ABM - Arturo Benedetti Michelangeli

  • Es geht um eine angeschlagene Taste ohne Pedalverwendung und bei gleicher Lautstärke. Unter diesen Bedingungen schlägt der Hammer auf die Saite und versetzt sie in Schwingung, wobei das letzte Wegstück des Hammers nicht mehr durch den Tastendruck angesteuert, sondern der Hammer sozusagen auf die Seite geschleudert wird.


    Unter diesen Bedingungen hat der Hammer eine bestimmte kinetische Energie, die die Amplitude der Saite und damit die Lautstärke beeinflusst. Die kinetische Energie des Hammers hängt von seiner Masse und Geschwindigkeit ab (Ekin = 1/2mv^2) - da die Masse vorgegeben ist (relativistische Geschwindigkeiten dürfte man hier kaum erreichen ;)) also von seiner Geschwindigkeit. Unter der Bedingung der gleichen Lautstärke muss auch diese gleich sein, sonst bekommt man verschiedene Beträge der kinetischen Energie und somit verschiedene Lautstärken.


    Wie soll unter diesen Bedingungen - gleiche Geschwindigkeit des gleichen Hammers - die Art des auslösenden Tastendrucks unterschiedliche Klangfarben für den Einzelton erzeugen, also z. B. seine Oberton-Charakteristik verändern? Ich bin ja sehr gerne bereit dazuzulernen, nur möge man es dann bitte auch erklären.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Das ist natürlich richtig. Es gibt aber noch einen kleinen Energieverlust durch den Filz. Allerdings würde ich Befilzung durch den Intonateur während eines Stückes als konstant betrachten


    Wenn Horowitz spielt oder man so spielt wie Horowitz, kommt man natürlich auf Ideen, dass der Filz am Ende so manches Stückes erneuert werden müsste ...;)

  • Der Hammerkopf ist fest mit dem Hammerstiel verleimt, und dieser ist über ein Gelenk fest mit dem Tastaturrahmen verschraubt. Das Gelenk ist nur nach oben und unten beweglich. Das ganze System ist so aufgebaut, dass der Hammerkopf die Saite immer an exakt derselben Stelle trifft, diese Stelle wird vom Klavierbauer reguliert. Der Hammer bewegt sich somit immer auf derselben Bahn.

    Dann käme nur mehr ein Unterschied im Bereich Beschleunigung/Verzögerung in Frage abgesehen von der Geschwindigkeit.

  • Dann käme nur mehr ein Unterschied im Bereich Beschleunigung/Verzögerung in Frage abgesehen von der Geschwindigkeit.


    Beschleunigung (Verzögerung ist ja nur negative Beschleunigung) ist bekanntlich die Ableitung der Geschwindigkeit nach der Zeit. Im Moment des Auftreffens des Hammers auf die Saite hat dieser Hammer aber eine definierte Geschwindigkeit (weil das zugehörige Zeitintervall extrem kurz sein dürfte) und somit eine definierte kinetische Energie, sonst hätte man ja keine identische Lautstärke.


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  • Beschleunigung (Verzögerung ist ja nur negative Beschleunigung) ist bekanntlich die Ableitung der Geschwindigkeit nach der Zeit. Im Moment des Auftreffens des Hammers auf die Saite hat dieser Hammer aber eine definierte Geschwindigkeit (weil das zugehörige Zeitintervall extrem kurz sein dürfte) und somit eine definierte kinetische Energie, sonst hätte man ja keine identische Lautstärke.


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    So sehe ich das auch. Wenn ich die von mir zitierten Artikel richtig gelesen habe, ist die Verweildauer bei einer Technik wie der von Renner im Bereich von etwa 40 ms. Klavierbauer scheinen den Anspruch zu haben, genau diese Dauer möglichst kurz zu halten, um eben nur die Energie zu übertragen. Das ermöglicht dann auch, die freie Strecke des Hammers kurz zu halten.


    BTW die Artikel untersuchen noch das Resonanzverhalten der Saite auf den Hammer. Ist auch interessant.

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  • Das ist natürlich richtig. Es gibt aber noch einen kleinen Energieverlust durch den Filz. Allerdings würde ich Befilzung durch den Intonateur während eines Stückes als konstant betrachten

    Selbst wenn sich die Filze der Hammerköpfe während eines Stückes verändern, spielt das in unserem Zusammenhang ebensowenig eine Rolle wie Geräusche der Taste am Tastaturboden, Resonanzen im Hammerstiel oder was auch immer sonst: Die Frage ist doch, ob man irgendetwas davon durch den Anschlag und unabhängig von der Lautstärke, also der Geschwindigkeit des Hammerkopfes steuern und gestalterisch einsetzen kann. Und eben das ist aus physikalischen Gründen unmöglich, egal wie laut derjenige schreit, der das partout anders haben möchte. Es gibt einen einzigen steuerbaren Parameter, nämlich die Geschwindigkeit, mit der der Hammerkopf auf die Saite trifft. Weder kann man die Kontaktstelle verändern (was bei Streichinstrumenten eines der wichtigsten klanglichen Gestaltungsmittel ist) noch die Verweildauer des Hammerkopfes auf der Saite oder irgendetwas sonst. Ich habe diese Diskussion wie gesagt schon öfter geführt, und noch niemand, kein einziger Pianistenkollege und schon gar kein Laie wie Holger war in der Lage, mir zu demonstrieren, dass er denselben Ton in derselben Lautstärke in jeweils unterschiedlicher Klangfarbe spielen könne, und es hat auch anschließend keiner mehr behauptet, das zu können. Wie auch? Es konnte auch noch keiner über das Wasser gehen. Das Wunderbare an einem guten Flügel ist doch gerade, dass man mit diesen ganz wenigen Stellschrauben, also dynamische Binnendifferenzierung und Pedalbehandlung, eine solche überwältigende Klangfarbenvielfalt erreichen kann. Als Hörer muss einen das nicht weiter interessieren, aber als Spieler halte ich es für sehr sinnvoll, dass man sich absolut darüber klar ist, wie das eigene Instrument funktioniert - und wie nicht. Übrigens verwendet man beim Testen von Flügeln gelegentlich Normgewichte auf den Tasten, um die klingende Länge von Tönen zu bestimmen. Das ist möglich, weil die eben nur von dem einen genannten Parameter abhängt.

