Beethovens Klaviermusik und ihre Interpreten

  • Sophie Tacini


    Axel brachte mich im Thread über Beethovens "Waldstein"-Sonate op. 53 auf Sophie Tacini. Meine Eindrücke von dieser CD (Warner 2015), wo sie neben dem Beethoven ein Liszt-Programm spielt:



    Die Aufnahme der Waldstein-Sonate ist wirklich sehr schön - klangschön, klar mit Sinn für die klassischen Formen, mit rhetorischen Akzenten beim Seitenthema des Kopfsatzes und einer Gestaltung des Finales mit einer individuellen Note. Auch der Introduzione Satz gefällt, zerfällt allerdings - das nur als einzige Meckerei - in zwei Teile innig-ruhiger Besinnlichkeit und Belebung, statt eine zusammenhängende dynamisch-binnendramatische Entwicklung aufzuzeigen.


    Der Liszt überzeugt mich dann nicht ganz so. Am besten gefällt mir noch die Don Juan-Fantasie. Bei den virtuosen Liszt-Kraftakten spürt man noch zu sehr die Wettbewerbs-Olympiade. Es wird meist einfach zu laut mit dem klavieristischen Dampfhammer agiert - gerade auch im "Liebestraum", der bei Pacini, der Tochter eines italienischen Literaturprofessors und einer deutschen Ärztin, zwar sehr leidenschaftlich dramatisch ist, aber auch etwas pauschal wirkt. Da fehlt die lyrische Verfeinerung. Klingt der Flügel bei Beethoven sehr schön, so klirrt es bei Liszt dagegen ganz schön im Fortissimo. Ein George Cziffra mit der Tannhäuser-Paraphrase (Aufnahme von 1957) im Vergleich gehört zeigt dann doch eine andere Liszt-Dimension. Bei Cziffra ist das Thema wirklich eine prägnante Sprechmelodie, die beiden Teile fallen nicht auseinander sondern bilden eine Einheit und die Oktaven krachen nicht, sondern haben eine dämonische Leichtigkeit, so wie sie der Übervater in Sachen Liszt mit göttlicher Hand aus dem Ärmel schüttelt.


    Wenn Pacini noch mehr Aufnahmen von der Art ihrer wirklich gelungenen Aufnahme der Waldstein-Sonate zu bieten hat, wäre das sehr vielversprechend! :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • BORIS GILTBURG


    Der junge Pianist ist Jahrgang 1984, in Moskau geboren. Ersten Unterricht erhielt er von seiner Mutter. Die Familie wanderte 1990 nach Israel aus, wo Boris Giltburg seine Ausbildung fortsetzte. 2013 hat er den renommierten Wettbewerb Reine Elisabeth in Brüssel gewonnen.


    Heute ist er ein weltweit gefragter Konzertpianist. Sein Repertoire umfasst neben Werken für Soloklavier und Kammermusik von Beethoven, Brahms, Dvořák, Liszt, Rachmaninov, Schumann, Shostakovich, auch ein beachtliches Spektrum an Klavierkonzerten von Bach bis Shostakovich:


    Bach: Klavierkonzert BWV 1052

    Bartók: Klavierkonzert Nr.3

    Beethoven: Klavierkonzerte Nr. 1-5

    Brahms: Klavierkonzerte Nr. 1 & Nr. 2

    Chopin: Klavierkonzerte Nr. 1 & Nr. 2

    Dohnanyi: Variationen über ein Kinderlied für Klavier und Orchester

    Gershwin: Rhapsody in Blue, Klavierkonzert

    Grieg: Klavierkonzert

    Haydn: Klavierkonzert Hob CVIII:11

    Liszt: Klavierkonzert Nr. 1

    Mozart: Klavierkonzerte Nr. 15, 19, 20, 23, 24, Doppelkonzert für 2 Klaviere K365

