Haydn, Joseph: Streichquartette op. 71/op. 74 "Apponyi-Quartette"

  • Bei der gestrigen Zusammenstellung der Haydn-Threads fiel natürlich auf, dass einige wichtige Werkgruppen fehlen, allen voran die sog. "Apponyi" Quartette op. 71 und op. 74. Und auch wenn es sicher hier kompetentere Haydnkenner gibt als mich, will ich mal versuchen, einen entsprechenden Thread zu starten, in der stillen Hoffnung, dass andere mit einsteigen.


    Diese Werk entstanden als 8. Werkgruppe von 6 Quartetten zwischen den op. 64 und den op. 76 Serien, die op. 76 Serie gilt ja bekanntermaßen als Höhepunkt des Haydn'schen Schaffens. Danach schrieb er nur noch zweieinhalb Werke für diese Genre op. 77, 1+2 und op 103.


    Die Enstehungszeit ist ziemlich genau belegt und zwar kurz nach der ersten Londonreise von Haydn auf der er mit den sechs ersten Salomon-Symphonien (Londoner Symphonien) 93-98 große Erfolge feiern konnte. Bei diesem Aufenthalt wurden vom "Salomon Streichquartett" (das so natürlich noch nicht hiess) auch einige op. 64 Werke aufgeführt und der große Erfolg hat Haydn dazu bewogen, eine neue Serie mit weniger "intimen" Werken zu schreiben. Man könnte also sagen, dass die "Apponyi" Quartette die ersten überhaupt waren, die für ein großes Publikum geschrieben wurden. Sie sind deshalb auch alle durch einen "Weckruf" am Anfang gekennzeichnet. Eine Zeitlang wurde diskutiert, ob die Werke möglicherweise schon während des London-Aufenthalts komponiert wurden, aber die erhaltenen Autographen speziell das verwendete Papier schliessen dies wohl aus. Die Werke wurden vermutlich mehrheitlich 1793 geschrieben, also zwei Jahre nach Mozarts Tod und sechs Jahre vor Beethovens op. 18.


    Im Februar 1794 begann Haydns zweite Londonreise und hier brachte er die Quartette mit und sie wurden auch in Salomon's Konzerten gespielt. Die Konzerte fanden in einem Saal statt der 500-800 Personen fassen konnte, was der Größe eines typischen Kammermusiksaals heute entspricht. Sie wurden wohl wohlwollend aufgenommen, auch wenn sie nicht den gleichen Furor wie die neuen Symphonien entfachten.


    Der Beiname der Quartette bezieht sich auf den Fürsten Anton Georg Graf Apponyi von Nagy-Apponyi (1. Dezember 1755 in Pressburg; † 17. März 1817 in Wien). Dieser aus einem alten ungarischen Adelsgeschlecht stammende Fürst war u.a. ungarischer Statthaltereirat, dann Geheimrat, Hofkommissar und Präsident der Königlich ungarischen privilegierten Schifffahrtsgesellschaft, außerdem Botschafter in Rom, London und Paris. Er begründete die weltberühmte Apponyi-Bibliothek mit über 50 000 Bänden. Er war natürlich auch Musikmäzen und Mitbegründer der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, ab 1813 sogar ihr Direktor. Die Widmung der sechs Werke incl. eines einjährigen Benutzungsprivilegs hat der Fürst angeblich mit 100 Dukaten belohnt. Der geschäftstüchtige Haydn hat die Werkpartituren sowohl in London als auch in Wien herausbringen lassen. Die Zweiteilung auf zwei Opus-Nummern, die sich auch änderten, geht wohl auf lukrative Verlegerpolitik zurück.


    Wie in den anderen Serien haben wir fünf Dur- und ein Moll-Werk. Nur eines, das g-Moll Quartett op. 74, 3 hat einen Beinamen, das "Reiterquartett".
    So, hier mache ich mal vorerst Schluss, denn die einzelnen Quartette sollen separat behandelt werden. Eines davon op. 71, 2 habe ich vorgestern in einem sehr schönen Konzert mit dem Mannheimer SQ gehört, ich denke zum ersten Mal.