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  • Das Wunderbare an einem guten Flügel ist doch gerade, dass man mit diesen ganz wenigen Stellschrauben, also dynamische Binnendifferenzierung und Pedalbehandlung, eine solche überwältigende Klangfarbenvielfalt erreichen kann.

    Ich fand in diesem Zusammenhang die Ausführungen zum Fazioli interessant. Der schöne Diskant des Flügels fällt sofort auf, aber dass aufgrund der vorhandenen Dynamik in den hohen Tönen der Farbenreichtum des Flügels theoretisch zunimmt, hat mich schon fasziniert.


    Als Hörer muss einen das nicht weiter interessieren, aber als Spieler halte ich es für sehr sinnvoll, dass man sich absolut darüber klar ist, wie das eigene Instrument funktioniert - und wie nicht.


    Auch für den Hörer ist doch das Starre und das Mechanische am Klavierton ein wichtiges Element. Das ist doch das Tolle, wenn man sagt, ein Pianist singe am Klavier (ich meine jetzt nicht Gould :)).


    Das Erlebnis ist doch, den Fluss aus den Hämmerchen zu holen und zu hören .... Bei einer menschlichen Stimme oder einer Violine wäre das ja kaum erwähnenswert ....

  • Also mir wäre das als Hörer egal - ich habe auch wenig Schimmer, wie ein Klarinettist seine Klänge manipulieren kann. Aber beim Klavierspielen hätte mich schon irritiert, wenn ich da etwas komplett nicht mitbekommen hätte, wie man da die Klangfarben nur durch den Anschlag ändern könnte. Wobei ich zugeben muss, dass mir die Informationen zum Pedaleinsatz nicht sonderlich vertraut waren. Nun, ich bin ja nur Laie. Aber mit verschieden stark angeschlagenen Tönen die Klänge zu gestalten kann mir schon viel Freude machen (abgesehen von meinen früher viel zu regellos ausufernden Agogik-Exzessen ...)

  • Auch für den Hörer ist doch das Starre und das Mechanische am Klavierton ein wichtiges Element. Das ist doch das Tolle, wenn man sagt, ein Pianist singe am Klavier (ich meine jetzt nicht Gould :) ).

    Ja, und das findei ich auch nach Jahrzehnten immer noch faszinierend: Das Instrument produziert auf jedem (!) einzelnen Ton ein decresc., und man kann dennoch schönste Kantilenen spielen. Die einzelnen Töne können nur lauter oder leiser angeschlagen werden, und man kann dennoch extrem viele Klangfarben produzieren. Und so weiter... Interessant ist es übrigens auch, sich unter diesem Aspekt mal gezielt Partituren anzusehen: Brahms hat z.B. in seiner vierten Ballade aus op. 10 unter den jeweils liegenden (also verklingenden) Diskanttönen jeweils abwärts arpeggierte Akkorde gesetzt, was dazu führt, dass die Obertöne des klingenden Melodietons zur Resonanz angeregt werden und an Tragfähigkeit gewinnen. Liszt war natürlich auch ein absoluter Könner in der optimalen klanglichen Ausnutzung der Möglichkeiten des Instruments. Nur Beethoven war das wie üblich wurscht, der lässt die armen Pianisten in der Frühlingssonate mehr schlecht als recht durch das Thema stochern, das die Violine gerade in schönster Vollendung gespielt hat ;(.

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  • und man kann dennoch extrem viele Klangfarben produzieren.


    Liszt war natürlich auch ein absoluter Könner in der optimalen klanglichen Ausnutzung der Möglichkeiten des Instruments.


    Ich bin fast umgekippt, als ich zum ersten Male (damals noch auf Platte) Idil Biret mit den lisztschen Transkriptionen der Beethoven-Sinfonien hörte. Unglaublich, was da an sinfonischen Farben herausgeholt wurde.


    Das ist für mich auch ein nicht unbeträchtlicher Reiz bei der Rezeption von Klaviermusik. Sie ist abstrakt und illusionistisch in höherem Maße, als ich das bei vielen anderen Instrumenten empfinde.

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  • Aber beim Klavierspielen hätte mich schon irritiert, wenn ich da etwas komplett nicht mitbekommen hätte, wie man da die Klangfarben nur durch den Anschlag ändern könnte.

    Vielleicht liegt es ganz einfach an Deinem Instrument. :) Uns als Laien hat damals ein Experte (Klavierbauer) gezeigt, wie er die Qualität von Instrumenten testet:


    Test 1: Eine Taste hart anschlagen und warten, bis der Ton verklingt. Das ist der sogenannte Sustain-Effekt. Bei guten Instrumenten hält der Ton lange an, bis er abfällt, bei schlechteren geht das messbar schneller. Wenn man das weiß, klärt sich auch ein gutes Stück (natürlich nicht vollständig) das Geheimnis des "stehenden Tons" von ABMs 1959iger Aufnahme. Er hatte damals höchstwahrscheinlich ein Instrument mit außergewöhnlichem Sustain zur Verfügung, dass er 1982 oder 1992 nicht mehr hatte.


