyrischen Perspektive, den die zweite Strophe mit sich bringt, wird Schubert dadurch gerecht, dass er das Klaviernachspiel am Ende der ersten Strophe in eine Generalpause münden lässt. Man empfindet diese aber keineswegs als klanglich störende Kluft oder gar als einen Bruch in der klanglichen Substanz des Liedes, denn die melodische Linie der Singstimme setzt mit dem „Aug, mein Aug“ erst ein, nachdem im Klavier genau diese musikalische Figur erklungen ist, die den ersten Teil des Liedes rhythmisch prägt, - dieses Mal aber als Kombination von zwei Achteln und vier Sechzehnteln im wiegenden Sechsachteltakt. Zudem ist die Grundstruktur der Bewegung der melodischen Linie des Anfangs der ersten Strophe ähnlich. Lediglich in der zweiten Vers-Vierergruppe ist diese in ihrer Phrasierung etwas anders angelegt, weil sie die lyrischen Bilder vom „wiegenden Kahn“ und den „wolkig himmelan begegnenden Bergen melodisch einfangen muss.


    Den ersten vier Versen liegen zwei, jeweils zwei Verse umfassende Melodiezeilen zugrunde, die ähnlich strukturiert sind: Die Vokallinie beschreibt jeweils zwei Bogenbewegungen, die in der Mitte eine leichte Dehnung aufweisen. Man empfindet das als durchaus dem wiegenden Charakter des Klaviersatzes gemäß. Bei der zweiten Versgruppe der ersten Strophe verbleibt die melodische Linie jedoch in weiter gespannter Phrasierung auf einer tonalen Ebene, und sie ist durch die Einlagerung von punktierten Achteln und Vierteln stärker im Sinne des wiegenden Sechsachteltaktes rhythmisiert. Im Klavier erklingen hier akkordische Achtelrepetitionen im Diskant über einer melodischen Bogenfigur im Bass. Die Verse „Und Berge wolkig himmelan / begegnen unserm Lauf“ werden wiederholt. Bei dem Wort „himmelan“ gipfelt die Vokallinie auf einem dreifachen hohen „es“ auf. Sie reflektiert mit all dem vollkommen die lyrischen Bilder.


    Das „Niedersinken des Auges“ wird mit einer vorübergehenden Eintrübung der Harmonik durch aufgelöste Moll-Akkorde zum Ausdruck gebracht. Bei dem Wort „goldne Träume“ treten weit gespannt melodische Dehnungen in die Vokallinie, und das Klavier greift ihre Bewegungen im Diskant echohaft auf und lässt damit die Träume regelrecht schweben. Die Worte „Weg du Traum“ lösen ein lebhaftes Auf und Ab der melodischen Linie aus, das erst bei den Worten „Hier auch Lieb und Leben ist“ zur Ruhe kommt.


    Tänzerisch wirken Melodik und Klaviersatz in der letzten Strophe. Die Vokallinie steigt immer wieder lebhaft nach oben und bewegt sich von dort in durch den Wechsel von Vierteln und Achteln rhythmisierter Weise wieder nach unten. Im Klaviersatz tummelt sich derweilen ebenfalls ein munteres Auf und Ab von Sechzehnteln im Diskant. Pianissimo wird das Bild vom „Morgenwind“ deklamiert. Zweimal wiederholt sich die gleiche melodische Figur, nur wegen einer harmonischen Rückung im zweiten Fall um eine Terz nach oben verschoben. Sie besteht aus einem wellenartigen Umtänzeln einer tonalen Ebene in hoher Lage, die man als vollkommenen melodischen Ausdruck des Bildes vom „Umflügeln der Bucht“ und dem Sich-Bespiegeln der reifenden Frucht“ empfindet.


    Die letzten Verse des Gedichts werden wiederholt, das Bild von den „weichen Nebeln“ und den „blinkenden Sternen sogar zweimal. Die melodische Linie der Singstimme überlässt sich dabei immer längeren Dehnungen und kostet die Bögen aus, die sie beschreibt.. Die letzte Deklamation des Wortes „Sterne“ erfolgt auf einem über einen ganzen Takt gehaltenen „b“, das mit einem kunstvollen Melisma aus Sechzehnteln zum Grundton absinkt.
    Schubert hat hier die Sterne wahrlich musikalisch schweben lassen.

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  • Dieses Lied lässt sehr schön erkennen, welche Souveränität Schubert inzwischen im kompositorischen Umgang mit dem lyrischen Text gewonnen hat: In seinem Bestreben, einerseits dem lyrischen Text zu folgen und dabei die dichterische Aussage voll zu erfassen, andererseits aber auch den Anforderungen nach innerer Einheit und Geschlossenheit des Liedes als musikalisches Werk gerecht zu werden, setzt er sich zuweilen über die formalen Vorgaben des Dichters hinweg.


    Zumeist geschieht dies mit dem Mittel der Wiederholung, wie das ja auch hier der Fall ist. Wiederholt werden die beiden letzten Verse der ersten Strophe („Und Berge, wolkig himmelan, / Begegnen unserm Lauf“), der letzte Vers der zweiten Strophe („Hier auch Lieb und Leben ist“), und in der dritten ereignet sich sogar eine regelrechte Neugestaltung der dichterischen Strophe, indem zunächst die ersten vier Verse wiederholt werden, und danach die beiden ersten noch einmal.