    Prokofiev: Klavierkonzerte Nr. 1-5

    Ravel: Klavierkonzert, Klavierkonzert für die linke Hand

    Rachmaninov: Klavierkonzerte Nr. 1-4, Rhapsodie über ein Thema von Paganini

    Saint-Saëns: Klavierkonzert Nr. 2, 5

    Schumann: Klavierkonzert

    Scriabin: Klavierkonzert

    Shostakovich: Klavierkonzerte Nr. 1 & Nr. 2

    Tchaikovsky: Klavierkonzert Nr. 1-3


    Daten sind zu finden unter https://www.intermusica.co.uk/…ollTo-concerto-repertoire


    Ende 2019 hat der Pianist das 'Projekt Beethoven 32' ins Leben gerufen. Geplant war ursprünglich, alle 32 Sonaten in Beethovens Jubiläumsjahr 2020 einzuspielen und auf nachfolgender Plattform bereitzustellen: https://beethoven32.com/index_de.html


    Boris Giltburg geht chronologisch vor. Am 17. Januar 2020 startete die Gesamtaufnahme mit Op. 2 Nr. 1. Neben der Audio-Aufzeichnung jeder Sonate wird auch ein Video produziert, das auf dieser Plattform zusammen mit einem einführenden, teils sehr persönlichen Text als Beitrag eingestellt wurde/wird. Der Plan ist aus bekannten Gründen leider nicht aufgegangen. Am 27. Dezember 2020 markierte Op. 53 den 'Jahresabschluss 2020'. Am 12. Februar 2021 erfolgte der vorerst letzte Beitrag mit Op. 78. Es liegen also Stand heute 24 von 32 Klaviersonaten vor. Die restlichen Beiträge werden sukzessive nachgeliefert. Mit neun Sonaten war er bis zum Start des Zyklus' vertraut, die verbleibenden 23 musste/muss er sich erarbeiten.


    Die späten Sonaten fehlen noch, eine abschließende Beurteilung seiner Gesamtaufnahme ist also nicht möglich. Aber eine schöne Gelegenheit, um Boris Giltburg näher kennenzulernen.

  • Meine erste Antwort zum Thema, das ich gleich weiträumig zu verfehlen gedenke! Über ein eigenes neues Thema denke ich gerade noch nach, es könnte in etwa lauten "Superstars in am Klavier. Gibt es die wirklich?" Zu Beethoven fallen mir erstmal die zwei Gesamtaufnahmen ein, die ich habe. Seit langem eine Schallplattenkassette mit Rudolf Buchbinder - leider. Seit kurzem eine Liveeinspielung aus Salzburg mit Igor Levit. Mit Buchbinder habe ich nur einige Beethovensonaten gehört, viele habe ich nicht verstanden und als langweilig und uninteressant abgetan. Mit Igor Levit (spielt fürchterlichen Tschaikowsky und noch schlimmeren Brahms - jeweils aufs 1. Klavierkonzert bezogen) habe ich, nicht zuletzt Dank eines entsprechenden Podcasts des Bayerischen Rundfunks alle Sonaten schätzen gelernt und verstanden. Hier liegt meines Erachtens der große Unterschied eher bei den Interpreten als bei mir. Dass ich viele andere Namen hier nicht genannt habe, liegt daran, dass ich mich nicht verlieren möchte, irgendwo muss ein Beitrag ja auch ein Ende finden. Zweites "Foul" folgt. Die Hammerklaviersonate ist immer (?) weitgehend unverständlich (außer für studierte Profimusiker?) ebenso wie für hochgelobte PianistInnen - ich denke da an Yuja Wang, die die Hammerklaviersonate großartig spielt und beherrscht, aber letztendlich bleibt ihre Interpretation belanglos und unverständlich - wie so viele der anderen PianistInnen. Es geht aber auch anders: Maria Grinberg (leider schon tot und damit eigentlich außen vor). Hier wird die Sonate dem Hörenden Publikum so präsentiert, dass sie beim ersten Hören einfach und selbsterklärend wirkt, sogar für mich. Daher: ein unbedingter Hörtipp!