    Test 2: Der Profi erklärte uns, wie man die Fähigkeit erkennt, wie klangfarbenstark ein Instrument ist. Wir sollten ein und denselben Ton erst ganz leise und dann kontinuierlich immer stärker anschlagen. Das ist die Prüfungsmethiode von Experten. Bei einem Top-Instrument wie dem Fazioli gibt es - wirklich faszinierend - zur Lautstärkeänderung immer eine Veränderung der Klangfarbe und des Toncharakters. Bei dem Billig-Schrott aus Fernost dagegen hat man nur eine banale Lautstärkeänderung. Das kann man auch erklären. Es hat mit den Resonanzen zu tun. Es gibt resonanzstarke und resonanzschwache Instrumente. Resonanzen (die entstehen, weil auch die anderen Saiten mitschwingen und der Rahmen des Flügels usw.) haben ja einen unterschiedlichen Schwellenwert - manche entstehen schon bei niedriger, andere erst bei höherer Lautstärke. So hat dann jeder Ton ein anderes Resonanzspektrum bei unterschiedlicher Lautstärke. Vorausgesetzt - das Instrument ist nicht resonanzarm. Dann hat es wenig Klangfarben und klingt nur langweilig grau und man kann anschlagstechnisch mit der Dynamik eben nicht oder nur kaum auch die Klangfarbe variieren.


    Auch dass man bei gleich wahrgenommener Lautstärke die Tonfarbe durch den Anschlag variieren kann, kann ich sehr gut erklären. Dazu muss ich allerdings musiktheoretisch und hörpsychologisch etwas weiter ausholen und die hier vorhandenen Blockaden der heute verbreiteten physikalistischen Denkweise beseitigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine Entdeckung, welche die Musiktheorie (wenn es auch noch nicht überall durchgeschllagen ist) der Erfahrung mit elektronischer Musik verdankt. Das mache ich aber erst später - jetzt muss ich einkaufen gehen. :D

  • Viel spannender war übrigens die Möglichkeit, auf diversen historischen Modellen des 19. Jahrhunderts zu spielen, wo bspw. der Diskant grundsätzlich ganz anders klingt als der Bass und die Pedale z.T. glaube ich anders funktionierten, während die gefürchtete Wiener Mechanik gar nicht das Problem war.

  • Die Experimente, die Du oben beschreibst, zeigen das Gegenteil von dem, was Du vergeblich zu beweisen suchst:

    Bei guten Instrumenten hält der Ton lange an, bis er abfällt, bei schlechteren geht das messbar schneller. Wenn man das weiß, klärt sich auch ein gutes Stück (natürlich nicht vollständig) das Geheimnis des "stehenden Tons" von ABMs 1959iger Aufnahme. Er hatte damals höchstwahrscheinlich ein Instrument mit außergewöhnlichem Sustain zur Verfügung, dass er 1982 oder 1992 nicht mehr hatte.

    Die Länge der Töne hängt also bei gleicher Lautstärke vom Instrument und nicht vom Pianisten ab. Danke, dass Du das endlich bestätigst.


    Wir sollten ein und denselben Ton erst ganz leise und dann kontinuierlich immer stärker anschlagen. Das ist die Prüfungsmethiode von Experten. Bei einem Top-Instrument wie dem Fazioli gibt es - wirklich faszinierend - zur Lautstärkeänderung immer eine Veränderung der Klangfarbe und des Toncharakters.

    Die Klangfarbe ein und desselben Tones wird also nicht unabhängig von der Lautstärke gesteuert sondern hängt fest mit ihr zusammen. Damit dürfte ja wohl alles geklärt sein.


    Abgestritten wurde, dass ABM einen "stehenden Ton" produzieren kann in seiner 1959iger Aufnahme. Das sei Hokuspokus, wenn ich das beschreibe, weil ja jeder Ton abklinge. Und weiter wird behauptet, dass die Veränderung der Lautstärke nichts anderes als die Veränderung der Lautstärke sein könne beim Klavieranschlag, also keine Veränderung der Klangfarbe mit einer dynamischen Veränderung verbunden sein könne. Beides ist aber einfach falsch - und das ist kenieswegs meine laienhafte Ansicht, sondern der Wissensstandard von Experten.

    Es wurde abgestritten, dass "ABM" die Länge von Tönen sowie die Klangfarbe unabhängig von der Lautstärke beeinflussen kann. Es wurde nicht abgestritten, dass verschiedene Flügel verschieden klingen oder dass sich die Klangfarbe mit der Lautstärke ändert (was sie bei guten Flügeln allerdings weniger tut als bei schlechten, aber das ist ein anderes Thema). Ich frage mich ernsthaft, ob Du wirklich glaubst, dass hier irgendjemand auf so billige Argumentationstricks hereinfällt, oder ob Du selbst nicht merkst, wie sehr Du auf dem Holzweg bist.

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  • Es wurde nicht abgestritten, dass verschiedene Flügel verschieden klingen oder dass sich die Klangfarbe mit der Lautstärke ändert (was sie bei guten Flügeln allerdings weniger tut als bei schlechten, aber das ist ein anderes Thema).

    Rate ich richtig, dass mit größerer Amplitude des Grundtones einfach mehr Obertöne zum Schwingen kommen auf der Saite?

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  • Rate ich richtig, dass mit größerer Amplitude des Grundtones einfach mehr Obertöne zum Schwingen kommen auf der Saite?

    Richtig, wobei über die Stärke der Obertöne natürlich nicht einfach nur die Schwingung der Saite entscheidet sondern das Zusammenspiel mit Steg und Resonanzboden (bei Bösendorfer auch das Flügelgehäuse, der sogennante "Rim"). Es ist also selbstverständlich richtig, dass verschiedene Flügel unterschiedlich klingen, wenn man die Tasten mit derselben Geschwindigkeit anschlägt, sowohl in Bezug auf die Tonlänge als auch auf die Klangfarbe bzw. -qualität.