    Man kann das durchaus damit erklären, dass Schubert eine Art quantitative Ausgewogenheit zwischen den beiden Teilen des Liedes herstellen wollte, die sich ja nicht nur im zugrundliegenden Takt, sondern auch in der Struktur des melodischen Line der Singstimme und des Klaviersatzes unterscheiden. Ich denke jedoch, dass diese Erklärung zu vordergründig bleibt. Schubert hat dem Gedicht Goethes einen ganz eigenen Akzent gegeben, indem er das Gewicht, das dieser der zweiten Strophe verliehen hat, deutlich relativiert. Im Gedicht ereignet sich hier der Einbruch vergangenen Lebens – konkret die Liebeserfahrung in der Beziehung zu Lili Schönemann - in die Gegenwart der Naturerfahrung. Das lyrische Gewicht dieses Vorgangs wird durch eine fast wie ein Bruch der bisherigen Metrik und Rhythmik wirkende Einführung von vierhebigen Trochäen mit klingender Endung bewirkt.


    Schubert reagiert darauf zwar mit einer Generalpause, lässt aber die spezifischen formalen Gegebenheiten der zweiten Strophe nicht in markanter Weise in die nachfolgende Musik einfließen: Melodische Linie der Singstimme und Klaviersatz entfalten sich weiterhin auf dem anfänglichen Sechsachteltakt. Man möchte meinen:
    Was bei Goethe ein die Gegenwart verstörender und die nachfolgende Naturerfahrung neu konstituierender Einbruch von Vergangenheit in Gegenwart ist, wirkt bei Schubert eher wie eine vorübergehende Störung oder Irritation dessen, was mit der ersten Strophe lyrisch ausgesagt wird.


    Ganz offensichtlich kommt es ihm auf das musikalische Einfangen der Aussage der lyrischen Bilder der letzten Strophe an. Und hierin stimmt er durchaus mit der dem Gedicht zugrundeliegenden dichterischen Aussageabsicht überein: Die lyrischen Bilder evozieren allesamt in ihrer Synthese von getrennten Sphären und in der Metapher von der sich im See bespiegelnden Frucht die in dieser Naturerfahrung gewonnene neue Einheit von lyrischem Ich und Welt.
    Dies wollte Schubert zum Zentrum seiner musikalischen Aussage machen. Und deshalb das Arbeiten mit dem kompositorischen Prinzip der Wiederholung.

  • Wie im Morgenglanze
    Du rings mich anglühst,
    Frühling, Geliebter!
    Mit tausendfacher Liebeswonne
    Sich an mein Herze drängt
    Deiner ewigen Wärme
    Heilig Gefühl,
    Unendliche Schöne!


    Daß ich dich fassen möcht
    In diesen Arm!


    Ach, an deinem Busen
    Lieg ich, und schmachte,
    Und deine Blumen, dein Gras
    Drängen sich an mein Herz.
    Du kühlst den brennenden
    Durst meines Busens,
    Lieblicher Morgenwind!
    Ruft drein die Nachtigall
    Liebend nach mir aus dem Nebeltal.


    Ich komm, ich komme!
    Wohin? Ach, wohin?


    Hinauf! Hinauf strebts.
    Es schweben die Wolken
    Abwärts, die Wolken
    Neigen sich der sehnenden Liebe.
    Mir! Mir!
    In euerm Schoße
    Aufwärts!
    Umfangend umfangen!
    Aufwärts an deinen Busen,
    Alliebender Vater!


    Das Gedicht, eine in freien Rhythmen sich entfaltende Hymne, ist vermutlich 1774 entstanden. Es greift den antiken Mythos vom schönen Königssohn Ganymed auf, den Zeus durch einen Adler in den Olymp entführen ließ, auf dass er dort den Göttern als Mundschenk diene. Aber damit ist auch schon deutlich, was Goethe aus diesem Mythos gemacht hat: Er hat ihn im Geist des genialischen Subjektivismus des Sturm und Drang in eine aus eigenmächtigem Antrieb des Menschen, eben dieses Ganymed also, erfolgende Verschmelzung eines irdischen Wesens mit dem Göttlichen umgewandelt.


    Der poetische Zauber, der von dieser sich ohne jegliche Strukturierung durch Metrik und Reim wie hemmungslos frei entfaltenden lyrischen Sprache ausgeht, kommt im Grunde aus diesem gewaltigen Gestus, der ihr innewohnt: Diesem „Hinauf“, das einen vom ersten Vers ergreift, in Bann zieht und mit sich reißt. Dieses lyrische Ich, das hier in einem Akt der Entgrenzung mit der Natur verschmilzt und dies als ein Eins-Werden mit dem Göttlichen, dem „alliebenden Vater“ erfährt, ist aber kein romantisches. Denn diese Entgrenzung geht nicht einher mit der Auflösung der Individualität. Die personale Identität, um einen modernen Begriff zu gebrauchen, bleibt dabei durchaus gewahrt.


    Ohnehin spielen Personalität und identifizierbare Konkretheit hier eine große Rolle. Der Frühling, der das lyrische Ich „anglüht“, wird als Person erfahren, ja als „Geliebter“, der sich an das Herz drängt und den man in den Arm fassen möchte. Bei allem emotionalen Überschwang, der sich in dieser Hymne entfaltet, bleiben die Bilder bemerkenswert konkret: Da gibt es den Busen, die Blumen, das Gras, den Morgenwind und die Nachtigall, die aus dem Nebeltal ruft. Und all diese Bilder sind solche der Begegnung zwischen einem Ich und einem naturhaften Du, das sich ihm zuneigt und den Willen zur Vereinigung auslöst, der am Ende in das „Ich komm, ich komme“ mündet.