    "His philosophy was to transmit the music to the public and not boring the public. A concert is not a lecture, a concert you go for enjoyment." WTH

  • Schön, dass Harry den jungen Igor Levitt mit seinen unterhaltsamen Podcasts zu den 32 Sonaten Beethovens erwähnt. Diese kann man auf der Website des Bayrischen Rundfunks noch immer hören oder von dort ins eigene Musikprogramm laden. Wunderbar für lange Autofahrten oder durchwachte Nächte und wie vom Vorgänger schon geschrieben, diese Exkurse helfen vielleicht auch beim "Verstehen" der Sonaten.

    Entdeckt habe ich Beethovens Klaviermusik mit Mitsuki Uchida, will sagen, mit ihren bei Philips erschienenen Aufnahmen von Op. 109 - Op. 111 aus dem Jahr 2006. Ihre Interpretation erscheint mir, heute, da ich auch die Aufnahmen der großen Meister wie Pollini, Gilels oder anderer hier bereits genannter Pianisten kenne, sehr eigenständig, sensibel und modern im positiven Sinne. Bei aller kompositorischen Vielfalt und revolutionären Erneuerung des Klavierspiels, die man den Sonaten Beethovens zuschreibt, höre ich bei Uchida vergleichsweise mehr Melodie, Zartheit, Verklärung und individuelles Musizieren als analytische Werkschau und intellektuelle Durchdringung kompositorischer Raffinessen. Mitsuki Uchida also kommt mir in den Sinn bei Beethoven und den Pianisten von heute und morgen. Und dank Caraguli gibt es jetzt auch ein Bildchen dazu:-)

  • Werter Alexander Zuber


    bei weitergehendem Interesse an den Beethoven Sonaten und deren Interpretationen hat Johannes Roehl in Beethoven: Klaviermusik (Überblick) einen Überblicksbeitrag geschrieben, der angesichts der Fülle von Beiträgen hier im Forum eine wertvolle Hilfe sein kann. Dort kannst Du lesen, was alles schon untersucht wurde und natürlich auch gerne ergänzen. Leider hat Mitsuko Uchida (noch?) nicht alle Sonaten eingespielt .. :(. Es kommt aber im April eine CD mit den Diabelli Variationen heraus.

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  • Ich habe ein wenig gerungen, ob dieser Thread nicht zur Klaviermusik der Klassik gehört, weil es ja um Beethoven Sonaten geht. Allerdings findet sich kein Thread zu den Gesamteinspielungen, sondern nur zu den einzelnen Sonaten. Also ist meine Idee hier am besten platziert. Der Titel ist etwas historisch beladen, es geht aber nicht um des Kaisers neue Kleider. Die Idee ist eine andere wie ich hoffe in den nächsten zeilen erläutern zu können :)


    Was schwebt mir nun vor? Ich habe den Eindruck, dass es echte Beethoven-Interpreten gibt, also Pianisten, die den intellektuellen Versuch wagen und wagten sich diesem experimentellem Klavieruniversum zu nähern. Natürlich spielt jeder ernsthafte Pianist irgendwann mal ein paar Beethoven Sonaten ein, das ist aber nicht das, was mich an dieser Stelle interessiert.


    In meiner frühen Jugend bekam ich die Sonaten in der Amadeo-Einspielung von Friedrich Gulda. Das war für mich ein prägendes Erlebnis. Ich weiß jetzt noch, wie ich aus allen Wolken fiel, als Gulda in der Arietta von Op. 111 jazzte und ich nur ungläubig zuhörte. Ich bin damals zu meinem Schullehrer gegangen, weil ich dachte, dass der Pianist irgendwas anderes macht ;) und nicht Beethoven spielt. Wir haben uns bei der Gelegenheit die Noten angeschaut und ja, Beethoven hatte den Groove ... Der Bann war gebrochen und ich hörte diese Einspielung rauf und runter. Eine Ausnahme war die Hammerklaviersonate, die ich damals ungenießbar fand - ihre Zeit kam wesentlich später.