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  • Test 1: Eine Taste hart anschlagen und warten, bis der Ton verklingt. Das ist der sogenannte Sustain-Effekt. Bei guten Instrumenten hält der Ton lange an, bis er abfällt, bei schlechteren geht das messbar schneller. Wenn man das weiß, klärt sich auch ein gutes Stück (natürlich nicht vollständig) das Geheimnis des "stehenden Tons" von ABMs 1959iger Aufnahme. Er hatte damals höchstwahrscheinlich ein Instrument mit außergewöhnlichem Sustain zur Verfügung, dass er 1982 oder 1992 nicht mehr hatte.


    Test 2: Der Profi erklärte uns, wie man die Fähigkeit erkennt, wie klangfarbenstark ein Instrument ist. Wir sollten ein und denselben Ton erst ganz leise und dann kontinuierlich immer stärker anschlagen. Das ist die Prüfungsmethiode von Experten. Bei einem Top-Instrument wie dem Fazioli gibt es - wirklich faszinierend - zur Lautstärkeänderung immer eine Veränderung der Klangfarbe und des Toncharakters. Bei dem Billig-Schrott aus Fernost dagegen hat man nur eine banale Lautstärkeänderung. Das kann man auch erklären. Es hat mit den Resonanzen zu tun. Es gibt resonanzstarke und resonanzschwache Instrumente. Resonanzen (die entstehen, weil auch die anderen Saiten mitschwingen und der Rahmen des Flügels usw.) haben ja einen unterschiedlichen Schwellenwert - manche entstehen schon bei niedriger, andere erst bei höherer Lautstärke. So hat dann jeder Ton ein anderes Resonanzspektrum bei unterschiedlicher Lautstärke. Vorausgesetzt - das Instrument ist nicht resonanzarm. Dann hat es wenig Klangfarben und klingt nur langweilig grau und man kann anschlagstechnisch mit der Dynamik eben nicht oder nur kaum auch die Klangfarbe variieren.


    Das ist alles ganz wunderbar, nur hat es überhaupt nichts mit der Frage zu tun, wie man bei dem gleichen Ton auf dem gleichen Klavier und bei gleicher Lautstärke (sowie ohne Pedal) angeblich verschiedene Klangfarben produzieren kann. Du schreibst also einfach an der Frage vorbei.


    Auch dass man bei gleich wahrgenommener Lautstärke die Tonfarbe durch den Anschlag variieren kann, kann ich sehr gut erklären. Dazu muss ich allerdings musiktheoretisch und hörpsychologisch etwas weiter ausholen


    Dann mach' mal! Wie gesagt: ich lerne immer gerne dazu (und das meine ich nicht ironisch!).


    und die hier vorhandenen Blockaden der heute verbreiteten physikalistischen Denkweise beseitigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine Entdeckung, welche die Musiktheorie (wenn es auch noch nicht überall durchgeschllagen ist) der Erfahrung mit elektronischer Musik verdankt.


    Das verwundert allerdings aus mehreren Gründen (selbst wenn man mal davon absieht, dass der Passus mit der "physikalistischen Denkweise" verdächtig nach dem Standardargument der Astrologen und Homöopathen klingt). Erstens hat das, was man "Klangfarbe" nennt, selbstverständlich physikalische Grundlagen. Zweitens ist ein Signum der elektronischen Musik gerade die objektive Zerlegung von Tönen in nachvollziehbare, messbare und steuerbare Parameter gewesen. Es gibt wohl kaum eine Art des Musikmachens in den letzten Jahrhunderten, die ähnlich "physikalistisch" durchdacht war wie die elektronische Musik der europäischen Avantgarde des mittleren zwanzigsten Jahrhunderts. Oder beziehst Du Dich gerade darauf mit der besagten "Entdeckung" (welche soll das denn sein)?


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  • Ach so. Abgestritten wurde, dass ABM einen "stehenden Ton" produzieren kann in seiner 1959iger Aufnahme. Das sei Hokuspokus, wenn ich das beschreibe, weil ja jeder Ton abklinge.


    Das gibst Du nicht korrekt wider. Es wurde lediglich bestritten, dass ABM (oder irgendein anderer Pianist) auf einem Klaiver tatsächlich einen nicht-abklingenden Ton produzieren kann. Dass das objektiv so ist, kann ja wohl kaum bestritten werden.


    Die Frage wäre hier also, mit welchen pianistischen Mitteln ABM in seiner Aufnahme Deine Assoziation als Hörer hervorruft, dass dies "stehende" Töne seien. Streng genommen erzeugt er ja noch nicht einmal eine Illusion, dass dies so sei, denn sonst würde man nach ein paar Takten nur noch Klangbrei hören, weil sich all diese "stehenden" Töne überlagern. Es geht also um ein Bild eines "stehenden" Tons, das in Dir als Hörer erzeugt wird und das mit ABMs pianistischer Gestaltung des Satzes zu tun hat. Du hast selbst bereits darauf hingewiesen, dass das Instrument hierbei eine Rolle gespielt haben könnte, vermutlich haben auch der Pedaleinsatz und ABMs Gestaltung des Legatos (also wie er die Töne ineinander übergeleitet hat) hierzu beigetragen. Die Einschätzung von ChKöhn hierzu würde mich interessieren.


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  • Die Länge der Töne hängt also bei gleicher Lautstärke vom Instrument und nicht vom Pianisten ab. Danke, dass Du das endlich bestätigst.