    Die letzte Strophe begegnet dem Leser als eine einzige lyrische Evokation der Einheit, wie sie im Akt der liebenden Verschmelzung von Ich und Du sich ereignet. Dem lyrischen Wort „Schoß“ kommt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselfunktion zu. Die Wolken neigen sich der „sehnenden Liebe“ des Ichs zu und nehmen es in ihren Schoß auf, um es zum „alliebenden Vater“ hinzuführen. Wie eine – schlechterdings geniale! – lyrische Zauberformel begegnen einem dabei die Worte „Umfangend umfangen“. Sie beinhalten auf sprachlich engstem Raum alles, was sie hier ereignet: Das Ich umfängt und wird zugleich dabei umfangen. Es verliert seine Identität nicht, ist darin also kein romantisches, aber es findet zu einer diese Identität erweiternden und damit beglückenden Einheit mit dem Du, - das in diesem Fall ein göttliches ist.

  • Dem Klaviersatz kommt in diesem Lied, das im Viervierteltakt steht, anfänglich die Grundtonart As-Dur aufweist (die es nicht beibehält) und mit der Anweisung „Etwas langsam“ versehen ist, eine große Bedeutung zu. Im Grund ist er es, der die melodische Linie davor bewahrt, sich im ungeordneten, ja überbordenden Fluss der freien Rhythmen zu verlieren. Im achttaktigen Vorspiel gibt das Klavier ja gleichsam schon eine Melodie vor, und es setzt diese bei den ersten drei Versen auch unverdrossen fort, derweilen die Singstimme diese auf ihrer eigenen melodischen Linie deklamiert. Diese ist zwar tatsächlich eigenständig, sie steht aber durchaus unter dem Einfluss der Melodik des Klaviersatzes. Am Ende der einander sehr ähnlichen Melodiezeilen dieser ersten drei Verse macht die Singstimme dieselbe Fallbewegung wie die Führungsmelodie des Klaviersatzes.


    Bemerkenswert, wie die Vokallinie die Struktur des lyrischen Textes reflektiert. Die melodischen Dehnungen, die sie in Gestalt von z.T. punktierten halben Noten aufweist, akzentuieren musikalisch das, was als dichterische Aussage vorgegeben ist. Bei dem Wort „Morgenglanze“ ist dies besonders gut vernehmlich. Und wenn melodische Dehnungen nicht hinreichen, kommt ein Melisma zum Einsatz, wie etwa bei den Worten „Frühling, Geliebter“.


    Wenn der lyrische Text von der „tausendfachen Liebeswonne“ spricht, tritt in der Vokallinie lebhafte Bewegung an die Stelle der weit gespannten Kantilenen, und auch im Klavier ist jetzt ein unruhiges Auf und Ab zu vernehmen. Allerdings ist es kein rein parallel laufendes. Immer wieder folgt das Klavier der Bewegung der melodischen Linie der Singstimme, - oder führt diese gar. Und wenn, weil der lyrische Text dies erfordert, am Ende der ersten Strophe bei den Worten „unendliche Schöne“ eine wie endlos wirkende melodische Dehnung in die Vokallinie tritt – mit einer ganzen Note auf der Silbe „end“ – hält auch das Klavier gleichsam den Atem an und folgt der Struktur der weit gespannten Kantilene in angemessener Weise mit einer ruhigen Akkordfolge.


    Auch bei der zweiten Strophe bildet die melodische Linie der Singstimme in vollkommener Weise die Struktur des lyrischen Textes ab. Die Melodiezeilen der ersten vier Verse münden am Ende jeweils in eine Dehnung, so dass die Worte „möchte“, „Arm“, „Busen“ und „schmachte“ jeweils einen besonderen musikalischen Akzent tragen. Das Klavier artikuliert hier im Diskant immerzu dieselbe melodische Figur aus triolisch fallen und danach wieder steigenden Achteln, - Ausdruck einer inneren Unruhe des lyrischen Ichs an dieser Stelle („fassen möcht“). Und am Ende, wenn „Blumen und Gras ans Herz drängen“, findet die melodische Linie dann doch wieder zur Ruhe, indem mehr Dehnungen in Gestalt von halben Noten in sie eintreten. Nicht unwesentlich trägt hierzu die Modulation nach Ces-Dur bei, die sich vor Beginn dieser Strophe ereignet. Das ist einer seiner genialen kompositorischen Kunstgriffe, die Schubert hier anwendet. Das Lied, das in As-Dur einsetzt, endet schließlich – über Ces- und E-Dur – in F-Dur. Man kann dies durchaus als harmonischen Nachvollzug dieser zentralen Bewegung des lyrischen Textes hören und verstehen: „Hinauf strebts, hinauf“.


    Es soll nicht versucht werden, alle Stellen im einzelnen aufzuzeigen, in denen die musikalische Faktur die Aussage des lyrischen Textes in besonders markanter Weise reflektiert. Verwiesen sei nur auf die immer wieder erfolgenden Akzentuierungen lyrisch wichtiger Worte in Gestalt von Dehnungen, - etwa auf dem Wort „Durst“ in der dritten Strophe -, auf die Triller, mit denen zu dem Bild von der „rufenden Nachtigall“ hingeführt wird, und auf die permanent fallenden Sechzehntel im Klavierdiskant, mit denen dieses Bild dann begleitet wird.