    Neben all den üblichen Verdächtigen (Amadeus, Auryn, Aeolian, Angeles, Festetics, Kodayl usw.) gibt es bei den Einspielungen zwei ziemlich neue hochgelobte durch das Takacs Quartett. Die kenne ich aber (noch) nicht.


  • Lieber Lutgra,


    Ein toller Thread von einer Werkgruppe die zu Unrecht ein Schattendasein fristet. Ich glaube, dass op 71/74 dasselbe Problem hat wie op 17, indem sie beide von einem übermächtigen Opus gefolgt werden (op 76, beziehungsweise op 20).


    Dabei finden sich bei diesen Quartetten viele Charakterzüge, die man in op 76 wiederfindet:

    Fast scherzoartige Menuette (op 71/2)

    Hymnenartige langsame Sätze (op 71/2 und op 74/3)

    Gewichtige Finali (op 74/1 und op 74/3)

    Terzverwante Tonarten in Langsamen Sätzen und Trios (op 74/2-Menuett in F-Dur, Trio in Des-Dur; op 74/3-G-Moll/G-Dur, langsamer Satz in E-Dur)


    So experimentelle Werke wie op 76/5 und op 76/6 oder Moll-Finali zu Dur-Werken finden sich hier nicht, dafür sind die Quartette von op 71/74 eingängiger als die von op 76.


    Persönlich mag ich das Opus lieber als op 64 oder auch op 33 und zähle es zu einen meiner Lieblingsserien zusammen mit op 20, op 50 und op 76.


    Ich möchte gerne später einige dieser Werke kurz vorstellen und vielleicht so eine Diskussion in Gang setzen.


    Liebe Grüße aus Wien.:hello:

  • Das waren ja vermutlich die Quartette, die explizit für London geschrieben wurden (vielleicht auch schon 64,5+6, mit den Violinsoli), daher für öffentliche Konzerte eingängig u. effektiv sein mussten.

    Bzgl. der Popularität heute liegt es ähnlich wie bei op.64: EIN sehr popuäres Werk, hier "Reiter", dort "Lerche", stellt den Rest in den Schatten.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich glaube nicht, dass op 64,5 und 6 explizit für den Londoner Konzertsaal komponiert wurden, aber wahrscheinlich hat Haydn sie dort “ausprobiert”. Op 71/74 hingegen wurden speziell für die Aufführung im Konzert komponiert. Das zeigt sich vor Allem in den Einleitungen zu den Quartetten (entweder ein oder mehrere Akkorde, eine kurze Adagio-Einleitung oder ein fanfaren-ähnliches Unisono), virtuose Passagen in der 1. Geige, leicht einprägsame (fast singbare) Themen und die Tatsache, dass keines der Quartette leise beginnt. Das macht sie zu den ersten Quartetten der 3 großen Wiener Meister, die speziell für den Konzertgebrauch komponiert wurden (ich kenne eigentlich keine von Mozart oder Beethoven). Einiges von dem findet sich in op 76 wieder, besonders im ersten Quartett.


    Ob die Quartette von op 64 und op 71/74 von einem Namenswerk in den Schatten gestellt werden sei dahingestellt. Dann müsste es aber den Quartetten von op 54/55 genauso gehen, weil da gibt es das Rasiermesser-Quartett und die anderen 5.