    So in dieser Art möchte ich den Thread verstehen. Welcher Interpret hat die Liebe zu den Beethoven Sonaten entfacht und welche liebt ihr immer noch? Welchen Eindruck habt Ihr vom Zugang des Interpreten zu den Sonaten?


    Mir ist gerade eine neue Interpretation des gesamten Sonatenwerkes in die Hände geraten von einer mir völlig unbekannten Interpretin. Offensichtlich spielte die Auseinandersetzung mit Beethovens Werk eine große Rolle. Von ihr scheint es noch die Diabelli-Variationen zu geben und sonst nichts ... Auch Gilels ist natürlich ein Beethoveninterpret in diesem Sinne. Seine in seinen letzten Jahren begonnene Beethoveneinspielung wurde nur durch seinen Tod beendet und ist deswegen unvollendet geblieben. Die Auseinandersetzung mit Beethoven und seinem Sonatenwerk trägt natürlich von Interpret zu Interpret ganz andere Züge. Barenboim und Buchbinder haben über einen größeren Zeitraum die Sonaten mehrfach eingespielt, warum und mit welchem Erfolg?


    Ich bin ein großer Freund von Betrachtungen aus meheren Perspektiven und denke deswegen, dass jeder Interpret (so er die technischen Vorausetzungen mitbringt) etwas zu dem Werk zu sagen hat ... Was? Das wäre dann meine letzte Frage :)


    Das alles würde mich hier interessieren. Ich hoffe, dass der Scope weitgenug gefasst ist, um Interesse zu wecken.

  • Johannes Roehl

    Hat den Titel des Themas von „Beethoven - Pianisten von heute und morgen“ zu „Beethovens Klaviermusik und ihre Interpreten“ geändert.
  • Muriel Chemin


    Im Mai dieses Jahres kam eine Box mit allen Beethoven Sonaten von der Pianistina Muriel Chemin heraus.



    Neugierig auf auf alle Einspielungen dieser Sonaten bin ich von Natur aus, geholt und überrascht über die Qulaität der Einspielungen. Chemin gehört zu den langsameren Einspielern. Das funktioniert meistens nur, wenn man ein Gespür füe Beethovensche Klavierklanglichkeit hat und über die Länge der Sätze die Form nicht verloren geht. Mir gefiel alles bisher Gehörte.


    Der werte Kollege rolo betman hörte dann ältere Einspielungen der mir bis dato unbekannten Pianistin. Sie hatte wohl schon mal Anfang 2000 alle Sonaten eingepielt, was die Reife des Spieles erklären könnte. Zum Schluss nahm ich mir Op. 2 vor. Die Schwierigkeit hier ist es, hier die Nähe zu Mozart zwar erkennen, aber auf der anderen Seite schon das revolutionäre Beethovensche durchschimmern zu lassen, ohne die Stücke zu verharmlosen oder schon in die Nähe der späteren Werke zu rücken.... Das gelingt Chemin hier ganz ausgezeichnet. Das Hören der Box macht durchgehend Freude.


    Hier Op.2 Nr. 1 aus den Jahren (1793-95)







    Kleiner biografischer Nachtrag aus dem Booklet: Muriel Chemin begann ihr Musikstudium im Alter von fünf Jahren und schloss an der École normale de Musique de Paris mit der License de Concert und Diplôme d'exécution ab. Danach ging sie wohl noch einmal nach Italien zu Maria Tipo. Carlo Maria Giulini drückte 1998 seine Bewunderung aus, nachdem er sie die ltzten drei Beethoven Sonaten spielen hörte .... Das soll genug sein. Witzig, dass mit der Name völlig unbekannt war.

  • Jetzt weiß ich auch, warum mich dieser neue Thread irriitiert hat; es gibt nämlich mindesten noch einen weiteren ähnlichen und vermutlich noch mehr, die man aufgrund anderer Titel nicht so leicht findet...


    Beethovens Klaviersonaten mit Oppitz und Schiff - Brauchen wir wirklich die 179. Gesamteinspielung?

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)