    Überaus beeindruckend sind die beiden Verse der vierten Strophe in Musik gesetzt. Diese übernimmt das lyrische Stammeln in einer Weise, die dieses in seiner Expressivität steigert. Von Pausen unterbrochen werden die einzelnen Worte gleichsam deklamatorisch herausgestoßen, und das Klavier begleitet dies mit einem unruhigen Sforzato von Achteln und Akkorden in Bass und Diskant.


    Die letzte Strophe wird zu einer Orgie des musikalischen Ausschlachtens des „Hinauf“, das im Zentrum des lyrischen Textes steht. Schubert leitet das mit einem gleichsam ahnungsvollen melodischen Sekundschritt am Anfang ein. Das Stakkato im Klaviersatz klingt dabei noch fort, steigert sich sogar ins Fortissimo. Dann aber wird daraus mit einem Mal ein ruhiges Auf und Ab von Achteln, denn die melodische Linie ist bei dem Bild von den „sich neigenden Wolken“ ihrerseits in ein schwebendes Auf und Ab geraten.


    Bei dem energisch imperativen doppelten „mir“, mit dem der fünfte Vers in Gestalt einer singulären melodischen Dehnung einsetzt, kommt ein hektischer Wechsel von akkordischen Achteln in den Klaviersatz und die melodische Linie der Singstimme vollzieht mehrfach – und in einer Art Steigerung ihrer inneren Erregung – die gleiche Abfolge von Aufwärtsbewegung mit nachfolgendem Fallen, wellenartigem Verharren auf einer tonalen Ebene, als wolle sie Atem holen, und neuerlichem Aufstieg in die Höhe, wie er sich bei den Worten „Aufwärts an deinen Busen“ erstmals ereignet.


    Schubert wiederholt den lyrischen Text ab „die Wolken neigen sich“ noch einmal und lässt auch die Worte „alliebender Vater“ am Ende neuerlich aufklingen. Es ist wohl für kompositorisch zwingend gewesen. Lange Dehnungen liegen auf diesem Wort, und die Harmonisierung ist ein wie in die Transzendenz weisendes F-Dur. Goethes lyrische Emphase hat eine musikalisch ganz und gar adäquate musikalische Gestalt angenommen.

  • Dieses Lied, das im März 1817 entstand, gehört ganz zweifellos zu den großen Liedschöpfungen, die aus der Begegnung Schuberts mit Goethes Lyrik hervorgegangen sind. Vor allem aber zeigt es in gleichsam exemplarischer Weise, wie souverän er inzwischen kompositorisch mit dem lyrischen Text umgeht. Er emanzipiert sich von dessen formaler Gestalt, wie sie vom Dichter vorgegeben ist, gibt aber gleichwohl – und gerade deshalb – die dichterische Aussage mit den Mitteln der Musik in vollkommener und ganz und gar unverfälschter Weise wieder.


    Das gelingt ihm, weil er mit seiner Musik unmittelbar an der Semantik der lyrischen Sprache und an der Metaphorik ansetzt und den formalen Anforderungen, die die Musik dabei stellt, Priorität gegenüber der Form des sprachlichen Kunstwerks einräumt. Von daher kommen dann die zahlreichen Eingriffe in den lyrischen Text in Gestalt von Wiederholungen.


    In diesem Lied geht er sogar noch weiter: Die „Unordnung“ der freien Rhythmen Goethes wird durch die spezifische Struktur der Musik auf eine höhere Stufe formaler Ordnung gehoben. Und das Erstaunliche ist, dass die Verse Goethes dabei nicht nur ihre lyrisch sprachliche Dynamik nicht verlieren, sondern darin sogar noch eine Steigerung erfahren. Das geschieht durch das Zusammenspiel der melodischen Linie mit einem Klaviersatz, der deren spezifische Expressivität, wie sie aus der Art ihrer Bewegung hervorgeht, mit seiner eigenen musikalischen Struktur gleichsam zu potenzieren vermag.

  • Das Ich umfängt und wird zugleich dabei umfangen. Es verliert seine Identität nicht, ist darin also kein romantisches, aber es findet zu einer diese Identität erweiternden und damit beglückenden Einheit mit dem Du, - das in diesem Fall ein göttliches ist


    Das ist ja schon merkwürdig bei Goethe, liebert Helmut. Einerseits ist das auch bei Goethe Spinozismus, das pantheistische "Hen kai pan". Aber anders als in der romantischen Naturreligiosität ("ich bin nichts, Gott ist alles") wendet sich hier die Natur dem sehnenden Ich zu und nicht umgekehrt. Und Schuberts eher liebliche Vertonung zeigt auch weniger das Übermenschlich-Erhabene der Natur, sondern bleibt ziemlich anthropomorph für mein Empfinden. Das könnte auch ein anmutiges Liedlein auf eine sehr irdisch-menschliche Herzallerliebste sein. Spricht man oder singt man so eigentlich mit dem lieben Gott? :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Bedecke deinen Himmel, Zeus,
    Mit Wolkendunst
    Und übe, dem Knaben gleich,
    Der Disteln köpft,
    An Eichen dich und Bergeshöhn!
    Mußt mir meine Erde
    Doch lassen stehn
    Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
    Und meinen Herd,
    Um dessen Glut
    Du mich beneidest.


    Ich kenne nichts Ärmeres
    Unter der Sonn als euch, Götter!
    Ihr nähret kümmerlich
    Von Opfersteuern
    Und Gebetshauch
    Eure Majestät
    Und darbtet, wären
    Nicht Kinder und Bettler
    Hoffnungsvolle Toren.