    Liebe Grüße aus Wien.:hello:

  • Fünf kräftige Akkorde eröffnen das Quartett op 71/1. Es folgt ein gemütliches Dreiklangs-Thema, das, nach einer virtuosen Übergangs-Passage in der Tonika wiederholt wird. Nach einer zweiten Überleitung mit breiten Arpeggien in Violine und Cello, setzt das zweite Thema ein, das, wie so oft bei Haydn, vom ersten abgeleitet ist: Ein absteigender Dreiklang gegen aufsteigende Tonleitern werden abwechselnd von allen Instrumenten gespielt. Nach einer Schlusspassage endet die Exposition mit den fünf Akkorden vom Anfang, nur diesmal aufsteigend anstatt absteigend. Die Durchführung beschäftigt sich hauptsächlich mit dem zweiten Thema und der Übergangsmusik. In der verkürzten Reprise leitet das Hauptthema direkt zum zweiten Thema über und der Satz wird mit einer kurzen Coda abgeschlossen. Trotz einiger virtuosen Passagen, ist der Satz eher entspannt und gemütlich.


    Der zweite Satz setzt diese Stimmung fort. Es handelt sich hier um ein sanftes Siziliano in A-B-A Form, bei dem alle Instrumente in einen entspannten Dialog treten. Der B-Teil wendet sich nicht sofort nach Moll, wie es normalerweise üblich ist, sondern setzt den Dialog mit einem neuen Motiv in Sechzehntel fort. Diese Passage hat eine leicht verträumte Stimmung, nicht unähnlich der der zeitnahen Klaviertrios. Nach einer kurzen Moll-Eintrübung, setzt der A-Teil wieder ein und bringt den Satz zu Ende.


    Das Menuett ist ein gemütlicher Ländler (wie kann es bei diesem Quartett anders sein) bei dem die Melodie von einer kreiselnden Cello-Linie in Vierteln unterstützt wird. Diese Linie findet sich zum Schluss in der Violine wieder, mit Antwort vom Cello.


    Das Finale is der schnellste Satz des Quartetts (Vivace) und hat eine leicht ungarische Note (aber nicht so markant wie das Zigeuner-Trio). Aber auch hier, trotz des schnelleren Tempos, ist die Musik relativ entspannt und bildet damit einen passenden Abschluss zu diesem Quartett.


    Persönlich mag ich dieses Quartett sehr. Ich finde es einer der eingängigsten Quartette von Haydn und auch ein gutes Werk um das Opus zu eröffnen (ob es zuerst komponiert wurde, sei dahingestellt).


    Wenn ich wieder Zeit habe, werde ich op 71/2 kurz vorstellen.


    LG aus Wien.:hello:

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  • Anlässlich dieses Threads hab ich mir die Quartette rausgesucht um sie jetzt zu hören, oder wenigestens op 71 für den Anfang.

    Die links obne abgebildete CD ist in dieser Form nicht mehr am Markt, Interessenten an dieser Ausgabe haben aber noch die Möglichkeit die Gesamtaufnahme aller Haydn Streichquartette auf 23 CDs zu erwerben.

    An sich sehe ich op 71 und 74 durchaus als "Namensquartette" - man kann sich den Namen des Widmungsträgers ergoogeln und ein bisschen was über ihn erfahren:

    Der Großgrundbesitzer Anton Georg Graf Apponyi (1751-1817)war begeisterter Musikfreund,erstklassiger Geiger, Förderer Haydns, Mozarts und Beethovens, Gründungsmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und gegen Ende seines Lebens deren Präsident.

    Im Booklet finden wir auch die Bemerkung, daß hier für große Säle komponiert wurde, nicht unbedingt dezidiert für London, aber vielleicht mit London im Hinterkopf.

    Tatsächlich wurden zumindest zwei der Quartette 1794 in London gespielt.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Die Streichquartette Opp. 71/74 haben vor nicht allzu langer Zeit eine Neueinspielung erfahren. Das HIP-Ensemble London Haydn Quartet hat 2019 eine Doppel-CD dazu herausgegeben. Mittlerweile hat das Ensemble Haydns Quartette von op. 17 bis Op. 103 eingespielt, was offensichtlich alles Geplante war.