    Das ist nun mal wieder frech - weil es meine Ausage ganz gezielt verkürzt wiedergibt. Man sollte die akustische Qualität (die physikalisch begründet ist) von der ästhetischen Wirkungsqualität unterscheiden können. Einen Pianisten mit Sinn für die Möglichkeiten eines Instruments zeichnet aus, dass er sie auch zu nutzen versteht - mehr als vielleicht andere, die das nicht so gut können. Dass dieser Ton die Wirkung eines nunc stans bekommt, liegt zum erheblichen und entscheidenden Teil an Michelangeli, der nämlich die Eigenschaft dieses besonderen Intruments mit seiner Klaviertechnik so ausnutzen konnte, dass er diese "magische" Wirkung damit erzielt - was freilich offenbar auf anderen Instrumenten nicht so funktioniert. Dein Friseur, wenn er nur auf die Taste dieses Instruments gedrückt hätte, hätte es eben nicht gekonnt. Sustain hin oder her.

    Die Klangfarbe ein und desselben Tones wird also nicht unabhängig von der Lautstärke gesteuert sondern hängt fest mit ihr zusammen. Damit dürfte ja wohl alles geklärt sein.

    Was Du nicht verstehst, ist, dass es ein Unterschied ist, von der physikalisch gemessenen Eigenschaft eines Tones oder der tatsächlichen Wahrnehmungseigenschaft zu sprechen. Da liegt der Denkfehler. Das Gemessene muss auch nicht dem Wahrgenommenen entsprechen.

    Es wurde abgestritten, dass "ABM" die Länge von Tönen sowie die Klangfarbe unabhängig von der Lautstärke beeinflussen kann. Es wurde nicht abgestritten, dass verschiedene Flügel verschieden klingen oder dass sich die Klangfarbe mit der Lautstärke ändert (was sie bei guten Flügeln allerdings weniger tut als bei schlechten, aber das ist ein anderes Thema). Ich frage mich ernsthaft, ob Du wirklich glaubst, dass hier irgendjemand auf so billige Argumentationstricks hereinfällt, oder ob Du selbst nicht merkst, wie sehr Du auf dem Holzweg bist.

    Es wurde erst einmal abgestritten, dass ein Ton, der dynamisch differenziert wird, überhaupt unterschiedliche Tonfabren haben kann (meine Erwähnung des Fazioli-Tests von der Messe). Und zweitens kann ABM selbstverständlich die Klangfarben beeinflussen, ohne dass dies als eine Änderung der Lautstärke wahrgenommen wird - messtechnisch ist das dann eine Veränderung der Lautstärke, aber das muss eben nicht so wahrgenommen werden. Um das zu verstehen, braucht man allerdings einige musiktheoretische und hörpsychologische Betrachtungen.

  • Was Du nicht verstehst ist, dass es ein Unterschied ist, von der physikalisch gemessenen Eigenschaft eines Tones oder der tatsächlichen Wahrnehmungseigenschaft zu sprechen. Da liegt der Denkfehler. Das Gemessene muss auch nicht dem Wahrgenommenen entsprechen.


    Dann sollten wir aber klarstellen, von was wir hier sprechen. Das eine sind objektiv feststellbare Eigenschaften von Tönen, das andere sind Wahrnehmungen und ggf. auch Assoziationen bei Hörern. In der Optik gibt es ja das Phänomen der "optischen Täuschung" (siehe die Bilder von Escher), und ebenso kann man auch im Bereich der Akustik sicherlich Illusionen erzeugen (siehe das crescendo auf einem Ton am Klavier). Das Problem mit den Wahrnehmungen ist einerseits deren Täuschbarkeit, andererseits deren Subjektivität. Wo endet die akustische Illusion, und wo beginnt die Assoziation des Hörers? Im Falle der angeblich "stehenden" Töne bei ABM haben wir es m. E. aus den oben genannten Gründen eher mit einer Assoziation zu tun, die aber mit den realen Eigenschaften der Töne nur sehr begrenzt zu tun hat (weil die eben nicht "stehen").


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  • Es wurde erst einmal abgestritten, dass ein Ton, der dynamisch differenziert wird, überhaupt unterschiedliche Tonfabren haben kann (meine Erwähnung des Fazioli-Tests von der Messe).


    Nein, dass das abgestritten worden sein soll, ist eine freie Erfindung Deinerseits. Es ging immer (und das wurde auch mehrfach betont!) um Töne gleicher Lautstärke. Dass sich die Klangfarbe mit der Lautstärke ändern kann, hat niemand hier bestritten.


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  • Im Falle der angeblich "stehenden" Töne bei ABm haben wir es m. E. aus den oben genannten Gründen eher mit einer Assoziation zu tun, die aber mit den realen Eigenschaften der Töne nur sehr begrenzt zu tun hat (weil die eben nicht "stehen").

    Das kann wirklich Jeder hören, es ist also keine beliebige Assoziation, sondern eine ästhetische Wirkungsqualität, die zum Ton gehört (wie der Glanz des Goldes auf einer Ikone zur Ikone gehört). Man kann das natürlich überhören, wenn einen diese Toneigenschaft nicht interessiert. Ich kann auch den Goldglanz des Bolusgrundes nicht beachten und übersehen.


    Ich hatte noch vergessen: Natürlich braucht der Musiker eine Imagination und Idee, dass er einen solchen "stehenden Ton" auch erzeugen will, die ABM offenbar hatte, sonst entsteht er nicht.

    Nein, dass das abgestritten worden sein soll, ist eine freie Erfindung Deinerseits. Es ging immer (und das wurde auch mehrfach betont!) um Töne gleicher Lautstärke. Dass sich die Klangfarbe mit der Lautstärke ändern kann, hat niemand hier bestritten.

    Nur mal wieder lesen - das steht da Schwarz auf Weiß. Es wurde von Christian Köhn behauptet, er hätte einen Fazioli besorgt und so etwas nicht wahrgenommen (was natürlich sein kann, dann liegt es aber z.B. an der noch nicht erfolgten Intonation des Instruments). So in dieser Art muss eine Diskussion eigentlich nicht geführt werden.