    Da ich ein Kind war,
    Nicht wußte, wo aus noch ein,
    Kehrt ich mein verirrtes Auge
    Zur Sonne, als wenn drüber wär
    Ein Ohr, zu hören meine Klage,
    Ein Herz wie meins,
    Sich des Bedrängten zu erbarmen.


    Wer half mir
    Wider der Titanen Übermut?
    Wer rettete vom Tode mich,
    Von Sklaverei?
    Hast du nicht alles selbst vollendet,
    Heilig glühend Herz?
    Und glühtest jung und gut,
    Betrogen, Rettungsdank
    Dem Schlafenden da droben?


    Ich dich ehren? Wofür?
    Hast du die Schmerzen gelindert
    Je des Beladenen?
    Hast du die Tränen gestillet
    Je des Geängsteten?
    Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
    Die allmächtige Zeit
    Und das ewige Schicksal,
    Meine Herrn und deine?


    Wähntest du etwa,
    Ich sollte das Leben hassen,
    In Wüsten fliehen,
    Weil nicht alle
    Blütenträume reiften?


    Hier sitz ich, forme Menschen
    Nach meinem Bilde,
    Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
    Zu leiden, zu weinen,
    Zu genießen und zu freuen sich,
    Und dein nicht zu achten,
    Wie ich!


    Wie bei „Ganymed“ handelt es sich auch bei diesem Gedicht, das 1774 entstand, um eine der großen Hymnen der Sturm und Drang-Zeit Goethes, die, weil der Dichter nicht bereit ist sich den formalen Zwänge traditioneller Lyrik zu unterwerfen, sich in freien Rhythmen und unterschiedlich strukturierten Strophen entfaltet. Im Zentrum steht der Titanensohn und Halbgott Prometheus, der das den Menschen von Zeus vorenthaltene Feuer vom Olymp holte und zur Strafe dafür an den Kaukasus geschmiedet wurde.


    Die Germanisten streiten sich darüber, wer hier spricht. Für den Kommentator der sog. „Hamburger Ausgabe“, Erich Trunz, handelt es sich bei diesem Hymnus um ein „Rollengedicht“. Es steht für ihn außer Zweifel, dass hier Prometheus spricht, der sich als „Bildner von Menschen“ gegen Zeus auflehnt und sich nur den vorolympischen Göttern, der „allmächtigen Zeit“ (Chronos) und dem „ewigen Schicksal“ (Moira) verantwortlich sieht. Der Goethe-Biograph Nicholas Boyle liest diese Hymne hingegen als eine „theologische Revolte“, sieht hier Goethe selbst sprechen und kommentiert das Gedicht u.a. mit den Worten: „In der Tat imaginierte Goethe ernsthafter als seine Nachwelt die Ablösung des alten Gottes durch das menschliche Herz der Empfindsamkeit und durch die menschliche Tätigkeit, wie die Genietheorie sie feierte.“


    Wie auch immer, - das ist eine überaus sprachmächtige, in höchst expressiven lyrischen Bildern sich entfaltende Auflehnung eines sich den Menschen als ihr Former, Schöpfer und Beseeler verbunden fühlenden „Halbgotts“ gegen die höchste Autorität der Götterwelt und insofern in der Tat ein dichterisches Dokument des Genie-Kults des „Sturm und Drangs“. Der „kümmerlichen Welt“ der Götter, die nicht anderes vermögen, als sich von den „Opfersteuern“ und dem „Gebetshauch“ „hoffnungsloser Toren“ zu ernähren.


    Dem steht das wahrlich schöpferische Ich gegenüber, das sich und seine Welt „selbst baut“. Die Worte „Wie ich!“, in die die Hymne am Ende mündet, bilden das eigentliche Zentrum, um das alle Verse mit ihren Aussagen und Bildern kreisen. Dieses „Ich“ vermag sich nicht nur seine „Hütten“ selbst zu bauen, die die Götter ihm nicht mehr nehmen können, es vermag sogar – im Unterschied zu diesen – zu leiden, zu weinen und sich zu freuen, - das heißt in seiner Menschlichkeit Erfüllung zu finden. Und zu dieser Erfüllung gehört auch, die Götter nicht „achten“ zu können und zu dürfen.
    Etwas von Selbstbehauptung, ja Auflehnung des Menschen gegen göttliche Allmacht artikuliert diese Hymne durchaus, - wer immer dieses „Ich“ sein mag, das da spricht.

  • Was an Schuberts Vertonung dieses schwer in die Form eines Liedes zu bannenden Gedichts auf Anhieb besticht, das ist das kompositorische Herauskristallisieren der wenigen explizit lyrischen Töne, die die Hymne Goethes, die im Grunde ja doch ein musikalisches Rezitativ regelrecht reklamiert, wie in Gestalt von kleinen Inseln aufweist. Und Schubert hat sie prompt aufgespürt, - Lyriker, der er im Grunde seines Herzens war. Sie leuchten als ariose Partien inmitten der dramatisch-expressiven Rezitative des Liedes in klanglich regelrecht faszinierender Weise auf und machen das, was als Accompagnato-Rezitativ eigentlich auf die Opernbühne gehört, letzten Endes dann doch zu einem Beinahe-Lied.