    Die Aufnahmen entstanden 2018 in Potton Hall. Die Akustik scheint mir sehr gelungen zu sein. Man folgt allerdings Klängen von Darmsaiten und klassischer Streichtechnik. Klanglich ein völlig anderes Erlebnis als das, was ich vom Auryn Quartett kenne. Für meine Begriffe eine Bereicherung zu den schon erwähnten Einspielungen. Diese Einspielung orientiert sich an einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1796. (Es scheint noch im 19. Jahrhundert Bearbeitungen dieser Werke gegeben zu haben)


    Zu den Quartetten kann ich momentan nur sagen, dass ich sie selten höre (20,33, 64, 76 sind meine Favoriten). Ich habe nun Op. 71/1 gehört und kann eigentlich dem Stimmungsbild von MusicFan9976 recht geben. Bis auf die Anfangstakte schön gemacht und keine wirklichen Hindernisse in den Weg setzend. Das Adagio finde ich reizvoll. Haydns Kunst hält den Hörer bei der Stange .... :)

  • Das zweite Quartett von op 71 wird mit einer kurzen Adagio-Einleitung eröffnet. Angesichts der besonderen Bedeutung der langsamen Einleitung bei Haydns Sinfonien (speziell in den zeitgleichen Londonern), verwundert es ein wenig, dass diese Haydns einzige langsame Einleitung zu einem Quartett ist. Oktavensprünge, von allen Instrumenten nacheinander in Forte gespielt, unterbrechen die Adagio-Einleitung und eröffnen das Allegro. Es ist ein Energie und Spannungsgeladener Satz, ganz anders als der entspannte Kopfsatz des ersten Quartetts und bietet Salomon (Haydns Impresario und Primgeiger des Quartetts bei der Erstaufführung) viele Möglichkeiten seine Virtuosität zur Schau zu stellen. Die Oktaven sind hier omnipräsent, ähnlich wie die Quinten im D-moll Quartett von op 76. Es gibt hier auch ein ein zweites Thema, anders als das erste, jedoch genauso energetisch.


    Der zweite Satz (Adagio cantabile) ist einer der schönsten langsamen Sätze überhaupt und kann, meiner Meinung nach, mit den Adagios von op 76 mithalten. Auch dieser Satz ist ein Dialog zwischen allen Instrumenten, wirkt aber erhabener und weniger verträumt wie das Siziliano von op 71/1. Die anfänglichen Dreiklänge des Hauptthemas werden durch punktierte Rythmen ergänzt, die dann von allen Spielern aufgegriffen und weitergführt werden. Der Satz ist anscheinend in einer Art Sonatenform, so gibt es auch eine Durchführung, die dramatischer ist als der Mittelteil des Adagios von op 71/1.


    Das Menuett ist ein flottes Allegro, dass einem Scherzo nahekommt. Ein absteigender Dreiklang im Cello eröffnet den Satz und wird mit einem aufsteigenden in der Violine geantwortet, bevor das Thema weitergeführt wird. Das Trio ist eine Reflektion in Moll, das einen effektiven Kontrast zum munteren Menuett bildet.


    Das Finale ist im 6/8 Takt und beginnt in einem kurios langsamen Tempo (Allegretto), dass dann zum Ende zu einem Allegro gesteigert wird. Er erinnert daher etwas an den Kopfsatz von op 76/5.


    Auch dieses Quartett schätze ich sehr, es bildet einen effektiven Kontrast zum ersten Quartett und zeigt die Vielfalt der Werkgruppe auf.


    Liebe Grüße aus Wien.:hello:

  • Ein abrupter Akkord eröffnet das dritte Quartett in Es-Dur. Mich erinnert diese „Einleitung“ immer etwas an den Beginn der Eroica. Darauf folgt das Hauptthema des Satzes, das im Charakter ähnlich dem vom ersten Quartett ist, jedoch etwas humorvoller. Die Überleitung und das zweite Thema sind vom Hauptthema abgeleitet, so dass der Satz einen monothematischen Eindruck vermittelt. Die Durchführung führt nach einen Diskurs über ein Motiv aus dem Hauptthema zu einer Scheinreprise, die echte Reprise setzt dann nach einer weiteren Durchführungspassage mit sechzehntel Noten in der ersten Violine und partiellen Statements des Hauptthemas ein (erinnert auch irgendwie an die Eroica). Die Reprise verläuft für Haydns Verhältnisse mehr oder weniger regulär und der Satz wird von einer ausführlichen Coda abgeschlossen.