  • Das kann wirklich Jeder hören, es ist also keine beliebige Assoziation, sondern eine ästhetische Wirkungsqualität, die zum Ton gehört (wie der Glanz des Goldes auf einer Ikone zur Ikone gehört). Man kann das natürlich überhören, wenn einen diese Toneigenschaft nicht interessiert. Ich kann auch den Goldglanz des Bolusgrundes nicht beachten und übersehen.


    Nur ist der Glanz des Goldes eine objektiv nachweisbare und auch physikalisch begündbare Eigenschaft. Der "stehende" Ton ist etwas anderes, nämlich eine Beschreibung einer Wahrnehmung, die einer objektiv nachweisbaren und physikalisch begründbaren Eigenschaft widerspricht. Ergo ist diese Beschreibung eine Assoziation, die ihren Grund natürlich in der Tongestaltung des Pianisten hat.


    Es wurde von Christian Köhn behauptet, er hätte einen Fazioli besorgt und so etwas nicht wahrgenommen (was natürlich sein kann, dann liegt es aber z.B. an der noch nicht erfolgten Intonation des Instruments).


    Nein, es ging um die Frage, ob ein bestimmter einzelner Klavierton bei gleicher Lautstärke pianistisch gesteuert unterschiedliche Klangfarben haben kann. Wir warten übrigens immer noch auf Deine Erklärung, wie das geht.


    So in dieser Art muss eine Diskussion eigentlich nicht geführt werden.


    Da stimme ich Dir zu. Das Zuschreiben frei erfundener Aussagen zu Diskussionspartnern ist in der Tat unnötig.


    LG :hello:

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  • Zur Erinnerung:


    Der Klangreichtum des Faziolis resultiert gerade aus seiner breiten dynamischen Spannweite (im Vergleich zu anderen Flügeln vor allem im Diskant), die dank der hervorragenden Mechanik präzise und sicher steuerbar ist. Das ermöglicht die oben beschriebene präzise Binnendifferenzierung und damit die gezielte Klanggestaltung. Es gibt kaum einen Flügel, bei dem man so sehr den Klang bei gleicher Lautstärke variieren kann, aber eben nicht bei einzelnen Tönen! Ich habe erst vor ein paar Wochen einen (den bisher fünften) Fazioli für unsere Hochschule bestellt und ausgesucht, ich weiß wovon ich rede...


    (Hervorhebung vom Autor des Zitats)


    LG :hello:

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  • Lassen wir mal die Falschdarstellungen, Unterstellungen und Unwahrheiten, die der allwissende Herr Doktor hier von sich gibt, außer acht, das lohnt einfach nicht.


    Die Einschätzung von ChKöhn hierzu würde mich interessieren.

    Statt dessen also zu der Frage, wie der besondere "Ton" bei der Michelangeli-Aufnahme des zweiten Satzes im Ravel-Konzert zustande kommt: Er spielt zunächst einmal die Melodie dynamisch deutlich über der Begleitung, und zwar nicht nur im Moment des jeweiligen Anschlags sondern auch im Verlauf der langen Töne, bei denen er sehr oft mit deren Verklingen in der Begleitung ebenfalls zurückgeht, so dass der Melodieton in seinem ganzen Verlauf tragfähig bleibt. Dabei hilft ihm auch das erwähnte "Nachklappern", das die Melodietöne zusätzlich gegenüber der Begleitung absetzt. Das ist bis dahin das übliche Mittel, Melodien hervorzuheben. Was nicht üblich ist, ist Michelangelis Pedalbehandlung: Er spielt zum einen durchgehend mit sehr viel Pedal, was positive Auswirkungen auf die Resonanz hat. Vor allem aber wechselt er das Pedal sehr oft nicht genau mit dem Anschlag der Melodietöne sondern kurz danach, und manchmal auch kurz davor. Zudem sind seine Pedalwechsel oft extrem schnell, oder aber auch nur viertel bis halb, so dass die Momente, in denen die Dämpfung komplett auf den Saiten liegt, nur extrem kurz sind. Der Anschlag, der üblicherweise bei geschlossener Dämpfung stattfindet, fällt somit also sehr oft in die geöffnete Dämpfung (also bei getretenem Pedal). Dadurch erreicht Michelangeli einerseits eine besonders innige Verbindung der Töne untereinander, vor allem aber die optimale Ausnutzung der Resonanz des offenbar in dieser Hinsicht herausragend guten Flügels. Die Gefahr bei solcher Pedaltechnik ist, dass die Töne zu einem Klangbrei verschmelzen, und man muss deshalb auch z.B. mit halbem oder Viertelpedal arbeiten. Michelangeli beherrscht das natürlich perfekt und bringt die Melodietöne optimal zur Resonanz, ohne an Klarheit einzubüßen.

    Zusammengefasst resultiert sein besonderer Klang hier (natürlich neben den Eigenschaften des Instruments) also aus einem sehr raffinierten und präzisen Zusammenwirken von dynamischer Binnendifferenzierung und Pedalbehandlung. Ich meine mich zu erinnern, dass ich das schon irgendwann einmal als Mittel der Klanggestaltung am Klavier genannt hätte :).

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  • Nur ist der Glanz des Goldes eine objektiv nachweisbare und auch physikalisch begündbare Eigenschaft. Der "stehende" Ton ist etwas anderes, nämlich eine Beschreibung einer Wahrnehmung, die einer objektiv nachweisbaren und physikalisch begründbaren Eigenschaft widerspricht. Ergo ist diese Beschreibung eine Assoziation, die ihren Grund natürlich in der Tongestaltung des Pianisten hat.