    Es ist nicht möglich – und wohl auch nicht sinnvoll - , das Lied in seiner Gänze hier in detaillierter Weise zu beschreiben. Bei der ersten Strophe greift die Musik auf beeindruckende Weise den imperativischen Grundton des lyrischen Textes auf. Schon das Vorspiel mit seinen auf- und absteigenden Oktaven und den Akkordrepetitionen, die wie klangliche Kommentare die Singstimme begleiten, setzen einen deutlichen Akzent. Die Singstimme deklamiert den Text mit einem ausgeprägt rezitativischen Gestus, wobei die melodischen Sprünge und Fallbewegungen dadurch besonders markant wirken, dass vorher auf nur einer tonalen Ebene deklamiert wurde. Das Klavier liefert hierbei einen klanglichen Untergrund aus durchgehenden Tremoli.


    Bemerkenswert und ganz konsequent ist es, dass Schubert die beiden ersten Verse der zweiten Strophe noch in diesen rezitativischen Teil des Liedes einbezieht. Denn die folgenden Verse dieser zweiten und auch der dritten Strophe geben ihm Anlass, einen eher ariosen Ton anzustimmen. Dieser Teil ist mit „etwas langsamer“ überschrieben. Mit den Worten „Ihr nährt kümmerlich“ einsetzend, bewegt sich die melodische Linie der Singstimme, nun in Moll harmonisiert, in ruhigen Schritten, meidet Sprünge und Fallbewegungen über große Intervalle und beschreibt bei den Worten „hoffnungsvolle Toren“ sogar einen durchaus ansprechenden melodischen Bogen. Das Klavier, das nun sein Tremolo aufgegeben hat, folgt den Bewegungen der Vokallinie mit einem klanglich differenzierten Satz, bei dem am Ende der zweiten Strophe Dezimen langsam in große Tiefe absteigen.


    Von fast lieblich anmutender Wehmut ist die melodische Linie der dritten Strophe geprägt. Zunächst verharrt sie in mittlerer Lage, bewegt sich dann aber in lebhafteren Schritten in höhere Lage hinauf und beschreibt dort bei den Worten „mein verwirrtes Auge zur Sonne“ mehrfach Bogenbewegungen. Hierbei pendelt der Klaviersatz, der nun aus einem einfachen Wechsel von Akkorden in Bass und Diskant besteht, in permanenter Modulation zwischen vorwiegend durch Chromatik geprägten Tonarten hin und her. Das zentrale lyrische Wort „Klage“ beherrscht den klanglichen Eindruck, den diese Strophe macht. Und die Nähe von Schuberts Melodik zur sprachlichen Gestalt und zur Semantik des lyrischen Textes zeigt sich wieder einmal im langsamen Sich-Absenken der Vokallinie bei den letzten Worten der Strophe und dem Zur-Ruhe-Kommen bei dem Wort „erbarmen“.


    Mit einem fortissimo angeschlagenen verminderten Septakkord kehrt der rezitativische Ton wieder in das Lied ein. Verminderte Septakkorde beherrschen den Klaviersatz die ganze Strophe über und bringen das vorwurfsvoll trotzige Aufbegehren des lyrischen Ichs klanglich zum Ausdruck. In der melodischen Linie der Singstimme drückt es sich durch ein permanent insistierendes Deklamieren auf einer Tonhöhe aus. Bei „heilig glühend Herz“ kommt es zu einer pathosgeladenen Aufgipfelung der melodischen Linie und einem ausdrucksstarken innehalten auf einem fermatierten hohen „e“.


    Eine eigentümliche Mischung zwischen rezitativischer Deklamation und melodischer Eindringlichkeit ist Gestalt wiederholt fallender Linien prägt die fünfte Strophe klanglich. Der Klaviersatz wird mit seinen auftaktigen punktierten Viertelakkorden überaus gewichtig und akzentuiert auf diese Weise die Eindringlichkeit der Vokallinie. Fragen auf Fragen werden rezitiert, und die Musik verleiht ihnen expressiven Nachdruck. Wieder ist diese für Schubert so typische Verwandlung von lyrische Sprache in musikalische erfahrbar, - bei den Worten zum Beispiel: „Wähntest du etwa, / Ich sollte das Leben hassen?“ Diese langsame, zweifache und pianissimo deklamierte Fallbewegung der Vokallinie wirkt wie der melodisch-musikalische Inbegriff dieses Wortes „etwa“, das die Frage sprachlich beherrscht.


    Wie mit Fanfarenklängen wird – in Gestalt von Akkorden im Klaviersatz – der Siegesgesang der letzten Strophe eingeleitet. Nach der Fülle von Modulationen, die das Lied durchlaufen hat, ist nun die strahlende Tonart C-Dur erreicht. Und strahlend wirkt auch die melodische Linie der Singstimme, die nun wieder einen ariosen Ton anschlägt. Gewichtig wirkt sie überdies, weil sie bei den die lyrische Aussage tragenden Worten immer wieder Dehnungen aufweist, - so etwa gleich am Anfang bei „Hier sitz ich“.


    Die Worte „Dein nicht zu achten, / Wie ich“ werden am Ende wiederholt. Sie müssen es, weil sie gleichsam die lyrische Quintessenz der Hymne darstellen. Das Klavier akzentuiert sie mit Akkorden im Fortissimo.