    Der zweite Satz ist kein tiefsinniges Adagio oder Largo, sondern „nur“ ein Andante con moto. Trotzdem ist er einer der beeindruckendsten Sätze dieses Opus (gemeint op 71 und op 74). Hier nur von Variationen zu sprechen wäre etwas verfehlt, denn Haydn kombiniert hier Rondo und Variationsform, ähnlich wie im langsamen Satz der Uhr. Das Thema ist auch sonderlich, denn es moduliert nicht wie üblich zur Dominanten, sonder zur parallelen Moll Tonart. Der B-Teil des Themas beginnt dementsprechend auch in Moll und bringt das ganze wieder zur Tonika. Das gibt dem Thema einen Hauch melancholischen Charakter, wie man es eher von Schubert kennt. Die erste Variation ist unüblicherweise in Moll. Sie wird von der Viola angeführt, entwickelt sich aber zu einem Diskurs aller Instrumente. Darauf folgt keine neue Variation, sondern ein nochmaliges Statement des ursprünglichen Themas, jedoch ohne Wiederholungen. Danach folgt erst die nächste Variation, bei der die erste Geige mit Triolen brillieren darf. Ich finde die Begleitung der zweiten Violine und Bratsche im zweiten Teil der Variation fast interessanter als die plappernden Triolen der ersten Geige. Da in Moll, klingt diese Begleitung fast wie eine Art gespenstischer Hymnus. Die nächste Variation wird vom Cello geführt und beginnt in Moll, wendet sich aber schnell nach Dur. Der zweite Teil führt ohne Wiederholung zur nächsten Variation in der die Violinen und Viola das Thema in hoher Lage in staccato sechzehntel Noten intonieren. Wieder gibt es eine ausführliche Coda die den Satz zu Ende bringt.


    Das Menuett ist kein Proto-Scherzo wie im zweiten Quartett, sondern eher ein gemütlicher Ländler. Es ist ein entspannter Dialog in fliesenden achtel Noten zwischen allen Instrumenten. Der Hauptteil des Satzes stellt das Trio. Ein abwärts führendes Motiv im Cello wird vom ganzen Quartett übernommen und fast durchführungsmäßig verarbeitet und erzeugt dabei mehr Spannung als im fliesenden Menuett.


    Das Finale ist ein Sonaten-Rondo im 6/8 Takt. Es ist ein munterer Kehraus bei dem alle Instrumente noch einmal brillieren können. Ein Kontrapunkt im Mittelteil erinnert an den letzten Satz von Bach‘s dritten Brandenburg Konzert. Das Quartett endet mit unisono Läufen in allen Instrumenten.


    So wie es meine Zeit erlaubt, werde ich Beiträge zu den Quartetten in op 74 verfassen (ausser jemand von Euch möchte ein Quartett übernehmen). Bitte um etwas Geduld.


    LG aus Wien.:hello:

  • Das vierte Quartett der Werkgruppe, op 74 Nr. 1, beginnt mit zwei einleitenden Akkorden. Darauf folgt ein chromatisch geprägtes Hauptthema, das den Kopfsatz dominiert. Nach zweifacher Präsentation des Themas führt eine Überleitung, geprägt von Achteln in der Violine geantwortet von zweiter Violine mit Viola und schließlich dem Cello, zu einer nochmaligen Präsentation des Hauptthemas. Es folgt eine virtuose Passage für die 1. Geige, dann noch einmal das Hauptthema, aber diesmal mit einem Kontrapunkt (zwei Auftakt Achteln und zwei gebundene Achteln, erinnert irgendwie an das Hauptthema des Kopfsatzes der Sinfonie 88), das schließlich zu einem knappen Seitenthema führt. Die Durchführung ist hauptsächlich mit dem erstenThema und dem Kontrapunkt beschäftigt und hat eine eher "fragende" Qualität. In der Reprise wird das Hauptthema weiter verarbeitet, zunächst in fugierter Form und dann fortissimo über einem triller-artigen Bass. Das knappe Seitenthema erscheint kurz am Schluss noch einmal und das Hauptthema in Unisono schließt den Satz ab. Durchführung und Reprise werden hier nicht wiederholt.