    Schon seit mehr als hundert Jahren gilt als widerlegt in der Psychologie (durch eine ganze Reihe von Experimenten übrigens), dass die Wahrnehmung und jeder Wahrnehmugnsbestandteil immer ein physikalisches Korrelat haben muss. Über die Objektivität einer Wahrnehmung entscheidet deshalb auch nicht die Physik (das ist der typische naturalistische Fehlschluss) - sondern diese ist ein originärer Wahrnehmungssinn, der nirgendwo anders als in der Wahrnehmung liegt. Der Glanz des Goldes ist auch keine physikalische Eigenschaft, so wenig wie das Leuchten eines gotischen Glasfensters. Das ist eine ästhetische Wirkungsqualität, die man natürlich viel leichter erfasst, wenn man die symbolische Bedeutung kennt, die sich damit verbindet.

    Nein, es ging um die Frage, ob ein bestimmter einzelner Klavierton bei gleicher Lautstärke pianistisch gesteuert unterschiedliche Klangfarben haben kann. Wir warten übrigens immer noch auf Deine Erklärung, wie das geht.

    Das kann er und die Erklärung habe ich in der Tat noch nicht gegeben.

    Da stimme ich Dir zu. Das Zuschreiben frei erfundener Aussagen zu Diskussionspartnern ist in der Tat unnötig.


    LG :hello:

    Für dumm verkaufen könnt Ihr mich leider nicht.

  • .....

    Statt dessen also zu der Frage, wie der besondere "Ton" bei der Michelangeli-Aufnahme des zweiten Satzes im Ravel-Konzert zustande kommt: Er spielt zunächst einmal die Melodie dynamisch deutlich über der Begleitung, und zwar nicht nur im Moment des jeweiligen Anschlags sondern auch im Verlauf der langen Töne, bei denen er sehr oft mit deren Verklingen in der Begleitung ebenfalls zurückgeht, so dass der Melodieton in seinem ganzen Verlauf tragfähig bleibt. Dabei hilft ihm auch das erwähnte "Nachklappern", das die Melodietöne zusätzlich gegenüber der Begleitung absetzt. Das ist bis dahin das übliche Mittel, Melodien hervorzuheben. Was nicht üblich ist, ist Michelangelis Pedalbehandlung: Er spielt zum einen durchgehend mit sehr viel Pedal, was positive Auswirkungen auf die Resonanz hat. Vor allem aber wechselt er das Pedal sehr oft nicht genau mit dem Anschlag der Melodietöne sondern kurz danach, und manchmal auch kurz davor. Zudem sind seine Pedalwechsel oft extrem schnell, oder aber auch nur viertel bis halb, so dass die Momente, in denen die Dämpfung komplett auf den Saiten liegt, nur extrem kurz sind. Der Anschlag, der üblicherweise bei geschlossener Dämpfung stattfindet, fällt somit also sehr oft in die geöffnete Dämpfung (also bei getretenem Pedal). Dadurch erreicht Michelangeli einerseits eine besonders innige Verbindung der Töne untereinander, vor allem aber die optimale Ausnutzung der Resonanz des offenbar in dieser Hinsicht herausragend guten Flügels. Die Gefahr bei solcher Pedaltechnik ist, dass die Töne zu einem Klangbrei verschmelzen, und man muss deshalb auch z.B. mit halbem oder Viertelpedal arbeiten. Michelangeli beherrscht das natürlich perfekt und bringt die Melodietöne optimal zur Resonanz, ohne an Klarheit einzubüßen.

    Zusammengefasst resultiert sein besonderer Klang hier (natürlich neben den Eigenschaften des Instruments) also aus einem sehr raffinierten und präzisen Zusammenwirken von dynamischer Binnendifferenzierung und Pedalbehandlung. Ich meine mich zu erinnern, dass ich das schon irgendwann einmal als Mittel der Klanggestaltung am Klavier genannt hätte :).


    Hier habe ich den zweiten Satz aus Ravels G-Dur Konzert von Michelangeli mit Celibidache von 1982



    Man kann die Argumente bis zu einem gewissen Grade auch als Laie nachvollziehen. Vor allem das Spiel mit dem Pedal, was die besondere Klanglichkeit der Melodie produziert.


    Zum gegenhören eine neue Aufnahme mit Piemontesi und dem Orchestre del la Suisse Romande



    und auch eine Liveaufnahme mit Piemontesi und dem Philharmonieorchester von Radio France. Der zweite Satz beginnt ab 9'00''



    Mich würden hier die Beurteilungen der Kollegen interessieren. Ich meine auch "Klappern" zu hören, allerdings in geringerem Maße und bescheideneres Pedalspiel, was dem Ganzen etwas Sphärisches nimmt. Umgekehrt strengt mich der Walzerrhythmus weniger an.