  • Dieses Lied, das eigentlich ja gar keines ist, entstand im Oktober 1819, - nach einer etwa zweijährigen Pause Schuberts in der kompositorischen Auseinandersetzung mit Goethes lyrischem Werk. Nach der „einfachen Übung“ mit dem Gedicht „Die Lebende schreibt“ (das hier übergangen werden soll) hatte er nun ein lyrisches Werk vor sich, das eigentlich mit den kompositorischen Mitteln des Liedes unvertonbar war, - im Unterschied zu „Ganymed“, dem immerhin eine Art lyrischer Grundton eigen ist. „Prometheus“ aber ist ein Sturm und Drang-Aufschrei, der in seiner gleichsam hemmungslosen sprachlichen Expressivität eigentlich nicht in die Form eines Klavierliedes zu bannen ist.
    Es ist ein Beleg für die Genialität Schuberts und seine hochentwickelte Sensibilität für lyrische Sprache, dass es ihm gelang, aus diesem lyrisch-sprachlich gleichsam überbordenden Text ein in sich geschlossenes musikalisches Werk zu schaffen, das dieses Gedicht in seiner sprachlichen Eigenart und seinem dichterischen Gehalt durchaus gerecht wird, - mehr im übrigen, als dies Hugo Wolf gelang, der sich ihm ebenfalls kompositorisch zuwandte.


    Schubert hatte zwar eine Art „Vorlage“, die Komposition von Johann Friedrich Reichardt aus dem Jahre 1809 nämlich. Aber Thr. Georgiades, der in seinem Schubert-Buch eine detaillierte Analyse des ersten Accompagnato-Rezitativs beider Vertonungen vorlegte, meinte in einer Art Bilanz: „Bei Schubert also Sprachkörper als musikalischer Bau (…). Bei Reichardt neutrale – doch das sinnvolle Sprechen eher hemmende Gehäusevertonung.“


    Insgesamt betrachtet Georgiades Schuberts „Prometheus“ durchaus kritisch. Er meint:
    „Auch in diesem Accompagnato bekundet sich also Schuberts schöpferisches Vermögen. Doch genuin Schubertsche musikalische Lyrik ist dieser Anfang und der ganze >Prometheus< nicht. Die Herkunft von den Gattungen der großen >öffentlichen< Gesangsmusik, diese Geburtskonstellation, erlaubt nicht das freie Entfalten des Schubert Eigenen: diese Herkunft führt – trotz des hervorragenden Schlußteils („Hier sitz ich…“) – zur Entstehung eines als Ganzes hybriden Gebildes, das nicht den Rang der echten Lieder Schuberts erreicht, nicht in einem Atem z.B. mit der >Winrerreise< oder >Über allen Gipfeln< genannt werden kann. Schubert realisiert die ihm hier vorschwebende Gattung nicht gänzlich überzeugend.“ (S.203)

  • Wenn der uralte
    Heilige Vater
    Mit gelassener Hand
    Aus rollenden Wolken
    Segnende Blitze
    Über die Erde sät,
    Küss’ ich den letzten
    Saum seines Kleides,
    Kindlicher Schauer
    Treu (Schubert: „Tief“) in der Brust.


    Denn mit Göttern
    Soll sich nicht messen
    Irgendein Mensch.
    Hebt er sich aufwärts
    Und berührt
    Mit dem Scheitel die Sterne,
    Nirgends haften dann
    Die unsichern Sohlen,
    Und mit ihm spielen
    Wolken und Winde.


    Steht er mit festen,
    Markigen Knochen
    Auf der wohlgegründeten
    Dauernden Erde,
    Reicht er nicht auf,
    Nur mit der Eiche
    Oder der Rebe
    Sich zu vergleichen.


    Was unterscheidet
    Götter von Menschen?
    Daß viele Wellen
    Vor jenen wandeln,
    Ein ewiger Strom:
    Uns hebt die Welle,
    Verschlingt die Welle,
    Und wir versinken.


    Ein kleiner Ring
    Begrenzt unser Leben,
    Und viele Geschlechter
    Reihen sich dauernd
    An ihres Daseins
    Unendliche Kette.


    Dieses Gedicht entstand 1781, zu einer Zeit also, in der Goethe einen gewissen Abstand zu seiner Sturm und Drang-Dichtung gewonnen hatte und sich kritisch mit ihr auseinandersetzte. Dass er in seinen Werk-Ausgaben dieses Gedicht immer hinter „Ganymed“ und „Prometheus“ setzte, sollte heißen, dass er es gleichsam als Ergänzung und Korrektiv der dichterischen Aussagen verstanden wissen wollte, die dort gemacht wurden. Freilich geht diesem lyrischen Werk jener genialische lyrisch-sprachliche Gestus ab, den diese großen Hymnen aufweisen. Es handelt sich im Grunde um eine sprachlich bedächtige philosophische Reflexion in Versen.


    Die ersten drei Verse der zweiten Strophe markieren die Kontra-Position zu „Prometheus“. Sie stellen das lyrische Zentrum des Gedichts dar. Alle Aussagen und Bilder, die den Gehalt der übrigen Strophen ausmachen, kreisen sozusagen um die wie eine weltanschauliche Maxime formulierte Aussage: „Denn mit Göttern / Soll sich nicht messen / Irgendein Mensch.“ Und die Haltung, die sich aus der Internalisierung derselben für das lyrische Ich ergibt, formuliert die erste Strophe: Es küsst demütig den Saum des Kleides des „heiligen Vaters“. Das ist nun wirklich die Umkehr jener Haltung, die sich in den Worten des Prometheus artikulierte – und von dem Schöpfer dieser Hymne im Jahre 1774 geteilt wurde - :“Ich dich ehren? Wofür?“


    In allen lyrischen Bildern wird der Mensch hier als ein kleines Wesen dargestellt. Einzig auf der Erde findet sein Fuß Halt. Erhebt er sich aufwärts, um sich der Sphäre des Göttlichen anzunähern, verliert er den Halt, und „Wolken und Winde“ spielen mit ihm. Götter sind der Zeit enthoben; den Menschen verschlingt ihre Welle, und er „versinkt“ darin.


