Bei der gestrigen Zusammenstellung der Haydn-Threads fiel natürlich auf, dass einige wichtige Werkgruppen fehlen, allen voran die sog. "Apponyi" Quartette op. 71 und op. 74. Und auch wenn es sicher hier kompetentere Haydnkenner gibt als mich, will ich mal versuchen, einen entsprechenden Thread zu starten, in der stillen Hoffnung, dass andere mit einsteigen.
Diese Werk entstanden als 8. Werkgruppe von 6 Quartetten zwischen den op. 64 und den op. 76 Serien, die op. 76 Serie gilt ja bekanntermaßen als Höhepunkt des Haydn'schen Schaffens. Danach schrieb er nur noch zweieinhalb Werke für diese Genre op. 77, 1+2 und op 103.
Die Enstehungszeit ist ziemlich genau belegt und zwar kurz nach der ersten Londonreise von Haydn auf der er mit den sechs ersten Salomon-Symphonien (Londoner Symphonien) 93-98 große Erfolge feiern konnte. Bei diesem Aufenthalt wurden vom "Salomon Streichquartett" (das so natürlich noch nicht hiess) auch einige op. 64 Werke aufgeführt und der große Erfolg hat Haydn dazu bewogen, eine neue Serie mit weniger "intimen" Werken zu schreiben. Man könnte also sagen, dass die "Apponyi" Quartette die ersten überhaupt waren, die für ein großes Publikum geschrieben wurden. Sie sind deshalb auch alle durch einen "Weckruf" am Anfang gekennzeichnet. Eine Zeitlang wurde diskutiert, ob die Werke möglicherweise schon während des London-Aufenthalts komponiert wurden, aber die erhaltenen Autographen speziell das verwendete Papier schliessen dies wohl aus. Die Werke wurden vermutlich mehrheitlich 1793 geschrieben, also zwei Jahre nach Mozarts Tod und sechs Jahre vor Beethovens op. 18.
Im Februar 1794 begann Haydns zweite Londonreise und hier brachte er die Quartette mit und sie wurden auch in Salomon's Konzerten gespielt. Die Konzerte fanden in einem Saal statt der 500-800 Personen fassen konnte, was der Größe eines typischen Kammermusiksaals heute entspricht. Sie wurden wohl wohlwollend aufgenommen, auch wenn sie nicht den gleichen Furor wie die neuen Symphonien entfachten.
Der Beiname der Quartette bezieht sich auf den Fürsten Anton Georg Graf Apponyi von Nagy-Apponyi (1. Dezember 1755 in Pressburg; † 17. März 1817 in Wien). Dieser aus einem alten ungarischen Adelsgeschlecht stammende Fürst war u.a. ungarischer Statthaltereirat, dann Geheimrat, Hofkommissar und Präsident der Königlich ungarischen privilegierten Schifffahrtsgesellschaft, außerdem Botschafter in Rom, London und Paris. Er begründete die weltberühmte Apponyi-Bibliothek mit über 50 000 Bänden. Er war natürlich auch Musikmäzen und Mitbegründer der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, ab 1813 sogar ihr Direktor. Die Widmung der sechs Werke incl. eines einjährigen Benutzungsprivilegs hat der Fürst angeblich mit 100 Dukaten belohnt. Der geschäftstüchtige Haydn hat die Werkpartituren sowohl in London als auch in Wien herausbringen lassen. Die Zweiteilung auf zwei Opus-Nummern, die sich auch änderten, geht wohl auf lukrative Verlegerpolitik zurück.
Wie in den anderen Serien haben wir fünf Dur- und ein Moll-Werk. Nur eines, das g-Moll Quartett op. 74, 3 hat einen Beinamen, das "Reiterquartett".
So, hier mache ich mal vorerst Schluss, denn die einzelnen Quartette sollen separat behandelt werden. Eines davon op. 71, 2 habe ich vorgestern in einem sehr schönen Konzert mit dem Mannheimer SQ gehört, ich denke zum ersten Mal.
Neben all den üblichen Verdächtigen (Amadeus, Auryn, Aeolian, Angeles, Festetics, Kodayl usw.) gibt es bei den Einspielungen zwei ziemlich neue hochgelobte durch das Takacs Quartett. Die kenne ich aber (noch) nicht.