  • Statt dessen also zu der Frage, wie der besondere "Ton" bei der Michelangeli-Aufnahme des zweiten Satzes im Ravel-Konzert zustande kommt: Er spielt zunächst einmal die Melodie dynamisch deutlich über der Begleitung, und zwar nicht nur im Moment des jeweiligen Anschlags sondern auch im Verlauf der langen Töne, bei denen er sehr oft mit deren Verklingen in der Begleitung ebenfalls zurückgeht, so dass der Melodieton in seinem ganzen Verlauf tragfähig bleibt. Dabei hilft ihm auch das erwähnte "Nachklappern", das die Melodietöne zusätzlich gegenüber der Begleitung absetzt. Das ist bis dahin das übliche Mittel, Melodien hervorzuheben. Was nicht üblich ist, ist Michelangelis Pedalbehandlung: Er spielt zum einen durchgehend mit sehr viel Pedal, was positive Auswirkungen auf die Resonanz hat. Vor allem aber wechselt er das Pedal sehr oft nicht genau mit dem Anschlag der Melodietöne sondern kurz danach, und manchmal auch kurz davor. Zudem sind seine Pedalwechsel oft extrem schnell, oder aber auch nur viertel bis halb, so dass die Momente, in denen die Dämpfung komplett auf den Saiten liegt, nur extrem kurz sind. Der Anschlag, der üblicherweise bei geschlossener Dämpfung stattfindet, fällt somit also sehr oft in die geöffnete Dämpfung (also bei getretenem Pedal). Dadurch erreicht Michelangeli einerseits eine besonders innige Verbindung der Töne untereinander, vor allem aber die optimale Ausnutzung der Resonanz des offenbar in dieser Hinsicht herausragend guten Flügels. Die Gefahr bei solcher Pedaltechnik ist, dass die Töne zu einem Klangbrei verschmelzen, und man muss deshalb auch z.B. mit halbem oder Viertelpedal arbeiten. Michelangeli beherrscht das natürlich perfekt und bringt die Melodietöne optimal zur Resonanz, ohne an Klarheit einzubüßen.

    Zusammengefasst resultiert sein besonderer Klang hier (natürlich neben den Eigenschaften des Instruments) also aus einem sehr raffinierten und präzisen Zusammenwirken von dynamischer Binnendifferenzierung und Pedalbehandlung. Ich meine mich zu erinnern, dass ich das schon irgendwann einmal als Mittel der Klanggestaltung am Klavier genannt hätte :).


    Vielen Dank für die Erläuterungen! Auch ohne metallischen Glanz (;)) sind diese sehr erhellend. Ich hätte instinktiv getippt, dass ABMs Pedaleinsatz eine wichtige Rolle für seinen Ton in diesem Satz spielen muss, hätte das aber niemals so genau analysieren können.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • An dieser Bemerkung merkt man, dass Du einfach nicht weißt, worum es überhaupt geht.

    Es macht immer wieder Freude von Dir beurteilt zu werden. Ich hatte eigentlich gedacht, die Schule langsam hinter mir gelassen zu haben :)


    Experiment aus der Psychologie: Man projiziert ein mit einem Projektionsgerät erzeugten Kreis auf die Netzhaut zweier Probenden. Der eine Proband ist gesund, der andere hat eine beschädigte Netzhaut, d.h. der Kreis wird nur zu zwei Dritteln auf der Netzhaut abgebildet. Überraschendes Ergebnis: Beide, der gesunde und der kranke Patient, sehen ein und dasselbe

    Haha! Sie sehen ein und dasselbe? Das ist doch ersteinmal zu definieren oder zu operationalisieren. Sie sagen beide, dass sie eine vollständigen Kreis sehen. Das wäre es doch auch schon. Das hängt mit den plastischen Fähigkeiten des Gehirns zusammen. Wenn man Dich einige Zeit auf den Kopf stellt, wird das Gehirn Dir irgendwann simulieren, dass unten eigentlich oben ist ...


    Wo ist die Realität: Im Projektor, wo der Kreis erzeugt wird, auf der Netzhaut, im Gehirn oder im Bewusstsein?

    Das ist doch klar. Der Kreis im Projektor ist eine Realität, die Abbildung auf der Netzhaut ist eine Abbildung und damit eine völlig andere Realität. Sogar die verwendete Gehirnaktivität ist eine Realität, wenn auch eine völlig andere :). Nur weil Du, auf dem Kopf stehend, denkst, dass alles für Dich richtig herum ist, stehst Du natürlich trotzdem noch auf dem Kopf. Komische Frage.


    Das Gehirn kann auf vielen Wegen getäuscht werden. Es hat durch die Evolution erhaltene, durchaus erstaunliche Fähigkeiten, die machmal irritieren und manchmal auch für therapeutische Zwecke eingesetzt werden können. Was hat das mit einer objektivierbaren Realität zu tun?


    Da wir wahrscheinlich beide keine ausgewiesenen Neurologen sind, sollten wir den interessanten Austausch über die Fähigkeiten des Gehirnes hier beenden. Er hilft meines Erachtens wenig, das technische Erzeugen eines bestimmten Klavierklanges zu verstehen.


    Dass psycholoische und bewusstseinphysiologische Elemente für den Pianisten eine Rolle spielen, bestimmte Techniken zu realisieren, ist schon gesagt worden.

  • Das ist doch klar. Der Kreis im Projektor ist eine Realität, die Abbildung auf der Netzhaut ist eine Abbildung und damit eine völlig andere Realität. Nur weil Du auf dem Kopf stehend denkst, dass alles für Dich richtig herum ist, stehst Du natürlich trotzdem noch auf dem Kopf. Komische Frage.

    Mit solchen "komischen Fragen" schlägt sich die Erkenntnistheorie herum - weil sie sie für so gar nicht komisch befindet.

    Allerdings kommt auch keiner von denen auf die kuriose Idee, einen vermeintlich "stehenden" oder "ins Unendliche klingenden" Ton als Realität verkaufen zu wollen und sich der geradezu banalen Erkenntnis zu verweigern, dass derartige Hörassoziationen nicht unbedingt nachprüfbaren Realitäten entsprechen müssen. (Du könntest uns natürlich mitteilen, wo dieser magische Flügel steht, auf dem heute noch die Töne klingen, die ABM 1957 angeschlagen hat. ;) )

    Natürlich kann man den "stehenden Ton" hier wahrnehmen. Das ist keine beliebige Hörassoziation und das ist evident. Nicht nur ich höre das. Man kann das allerdings überhören, wenn man es nicht hören will. Weil psychologisch die Aufmerksamkeit davon beeinflusst wird, was für einen von Interesse ist und was nicht.

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