    Eine kleine Perspektive der Überzeitlichkeit menschlicher Existenz entwirft die letzte Strophe. Es ist weniger das Bild vom „Ring“, da in den ersten beiden Versen auftaucht. Man ist versucht, darin ein Symbol der Unendlichkeit zu sehen. Das wäre aber nicht textgemäß: Ausdrücklich ist dieses Wort „Ring“ mit Begrenzung und Beschränktheit gekoppelt. Es ist eher das Bild von der „unendlichen Kette“ der „Geschlechter“, in die individuelle Existenz sich gestellt sieht. Es weist über deren Endlichkeit hinaus.

  • Durch zweierlei sticht dieses Lied klanglich hervor: Eine melodische Linie der Singstimme, die – überaus markant geführt – bis in tiefste Basslagen herabsteigt, zugleich aber baritonale Höhe anstrebt; und einen klanglich mächtigen, orchestral angelegten Klaviersatz, der von seiner Struktur und seiner Dynamik er eher von einem Bläserensemble als von einem Klavier zu realisieren ist. Schon das ungewöhnliche lange (18 Takte!) und an harmonischen Rückungen reiche Vorspiel lässt das vernehmen. Die gleichsam instabile Harmonik und das Umschlagen der Ausgangstonart E-Dur in die Mediante C-Dur, der man bei all der Feierlichkeit dieses Vorspiels gleich am Anfang des Liedes begegnet, ist höchst bezeichnend für seinen Klangcharakter generell.


    Die beiden, die ersten drei Verse der ersten Strophe umfassenden Liedzeilen setzen jeweils auf einem „e“ an, und die Singstimme steigt nach einem Terzsprung in bedächtigen Schritten in tiefe Lage herab. Sie greift damit den bedeutsam-feierlichen Ton auf, der im Vorspiel gleichsam vorgegeben ist. Auf dem Wort „Hand“ liegt dabei eine lange Dehnung. Aber bei dem Bild von den „segnenden Blitzen“ deutet sich bereits ein Umschlag im Grundton der Melodik von bedeutsamer Gewichtigkeit hin zu mehr gesanglichem Fluss an. Und der entfaltet sich dann auch in bestechender, weil überaus lieblich wirkender Weise bei den mit den Worten „küss ich den letzten Saum“ eingeleiteten letzten Versen der ersten Strophe. Hier entfaltet sich typischer Schubertscher melodischer Zauber, und es ist kompositorisch nur konsequent, dass diese Verse wiederholt werden. Selbst das Klavier kann sich diesem Zauber nicht widersetzen: Es folgt der melodischen Linie in Terzdistanz.


    Dann aber kommt wieder das musikalische Grollen in das Lied, - mit dem kurzen Vorspiel zur zweiten Strophe. Und hier nimmt die melodische Linie der Singstimme auch wieder diesen deklamatorisch markanten Ton an, der das imperativische „Du sollst“ des lyrischen Textes aufgreift. Sie vollzieht dabei nicht nur gewichtige Schritte, sondern macht auch expressive Sprung- und Fallbewegungen über große tonale Intervalle. Zweimal steigt sie bei den letzten vier Versen der zweiten Strophe in chromatischer Prägung aus hoher Lage über mehr als eine Oktave herab, bevor sie dann mit dem letzten Vers langsam zu einem abgrundtiefen „f“ absinkt (bei dem Wort „Winde). Auch diese Verse werden, dieses Mal melodisch exakt, wiederholt.


    Die Melodik der dritten Strophe ist ganz von dem lyrischen Bild der „markigen Knochen“ geprägt. Die Vokallinie verharrt immer wieder in silbengetreu markanter Deklamation auf einer tonalen Ebene. Und erst am Ende, wenn das Bild von der „Rebe“ auftaucht, beschreibt sie einen in größere Höhe ausgreifenden melodischen Bogen.


    Wiederum bedeutungsschwer, weil auf einer tonalen Ebene verbleibend und am Ende in eine Dehnung mündend, wird die Frage „Was unterscheidet Götter von Menschen?“ deklamiert. Immer wieder senkt sich die melodische Linie in gewichtigen Schritten zu tiefen Lagen hin ab, und das „wir versinken“ wird, um diese permanente melodische Abwärtsbewegung musikalisch zu intensivieren, noch einmal wiederholt.


    Bei der letzten Strophe bewegt sich die Vokallinie durchgängig in tiefer Lage, und es wird wieder in bedächtigen Schritten deklamiert, wobei das Klavier dies mit vielstimmigen Akkorden akzentuiert. Zweimal, bei den Worten „dauernd“ und „unendliche Kette“, scheint sich die melodische Linie noch einmal zu einer Aufwärtsbewegung in höhere Lage aufraffen zu wollen. Aber das Bild von „des Daseins unendlicher Kette“ will, weil es lyrisch so bedeutsam ist, wiederholt werden. Und das geschieht nun wiederum mit einem kleinen melodischen Bogen, - dieses Mal aber in sehr tiefer Lage. Die melodische Linie endet auf einem oktavischen Bass-„e“ in Gestalt einer langen Dehnung auf der zweiten Silbe des Wortes „Kette“.
    Schubert hat die „Grenzen der Menschheit“ im wahrsten Sinne musikalisch ausgelotet.

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