    Die Binnensätze dieses Quartetts sind in meiner Meinung nicht ganz auf dem selben Niveau als die der anderen Quartette. Das Andantino ist ein etwas schlichter Satz in 3/8 Takt und hat daher einen tänzerischen Charakter. Die Instrumente werden oft gedoppelt, was in einer eher dünnen Klangfarbe resultiert. Am Ende des Satzes gibt es eine Passage bei der alle Instrumente ein abwärts führendes Motiv nacheinander spielen, eine Stelle die im Kontext des Satzes kontemplativ und ernst wirkt. So schnell wie diese Stimmung aufkam, ist sie auch schon wieder weg und der Satz endet leicht.


    Das Menuett ist ein stampfender Ländler, ein gewichtigeres Gegenstück zum leichten und zarten Andantino.


    Das Finale ist vielleicht der beste Satz des Quartetts. Es ist weit gewichtiger als die Finali der anderen Quartette der Werkgruppe, ausgenommen das Finale des Reiter-Quartetts, ein ähnlich dichter Satz.

    Das erste Thema ist ein Frage und Antwort Spiel das dann zu einer Übergangspassage führt die von allen Instrumenten bestritten wird. Das mündet in einem synkopierten zweiten Thema das zwischen erster Violine und zweite Violine mit Viola präsentiert wird. Ein ungarisches Thema über eine mächtige Quinte im Cello schließt die Exposition ab. In der Durchführung kommt zunächst die Übergangspassage zu Wort bis das synkopierte zweite Thema auch ausführlicher behandelt wird. In der Reprise kommen die Synkopen auch ausführlicher zu Wort, jedoch hat das ungarische Thema das letzte Wort und schließt den Satz ab. Da in diesem Satz erster und zweiter Teil wiederholt werden sollen, ist er länger als der erste. Aber auch ohne die zweite Wiederholung ist das Finale fast so lang wie der erste Satz. Haydn wird auch in op 76 dem Finale in den 1. und 3. Quartetten mehr Gewicht geben, hier noch zusätzlich in Moll gehalten, was dem Finale sogar noch mehr Dichte verleiht.


    Ich werde, sobald ich mehr Zeit habe, die letzten beiden Quartette des Opus vorstellen.


    LG aus Wien.:hello:

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  • Eine Einleitung a Tempo und in Unison gehalten eröffnet das 5. Quartett in F-Dur. Das Hauptthema ist von dem initialen Dreiklang der Einleitung abgeleitet und dominiert in weiterer Folge den Kopfsatz. Man ist etwas an den ersten Satz der Sinfonie 98 erinnert, bei dem auch ein dreiklang-basiertes Thema den Satz dominiert und kontrapunktisch verarbeitet wird. Besonders in der Durchführung wird das Thema, wie in der Sinfonie 98, auf dramatische Weise verarbeitet und die Durchführung endet mit einem kleinem Zitat vom Ende der Einleitung. Alles im allen ein sehr dichter Satz und einer der Höhepunkte des op 71/74.


    Die restlichen Sätze sind dagegen etwas leichter gehalten, so das der Kopfsatz deutlich die zentrale Rolle in diesem Quartett einnimmt. Der zweite Satz in B-Dur ist ein Variationssatz, aber anders als in op 71 Nr. 3 ist er nicht eine Kombination von Variationen und Rondo, sondern schlichte, strophische Variationen. Eine Besonderheit ist die zentrale Moll-Variation, in der die zweite Geige die Führung übernimmt und die erste Geige mit der Bratsche und dem Cello begleitet.


    Das Menuett ist ein kräftiger Bauerntanz, wahrscheinlich in Allegro (ich habe leider keine Tempoangaben zur Hand und bin jetzt zu faul das zu recherchieren. Werde ich vielleicht später ergänzen) gehalten, bei dem alle Instrumente zu Wort kommen. Das Trio ist in Des-Dur. Hier wird eine sanfte Melodie der zweiten Geige von Verzierungen der ersten umspielt.


    Das Finale ist ein Rondo und ist das leichteste von den drei Quartetten des op 74. Es ist leicht und spielerisch, wird aber immer wieder von einer seltsamen Balkan-ähnlichen Melodie über pochende Achteln im Cello eingetrübt.


    So bald es mir die Zeit erlaubt, werde ich eine Beitrag zum letzten Quartett des Opus schreiben.


    LG aus Wien.:hello:

  • Ich bin beim letzten (und vielleicht größten?) Quartett des op 71/74 angekommen, das Reiterquartett in G-Moll. Es ist sicherlich das berühmteste Quartett der Serie und das meist aufgenommene. Anders als das Quintenquartett von op 76, ist das Reiterquartett nicht nur in G-Moll, sondern stellt eine Dur-Moll Auseinandersetzung dar, bei der G-Dur am Schluss die Oberhand gewinnt. Zwar endet das Quintenquartett auch in Dur, aber der Kopfsatz und das Menuett sind solide in D-Moll und der Schluss in D-Dur wirkt etwas überraschend. Beim Reiterquartett wird die finale Wendung zu G-Dur schon im ganzen Quartett vorbereitet, indem alle Sätze in Dur enden und der zweite Satz nicht im erwartenden Es-Dur sondern in E-Dur steht, das G-Dur viel näher ist als Es-Dur.


    Der erste Satz beginnt mit einem Thema in Unison, das zwar etwas schroff wirkt, aber auch etwas komisches an sich hat. Auffallend ist hier auch die allgegenwärtige Präsenz der Triolen, die der Musik eine “Dreiteilung” geben: Eine punktierte Halbe=3 Vierteln=9Triolen. Normalerweise erfolgt in Musik eine Zweiteilung (1 Halbe=2 Vierteln=4 Achteln u.s.w.). Das zweite Thema ist eine waltzerartige Melodie, die von Hauptthema abgeleitet ist und in seinem etwas komischen Charakter an das zweite Thema vom Kopfsatz der Sinfonie 80 erinnert. Beide Themen kommen in der dichten Durchführung zu Wort. Wie schon oben erwähnt, endet der Satz in G-Dur.


    Das Largo assai ist einer der erstaunlichsten Sätze in Haydns Schaffen und in der Quartett Literatur überhaupt. Alleine schon die Tempo-Bezeichnung ist aussergewöhnlich: Largo assai stellt, so weit ich weiß, das langsamste Tempo dar das mit der italienischen Nomenklatur möglich war. Hier ein “Einheits-Andante” zu spielen wäre fatal. So groß der Satz auch ist, so schlicht und einfach ist er auch: Eine einfach ABA Form, keine komplexen Fugen, keine dichte Durchführung, fast Musik aus dem nichts.

    Die Musik des “A” Teils ist so langsam, dass sie nie wirklich einen Fluss entwickelt und man hat das Gefühl als würde die Zeit still stehen. Bewegung kommt erst im “B” Teil mit pulsierenden Sechzehnteln im Cello und später in zweiter Geige und Bratsche. Der dritte Teil kehrt wieder zum “Stillstand” des ersten zurück, diesmal aber mit Verzierungen in der ersten Geige, die aber auch nicht wirklich Bewegung in die Musik bringen. Die Tonart E-Dur, habe ich schon oben erwähnt. Allein deswegen machte es Sinn den ersten Satz in G-Dur und nicht in G-Moll zu beenden.


    Wahrscheinlich ist deswegen auch das anschließende Menuett in G-Dur anstatt in dem erwartenden G-Moll. Es ist ein sehr entspannter Satz der gefällig dahin fließt. Ganz anders das Trio: Wieder zurück in G-Moll, ist es ein angespannter Dialog zwischen den Instrumenten der länger als das Menuett ist und das Zentrum des Satzes bildet.


    Das Finale beginnt mit dem „Reiterthema“ in G-Moll und hat eine leicht ungarische Note. Es wird aber bald von jubelnden zweiten Thema verdrängt, das den Rest der Exposition (und des Finales) dominiert. In der ruppigen Durchführung bäumt sich die Moll Tonart noch einmal auf, muss sich aber kurz nach dem Beginn der Reprise dem zweiten Thema und G-Dur geschlagen geben. Das Finale ist ein sehr gewichtiger Satz und ist auch etwas länger als der Kopfsatz. Die Aufwertung des Finales wird Haydn in 1. und 3. Quartetten von op 76 weiterführen.


    Bleibt noch zu sagen, dass dieses Quartett in einigen Diskussionen nicht gut wegkam, weil es nicht „mollig“ genug war. Aber ist die zentrale Botschaft dieses Werks nicht eher in dem E-Dur Largo assai zu finden als in den G-Moll Sätzen?


    LG aus Wien.:hello:

  • Beim Reiterquartett wird die finale Wendung zu G-Dur schon im ganzen Quartett vorbereitet, indem alle Sätze in Dur enden und der zweite Satz nicht im erwartenden Es-Dur sondern in E-Dur steht, das G-Dur viel näher ist als Es-Dur.

    Danke für den Hinweis auf dieses Quartett. Leider habe ich mir diese Werkgruppe damals nicht mit dem Auryn Quartett gekauft und eine preiswerte Box ist nie erschienen. Ich besitze das Quartett aber in der sehr neuen Einspielung durch die London Haydn Players, die mir beim Hören nun doch viel Freude bereitet hat. Unabhängig davon, was nun das größere oder bedeutendere Quartett ist, finde ich bei Haydn immer den Ideenreichtum erstaunlich. Ob nun Largo assai oder nur Largo, es ist IMO nie ein Einheitslargo. Jedes Quartett ist eine Persönlichkeit.


    Deine Hinweise haben mir ein wenig beim rezipieren geholfen. Und ja, auch dieses Quartett scheint ein Meisterwerk zu sein, man erwartet vom Komponisten mittlerweile auch nicht weniger :P. Die Beschreibung der Motive und auch das Pulsierende im zweiten Satz, der langsame Übergang von Moll zu Dur, ich meine das gut nachvollziehen zu können.


    Bleibt noch zu sagen, dass dieses Quartett in einigen Diskussionen nicht gut wegkam, weil es nicht „mollig“ genug war. Aber ist die zentrale Botschaft dieses Werks nicht eher in dem E-Dur Largo assai zu finden als in den G-Moll Sätzen?

    Ich bin immer skeptisch, wenn etwas abgewertet wird, weil es nicht so klingt wie erwartet! Soll das ein Kriterium sein? Man muss sich schon die Mühe machen, das Werk so zu verstehen wie es sich zeigt. Und da kann man doch einiges entdecken (ich bin da sicher noch nicht am Ende). Es ist bisher offensichtlich nicht auf meiner Vielhörer-Liste, hat aber eine gute Chance reinzukommen :hail:

  • Lieber Astewes,


    Vielen Dank für deine Antwort. Es freut mich immer wenn ich einem Kollegen einen guten Tip geben kann, so wie Du mich auf die Aufnahmen von London Haydn Quartett gebracht hast. Die spielen übrigens auch ein sehr feines op 76.


    LG aus Wien.:hello: